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SPIEGEL-GESPRÄCH »Die USA können nicht führen«

Der Christdemokrat Norbert Röttgen, 44, über das Scheitern des Uno-Klimagipfels von Kopenhagen und die Suche nach einer neuen Weltordnung
Von Dirk Kurbjuweit und Christian Schwägerl
aus DER SPIEGEL 53/2009

SPIEGEL: Herr Röttgen, die Bundeskanzlerin sagt, man dürfe das Ergebnis des Weltklimagipfels von Kopenhagen nicht schlechtreden. Sagen Sie uns bitte als kanzlerintreuer Minister, was daran gut sein soll.

Röttgen: Das Ergebnis ist in erster Linie eine große Enttäuschung. Man darf aber nicht übersehen, dass etwas erreicht und gesichert worden ist: Das Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, steht im Abschlussdokument, und es gibt den erklärten Willen, den Entwicklungsländern bei einer nachhaltigen Entwicklung mit Milliardenbeträgen zu helfen. Auch hat China zum ersten Mal zugestimmt, dass seine Emissionsminderungen nachverfolgt werden können. Wir haben uns darauf verständigt, weil es besser ist als nichts. Das ist die Grundlage, auf der es jetzt weitergeht. Die Alternative wäre ein totaler Kollaps des Klimaschutzprozesses gewesen.

SPIEGEL: Sie selbst hatten vor dem Gipfel klare Erfolgskriterien formuliert: Für 2020 und 2050 sollten konkrete Reduktionsziele feststehen, die binnen sechs Monaten in einen neuen Weltklimavertrag münden. Beides ist nicht erreicht. Warum reden Sie nicht ehrlich von einem totalen Scheitern?

Röttgen: Es gibt nichts schönzureden: Das Ergebnis erfüllt unsere Erfolgskriterien nicht, es ist meilenweit von dem entfernt, was wir für dringend nötig erachten. Wenn man das Scheitern nennen will, kann ich das verstehen, auch wenn ich diese Ansicht nicht ganz teile.

SPIEGEL: Wieso wirft dann die Kanzlerin ausgerechnet den Kritikern des Gipfels vor, dem Klimaschutz zu schaden?

Röttgen: Die Kanzlerin und ich haben hautnah erlebt, wie groß das Interesse an einem totalen Scheitern des Uno-Klimaschutzprozesses ist. Deshalb kann es gefährlich sein, alles in Grund und Boden zu reden. Wer die Konferenz nur mit der Vokabel Scheitern belegt, muss aufpassen, dass er nicht das Ende des internationalen Klimaschutzes verkündet. Die brutale Enttäuschung, die auch ich empfinde, sollte nicht dazu führen, dass wir resignieren. Im Gegenteil, Lösungen sind jetzt noch dringlicher geworden.

SPIEGEL: Woran ist diese Konferenz gescheitert?

Röttgen: Die Schwellenländer, angeführt von China, waren nicht bereit, sich CO2-Minderungszielen außenpolitisch zu verpflichten, sich in einen gemeinsamen politischen Willen einzuordnen. Und in den USA kamen die Probleme von innen. Es fehlt dort an den politischen Voraussetzungen dafür, sich in einen globalen Rahmen einzufügen. Beide Länder sind aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit, auf der Basis wechselseitiger Verpflichtungen das Problem zu lösen. Beide setzen auf nationale Politik.

SPIEGEL: War das Anliegen von Beginn an nicht einfach zu ehrgeizig?

Röttgen: Nein, und wir werden es auch nicht aufgeben. Das ist ehrgeizig, aber alternativlos. Deshalb müssen wir jetzt genau analysieren, warum es noch nicht funktioniert hat.

SPIEGEL: Wann genau haben Sie in Kopenhagen gemerkt, dass es kippt?

