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»Die Tür nicht verschließen«

Wie die Bundesrepublik trotz Verfassungsgebots mit Asylbewerbern umspringt _____« Wir möchten wissen, wie man das Asylrecht verletzen » _____« kann, ohne es zu verletzen. » _____« Victor Hugo im »Glöckner von Notre Dame« » *
aus DER SPIEGEL 32/1987

Wenn wir uns erinnern, wie rassisch, religiös und politisch Verfolgte, die vom sicheren Tod bedroht waren, oft vor geschlossenen Grenzen anderer Staaten standen, werden wir vor denen, die heute wirklich verfolgt sind und bei uns Schutz suchen, die Tür nicht verschließen.«

Ein hoher Anspruch. Eine Sonntagsrede. Eine logische Schlußfolgerung aus dem Grundgesetzartikel 16 »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Oder eine bloße Reminiszenz, da sich doch die Republik längst gegen Asylantenschwemmen stemmt?

Der Satz, den Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 sprach, ist mehr eine Forderung für die Zukunft als die Beschreibung von Wirklichkeit. Längst ist das eigentlich uneingeschränkte Asylangebot der Verfassung ausgehöhlt, eingeengt durch immer schärfere Verfahrensvorschriften, Kontrollen, Einreisebeschränkungen und Abschreckungsmaßnahmen. Weizsäckers Wort kennzeichnet die Wirklichkeit von 1987: Einerseits werden Asylbewerber laut Grundgesetz aufgenommen. Andererseits wird alles unternommen, sie gar nicht erst aufnehmen zu müssen.

Einerseits soll, so Kanzler Kohl, die Bundesrepublik »Heimstatt für politisch, religiös und rassisch Verfolgte« bleiben. Und sein Innenminister Friedrich Zimmermann berichtet stolz, »kein Land in Europa« habe »so viele Flüchtlinge aufgenommen wie wir«.

Andererseits betont derselbe Minister - im Regierungs-Bulletin, also amtlich - die Republik sei »kein Einwanderungsland«, gegen Asylbewerber bestehe »Handlungsbedarf«, eine Grundgesetzänderung sei »unabdingbar«. Als Beleg gab Zimmermann, wieder im Bulletin, noch am 7. Juli aus: »Der Asylantendruck auf die Bundesrepublik Deutschland hält unvermindert an.«

Tatsächlich kann davon keine Rede sein: Der Druck, wenn es ihn denn gibt, hat sich halbiert. Von Januar bis Ende Juni 1987 kamen 22402 Ausländer um Asyl ein, in den ersten sechs Monaten 1986 waren es 42290. Übers Jahr 1987 hochgerechnet, erwartet selbst Zimmermanns Staatssekretär Carl-Dieter Spranger, nicht gerade ein liberaler Humanist, allenfalls 60000 Asylanträge, nach 99650 im Vorjahr (und 107818 im bisherigen Rekordjahr 1980).

Das kommt, weil Bund und Länder in den letzten Jahren Schlupflöcher schlossen und immer neue Restriktionen verhängten, dies natürlich auch wegen der immensen Kosten: Seit 1982 mußten vor allem die Gemeinden zwölf Milliarden Mark, im laufenden Jahr 2,8 Milliarden für asylwillige Ausländer aufbringen. Auf Bonns Betreiben sperrte die DDR im letzten Herbst Asylbewerbern die Einreise über ihren Flughafen Schönefeld.

