DIE VERSUCHUNG KOMMT AUS DER FÜLLE
Der Kunde betritt Frankfurts »Kaufhalle« und begegnet sich sogleich auf einem großen Bildschirm: Ein Typ fürs Fernsehen? Nein, eher eine Type für die Kriminalstatistik. »Ladendiebstahl jetzt nicht mehr unbemerkt«, suggeriert ihm ein Schriftbalken, »deshalb Kaufhalle noch preiswerter.«
Fünf Dutzend Kameras kreisen über der Warenfülle und täuschen vor, daß irgendwo Big Brother sitzt und von ferne zusieht. Auch in Häusern von C & A oder Neckermann rotieren solche Fernsehaugen, denen man nicht anmerkt, wie blind sie sind. Die Großen des Einzelhandels fühlen sich von kleinen Fischen bedroht und schminken sich ein wehrhaftes Gesicht.
Binnen sechs Jahren hat sich der illegale Schwund der Ware fast verdoppelt, und es sieht aus, als gäbe es dagegen kein rechtes Mittel und kein Rechtsmittel. Deshalb hängen Fangspiegel, Modell »Sherlock«, über den toten Winkeln von Kettenläden und Supermärkten, Reflektoren, hinter denen, gäbe es nur Personal, jemand ungesehen lauern könnte.
Deshalb hängen von der Decke Spiegelkugeln, Modell »Wachauge«, die einem aufmerksamen Aufseher von weitem totalen Überblick anbieten. Deshalb hocken in Säulen oder Konserventürmen mit Sehschlitzen mitunter Späher, denen die Beine einschlafen. Preisetiketten sind gegen Diebstahl und Schummel präpariert, Kaviardöschen auf unförmige Untersätze montiert, damit sie weniger gut in Manteltaschen passen.
Mißtrauen überall. Manche der Handeisgiganten wie der Hertie-, der Horten-, der Karstadt- und der Kaufhof-Konzern bemühen sich noch, es vor dem Kunden nicht so zu zeigen. Sie verstärken lieber ihren teuren Stab von Detektiven, von denen aber im ganzen Bundesgebiet nur etwa 100 annehmbare zur Verfügung stehen.
Daß trotzdem bei solchen Konzernen jährlich bald ein Prozent vom Umsatz (das sind immerhin jeweils zwischen 20 und 40 Millionen Mark> einfach so abhanden kommt, leugnen die Inventur-Referenten nicht; exakt können sie den illegalen Aderlaß in der Flut des Warenumschlags nicht mehr ermessen.
Die Epidemie der kleinen Unehrlichkeit, die in den Vereinigten Staaten bereits drei Milliarden Dollar pro Jahr aus den Warenhäusern saugt, breitet sich lautlos und beschleunigt in der Bundesrepublik aus. Wohl 140 000 Ladendiebe aller Einkommensschichten wurden von Häschern des Handels letztes Jahr zur Bestrafung weitergereicht, runde 25 Prozent mehr als im Jahr zuvor und dreimal soviel wie vor sechs Jahren, in denen sich die Zahl der Selbstbedienungsläden allerdings nahezu verdoppelte.
Die Lobby der Supermarkt-Wirtschaft schlägt nun zunehmend Alarm, um Justiz und Öffentlichkeit auf den Schwelbrand in der deutschen Kundenmoral hinzuweisen: denn wie sie wissen, geraten allenfalls zehn Prozent der Mopsereien ans Licht.
Die deutschen Ladendiebe vereint ergäben eine Gemeinde von der Kopfstärke Münchens. Was sie letztes Jahr mitgehen ließen, wird von den ratlosen Experten der Selbstbedienung auf einen Wert von einer dreiviertel Milliarde Mark geschätzt -- genug, einen neuen Kaufhaus-Konzern zu begründen. Annähernd noch einmal eine viertel Milliarde staubte schätzungsweise das Personal des Einzelhandels selber ab.
Deshalb winken nicht nur in fast allen Großbetrieben ansehnliche Kopf-Prämien dem Verkäufer, der den Ladendieb ertappt. Auf ähnlicher Basis arbeiten sogenannte Vertrauenskunden an der heimlichen Kontrolle der Verkäufer mit. Darüber hinaus fangen Kunden auch Kunden gegen Vergütung. Ein alles in allem ebenso penetranter wie hoffnungsloser Kleinkrieg gegen eine aus tieferen Wurzeln aufsteigende Nonchalance wider das Gebot von mein und dein.
Noch nie haben so viele so wenigen so viel genommen. Das Warenhaus, für radikale Linke schlechthin Schaufenster der Überflußgesellschaft, die Einkaufszentren, Selbstbedienungs-Märkte verfügen zwar über einen von ihrer »Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V.« bei der Polizei bestellten Notstandsplan, der ihnen erlaubt, sich wider jegliche politische Störaktion bis hin zur »Kissenschlacht in der Bettenabteilung« detailliert zu rüsten. Doch vor Millionen namenloser Gelegenheitsdiebe fühlen sie sich wie der gefesselte Riese in Gullivers Reisen.