Röttgen: Als klar wurde, dass China nicht einmal einseitige Vorleistungen der Industrieländer von mindestens 80 Prozent Reduktion bis 2050 akzeptieren will - das war der absolute Tiefpunkt. Die Chinesen sagten, es sei ihnen zu wenig. Wir antworteten, dass wir als Industrieländer vielleicht noch 100 Prozent anbieten könnten, dann aber schon aus mathematischen Gründen Schluss sei. An diesem Punkt wurde klar, dass es den Chinesen nicht um CO2-Reduktion ging, sondern um Verhinderung. Als sich dann US-Präsident Barack Obama mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao zum Tête-à-Tête zurückzog, wurde mir schlagartig klar: Wir können unsere wesentlichen Ziele abschreiben.

SPIEGEL: Angela Merkel spricht von einer neuen Weltklimaordnung. Wie sieht die aus?

Röttgen: Die Konferenz hat deutlich gemacht, dass wir keine Weltklimaordnung haben und dass es gerade am Willen fehlt, sie zu schaffen. Das CO2-Thema ist fundamental, es greift tief in alle Wirtschaftsprozesse ein. Es führt zu neuen Kämpfen um Macht und zu einer neuen Verteilung der Macht.

SPIEGEL: Wer sind Gewinner und wer Verlierer?

Röttgen: In Kopenhagen haben wir ein Kapitel abgeschlossen, das des gutgemeinten Versuchs von Harmonie. Jetzt beginnt ein Ringen um Machtpositionen, das aber noch keine feste Struktur angenommen hat. Im Moment erleben wir Strukturlosigkeit, Ergebnislosigkeit, Handlungslosigkeit, ausgelöst hauptsächlich durch die USA, die nach dem Thema Kapitalmärkte auch beim Thema Klima nicht in der Lage sind zu führen. Dies hat ein Machtvakuum erzeugt. Und wenn Macht vakant ist, gibt es andere, die an diese Stelle treten wollen.

SPIEGEL: Die USA haben in Kopenhagen das Ende des klassischen Westens eingeläutet, indem sie die EU links liegenließen und einen Deal mit den Schwellenländern gemacht haben.

Röttgen: Zu dem politischen Konzept des Westens gehörte die Führungsmacht USA. Aber die USA haben nicht geführt, sondern sich mit China darüber verständigt, dass nicht geführt wird. Sie haben sich in meiner Wahrnehmung aber weder von Europa abgewandt noch China wirklich strategisch zugewandt. Ich sehe darin eine Erosion ihrer Führungsrolle. Barack Obama und Wen Jiabao haben sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt: China will nicht führen, die USA können nicht führen. Die große Blockade des Gipfels entstand aus einer unseligen Kombination von amerikanischer Führungsschwäche und chinesischer Verhinderungsmacht.

SPIEGEL: Aber ist nicht Europa der eigentliche Verlierer? Europa konnte nichts von seinen Zielen durchsetzen.

Röttgen: Nein, Europa ist nicht der Verlierer, denn Europa ist nach außen hin geschlossen aufgetreten, mit klaren Zielen und mit einer belastbaren Strategie. Das ist eine der wenigen wirklich positiven Erfahrungen von Kopenhagen und absolut wichtig für unsere Rolle in dieser neuen Weltlage. Wir haben gezeigt, was die Aufgabe Europas sein kann.

SPIEGEL: Vielleicht hat Europa eine Aufgabe, aber Europa hat keine Macht.

Röttgen: Wir können das Klimaproblem nicht allein lösen, weil wir in diesem Sinne zu wenig emittieren. Unser Anteil an den globalen Emissionen beträgt nur rund 14 Prozent. Wir könnten morgen aufhören, CO2 auszustoßen, und die Erderwärmung wäre immer noch katastrophal. In dieser Frage hat die meiste Macht, wer am meisten emittiert - leider.

SPIEGEL: Hat es in Kopenhagen nicht doch ein amerikanisch-chinesisches Bündnis gegeben, trotz aller Konflikte an der Oberfläche? Die beiden Länder sind ökonomisch enorm voneinander abhängig, woraus sich gemeinsame Interessen ergeben.

Röttgen: Dieser Blickwinkel kann höchstens einen Teil der Antwort liefern. Die Chinesen wollen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen mit Transparenz, weil sie einen Präzedenzfall für andere Politikfelder fürchten.

SPIEGEL: Und die Amerikaner?

