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»Die unheimliche Macht der Selbstschützer«

Hans Georg Faust, Journalist und früher Angehöriger des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), steht unter Anklage, dem SPIEGEL letztes Jahr die geheimen BfV-Akten über den »Lauschangriff« auf den Atom-Manager Dr. Klaus Traube zugeleitet zu haben (SPIEGEL-Titel 10/1977). Jetzt hat Klaus Traube den Fall Faust untersucht und darüber einen Beitrag für das Rowohlt-Taschenbuch ~Briefe zur Verteidigung der bürgerlichen Freiheit« verfaßt, das im Oktober erscheint*. Für den SPIEGEL hat Traube seine Ergebnisse zusammengefaßt.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Am 7. Juli ist dem Journalisten Hans Georg Faust die Anklageschrift zugestellt worden, die ihn beschuldigt, die Geheimakten des Verfassungsschutzes über den »Lauschangriff« auf mich dem SPIEGEL zugeleitet zu haben, über jenen »Lauschangriff«, den zahlreiche angesehene Juristen als illegal beurteilt hatten, den selbst Politiker und Landesverbände der Regierungsparteien als Verfassungsbruch gebrandmarkt hatten. Es geht um die Akten, deren Veröffentlichung die Abgeordneten Bangemann und Wolfgramm im Bundestag journalistische Pflicht genannt hatten.

Kein Staatsanwalt ist diesem Verfassungsbruch nachgegangen, es gab keine dienstrechtlichen Schritte gegen die verantwortlichen Beamten, einige wurden seitdem befördert. Der Journalist Faust dagegen ist mit Methoden verfolgt worden, die, würden sie einreißen, die Aufdeckung eines Watergate hierzulande kaum mehr möglich machten. Diese Methoden der Einschüchterung will ich aufzeigen.

Ich darf in Erinnerung rufen: Hans Georg Faust, 57 Jahre alt, Journalist, zuletzt zwölf Jahre lang Korrespondent der »Bunten Illustrierten« für Nordrhein-Westfalen, war von 1955 bis 1964 Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln gewesen. In den letzten Jahren hatte er begonnen, an einem Buch über den Verfassungsschutz zu arbeiten, dieses Vorhaben dem Präsidenten des BfV, Herrn Dr. Meier, wie auch dessen Vorgänger, Herrn Dr. Nollau, in Briefen angekündigt.

Bereits etwa einen Monat nach der Veröffentlichung der Akten über den »Lauschangriff« im SPIEGEL, am 4. April 1977, entdeckte der TÜV unter seinem Auto einen Peilsender: Faust wußte seitdem, daß er beschattet wurde. Am 17. August 1977 wurde sein Haus polizeilich durchsucht; er erfuhr offiziell, daß die Staatsanwaltschaft in Bonn ihn verdächtigte, die »Lauschangriffsakten« an den SPIEGEL weitergegeben zu haben. Am 29. November wurde er verhaftet, nach Karlsruhe verbracht, wo ihm der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof eröffnete, er sei dringend verdächtig, die Lauschangriffsakten dem SPIEGEL zugeleitet zu haben, damit dringend verdächtig des Delikts »Verfassungsfeindliche Sabotage«, strafbar nach Paragraph 88 StGB.

Dieser hochkarätige Paragraph begründete die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft und des Bundesgerichtshofes. Fausts Verteidiger, Rechtsanwalt Dürr aus Pforzheim, beantragte unverzüglich, den Haftbefehl aufzuheben, da einerseits keine Verdunkelungsgefahr bestehe, da andererseits vor allem die zur Last gelegte Tat unter keinen Umständen einen Verstoß nach Paragraph 88 StGB begründen könne, einen auf Lahmlegung von Dienststellen zum Zweck des Staatsumsturzes angelegten, noch nie in der Praxis beanspruchten Paragraphen.

Doch der Ermittlungsrichter hielt auf Antrag der Bundesanwaltschaft den Haftbefehl aufrecht. Fausts Anwalt reichte am 3. Dezember Beschwerde ein, und, als daraufhin nichts geschah, am 12. Dezember Verfassungsbeschwerde. Zwei Tage darauf beschloß der Bundesgerichtshof (BGH), daß der Haftbefehl nicht auf »verfassungsfeindliche Sabotage im Sinne des Paragraphen 88 StGB gestützt werden« könne; dennoch wurde er wiederum aufrechterhalten, dieses Mal wegen Verdachts »unbefugter Weitergabe geheimer Nachrichten« im Sinne des Paragraphen 353 a, Absatz 1 StGB.

Die höchste Instanz stellte damit fest, daß die Bundesanwaltschaft zu Unrecht ihre Zuständigkeit angenommen hatte. Der für den nun vergleichsweise harmlosen Tatvorwurf nach § 353 c zuständige Amtsrichter verwarf am 23. Dezember auf Antrag von Fausts Kölner Verteidiger Paashaus die vom BGH angenommene Verdunklungsgefahr und billigte Faust Haftverschonung zu.

Bereits am 30. Dezember ordnete das Landgericht Bonn auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft an, die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Das Oberlandesgericht Köln beschloß am 10. Januar 1978 abermals Haftverschonung; seitdem ist Faust bei strengen Auflagen zu polizeilicher Meldepflicht, Entzug des Personalausweises, Verbot des Kontaktes zu ehemaligen Angehörigen des BfV und des SPIEGEL in Freiheit. Seine gesamten journalistischen Arbeitsunterlagen blieben beschlagnahmt: Kartei, Zeitschriften, Tonbänder, Manuskripte, privater Briefwechsel sowie ein Koffer mit teilweise als »Geheim« abgestempelten Unterlagen des BfV -- darunter die Akten über meinen »Fall«.

Der verwirrende Ablauf des Verfahrens beginnt sich zu entwirren, wenn man zunächst dem ursprünglichen Vor-

* Duve/BöII/Staeck: »Briefe zur Verteidigung der bürgerlichen Freiheit«. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek; 220 Seiten; 5,80 Mark.

wurf der »verfassungsfeindlichen Sabotage« nachgeht. Danach hatte Faust das Bundesamt für Verfassungsschutz »zum Teil außer Tätigkeit gesetzt« -- fürwahr eine groteske Unterstellung, wenn sie sich darauf stützt, daß ein Journalist beigetragen haben soll zur Veröffentlichung von Akten über einen längst abgeschlossenen Vorgang, der zudem nach verbreiteter Meinung ein Verfassungsbruch war; die Beschaffung der Akten ist ohnehin straflos. Der Paragraph 88 soll »umstürzlerische Machenschaften im Vorfeld des Hoch-Verrates erfassen« (BGH). Es ist noch nie nach diesem Paragraphen ermittelt worden, geschweige denn ein Urteil ergangen.

