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OPERNBALL DIE UNTEREN TAUSEND FEIERN OBEN

aus DER SPIEGEL 9/1963

Zehn Bühnenmusiker im Wams der Meistersinger pressen das vereinbarte Signal aus ihren Fanfaren. Österreichs Bundespräsident Adolf Schärf und Österreichs alte Regierung sind mit der ihnen eigenen preußischen Pünktlichkeit eingetroffen, das Fest kann beginnen.

Die neue Regierung, um die des veränderten Kräfteverhältnisses wegen seit Wochen gehandelt wird, ist nicht mehr rechtzeitig zum Opernball fertig geworden.

Dafür hat es für Österreich eine andere nationale Freude gegeben: Das Land hat ein eigenes Düsenverkehrsflugzeug erworben, eine Caravelle direkt aus Toulouse, und gerade recht zum großen Tag in der Oper ist sie geliefert worden.

Adolf Schärf ist damit herumgeflogen, Martha Kyrle, die unermüdliche Präsidententochter, hat es auf den originellen Namen »Wien« getauft, und der Kardinal-Erzbischof Dr. König hat es geweiht, unter dem feinen, unermüdlich kreisenden Radarschirm des Flughafens Schwechat, der leider noch immer nicht benützt wird.

Und nun ist die österreichische Neuanschaffung nicht nur in aller Munde ("Österreichische Neue Tageszeitung": »Caravelle im Mittelpunkt des Festes"), sondern als eine silberne Nachbildung, ein Werbegeschenk, auch in den Abendtäschchen von 211 Opernball-Debütantinnen.

Eine ganz unzeitgemäße Dokumentation österreichischen Fortschrittwillens auf einem Fest, dessen oberstes Ziel zu sein scheint, den Traum vom Biedermeier zu kultivieren.

Straßkrönchen auf den getürmten Locken, ein Bukett gelber Rosen im einen und den Leihfrack-Kavalier am anderen Arm, ziehen die auserwählten Jungfrauen in das von nahezu siebentausend prachtvoll herausgeputzten Zuschauern umzingelte Parkett, zelebrieren ihren Knicks und ihren Walzer »Wiener Blut« im schwindelerregenden Linksdreh.

Dies, so schwor die herbstschöne Christl Gräfin Schönfeldt, amtliche Mutter des Opernballs und Ehefrau des Fernseh-Quizmeisters Karl Graf Schönfeldt (Pseudonym: Rudolf Hornegg), dieses Linkszweidrei sei eine der unabdingbaren Voraussetzungen für die Annahme einer jeglichen Debütantin. Fehlerlos links muß sie ihn tanzen können, den Walzer, ein weißes Ballkleid muß sie haben, weiße Handschuhe und einen Kavalier.

Die Gräfin weist es energisch von der Hand, daß bei der Entscheidung, welche von den 350 Bewerberinnen und ihren, wie sie meint, entflamierten jungen Herren, den Vorzug haben solle, so etwas Garstiges wie soziale Unterschiede gemacht würden.

Vereinzelten Kindern aus dem schlichten Volk steht dann freilich doch eine Übermacht von Mädchen aus stadtbekannt gutem Hause gegenüber: Debütantinnen wie das eben 18 gewordene Nesthäkchen aus dem Hause Wessely -Hörbiger, Kiloran Grosvenor, eine

Cousine Ali Khans, oder die Töchter von vier in Wien akkreditierten Botschaftern.

Eine davon, die 17jährige Gabriella des italienischen Missionschefs Martino, sei, so raunt man sich auf dem Opernball zu, ihres zu jugendlichen Alters wegen erst nach väterlich-diplomatischer Intervention akzeptiert worden. Andere, das, weiß man, debütieren von Jahr zu Jahr wieder als jungfräuliches Immergrün.

Minuten nur beherrscht der monatelang eingeübte Walzer der Debütanten das Parkett - ein 211facher schwarz weißer Wirbel, der die Zuschauer auf den Stehplätzen im Rang zu einem Schrei des Entzückens veranlaßt -, dann verdirbt die in allen Modefarben Wiens, in Sonderheit Aquamarin und Türkis, schillernde Allgemeinheit mit brutalem, Rechtsdrall das glanzvolle Bild.