Röttgen: In den USA weiß die politischökonomische Elite des Landes, was die Stunde geschlagen hat, dass die USA aus ökologischen und ökonomischen Gründen den Weg in die CO2-neutrale Gesellschaft gehen müssen. Aber diese Elite schafft es nicht, dafür die Mehrheiten zu bekommen. Zu viele folgen ihr nicht, sondern wollen billiges Geld haben, um zu konsumieren, und wollen ihren CO2-Ausstoß nicht limitieren, um sich auf ihre Weise entfalten zu können. Die Elite glaubt, die Mehrheit zu verlieren, wenn sie anfängt, das Energiethema zu erklären. Ich glaube also nicht an ein bewusstes amerikanisch-chinesisches Bündnis. Es sind eher zwei Formen von Schwäche, die sich kombinieren.

SPIEGEL: Zu Gesprächen mit Obama haben die Chinesen Vizeminister geschickt, bis er wutentbrannt zu Wen Jiabao lief und ihn zum direkten Gespräch aufforderte. Haben wir da die neue Weltmacht Nummer eins erlebt?

Röttgen: China sieht sich wirtschaftlich als Schwellenland, ist aber von den CO2-Emissionen her eine Supermacht, die fast schon im Alleingang das Zwei-Grad-Ziel sprengen kann. Die Regierung in Peking nutzt natürlich die Situation aus, dass die USA und Europa nicht an einem Strang ziehen. Darüber sollten die Amerikaner bei ihrer Gipfelnachlese genau nachdenken.

SPIEGEL: Täuscht der Eindruck, dass der Schurkenstaat Sudan in Kopenhagen mehr Einfluss hatte als Deutschland?

Röttgen: Das ist wirklich falsch. Der Sudan hatte keinen Einfluss, sondern wurde als Sprachrohr fremder Interessen eingesetzt, letztlich von China.

SPIEGEL: Deutschland hat nichts bewegt.

Röttgen: Weltpolitisch wird Deutschland allein gar nichts bestimmen, da zählt nur die Einigkeit Europas. Und wir haben daran gearbeitet, die Europäer in Kopenhagen zu einen. Das ist ein Verdienst.

SPIEGEL: Aber Deutschland ist offenbar so unbedeutend, dass niemand dem deutschen Vorbild in Klimafragen folgen will.

Röttgen: Auch da täuschen Sie sich. Es ist deutsche Politik, bei den Umwelttechnologien voranzuschreiten. China und die USA mögen verpflichtende Ziele ablehnen, aber beide Länder betreiben einen massiven Ausbau ihrer eigenen Umwelttechnologien und werden auch die besten Technologien aus aller Welt kaufen. Unsere Rolle ist ganz klassisch: durch deutsche Technologie, Ingenieurfähigkeiten und Maschinen den wachsenden Energiehunger klimafreundlich zu stillen. Unser Kapital sind grüne Technologien und politische Glaubwürdigkeit. Damit können wir politisch und wirtschaftlich Einfluss nehmen.

SPIEGEL: Deutschland richtet im Juni 2010 in Bonn einen kleinen Klimagipfel aus. Was wollen Sie besser machen als die Dänen?

Röttgen: Wir können nicht in einem halben Jahr erreichen, was in den vergangenen zwei und mehr Jahren nicht erreicht werden konnte und was in Kopenhagen nicht gelungen ist. Dass die USA und China die bisherige Herangehensweise fundamental ablehnen, ist eine Zäsur. Das erfordert, auch selbstkritisch die Ursachen zu finden, strategische Konsequenzen zu ziehen und einen neuen Ansatz zu finden. Wir müssen über das ganze Format reden. Die Umweltminister der EU haben sich am vergangenen Dienstag darauf verständigt, das in Sevilla Ende Januar zu tun.

SPIEGEL: Gibt es denn irgendeine Grundlage für die Hoffnung, dass es doch noch zu einem Weltklimavertrag kommen könnte?

Röttgen: Erledigt ist das nicht. In dem Abschlussdokument stehen wichtige Ziele, und es gibt die Notwendigkeit in der Sache. Wir haben alle Zutaten, aber es ist offen, wie wir diese Ziele erreichen können. Für mich steht aber fest, dass es bei aller Enttäuschung zur Uno keine Alternative gibt. Wenn man den Klimaschutzprozess in ein anderes Gremium überführt, warten dort die gleichen Probleme. Wir sollten die Entwicklung im Rahmen der Uno und des Völkerrechts vorantreiben.