Entsprechend reagierte die Presse. Der »Zeit« erschienen »die justitiellen Konsequenzen grotesk«, die »Frankfurter Rundschau« sprach von einer »abenteuerlichen Konstruktion«, der SPIEGEL kommentierte den Vorwurf der verfassungsfeindlichen Sabotage als »nachgerade abwegig«. Der Vorstand der Deutschen Journalisten-Union schrieb am 13. Januar an den Staatssekretär Bölling, es sei ein »allen Aussagen in der Beratung und Verabschiedung des Paragraphen 88 hohnsprechendes Vorgehen, diesen Paragraphen auf den Journalisten Faust anzuwenden.

Nun haben weder die Bundesanwaltschaft noch der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof formell rechtsstaatliche Prinzipien verletzt; auch Juristen dürfen irren. Der BGH hat schließlich die Dinge nach rechtsstaatlichen Prinzipien zurechtgerückt. Warum also rühre ich alte Geschichten auf?

Bei Ermittlung nach dem vom BGH als angemessene Strafnorm erachteten Paragraphen 353 c wäre die Bundesanwaltschaft nicht zuständig gewesen, hätte die Bundesregierung keine Ermächtigung zur Strafverfolgung aussprechen müssen, hätten Telephone nicht abgehört werden dürfen.

Zunächst zur Ermächtigung. Für eine Strafverfolgung der Journalisten des SPIEGEL, die ja die geheimen Akten veröffentlichten, hatte die Bundesregierung keine Ermächtigung erteilt. Wie peinlich da die naheliegende Frage ist, warum sie aber im Fall Faust erteilt wurde, das machte die Antwort anläßlich der Bundespressekonferenz vom 23. Dezember 1977 deutlich. Grünewald beeilte sich zunächst wortreich, der Bundesregierung aus der Schußlinie zu verhelfen; Sie hätte keinen Beschluß gefaßt, der Innenminister hätte die Ermächtigung erteilt. Dessen Motiv sei es gewesen, »undichte Stellen im BfV ausfindig zu machen«.

Was wiederum die Frage provozierte, ob nicht das »Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten ad absurdum« geführt wurde, das »ausdrücklich Durchsuchungen und Beschlagnahmen mit dem Ziel, an Informanten heranzukommen, untersagt«. Grünewalds kecke Antwort: Da »der Haftbefehl nach Paragraph 88 beantragt worden ist« hatte die Sache mit dem Zeugnisverweigerungsrecht nichts zu tun

Welche Peinlichkeiten konnte Paragraph 88 der Bundesregierung ersparen! Es erwies sich weiter auch als nützlich, zunächst nach dieser überhöhten Strafnorm zu ermitteln, denn was beschlagnahmt worden war, blieb auch beschlagnahmt. Und das war nicht das einzig Nützliche.

Die Journalisten hätten sich wohl kaum mit den dürftigen Antworten des Regierungssprechers zufriedengegeben, hätten sie nicht um einen bedeutsamen Unterschied zwischen ihren Kollegen vom SPIEGEL und Herrn Faust gewußt. Nicht nur die liberalen Medien, auch Politiker und Basisorganisationen der Regierungsparteien hatten nahezu ausnahmslos die Motive des SPIEGEL für ehrenwert erklärt, die Veröffentlichung der Lauschangriffsaktion für journalistische Pflicht angesehen.

Doch dem Hans Georg Faust waren lautere Motive nicht zu unterstellen -- das wußten die Journalisten und die gesamte Öffentlichkeit. Und wieso die Öffentlichkeit das wußte und was es mit den Motiven Fausts auf sich hatte, das will ich unter die Lupe nehmen.

Im ursprünglichen Haftbefehl und im Protokoll zur »Eröffnung des Haftbefehls« werden Faust eine Reihe Äußerungen am Telephon zur Last gelegt. Die erste dieser Äußerungen datiert vom 24. März 1977 -- aber erst am 16. September 1977 wird vom BGH die Überwachung des Telephonanschlusses verfügt, wie Anwalt Paashaus vom Generalbundesanwalt erfuhr; um die Aufklärung der Diskrepanzen mühte sich Paashaus bislang vergebens.

»Auf Teufel komm raus ermitteln, durchsuchen, beschlagnahmen.«

Jedenfalls stützten sich die Vorwürfe gegen Faust ganz wesentlich auf angebliche Äußerungen in abgehörten Gesprächen; aus denen wird hergeleitet, daß es Faust »nicht darauf ankam, einen vermeintlichen Verfassungsverstoß zu verfolgen« -- nein, die telephonischen Äußerungen sind laut Haftbefehl »Ausdruck einer die Grundidee des demokratischen Staatswesens ablehnenden Gesinnung«. Gesinnung!

Der BGH bestätigt zwar am 14. Dezember indirekt mit der Herabsetzung der Strafnorm von Paragraph 88 auf Paragraph 353 c, daß die Telephonüberwachung illegal war -- ich meine hier die »legale« seit 16. September 1977, nicht die davor seit mindestens April. Aber wenn er dann den Haftbefehl aufgrund dringenden Verdachts nach Paragraph 353 c fortbestehen läßt, dann beruft er sich darauf, daß davon auszugehen sei, daß Faust »sich lediglich . . . an dessen (des BfV) leitenden Beamten rächen wollte« -- ergo auf die Telephongespräche. Und das Landgericht Bonn, das die zwischenzeitlich verordnete Haftverschonung am 30. Dezember aufhob, bezieht sich auf die Verdunkelungsgefahr infolge des »vom Beschuldigten bislang gezeigten konspirativen Verhaltens«, auch auf angebliche Telephongespräche.

Ich darf zum zweiten Mal feststellen: Es lohnt sich für die Justiz, nach überhöhten Strafnormen zu ermitteln. Wie war das mit der Telephonabhörung des Herrn Kassebohm vom Flugleiterverband im letzten Jahr aufgrund des Verdachts der Erpressung von Verfassungsorganen? Die Strafnorm wurde fallengelassen, die »Erkenntnisse« blieben. Ich habe auch den freizügigen Gebrauch beobachtet, der zum Zweck von Durchsuchungen und Beschlagnahmen gemacht wurde vom Verdacht auf Unterstützung einer kriminellen Vereinigung bei »Linksverdächtigen"« vom neuen Paragraphen 88a, bei linken Buchläden.

Ich unterstelle, daß Bundes- und Staatsanwaltschaften neuerdings ohne nachteilige Folgen, ohne daß -- infolge der Vielzahl der Fälle -- die liberalen Medien noch als Korrektur wirksam werden können, sich eine sorgfältige Abwägung der Rechtsgrundlagen schenken und auf Teufel komm raus ermitteln, durchsuchen, beschlagnahmen, abhören und verleumden! Ja, verleumden! Ich selbst, aufgrund eigener Erfahrungen eher mißtrauisch, war überzeugt, daß dieser Faust kein von respektablen Motiven geleiteter Journalist sei, bis ich in der »Frankfurter Rundschau« vom 22. Februar 1978 seine journalistisch wie politisch überzeugende Darstellung des eigenen Falles las. Sie veranlaßte mich, mein Vorurteil zu überprüfen und Recherchen aufzunehmen.