Die Fernsehmannschaften der Eurovision lassen ihr Scheinwerferlicht über die Köpfe wandern. Es wird live übertragen, und der Quizgraf Schönfeldt als Kommentator lobt vor allem immer wieder seine Gräfin. In Sekunden ballen sich in Kameranähe die verträumten Tänzer wie Heringsschwärme zusammen, während es auf dem weiten übrigen Parkett, das sich über die Tiefe der Bühne und den ganzen Zuschauerraum ausbreitet, plötzlich Luft gibt.

Die Zaungäste des Opernballes äugen von den Steh- und Sitzplätzen der oberen Ränge herunter. Weißhaarige Damen vom Strickklub richten dort ihre überdimensionalen Operngläser auf jede auffällige Bewegung in der Tiefe.

Sie haben ihre Sonntagskleider und ihre dunklen Anzüge an, führen teilweise sogar Verpflegung mit sich, und genießen für 50 bis 120 Schilling das seltene Vorrecht, auf die besser gestellten Inhaber von Abendkleidern und Fräcken herabzuschauen, auf Leute, die 200 Schilling Eintritt oder 6000 bis 10 000 Schilling (1400 Mark) für eine Loge bezahlt haben und dazu noch bedeutend höhere Preise für ihren Getränkekonsum in Kauf nehmen müssen.

Eine strenge Absperrung verhindert, daß die unten feiernden oberen 6000 in Gesellschaftskleidern mit den beobachtenden unteren 1000 im Sonntagsstaat in Tuchfühlung kommen, eine Separierung, die niemand beklagt in einer Stadt wie Wien, in der man noch säuberlich nach Klassen und Kleidern zu unterscheiden weiß.

Was allerdings die Fräcke betrifft: Zu mehr als 50 Prozent sind sie geliehen. Tage vor dem Opernball waren alle Lager geräumt.

Ohne Rücksicht auf das soeben in Österreich angebrochene Düsenzeitalter verfährt man auf dem Opernball noch nach dem ziselierten Protokoll eines k. u. k. Hoffestes, obwohl er in seiner heutigen Form keineswegs alt, sondern eine Kreation dies Jahres 1935 ist.

Auch dem unter schwerer Kurzsichtigkeit leidenden neuen Opern-Ko-Direktor Erich Walter Schäfer - Bundeskanzler Gorbach: »Hab' zum ersten Mal das Vergnügen« - konnte es nicht erspart werden, dem Bundespräsidenten Schärf zum Empfang auf der Treppe entgegenzugehen. Da er mit einer Brillenstärke von 18 Dioptrien derlei Protokollpflichten nur mit Unsicherheit entsprechen kann, legte Operndirektor Schäfer am Vorabend des Balls den bevorstehenden Dienstweg probeweise an der Seite der allgegenwärtigen Gräfin Schönfeldt zurück. Wiens Opernzar Herbert von Karajan hatte sich auch diesmal entschuldigen lassen.

Das Diplomatische Korps, für dessen Angehörige der Opernball häufig - so sie nicht gerade eine debütierte Tochter haben - zur sauren Pflicht geworden ist, versucht die damit verbundenen Forderungen soweit wie möglich zu mildern - auch was das finanzielle anlangt. Der deutsche Botschafter Dr. Friedrich Janz, zu dessen traditionellen Belastungen es gehört, vor Beginn des Festes der österreichischen Regierung aus seiner Schatulle ein Essen für 36 Personen im Sacher (Menü 215 Schilling) zu spendieren, läßt männliche Botschaftsangehörige, die mit ihm auf den Ball gehen oder gehen müssen, die enorme Logengebühr anteilmäßig mitfinanzieren.

»Die griechische Botschaft ruft grad' an«, informiert am Vortag des großen Festes die Sekretärin die Gräfin über den abgedeckten Telephonhörer hinweg, »die lassen fragen, wann sie die Kiste mit ihren Getränken in die Loge bringen können.«

