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Die tote Spur

Joschka Fischers Auto und der Karry-Mord
Von Georg Mascolo
aus DER SPIEGEL 2/2001

Wann immer es um Joschka Fischers Vergangenheit geht, dauert es nicht lange, bis von einem Mord die Rede ist: dem bis heute unaufgeklärten Attentat auf den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry. Der FDP-Politiker war am 11. Mai 1981 von bisher unbekannten Mitgliedern der Revolutionären Zellen im Schlafzimmer seiner Wohnung in Frankfurt-Seckbach erschossen worden.

Bis heute verdächtigt die Opposition den amtierenden Außenminister, er habe mit dem Verbrechen zu tun. »In meinem Auto ist früher keine Waffe gefunden worden, mit der ein Wirtschaftsminister in Hessen ermordet worden ist«, keilte noch im November der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz.

Doch was immer der Ex-Sponti in seinen wilden Jahren so getrieben hat, mit dem Karry-Mord hat Fischer ganz offensichtlich nichts zu tun.

Der immer wieder aufgewärmte Verdacht geht zurück auf einen Vermerk des hessischen Landeskriminalamts vom 23. Juni 1982. Damals fasste die Soko Karry zusammen, was ihr einer ihrer Spitzel in der Szene zum Attentat erzählt hatte. »Buddy«, ein Kumpel Fischers im Straßenkampf, behauptete: Die Mordwaffe sei Jahre zuvor in Fischers Auto transportiert worden.

Fischer hatte in den siebziger Jahren seinen gerade erstandenen VW Variant ("eine Rostlaube für 500 Mark") zur Reparatur an Hans-Joachim Klein, den späteren Opec-Attentäter, abgegeben. Klein, so berichtete »Buddy«, habe das Auto benutzt, um die Knarre, eine bei der US-Armee geklaute High Standard, in ein Versteck im Frankfurter Hühnerweg 8 zu transportieren.

»Buddys« Erinnerungen wurden zur »Spur 74.4.9.10 Fischer« und reichten der Bundesanwaltschaft, einen Abhörbeschluss gegen den aufstrebenden Politiker zu erwirken. »Von Joseph Martin Fischer ist aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass er für die des Mordes und der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung 'Revolutionäre Zellen' beschuldigten, bisher unbekannten Personen bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennimmt, weitergibt oder dass diese Beschuldigten seine Fernmeldeanschlüsse benutzen«, heißt es in dem fünfseitigen Beschluss. Aus dem Polit-Aufsteiger war ein Terrorismusverdächtiger geworden.

Vom Februar 1983 an hörten die Ermittler mit, wenn Fischer in seiner damaligen Wohnung in der Frankfurter Schwarzburgstraße oder bei dem linksalternativen Stadtmagazin »Pflasterstrand« zum Telefon griff. Und das passierte ziemlich oft. Nur: Heraus kam dabei nichts.

Die Aktion endete, als Fischer am 6. März über die Landesliste der Grünen in den Bundestag gewählt wurde. Beamte des hessischen Landeskriminalamts waren in der Wahlnacht eigens abgestellt, die Ergebnisse zu verfolgen - als Fischer sein Mandat sicher war, schalteten sie die Tonbänder ab. Aus der erfolglosen Lauschaktion sollte nicht auch noch ein Politikum werden.

Am 18. August 1983 suchte Peter Morré von der Bundesanwaltschaft Fischer in Bonn auf. In der »informatorischen Anhörung« erklärte der zum Parlamentarischen Geschäftsführer Aufgestiegene, ja, er habe Klein einmal sein Auto zur Reparatur überlassen und sich fürchterlich aufgeregt, weil der es einen Tag später als vereinbart zurückbrachte. Von einem Waffentransport wisse er nichts.

Für Fischer war die Sache schon damals erledigt, für die Bundesanwaltschaft noch nicht. Als der untergetauchte Klein 1993 mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Kontakt aufnahm, um zu klären, was er denn zu erwarten habe, wenn er sich stelle, baten die Karlsruher Ermittler die Verfassungsschützer um Amtshilfe: ob sie Klein denn nicht fragen könnten, wie das damals mit der Knarre gewesen sei. Beim nächsten Treff in Paris erklärte Klein, er wisse nichts von einem Waffentransport.

Als der Ex-Terrorist im September 1998 verhaftet wurde, forderte die hessische FDP sofort dessen Vernehmung »zur Frage der damaligen Beteiligung seines früheren Freundes Fischer«. Die Bundesanwaltschaft rückte zu einer zweitägigen Befragung in der Haftanstalt Weiterstadt an.

Klein erinnerte sich zwar anders als Fischer, aber entlastend war die Aussage dennoch. Er »habe überhaupt keine Erinnerung mehr daran, unter den von Herrn Fischer behaupteten Umständen einen ihm gehörenden Wagen repariert zu haben«. Zwar sei er damals als Bastler in der Szene bekannt gewesen, aber »meine allgemeinen Gepflogenheiten dabei waren, dass ich mit Autos meiner Reparaturkunden keine Fahrten gemacht habe«. Und wenn, so Klein, dann nur für einen kurzen Bremstest.

Die Spur Fischer gilt bei der Bundesanwaltschaft seither als tot, die Akten liegen im Keller. Mittlerweile gehen die Ermittler davon aus, dass Spitzel »Buddy«, ob bewusst oder aus Unkenntnis, falsche Angaben machte. GEORG MASCOLO

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