Mein Vorurteil gegenüber Faust teilte ich vermutlich mit nahezu jedem Zeitungsleser. Was konnte der nicht alles an Disqualifizierendem über Faust lesen! Selbst liberale Zeitungen wie die »Frankfurter Rundschau« und »Die Zeit«, die von Anfang an die Maßnahmen der Justiz kritisierten, distanzierten sich von der Person Faust. Drei Tage nach Fausts Verhaftung bemerkte die »Frankfurter Rundschau":Bereits geäußerte Zweifel, ob er wirklich zur schreibenden Zunft gehört, sind berechtigt.« Hans Schüler berichtete in »Der Zeit« von »bösartig-querulatorischen Reden« und fand darin »Grund genug für deutsche Journalisten, den Kollegen Faust nur mit der Feuerzange anzufassen; so einen mag niemand gern zur eigenen Zunft zählen«.

Am 16. November war für die »Frankfurter Rundschau« Faust, der »weitgehend als Nachrichtenhändler gearbeitet haben soll . .. alles andere als eine Lichtgestalt«.

Merkwürdig, diese Summe disqualifizierender, ja vernichtender Urteile wenige Tage nach Fausts Verhaftung. Ich habe den ehemaligen Chefredakteur der »Bunten Illustrierten«, Karlheinz Schönherr« gefragt, der acht Jah-

* Am 1. März 1977. nach der SPIEGEL-Enthüllung über den »Lauschangriff, vor der Bundespressekonferenz.

re lang bis 1974 Vorgesetzter des Hans Georg Faust war: Der »angebliche Journalist« -- so nannte ihn auch die »Welt« vom 13. Dezember -- war zwölf Jahre lang bis zu seiner Verhaftung festangestellter Korrespondent der »Bunten Illustrierten«.

»Majestätsbeleidigung« am Telephon.

Schönherr bescheinigt ihm, er habe »rundherum in all den Jahren die vollständige Skala der journalistischen Leistung erbracht und wirklich sehr gute Arbeit geleistet«, sich vor allem dadurch ausgezeichnet, daß er »im Gegensatz zu allerlei Vögeln, die man auch im Journalismus trifft, sehr sorgfältig mit den Fakten umging«. Das Bild vom »Nachrichtenhändler« sei völlig schief.

Dieses völlig schiefe Bild, das der gesamten Zeitung lesenden Öffentlichkeit eingeprägt wurde, war das Resultat amtlicher Informationspolitik. Während der »Stern« der Bundesanwaltschaft am 8. Dezember vorwarf, »sie hülle sich in peinliches Schweigen«, nämlich hinsichtlich konkreter Fakten zum Vorwurf nach Paragraph 88, wußte die »Welt« bereits am Tage der Verhaftung Fausts -- eher als dessen Anwalt -- sehr Konkretes, unter anderem eben den Haftgrund Paragraph 88, wie am anderen Morgen, am 30. November, zu lesen war.

Und die gesamte Presse wußte innerhalb der folgenden Tage von den -- sicher nicht strafbaren -- »bösartig querulatorischen« Reden Fausts am Telephon, das bis zum 16. September 1977 ohne bisher erkennbare Rechtsgrundlage, dann mit der erschlichenen Rechtsgrundlage des Paragraphen 88 abgehört worden war.

Die Ermittlung nach der überhöhten Strafnorm Paragraph 88 war also nicht nur nützlich, um Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot zu unterlaufen, sie ersparte der Bundesregierung nicht nur zunächst allerlei Peinlichkeiten, sondern auch weiterhin, nachdem die Strafnorm herabgesetzt war, denn Faust war nun und blieb in aller Öffentlichkeit disqualifiziert.

Aufgrund welcher Tatsachen eigentlich? Die Presse berichtete zunächst, daß Faust das BfV als »Skandalhaufen« beschimpft hatte, daß er den Bundespräsidenten »den Kassierer aus Remscheid«, Schmidt und Strauß »Gesindel« genannt hatte, daß er seinem Sohn gegenüber geäußert hatte, »es komme darauf an, das Amt zu demaskieren«, gegenüber einem Angehörigen des BfV, er »brauche spannende Fakten«, Äußerungen, die -- laut Haftbefehl -- »Ausdruck einer die Grundidee des demokratischen Staatswesens ablehnenden Gesinnung« sind, die belegen sollen, daß der Beschuldigte nicht »Verfassungsverstöße« aufdecken wollte«, sondern »das BfV fertigmachen«.

Doch nicht diese telephonisch abgehörten Majestätsbeleidigungen allein waren Beweis für Fausts niedrige Motive. Die Presse kannte auch, laut »Frankfurter Rundschau« vom 16. Dezember, das amtliche Wort vom »Nachrichtenhändler« -- klingt da nicht unüberhörbar ein weiteres niedriges Motiv an, eben das des »Händlers«?

Eigentümlich: Davon, daß Faust sich die angebliche Übermittlung der Lauschangriffsakten bezahlen ließ -- Kontoauszüge und Sparbücher sind beschlagnahmt -, ist jetzt in der Anklageschrift nichts zu lesen; auch nichts davon, daß er -- wie es im Haftbefehl hieß -- »einen Bankbeamten veranlaßte, unzutreffende Auskünfte über sein Bankkonto zu erteilen«.

Worauf sonst stützt sich noch das Wort vom Nachrichtenhändler? Auf drei Behauptungen des Haftbefehls, die

wie alle Behauptungen dieses Haftbefehls -- in den Tagen nach Fausts Verhaftung kursierten.

Erstens hätte Faust »zunächst den ZDF-Moderator Löwenthal über das aus dem BfV erlangte Material unterrichtet, dieser lehnte jedoch eine Veröffentlichung ab«. Was Löwenthal dann schlicht dementierte und wovon die Anklageschrift auch nichts mehr weiß. Zweitens hätte Faust »im Jahre 1975 dem Bundesnachrichtendienst angebliches Belastungsmaterial gegen den damaligen Präsidenten des BfV, Dr. Nollau, vorgelegt«. Faust hat tags nach der Verhaftung dem Haftrichter diesen Vorgang geschildert. Der Burda-Verlag hatte Faust beauftragt, mit einem Mittelsmann über die Memoiren eines ehemaligen Spions zu verhandeln; dieser Mittelsmann händigte Faust Schriftstücke aus, die Dr. Nollau belasteten. Was konnte Faust Korrekteres tun, als sie -- mit dem ausdrücklichen Hinweis, er halte sie für Fälschungen -- der zuständigen Behörde zuzuleiten?