Angeblich wegen technischer Verteuerungen für den weiten Bühnenbaldachin wurden die Logenpreise in diesem Jahr erhöht, und zwar um mehr als 20 Prozent. Auf 100 Logen trafen trotzdem 246 Bewerber, und es gab Opfermutige, die sogar erst nach Paris flogen, nur um von dort aus am Eröffnungsflug der österreichischen Aua-Caravelle teilzunehmen, deren Passagiere als Sendboten österreichischer Luftgeltung noch gewaltsam in schlechten Logen untergebracht wurden. Woran man sich bei so einer Preisgestaltung halten könnte, das bezeichnet die Gräfin Schönfeldt mit einem ihrer Lieblingssprüche: »Wenn ma dir gibt, nimm; wenn ma dir nimmt, schrei.«

Gegeben wird unter anderen vom Marchese Toraldo und dem italienischen Fremdenverkehrsamt für Imperia, San Remo und Lucca, die, ohne Beachtung der Südtirolfrage jedes Jahr jene 14 000 Nelken stiften, mit denen die Ränge üppig geschmückt werden. Der Marchese hat heuer außerdem seinen Freund Raimondo Orsini zu sich geladen und damit dem Opernball etwas beschafft, was ihm besonders mangelt: einen wirklichen Prinzen, und wenn es ein armer ist.

Orsini und der Robert Herzog vor Parma waren neben den obligaten Windisch-Graetzens, Esterházys oder Auerspergs die karge Adelswürze in einer übermächtig neu- und altbürgerlichen Gesellschaft, die nur zur Hälfte aus Österreich stammt, im Kolonialwaren -Millionär Meinl gipfelt und aus der Bundesrepublik durch, wie es auf der Gästeliste hieß, »Herren aus Leverkusen«, dem Mercedes-Direktor Nallinger und der Spirituosen-Unternehmerin und Witwe Emil Underbergs bereichert wurde.

Ein Wohltätigkeitsfest ohne Wohltätigkeit. Bei weit über einer Million Schilling Einnahmen bleiben für die bedürftigen ehemaligen Mitglieder der Bundestheater, für die das alles stattfindet, noch nicht einmal 30 000 übrig.

Eine Wohltat allerdings ist der Opernball für Österreich: Attraktivstes Ereignis des Wiener Fremden-Jahres, eine Wohltat auch für jene, die Orden und Schmuck, Pelze und Roben ausführen müssen.

Es wird mehr gepilgert als getanzt in dem labyrinthischen Haus, das von acht Kapellen mit dezenter Musik versehen wird. Man betrachtet sich herausfordernd, küßt Hände und Handschuh, flickt einander am Zeug: »Da schau her, die Kammersängerin Ljuba Welitsch mit dem Herrn Schmalvogel, ihrem Funkstreifen-Karl. Haben Sie vielleicht net gewußt, daß die verheiratet sind, die zwei? Ich möcht bloß wissen, warum der noh immer bei der Polizei ist.«

Ganze Familien in Straß- und Paillettenstickerei, ächzend unter der Hitze von 7000 Mitmenschen, geben die tänzerische Fortbewegung auf und gehen geschlossen zum Imbiß über, der sich auswächst wie an einem Abend beim Heurigen in Grinzing. Schwatzende Theaterdiener in roter oder senffarbener Livree stehen an der Bierbar und stärken sich ungeniert. Und auch in gewissen Regionen des Heizungskellers entwickelt der Opernball in den truhen

Morgenstunden mehr die Merkmale eines Volksfestes.

In den Gängen vor den Balkonlogen gehen inzwischen die Diplomaten mit leeren Gesichtern ihrer Routine nach. Keiner will auf den Besuch in der Regierungsloge, der Loge des Bundespräsidenten, verzichten. Man wechselt Worte, matt, leicht verlegen, wie stets bei solchen Protokoll-Begegnungen. Die Herren,in ihrer Ordenspracht drohen sich beim steten Hin und Her im schmälen Gang mit ihren Ehrenkreuzen und Sternen aneinander festzuhaken. Orden zieren auch die schmalen Schulterträger der Botschafterfrauen.

»We don't have a government«, sagt einer mit ernster Miene zum britischen Botschafter, während man vor der Regierungsloge auf Einlaß wartet ... »Wir haben keine Regierung.« - Der nickt grämlich: »Yes, but the work ist the same - Ja, aber die Arbeit ist die gleiche.«

Parade der Debütantinnen: Für jede Dame eine Silber-Caravelle

Bundespräsident Scharf (r.), Bonn-Botschafter Janz*: Karajan ließ sich entschuldigen

* Mit Gattin (l.).

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