RIEFENSTAHL Die Tiefland-Odyssee
Unbeirrt vom Widerstreit der Meinungen und Gerüchte«, überschrieb der Allianz-Verleih die ganzseitigen Zeitungsinserate, »und ungebrochen in der Verteidigung ihres Rechts. schuf eine Frau im starken Vertrauen auf ihre Berufung als Künstlerin dieses Werk, das ihre Lebensarbeit rechtfertigt.« Die Frau: Leni Riefenstahl, 46. Das Werk: Der Film »Tiefland«, nach Motiven der Oper von Eugen d'Albert ("Ein Filmwerk von zeitloser Größe").
Premiere war Mitte Februar in Stuttgart. Die Gäste hatte man gebeten, im Abendanzug zu erscheinen, und ein Philharmonisches Orchester ließ »Tiefland«-Motive erklingen.
Es war zweifellos einer der teuersten Filme, die seit Kriegsende in der Bundesrepublik anliefen. »Er hat mich acht Verhaftungen gekostet«, meditierte die Riefenstahl in einem Presse-Interview, »vier Entnazifizierungen, Irrenhaus, eine Gerichtsverhandlung, Nervenzusammenbrüche, schwere Krankheit und die Millionen, die ich mit meinen Filmen verdient hatte.«
Die Kritiker ließen am nächsten Morgen nicht erkennen, daß sie gerade »ein Filmwerk von zeitloser Größe« gesehen hatten. Zwar lobten einige »die faszinierende Macht der Bilder«, den »Nebel- und Lichtzauber der Berglandschaft«, den »handwerklichen Fleiß, der in diesem Film sitzt, die Mühe um jedes Detail, den vorbildlich sparsamen Dialog« ("Frankfurter Allgemeine Zeitung"). Die meisten Rezensenten aber verrissen »Tiefland«, in dem die Riefenstahl die Rolle der schönen Betteltänzerin Martha spielt, als »Schulbeispiel virtuoser, gepflegter Langeweile ... mit einem Bildschnitt von der Rasanz einer fußkranken Schnecke« ("Stuttgarter Nachrichten"). An Stelle der Leidenschaft räkele sich »primitive Symbolik«, und »da die ohnmächtige Riefenstahl fast so wachsblumenhaft wie die frisch ertrunkene
Kristina Söderbaum aussieht, wird man kaum bemerken, daß noch nie jemand so rein intellektuell getanzt und agiert hat« ("Deutsche Zeitung").
Nur über einen Punkt gab es keine verschiedenen Meinungen: Daß das Schicksal des »Tiefland«-Filmes, den Leni Riefenstahl 1934 zu drehen begonnen hatte, ein besserer Stoff ist als die romantische Sage der Oper. Verschiedene deutsche Illustrierten-Balzacs haben sich denn auch in letzter Zeit für die publizistische Auswertung der 20jährigen »Tiefland«-Odyssee interessiert. Die dramatischeren Szenen der ersten Nachkriegsjahre sind der Öffentlichkeit in oft widerspruchs- aber stets effektvollen Schilderungen bekanntgeworden:
Die Ausweisung der Riefenstahl Leni aus Österreich, die diskrete Verschleppung der Filmrollen als »NS-Eigentum« nach Frankreich, die Spruchkammer-Urteile ("Nicht betroffen") und der Prozeß gegen die »Revue«, die der Riefenstahl Verschwendung von Staatsgeldern und den Mißbrauch von Zigeunern aus Konzentrationslagern vorgeworfen hatte (und den Prozeß verlor).
Indes, die letzten beiden Akte des Melodramas mit den Schauplätzen Paris und Wien blieben bis heute ungeschrieben. Wenn sie auch einer fulminanten Dramatik entbehren, so illustrieren sie doch deutlich die Verstrickung von klaren privatrechtlichen Tatbeständen mit unklaren politischen Absichten.
Es dauerte über vier Jahre, von 1948 bis 1952, bevor die Riefenstahl einen eindeutigen Rechtsanspruch realisieren konnte, nämlich: das »Tiefland«-Material als »deutsches Eigentum in Österreich« von Paris nach Wien zurückzuholen. Von diesen vier Jahren vergingen allein drei mit den qualvollen Bemühungen, den »Tiefland«-Film, den Leni Riefenstahl in Kitzbühel im Rohschnitt zurückgelassen hatte, in Paris aufzuspüren. Wer dort für ihn »zuständig« war, konnte sie nie herausbekommen.