»Wer uns bloßstellt, dem zahlen wir"s heim.«

Drittens hätte Faust »im Frühjahr 76 offensichtlich zu drei Veröffentlichungen im SPIEGEL beigetragen, die sich mit der Abteilung Terrorismus des BfV befaßten«. Ich habe nachgegraben und wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Da geht's um eine Schlägerei von BfV-Beamten in einer Kölner Kneipe, dann im »Hohlspiegel« um eine durch diesen Bericht initiierte Ortsinspektion durch Beamte des Bundesinnenministeriums und in einem Leserbrief um die Beobachtung, daß BfV-Beamte in einer Kneipe ungeniert Akten wälzten und über ihre »Fälle« diskutierten.

Was für ein Selbstschutz-Verständnis unserer Staatsschützer offenbart dieser »Tatvorwurf«! Wer uns bloßstellt« dem werden wir"s heimzahlen; und sie zahlen es heim, es steht im Haftbefehl.

Mit solchem »Material« also konstruierte diese Bundesanwaltschaft den eingängigen Slogan vom Nachrichtenhändler, und mit einer Reihe ähnlich dunkler Andeutungen wurde das Bild vervollständigt, das »Die Zeit« dann übersetzt in den Mann, der »nur mit der Feuerzange anzufassen« ist. Hier einige Kostproben: Die »Badischen Neuesten Nachrichten« wußten bereits am Morgen nach Fausts Verhaftung zu berichten, daß »mit der Terrorbekämpfung betraute Beamte« sich mit dem Fall befassen, der »Rheinischen Post« gegenüber hatten am 2. Dezember »Kölner Verfassungsschützer« vom »dicksten Ei an Geheimnisverrat in den letzten Jahren« gesprochen. »Bild am Sonntag« sah am 4. Dezember Faust an der Spitze eines »privaten Geheimdienstes, der rund zehn Jahre lang systematisch das BfV ausforschte«, die »Welt« wußte am 13. Dezember aus »zuverlässiger Quelle«, daß im »Fall Faust Erpressung mitspielt«.

Nun steht von all dem in der am 7. Juli zugestellten Anklageschrift nichts, nichts von Verbindung mit Terrorismus, von Geheimdienst, vom Nachrichtenhandel, von Erpressung. Aber das so von Faust der Öffentlichkeit übermittelte Bild ist nie korrigiert worden, scheint irreversibel. Beruht es auf Entgleisungen einer sensationslüsternen Presse?

Kaum. Die Regie der dunklen Andeutungen ist überdeutlich. Der Regierungssprecher Grünewald hatte auf der Bundespressekonferenz vom 23. Dezember anläßlich der schon erwähnten peinlichen Fragen -- ungefragt -- noch zu sagen: »Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen, bei der ich sehr bitten muß, hier keine unfairen Äußerungen zu tun. Herr Faust ist schließlich ein bei einer Illustrierten Angestellter, der vorher Bediensteter des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewesen ist. Ich kann nicht erkennen, daß dies zu einer normalen Laufbahnvoraussetzung für den Journalisten gehört. Vielleicht genügt Ihnen dieser Hinweis.«

»Beitrag zur Vernichtung der moralischen Existenz.«

Darauf die Frage eines Journalisten: »Herr Dr. Grünewald, Ihre Bemerkung über den Lebenswandel von Herrn Faust, -- Grünewald: »Ich habe keine gemacht.«

Dieses widerwärtige Spiel der öligen Unterstellungen habe ich am eigenen Leibe erfahren, etwa als der Präsident des BfV Dr. Meier -- durch die SPIEGEL-Veröffentlichung in Bedrängnis geraten -- in der Bundespressekonferenz am 1. März 1977 Andeutungen über den »Zuschnitt« meines Lebens machte und dann auf eine Frage eines Journalisten nach meiner »Lebensführung« antwortete: »Ich habe Ihnen vorher einige Andeutungen gemacht, und ich sehe mich nicht in der Lage, hier in der Öffentlichkeit diese Dinge weiter darzulegen.«

Wenn eine Nürnberger Marktfrau einen Polizisten duzt, dann wird sie dafür rechtskräftig verurteilt. Wenn hohe Staatsbeamte, die wissen, daß ihre Äußerungen -- über die Medien multipliziert -- das Bild eines Menschen im ganzen Land prägen, mit nichtssagenden Unterstellungen einen wesentlichen Beitrag zur Vernichtung der moralischen Existenz eines praktisch wehrlosen Bürgers leisten, nur um sich aus einer momentanen Bedrängnis zu retten, dann ist das nicht nur nicht justitiabel -- auch die Presse hat sich so an diesen Normalzustand gewöhnt, daß sie das ungeschoren durchgehen läßt.

Zur nichtssagenden, daher nicht belangbaren, persönlich diffamierenden Unterstellung gesellt sich klassischerweise das Aufbauschen des Falles. So wußte der Generalbundesanwalt Rehmann, wegen des Vorgehens nach Paragraph 88 in Bedrängnis geraten, am 12. Dezember vor dem Presserat den Eindruck einer ungewöhnlich schwerwiegenden Bedrohung der Bundesrepublik durch die Umtriebe Fausts hervorzurufen, wie er sich eben in den zitierten Presseberichten niederschlägt.

»Im Bundesinnenministerium wurde«, laut »Frankfurter Rundschau« vom 16. Dezember, »auf die ungewöhnliche Dimension des Geheimmaterials hingewiesen, das bei Faust entdeckt worden war« -- davon soll noch die Rede sein. Fausts Verteidiger Dürr sagte mir -- mit der Vorbemerkung, er sei staatstreu und welle »nicht als Ankläger der Republik auftreten« -, daß die Bundesanwaltschaft ihm gegenüber »den Eindruck entstehen ließ, als ob ganz schwerwiegende Dinge, die Herrn Faust persönlich disqualifizieren, vorlagen, womit sie zunächst eine Verunsicherung der Verteidigung erreichte«.

Auch wie man dieses maßlose Aufbauschen betreibt, habe ich am eigenen Leib erfahren, etwa als die Herren Maihofer und Dr. Meier auf der Bundespressekonferenz am 1. März 1977 aus meiner flüchtigen Bekanntschaft mit dem späteren Terroristen Klein die stereotyp wiederholten »intensiven Kontakte zu Terroristen und deren Sympathisanten« machten. Und wie gefahrlos die ranghohen Vertreter des Rechtsstaates mißliebige Menschen verleumden können, habe ich im gleichen Zusammenhang erfahren können:

Die Frankfurter Rechtsanwältin Inge Hornischer, der die Herren Maihofer und Dr. Meier auf der gleichen Bundespressekonferenz, nachweislich unter grober Verdrehung der Tatsachen, sogenannte Kontakte zu »Baader, Böse und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung Baader-Meinhof« nachsagten. die sie »eine Schlüsselfigur der sogenannten Szene« und eine »Drehscheibe des internationalen Terrorismus« nannten, hatte Klage wegen Verleumdung und übler Nachrede eingereicht -- das Verfahren wurde eingestellt, ohne Verhandlung, ohne Vernehmung.