SPIEGEL: Nach dem Kopenhagen-Debakel beginnt ein Sturmangriff der deutschen Wirtschaft auf Ihre Klimapolitik. Werden Sie zur Rolle rückwärts gezwungen?

Röttgen: Jetzt so etwas zu fordern ist ein strategischer Fehler. Wir können den Wohlstand in Deutschland nur sichern, wenn wir die effizientesten Produkte und die umweltfreundlichsten Energietechnologien nutzen und anbieten. Reihum ermuntern mich Manager, Kurs zu halten.

Es gibt viele Unternehmen, die mit ihren

Bilanzen belegen, dass im Umweltbereich die Wachstumsraten und die Arbeitsplatzzahlen steigen. Wir sollten das Geld nicht ins Ausland schicken, um Öl zu kaufen, sondern mit deutscher Ingenieursleistung bei uns Arbeitsplätze schaffen.

SPIEGEL: Ist nichts dran an der Warnung von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel, der Alleingang mit einem 40-Prozent-Minderungsziel gefährde die deutsche Wettbewerbsfähigkeit?

Röttgen: Dieses Ziel ist die Bedingung für unseren Wohlstand, weil wir damit bei den fortschrittlichsten Technologien vorankommen. Wenn wir jetzt durch rückwärtsgewandte Debatten Zeit und Vorsprung verlieren, nehmen uns die Chinesen und Amerikaner die Zukunftsmärkte weg.

SPIEGEL: Wir haben von Ihnen den schönen Satz gehört, quantitatives Wachstum sei von gestern. Aber das erste große Gesetzespaket der schwarz-gelben Bundesregierung ist ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Wie passt das zusammen?

Röttgen: Das ist ein erster, schneller Schritt, um in einer Rezessionsphase Familien und Menschen mit mittleren Einkommen zu unterstützen.

SPIEGEL: Aber die Milliarde Euro Steuernachlass für Hotels könnte man doch besser in Energieforschung stecken.

Röttgen: Das war eine Kompromisslösung, von der nicht jeder begeistert sein muss. Als Umweltminister sähe ich es jetzt am liebsten, wenn die Hotels mit dem Nachlass ihre Gebäude energetisch sanieren und auf Ökostrom umsteigen. Die Steuersenkung sollte nicht einfach auf der Bank landen, sondern einen Nutzen haben.

SPIEGEL: Vor dem Klimagipfel haben Sie gesagt, Verzicht sei nicht der richtige Weg. Stimmt das noch? Oder müssen jetzt die Bürger durch Änderungen am Lebensstil beweisen, dass sie die besseren Klimapolitiker sind?

Röttgen: Wenn die Bürger nicht mitmachen, kann es nichts werden. Aber das Problem ist größer, als dass es allein durch individuelles Verhalten zu lösen wäre. Alle müssen mitmachen - aber die Bürger können nicht die politische Verantwortung und die technologische Revolution ersetzen, deren es bedarf. Wir müssen strenge CO2-Standards setzen, weil es ansonsten nicht zu den Investitionen für umweltfreundliche Innovationen kommt. Das galt vor Kopenhagen, und das gilt erst recht jetzt.

SPIEGEL: Ist denn nun Verzicht notwendig?

Röttgen: Ich halte Verzicht für den falschen Begriff. Es ist kein Verzicht, ein Elektroauto statt eines benzingetriebenen Autos zu fahren oder regionale Lebensmittel zu kaufen statt solche mit langen Transportwegen. Steigende CO2-Emissionen und Ressourcenverschwendung sind keine Bestandteile von Lebensqualität und menschlichem Glück.

SPIEGEL: Herr Röttgen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die Redakteure Dirk Kurbjuweit und Christian Schwägerl. * Mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem schwedischen Ministerpräsidenten Frederik Reinfeldt, dem britischen Premier Gordon Brown, dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama in Kopenhagen.

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