Henri Francois-Poncet, der Pariser Vertreter des Allianz-Verleihs und Sohn des Hochkommissars, belagerte die Instanzen am Quai d'Orsay, verschiedene österreichische Ministerien intervenierten, und der damalige französische Außenminister Robert Schuman schaltete sich ein.
Am 24. Dezember 1952 wurde der Film endlich nach Wien zurückgesandt und dort in einer ungeheizten Garage verstaut. Das österreichische Finanzministerium setzte zwei Treuhänder ein, die sich prompt über das »Tiefland«-Schicksal entzweiten. Der eine, ein Wiener Verleiher namens Erban sen., der seinerzeit von den Franzosen lizenziert worden war, machte denselben Vorschlag, den die Riefenstahl schon von den Franzosen gehört hatte: Sie möge doch gegen ein Honorar als Angestellte ihren eigenen Film - diesmal für die Österreicher - fertigstellen.
Die Regisseuse lehnte ab. Sie hatte schon vor der Spruchkammer nachgewiesen, daß ihr Film mit den Mitteln und Krediten der eigenen »Riefenstahl-Produktion« gedreht worden war. Da sie außerdem
sämtliche »Tiefland«-Filmrechte besaß, brauchte sie nicht zu befürchten, daß etwa ein anderer Filmproduzent das in Wien lagernde Material im Auftrag der österreichischen Treuhänder verwenden würde.
Mittlerweile waren im alten Berliner Lager der Firma Riefenstahl verlorengeglaubte Originalnegative wiederentdeckt worden. Einiges Positivmaterial, das die Franzosen vor Jahren in Innsbruck als unbrauchbar zurückließen, hatte die Riefenstahl auch nach Deutschland schaffen können.
Aus diesen vorhandenen Filmrollen hätte sie zur Not einen neuen »Tiefland«-Film basteln können. Für ein zusammengestümpertes Produkt aber schien ihr die Investition ("4,5 Millionen Reichsmark und 20 Jahre Ärger") doch zu hoch. So schloß sie nach langwierigen Verhandlungen mit dem österreichischen Finanzministerium einen Pachtvertrag über ihr »eigenes Filmeigentum« ab.
Eine österreichische Produktionslizenz, die sie beantragt hatte, wurde ihr allerdings nicht bewilligt. Sie mußte sich einen österreichischen Partner suchen, um den Film wenigstens in deutsch-österreichischer Koproduktion fertigstellen zu können. Von den Gewinnanteilen wurden dem deutschen Partner 65 und dem österreichischen 35 Prozent zugesprochen. Ein Teil der 35 Prozent muß allerdings als Pachtsumme an die österreichische
Treuhandschaft - also in den Staatssäckel - gezahlt werden.
Aber es gab noch eine böse Überraschung. Als die Riefenstahl endlich die 52 Holzkisten mit den »Tiefland«-Filmrollen aus der Wiener Garage loseiste - die Treuhänder hatten keine Mittel für die Garagenmiete - , stellte sich heraus: Die Franzosen hatten den dreiviertel fertigen Film auseinandergeschnitten, vier Rollen des Originalnegativs fehlten, und die Tonaufnahmen waren durch unsachgemäße Lagerung unbrauchbar geworden.
Es blieb der Riefenstahl nichts weiter, als in monatelanger Arbeit den Film unter Verwendung des in Deutschland vorhandenen Materials nochmals zu schneiden und neu zu synchronisieren. Dieses Unternehmen konnte die mittellose Regisseuse, Hauptdarstellerin und Produzentin nur durch Vergebung von Gewinnanteilen finanzieren.
Verdient haben an »Tiefland« bisher nur die elf Rechtsanwälte, die in München, Wien, Innsbruck und Paris mit dem Fall befaßt waren, und einige Vermittler, deren Bemühungen um die Rettung und Herbeischaffung des Materials ebenfalls durch Prozentanteile kompensiert werden.
Leni Riefenstahl, die in »Tiefland« ihr ganzes beträchtliches Reichsmark-Vermögen investiert hatte, kann froh sein, wenn die ihr verbliebenen Gewinnanteile ausreichen, um die Gläubiger abzufinden.