Mehr noch: Von einer Mandantin erfuhr Frau Hornischer zufällig, daß ihr Photo kürzlich den Zeugen eines Bankraubs als das einer der Teilnahme an diesem Bankraub verdächtigen Person vorgelegt wurde. Frau Hornischer war seinerzeit unter falschem Verdacht im Zusammenhang mit Klein »erkennungsdienstlich behandelt« worden. Sie klagt nun auf Vernichtung dieser erkennungsdienstlichen Unterlagen, zu denen das Photo gehört; das Bundeskriminalamt weigert sich; das Gericht verlangt Akteneinsicht, um ermessen zu können, ob die Weigerung gerechtfertigt ist; das Bundeskriminalamt verweigert dem Gericht Akteneinsicht; es gibt keinen Rekurs gegen die ehrabschneidenden und existenzgefährdenden Verdächtigungen der Staatsschützer.

»Das dickste Ei

von Geheimnisverrat?«

So kann man, mitten im Rechtsstaat, mißliebige Bürger moralisch zerrütten. Gefährdung der materiellen Existenz ist die Folge. Rechtsanwalt Dürr hatte eine Woche nach Fausts Verhaftung ein Gespräch mit dem Personalreferenten des Burda-Verlags; man kam überein, daß Fausts Arbeitsverhältnis jedenfalls auf längere Zeit nicht aufgehoben werden solle. Kurz darauf erschienen Ermittlungsbeamte beim Burda-Verlag. Daraufhin -- so drückt es Rechtsanwalt Dürr aus -- »verschlechterte sich das Klima im Haus Burda entscheidend zu Lasten Herrn Fausts«.

Das Anstellungsverhältnis wurde zum 31. März 1978 aufgelöst, ohne die übliche Abfindung, ohne die vereinbarten sechs Monate Kündigungsfrist einzuhalten. Faust hat kein Einkommen mehr und ein teures, für die Pressefreiheit hierzulande exemplarisch bedeutsames Strafverfahren durchzustehen.

Faust kann auch nicht journalistisch arbeiten. Sein ehemaliger, aus dem Burda-Verlag ausgeschiedener Chefredakteur, Karlheinz Schönherr, hätte für ihn als tüchtigen Journalisten ein Angebot, aber natürlich nicht, solange der Haftbefehl besteht. Doch der Haftbefehl wird, trotz immer neuer Anläufe der Verteidigung, nicht aufgehoben, genausowenig die Beschlagnahme sämtlicher Arbeitsunterlagen des Journalisten Faust. Er wird also vorerst daran gehindert, an dem geplanten Buch zu schreiben, sich so eine Einnahmequelle zu verschaffen.

Am Tage nach Fausts Verhaftung plädierte der Vertreter der Bundesanwaltschaft gegen Aufhebung des Haftbefehls, weil der Beschuldigte selbst erklärt habe, er wolle ein Buch über das BfV schreiben. Der Amtsrichter, der am 19. Dezember Haftverschonung verordnete, begründete die Hinterlegung von Paß und Personalausweis damit, Faust könne sich ins Ausland absetzen, um sein geplantes Buch zu schreiben.

Was man aus allen Schriftsätzen dieses Prozesses kaum verschleiert entnehmen kann, das hat der Vorsitzende Richter am Landgericht Bonn, das die Haftverschonung wieder aufgehoben hatte, dem Rechtsanwalt Paashaus gesagt: Es gehe »den Strafverfolgungsbehörden offensichtlich darum, zu verhindern, daß der Beschuldigte sein geplantes Buch über das BfV veröffentliche«. So hat Paashaus -- unwidersprochen -- in einem Schriftsatz an das Oberlandesgericht Köln zitiert.

Bundesanwaltschaft, Staatsanwälte und Regierungsvertreter, auch ein Teil der unabhängigen Justiz agieren ganz offenbar, um zu verhindern, daß Kritik an der Amtsführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht wird. Die in der Terrorismus-Atmosphäre des vergangenen Herbstes entstandene Parole, zum Schutz des Staates bis an die Grenzen des Rechtsstaates zu gehen, erweist sich als solide Grundlage zur Perfektionierung eines Selbstschutzmechanismus. Die geheimen Dienste können alles, was sie tun, als geheim einstufen, der Journalist, der da stochert, wird Geheimnisverräter, die Behörden ermitteln in eigener Sache gegen ihn, Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot werden unter dem Schutz überhöhter Strafnormen unterlaufen. Irgendwelche Dinge aus dem Privatleben finden sich immer, wenn man monatelang jeden Schritt und jedes Wort überwacht, die, skrupellos aus dem Zusammenhang gelöst und mit dunklen Andeutungen vermischt, als diffamierender Strauß über zahlreiche Kanäle den Verwaltern der öffentlichen Meinung gereicht werden, so den mißliebigen Bürger isolieren und in dieser Isolation praktisch schutzlos machen -- alles ohne groben Verstoß gegen rechtsstaatliche Form.

Auf die lange Sicht, freilich, gestaltet sich die während der Ermittlungen so einfache Manipulierbarkeit des Rechtsstaates schwieriger. Was ist dem Staatsanwalt weiter eingefallen, der jetzt Anklage erhoben hat? Nachdem Faust zum Umstürzler, zum »dicksten Ei an Geheimnisverrat seit Jahren« hochstilisiert worden war, konnte es da bei der Anklage wegen Weitergabe der Akten, die den Verfassungsbruch in Sachen Traube dokumentierten, bleiben?

Dem Staatsanwalt ist ein Delikt eingefallen, von dem Rechtsanwalt Paashaus im Bereich der Pressedelikte noch nie gehört hat; Faust ist der »psychischen Beihilfe« angeklagt, psychische Beihilfe daran, daß der mitangeklagte Beamte des BfV, Dirnhofer, dem auch keine umstürzlerischen Motive nachgesagt werden können, ihm, Faust, nicht nur die Akten im Fall Traube, sondern noch weiteres Material über den Verfassungsschutz offenbart haben soll. Sonst ist nichts gewesen, kein einziger weiterer »Geheimnisverrat« des Herrn Faust, kein Nachrichtenhandel. keine Geheimorganisation, keine Erpressung -- ein kleiner Fisch!