Schon was bis jetzt geschah, summiert sich zu einem Gruselkatalog menschlichen Umgangs, wie er aus den Heimatländern der Asylanten oder aus Drittwelt-Staaten bekannt ist: Nach den Verschärfungen des Asylverfahrens 1982 und 1986 haben Asylwillige 1987 *___keinen freien Zugang an deutschen Grenzen, für die ____meisten Nicht-EG-Länder gilt Visumzwang, Visa werden ____kaum erteilt, Fluggesellschaften mit Bußgeld belegt, ____wenn sie Asylanten ohne Sichtvermerk befördern; *___nicht mehr das Recht, Nachfluchtgründe geltend zu ____machen: Ausländer, die schon in der Bundesrepublik ____leben und erst hier Aktivitäten gegen ihr Heimatland ____entfalten, dürfen daraus keinen Asylanspruch ableiten; *___unverzüglich auszureisen, wenn ihr Wunsch ____"offensichtlich unbegründet« ist - dazu zählen vor ____allem wirtschaftliche Gründe; der Rechtsweg gegen ____derlei Verwaltungsentscheidungen wurde verkürzt; *___die Republik zu verlassen, wenn ihr Antrag abgelehnt ____wurde, selbst wenn sie aus Kriegsgebieten kommen; *___kein freies Aufenthaltsrecht, sondern die Pflicht, in ____Lagern oder Sammelunterkünften zu wohnen; *___selbst dann keinen automatischen Anspruch auf ____Anerkennung, wenn sie in ihrem Heimatland gefoltert ____wurden; das Bundesverwaltungsgericht hat über Jahre ____immer restriktivere Urteile gefällt; *___die Auflage, bis zur Anerkennung keinerlei Arbeit ____auszuüben; dies Arbeitsverbot

gilt jetzt für fünf (vorher drei) Jahre.

Der CSU ist das seit langem nicht genug. Sie fordert, daß auch Krieg oder Bürgerkrieg im Herkunftsland einen Asylanspruch nicht begründet; sie verlangt, daß Ausländer (etwa Kurden oder Tamilen) statt dessen in ihrem Heimatland den Wohnort wechseln sollten, um einer Bedrohung zu entgehen; und sie erwartet, daß künftig jene, deren Asylantrag abgelehnt wurde, quasi automatisch abgeschoben werden.

Außerdem fordern die Christsozialen, Ausländern das Asyl zu versagen, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) attackieren, Menschenrechte mißachten oder sich durch verwerfliche politische Betätigung als »asylunwürdig« erweisen.

Wer wie solche schwammigen Bestimmungen kontrolliert, hat ausgerechnet die sozialliberale Koalition des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt - nach dem Sturz des chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende 1973 - der CSU gezeigt. Sie erfand 1975 im Einvernehmen mit der Innenministerkonferenz eine »Sicherheitsüberprüfung im Einzelfall« für einreisewillige Chilenen; danach hat der Bundesinnenminister das Recht, Asylbegehren von Bewerbern abzulehnen, die die FDGO gefährden oder der Bundesregierung sonstwie nicht passen. Der damalige Bonner Innenminister Werner Maihofer verlangte allerdings, daß jeweils mögliche Sicherheitsrisiken und humanitäre Erwägungen abgewogen werden sollten.

Was die CSU wirklich will, hat der frühere bayrische Innenminister Karl Hillermeier offen dargelegt - ein Asylrecht nur für »Flüchtlinge aus dem osteuropäischen Bereich«; nur daran hätten die Väter der Verfassung gedacht: Flüchtlinge müssen also aus den richtigen, sprich: kommunistischen Ländern kommen und die rechte Gesinnung haben, also keine Wirtschaftsflüchtlinge sein - die will Zimmermann, etwa nach Polen, zurückschicken: Und, so ergänzte er letzte Woche, es dürften »keine Kapitalverbrecher« sein - wer immer dies beweiskräftig feststellen kann.

Eine Änderung des Grundgesetzartikels 16, wie sie CSU und Teile der CDU seit langem verlangen, würde die Verfassungsillusion der -wirklichkeit anpassen. Freilich hätte ein solcher Antrag im Parlament keine Chance: Heute würden sich SPD, FDP, Christdemokraten des Typs Heiner Geißler oder Norbert Blüm und die Grünen sperren.

Dabei gilt: Den meisten von ihnen ist ganz recht, daß die Realität die Verfassung längst ausgehöhlt hat. Im ersten Halbjahr wurden nur noch 4615 Bewerber als Asylanten anerkannt - das sind nur noch zehn Prozent derer, die darum baten.

Wir möchten wissen, wie man das Asylrecht verletzen kann, ohne es zu

verletzen. Victor Hugo im »Glöckner von Notre Dame«

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