Nun zu den niedrigen Motiven des Herrn Faust. Die mit einem notorisch guten Verhältnis zu Karlsruher Justizbehörden gesegnete »Welt« zeigte sich auch noch am 17. Mai 1978 erstaunlich gut unterrichtet, »was Hans Georg Faust über den Verfassungsschutz noch schreiben wollte«. Sie zitiert aus der beschlagnahmten -- laut Faust sonst nur noch dem SPIEGEL bekannten -- Inhaltsangabe zu Fausts Buch: »Das BfV ist eine Sicherheitsbehörde, die über das Niveau einer aufgeblähten, aber wenig effizienten Auskunftei nicht hinauskommt ... Eine durchaus vernünftige und notwendige Einrichtung kann sich nicht entwickeln und ist zur Erfolglosigkeit verurteilt. Warum, werde ich begründen.« Faust stellt die Beamten des BfV ihren Gegenspielern aus Ost-Berlin so gegenüber:

»Hier biedere Juristen, ohne inneres Verhältnis zum geheimen Nachrichtendienst, zur Welt der Konspiration. Drüben dagegen erfahrene, entschlossene Verschwörer. Die einen haben die Besoldungsordnung im Kopf und den Pensionsanspruch vor Augen, die anderen wollen partout die Welt verändern!«

So also wollte der »verfassungsfeindliche Saboteur« schreiben, dem im Haftbefehl eine »die Grundidee des demokratischen Staatswesens ablehnende Gesinnung« unterstellt wird, dafür sammelte er jahrelang Material. Es ist schwer, keine Satire zu schreiben. Sind die Herren von der Bundesanwaltschaft Linksaußen, die im »Law and order«-Faust -- so charakterisierte er sich selbst -- die Gefahr für das demokratische Staatswesen sahen? Wollten sie dem langjährigen CDU-Mitglied an den Kragen?

Freilich, Faust erklärte seinen Austritt am Tag nach der Bundestagsdebatte über meinen Fall am 16. März 1977, als der CSU-Abgeordnete Spranger kein Wort der Rüge für den »Lauschangriff« fand, dagegen den Skandal im »Verrat umfangreicher geheimer Akten an den SPIEGEL« sah. Aus Empörung über diese Haltung seiner Partei, so sagte mir Faust, sei er tags darauf ausgetreten.

Welch anderes Motiv könnte auch ein Mißtrauischer Herrn Faust unterstellen? Wäre er der gerissene Konspirateur und professionelle Geheimnisverräter, als den ihn die Strafverfolgungsbehörden hinstellten, was sollte ihn zu gerade diesem Zeitpunkt, als die Jagd nach den »Geheimnisverrätern« eingesetzt hatte, bewogen haben, mit solch ungewöhnlichem Schritt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?

Jedenfalls wäre dieses Verhalten Fausts plausibel, wenn man einmal gerade das unterstellen würde, was die Inhaltsangabe zu seinem geplanten Buch ausweist und was die Strafverfolgungsbehörden so explizit ausschließen -- daß ihn die Apparatschik-Mentalität im BfV entrüstet, die gleichermaßen Ineffizienz wie Skrupellosigkeit begünstigt. Es paßt auch in das Bild eines Mannes mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsgefühl, daß Faust in seinem Kündigungsbrief vom 28. Februar 1964 dem BfV schrieb: »Das, was mir in den letzten Wochen an Demütigungen widerfahren ist, werde ich nicht vergessen.«

Dieser Satz taucht schon im Haftbefehl und dann in späteren Schriftstücken der Strafverfolgungsbehörden auf als wesentlicher Beleg dafür, daß Faust sich »absichtlich für Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt« hat. Der gefährliche Konspirateur legte unablässig aller Welt seine Gefährlichkeit dar, lieferte auch noch über Telephon den Verfolgern genau die Äußerungen, mit denen sie seine unlauteren Motive beweisen wollen, und dies, nachdem er durch die Entdeckung des Peilsenders unter seinem Auto wußte, wie intensiv ihm seine früheren Kollegen vom BfV nachstellten. Welch widersprüchlichen Menschen haben sich die Staatsschützer zusammenkonstruiert!

Mir fiel eine Zeile Brechts ein, als ich Faust vor wenigen Wochen zum ersten Mal begegnete -- kein Sieger trat da auf mich zu. Klein von Statur, sah er sich mißtrauisch im Kölner Hauptbahnhof um, machte »konspirativ« auf einen »Beschatter« aufmerksam: Der habe heute aber Aufregendes zu melden -- Faust und Traube! Was sich da an Zorn, Verachtung, Mutterwitz und Pfiffigkeit mischte, war die Essenz der Lebenskunst des kleinen Mannes, der gelernt hat, sich durchzuschlagen, sich vor Schlägen zu ducken und doch seine Würde zu bewahren.

Faust hatte reichlich Gelegenheit, diese Lebenskunst einzuüben: Krieg, russische Gefangenheit, bei der Entlassung 1949 bereits 28 Jahre alt und als gebürtiger Schlesier ohne Heimat, als strammer Antikommunist ab 1950 in der Bundesrepublik, Mitarbeiter des Geheimdienstes. Neun Jahre Geheimdienst reichten ihm, als 1963 sein Zimmerkollege Patsch vom BfV in Köln illegale Abhörpraktiken öffentlich anprangerte: Im Rahmen danach einsetzender Recherchen innerhalb des Amtes wurde Faust verdächtigt -- schon damals des »Verrats« von Verfassungsbrüchen an die Presse -, konnte nachweisen, daß die Verdächtigungen grundlos waren, war aber über die erniedrigende Art der Ermittlungsmethoden so empört, daß er kündigte und -- mit 43 Jahren kein leichtes Beginnen -- noch den Sprung in den Illustriertenjournalismus wagte. Was ist wohl, bei unbefangener Wertung, der zitierte Schlußsatz seines Kündigungsschreibens anderes als die Geste dessen, dei gegenüber der Macht seine Würde verteidigt?

So habe ich Faust kennengelernt, geladen mit Empörung und Verachtung über die Methoden, mit denen Staatsschützer ihn und andere »fertigmachen«, und gleichzeitig auch darüber, wie ineffizient dieser Selbstschutz die Ämter machen muß -- wie wirkungsvoll wohl die Terroristenfahndung sein wird, wenn ein Dutzend »Beschatter« auf jemanden wie ihn oder mich angesetzt wird.

Der temperamentvolle und mit Wortwitz reich gesegnete Faust macht seiner Empörung Luft, wie schon in seinem Kündigungsbrief, er schimpft begnadet konspirativ, obwohl er vermutet, daß Richtmikrofone seine Worte einfangen. So hat er sich auch in den abgehörten Telephongesprächen Luft gemacht, obwohl er seit der Entdeckung des

Peilsenders wußte, wie intensiv ihm nachgestellt wurde. Wer, den die Angst, die eine solche Situation auch hervorbringt, nicht völlig einschüchtert, würde wohl im Laufe von sieben Monaten nicht einige Male platzen?

Ein halbes Dutzend Schimpfworte, Konzentrat aus sieben Monaten Abhörung, wurde der Presse als Ausdruck niederer Gesinnung zugespielt -- wer denkt bei solcher Raffung schon daran, was ihm selbst alles, auch unter normalen Verhältnissen, in solchem Zeitraum rausrutscht! Als hätte noch nie ein ehrenwerter Journalist führende Politiker im vertrauten Gespräch, nie ein führender Politiker andere führende Politiker in aller Öffentlichkeit »Gesindel« genannt!

Abgesehen einmal von der Dreistigkeit, einen Haftbefehl aufzubauen auf eine das »demokratische Staatswesen ablehnende Gesinnung«, diese wiederum abzuleiten aus illegaler -- zumindest durch Anwendung einer ungerechtfertigten Strafnorm erschlichener -- Telephon-Gesinnungsschnüffelei, was bleibt also von dieser »Gesinnung«?

Die Schimpfworte am Telephon und der Satz aus dem Kündigungsschreiben? Nicht im Ernst! Der Nachrichtenhandel? Ich habe gezeigt, wie substanzlos und hinterhältig diese Konstruktion war. Und was gab es noch, außer den vielen dunklen Andeutungen, die das Gesinnungsbild abrunden? Und die nie substantiiert wurden? Nur noch einen Koffer voll »Geheimmaterial ungewöhnlicher Dimension« -- so lautet der »Hinweis aus dem Bundesinnenministerium«.

Also schauen wir zu guter Letzt in den Koffer. Besitz und Beschaffung der Akten sind Fausts gesetzlich geschütztes Recht -- er wird nicht beschuldigt, irgend etwas anderes aus diesem Koffer an die Öffentlichkeit getragen zu haben als die »Lauschangriffakten«, ihm wird nur zusätzlich das neugeborene Pressedelikt der »psychischen Beihilfe« an der »Offenbarung« dieser Akten in der Anklage zur Last gelegt. Und einmal unterstellt, Faust hätte tatsächlich die »Lauschangriffakten« an den SPIEGEL gegeben, so wäre das selbst nach Paragraph 353 c nur strafbar, wenn das Merkmal »unbefugte Weitergabe« zuträfe -- wenn also der »Lauschangriff« nicht illegal gewesen wäre, was denn nun endlich in diesem Prozeß zu klären wäre.

Lassen wir die Paragraphen. Schließlich waren »die ungewöhnlichen Dimensionen an Geheimnisverrat« im Koffer auch unerläßliche, ja die dunkelsten Farben in jenem Kolossalgemälde von geheimnisverräterischen Schurken mit dem -- für die fdGO, das Amt und speziell dessen Präsidenten namens Meier bestimmten -- Dolch im Gewande. Nun, da der Schurke sich zurückverwandelt hat in den bisher unbescholtenen, durch nichts anderes als den Koffer belasteten Journalisten, wäre zu prüfen: Was ist wirklich im Koffer, und was spricht dafür, daß Faust unbedenklich alles veröffentlicht hätte?

Mit einem Koffer

den Geheimdienst lahmgelegt?

»Geheimdokumente« befinden sich in vielen Koffern und Tresoren von Journalisten, es ist die Pflicht der Presse, Übergriffe der Geheimdienste aufzuspüren, und wir erleben in letzter Zeit schmerzlich, daß die Presse das einzig wirksame Korrektiv gegen die zunehmende Herrschaft der Dossiers ist. Aber Veröffentlichungen dubioser Geheimdokumente -- auch der »Lauschangriffakten«, bei denen es sich um einen abgeschlossenen Vorgang handelte -- haben nie legale, laufende Ermittlungen behindert. Nichts spricht dafür, daß Faust beabsichtigte, diesen journalistischen Kodex zu durchbrechen. Tatsächlich ist -- nach Auflösung der amtlichen Nebelfelder -- aus seinen zwölf Journalistenjahren keine Handlung bekanntgeworden, die als Geheimnisverrat ausgelegt werden könnte, selbst die Anklage verdächtigte Faust nur der Weitergabe der »Lauschangriffakte«.

Ist überhaupt etwas im Koffer, was laufende Ermittlungsarbeiten beeinträchtigen, »das Amt lahmlegen« könnte? Die amtliche Informationspolitik hat in den Tagen nach Fausts Verhaftung den Koffer geöffnet. »Bild am Sonntag« vom 4. Dezember 1977 wußte aus dem Bundeskriminalamt, daß Faust »in konspirativer Ausforschung« Lebensdaten über Mitarbeiter und Informanten des Verfassungsschutzes zusammengetragen habe, geheime Quellen enttarnt, sich über Mittelsmänner Dienstvorschriften des Geheimdienstes beschafft und die neuesten Erkenntnisse über die deutsche Terrorszene ausgekundschaftet habe.

Die »Stuttgarter Zeitung« vom 3. Dezember 1977 berichtete aus »mündlich vorgetragenen Argumentationen der Bundesanwaltschaft« von »Material, das sich mit der geplanten Zusammenarbeit mit dem spanischen Geheimdienst befaßt«, von »Vermerken über Entstehung und Aktivitäten der terroristischen Organisation Bewegung 2. Juni« und Material über »Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, dem der SPIEGEL 1976 drei Beiträge widmete«.

Ich habe Faust befragt nach dem Wahrheitsgehalt dieser Meldungen. Er dürfte kaum ein Interesse haben, dazu falsche, durch die Ankläger widerlegbare Aussagen veröffentlichen zu lassen. Faust erkannte in diesen Andeutungen den Inhalt seines Koffers, aber in dramatisierender Verzerrung. Charakterisierungen, wie etwa die des von der »BamS« am 4. Dezember zitierten BKA-Beamten, das »Material wäre in den Händen einer fremden Macht oder Terrororganisation Sprengstoff gegen die Bundesrepublik«, seien barer Unsinn, schon weil es sich um Jahre zurückliegende, längst abgeschlossene Vorgänge handele.

Der größte Teil des Materials seien generelle Unterlagen für das geplante Buch, in dem es um Darstellung und Kritik der grundsätzlichen Arbeitsweise des BfV gehe, nicht um »Affären«. Einige Schriftstücke beleuchteten auch für die Öffentlichkeit interessante, wenn auch Jahre zurückliegende Praktiken.

Faust gibt ein Beispiel. Beim »spanischen Geheimdienst« handele es sich keineswegs um eine geplante, sondern um eine sieben Jahre zurückliegende Zusammenarbeit; ein Briefwechsel belegt, daß das BfV dem Franco-Geheimdienst über antifaschistische Gastarbeiter berichtete.

Doch das darf wohl nicht an die Öffentlichkeit, denn, so begründete der Bundesgerichtshof am 14. Dezember die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen Faust: Der Beschuldigte habe durch Beschaffung und Weitergabe geheimer Unterlagen aus dem BfV »wichtige öffentliche Interessen schon aus folgendem Grunde gefährdet: Die Tatsache, daß geheime Unterlagen aus dem BfV gegen den Willen dieses Amtes an Dritte gelangten, schaffe notwendigerweise eine Vertrauenskrise, jedenfalls im Verhältnis zu befreundeten Nachrichtendiensten«. Womit wir wohl bei der eigentlichen Sache wären. Nichts rechtfertigt die Annahme, Faust ginge es um irgend etwas anderes, als Mißstände aufzudecken; aber genau das war zu verhindern, hier mußte ein Exempel statuiert werden.

Mißstände im BfV sind Geheimsache, Geheimsachen aufzudecken ist schon strafbar, weil es »eine Vertrauenskrise im Verhältnis zu befreundeten Nachrichtendiensten schafft«, auch wenn es um olle Kamellen geht. Der ganze für Faust quälende Wirbel von Verdächtigungen, Diffamierungen, Einschüchterungen und wirksamen Behinderungen war offenbar nötig -- und das ist das einzig Erfreuliche an der ganzen Geschichte -, weil unsere Öffentlichkeit noch nicht bereit ist, einen Unbescholtenen, der dubiose Praktiken der Staatsschützer enthüllt, automatisch als Staatsfeind anzuerkennen.

Nach dem durch die Paragraph-88-Affäre hervorgerufenen Wellenschlag haben sich die Medien im Fall Faust beruhigt. Die Strafverfolgung nach Paragraph 353 c stieß nur noch auf vereinzelte, milde Kritik, obwohl seit langem streitig ist, ob diese von den Nazis eingeführte Norm mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen übereinstimmt. Sie bedroht potentiell jeden Journalisten, der illegale Vorgänge aus amtlich als geheim gekennzeichneten Dokumenten veröffentlicht -- ein analoges Gesetz gibt es beispielsweise in den USA nicht; Bundesjustizminister Dehler hatte 1952 mitgeteilt, die Bundesregierung werde § 353 c nicht wieder anwenden, und so die Rücknahme einer gegen diesen Paragraphen gerichteten Verfassungsbeschwerde des Deutschen Journalisten-Verbandes erreicht. Doch Faust war und blieb so nachhaltig abqualifiziert, daß die Frage, warum die Bundesregierung ihn und nicht die SPIEGEL-Journalisten strafrechtlich nach Paragraph 353 c verfolgen ließ, kaum ernsthaft gestellt wurde.

Wo aber noch kritische Fragen gestellt wurden, zeigte sich die zunächst so rede- und andeutungsselige amtliche Informationspolitik nun rechtsstaatlich geläutert. Der parlamentarische Staatssekretär Dr. de With verwies den Abgeordneten Conradi, der am 12. April im Bundestag wissen wollte, ob »die Bundesregierung mittlerweile der Auffassung ist, daß der Tatbestand des Paragraphen 88 nicht erfüllt war«, auf die »guten Gepflogenheiten der Bundesregierung, zu Entscheidungen unabhängiger Gerichte nicht Stellung zu nehmen«. Staatssekretär Bölling beschied am 1. März 1978 Herrn Büttner vom Vorstand der Deutschen Journalisten-Union: »Solange der Fall Faust seinen Gang der Gerichtsprozedur geht, kann sich die Bundesregierung nicht mit Interpretationen oder anderen Aussagen zur Sache einmischen.«

Rechtsanwalt Paashaus nennt diese Äußerungen scheinheilig: Die Bundesregierung hatte dieses Verfahren jederzeit in der Hand, von unzulässiger Einmischung kann in diesem speziellen Fall nicht die Rede sein; sie kann immer noch die Ermächtigung zur Strafverfolgung zurückziehen. Hans Büttner wies

am 13. März 1978 nachdrücklich Böllings »Nichteinmischungs«-Antwort zurück und forderte »politische Antworten« auf die von der Deutschen Journalisten-Union schon am 13. Januar gestellten Fragen, insbesondere nach Aufrechterhaltung der ursprünglich nach Paragraph 88 erfolgten Beschlagnahmen, nach der aus amtlichen Andeutungen entnehmbaren Spionagetätigkeit Fausts, nach dem besonderen Interesse an dessen Verfolgung.

Büttner verwies auch darauf, daß »diejenigen, die im Fall der illegalen Maßnahmen gegen den Atomwissenschaftler Traube tätig geworden sind, durch Beförderung belohnt wurden«. Danach fragte auch am 12. April im Bundestag der Abgeordnete Roth -- der parlamentarische Staatssekretär im BMI lehnte die Beantwortung ab. Im übrigen hatte er auf Roths weitere Frage nach dienst- oder strafrechtlichen Schritten gegen »die für den rechtswidrigen Einbruch in das Haus Traube verantwortlichen Beamten« die schlichte Antwort, solche Schritte waren »nicht zu veranlassen, weil die Amtshandlung nach Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes zur Abwehr einer gemeinen Gefahr« usw.

Der Bundesregierung scheint keine Antwort zu dumm, wenn sie nur das Treiben der vereinigten Staatsschützer in den weisungsgebundenen Behörden -- BfV, BKA, Bundesanwaltschaft -- und in den Ministerien des Inneren und der Justiz deckt. Die Justiz hat bisher bei der Nachbewältigung der »Lauschaffäre« weitgehend mitgespielt. Wird sie auch mitspielen bei dem, was sich jetzt anbahnt?

Die am 7. Juli zugestellte Klage gegen Faust ist zur Geheimsache erklärt worden! Werden die Staatsschützer den Ausschluß der Öffentlichkeit im Prozeß durchsetzen? Wird also die Öffentlichkeit nicht erfahren, was es mit den öffentlich kolportierten Anschuldigungen gegen Faust auf sich hat? Dann wäre der Selbstschutz der Staatsschützer perfekt.

Selbst zu Zeiten der Regierung Nixon -- sicher kein Vorbild für eine Regierung mit liberalen Grundsätzen -- erschienen, und waren bekanntermaßen in Vorbereitung, jene Berichte und Bücher über die CIA, die zu scharfer Reaktion der Öffentlichkeit und zu durchgreifenden Korrekturen führten. Wenn das, was hier mit einem Journalisten geschieht, der angekündigt hat, über den Verfassungsschutz zu schreiben, Schule macht, wenn die unter Mißbrauch des legitimen Schutzbedürfnisses gegen den Terrorismus sich ständig ausbreitende unheimliche Macht der staatlichen Selbstschützer noch ausreicht, die Aufdeckung ihrer Intrigen durch Aufdrücken des Stempels »Geheim« auch im Rahmen des Prozesses gegen Faust vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, dann sollte eines wenigstens klar sein: Die Regierung hätte sich sehr selektiv eingemischt -- und sehr selektiv herausgehalten.

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