Was ihren Lebensnerv berührt, ist nun doch nicht der antikapitalistisch Ingrimm radikaler Linker, die sich gerne brüsten, hochwertige Konsumgüter im Kaufhaus zu »klaufen«. Nicht mit den Flugblatt-Aufrufen zum »Klau-in« oder dem Apo-Slogan »Lernt vom Nikolaus, räumt das Kaufhaus aus!« kam die Bedrohung. Sie besteht vielmehr in der unberechenbaren, unbegrenzten und im Prinzip sogar vom Handel gewünschten Greiflust wahrhaft unpolitischer Verbraucher,
Revolutionare Kunden klaufen bevorzugt in linken Boutiquen und Buchläden. Da ruft auch niemand »je die Polizei. An der Ware von Warenhäusern vergehen sie sich eher verbal.
Der Schaden, den ein von jungen Linksradikalen Dortmunds ausgerufenes »Klau-in« verursachte, ergab sich letztlich allein daraus, daß die Schaufenster von aufgeklebten Flugblättern gesäubert werden mußten.
Nicht einmal ein Prozent der aufgespürten Ladendiebe vom letzten oder vorletzten Jahr beriet sich auf politische Gegnerschaft zu den bestohlenen Giganten. Nicht einmal zwei Prozent der Delinquenten kamen von der Universität. Nach einer Analyse des Düsseldorfer Kriminalrats Rolf Loitz, der einen repräsentativen Querschnitt von Ladendieben kriminalistisch durchleuchtete, bestehen die dominierenden Gruppen aus Hausfrauen (36,9 Prozent), Schülern (18,9 Prozent), Facharbeitern (15,2 Prozent) und Angestellten aller Gehaltsklassen (7,1 Prozent)**.
Doch schwindet seit Jahren der weibliche Anteil. Die Männer holen auf: Folge einer Emanzipationsbewegung, bei der eben sie zum Einkaufsnetz greifen.
Die enorm (seit 1963 von elf auf jetzt rund 20 Prozent der Warenhausdelikte> zunehmenden Diebestaten Jugendlicher wiederum, die früher ganz eindeutig Sache der Knaben waren, ereignen sich unter wachsender weiblicher Beteiligung: Abenteuernde Mädchen scheuen nicht mehr so sehr wie die Gretchen früherer Generationen das Risiko des Ungesetzlichen, zumal es den ersehnten Konsum ermöglicht. In einem rheinischen Mädchengymnasium gehörte es zum Komment einer ganzen Gruppe, gestohlene Lederjacken zu tragen; die Beschaffung oblag allerdings den männlichen Freunden aus einer Parallel-Schule,
Es verblassen altberühmte medizinische Theorien, wonach der Zwang zum diebischen Fehlgriff krankhaft über Frauen komme. Nur in extrem seltenen Fällen auch verursacht Diebstahl bei der Ladendiebin einen Orgasmus, wodurch, wie das »Institut für Selbstbedienung« aufklärt, aus dem Eigentumsdelikt möglicherweise ein Sexualdelikt würde. Die absolute Mehrheit der Ladendiebe besteht nicht aus chronischen Sündern, sondern aus vorübergehend oder ständig Überforderten, Deprimierten, Überreizten. Was sie dem unerhörten Warenüberflug ungesetzlich entnehmen, sind zu mehr als fünfzig Prozent kleine Rappen aus der Lebensmittel-Selbstbedienung.
»Ladendiebstähle«, erkennt des »Institut für Selbstbedienung« an, »sind ein Wohlstands-Delikt geworden.« Bei erwachsenen Tätern fand das Institut als häufiges Motiv »ein erhöhtes Kon-
* Oben: In der Berliner Underground-Zeitschrift »883«; unten in der Illustrierten »Stern«.
** Rolf Loitz: »Ladendiebstahl unter der Lupe«. Verlag: Gesellschaft for Selbstbedienung, Köln; 162 Seiten
sumbedürfnis bei gleichbleibendem Wirtschaftsgeld, aber auch den Wunsch« Dinge zu besitzen, die einen höheren Sozialstatus versinnbildlichen«. Kurzum, den gemeinen Ladendieb, der ja zumeist ein guter Käufer auch noch ist, treibt, was der Handel am ehrlichen Käufer so schätzt.
Not spielt dabei so gut wie keine Rolle. im Rezessionsjahr 1967 verlangsamte sich merklich der Aufwärtstrend der Diebstahls-Ziffern, während die Zahl der Arbeitslosen zunahm.
Die Versuchung erwächst aus der Fülle. Dessenungeachtet richten die Manager der Selbstbedienung ihre mehr und mehr gemeinsame Taktik der Eigentumsverteidigung darauf, den sich bedienenden Massen den kategorischen Imperativ des siebten Gebotes und der hundertjährigen Strafgesetze wieder ins Bewußtsein zu brennen.
Während kleine Einzelhändler sich notgedrungen damit zufriedengeben, die Entdeckten Nichtbezahltes abliefern oder bezahlen zu lassen, rufen die Großen ihre Filialführer zum Kampf: Jeder Ladendieb soll vor Gericht. Und ohne Rücksicht auf Verlust erteilt jeder dieser großen Betriebe jedem, der auch nur einen Wurstzipfel widerrechtlich an sich nahm, lebenslanges Hausverbot für sämtliche Filialen.
So blinder Groll verstimmt sogar einen ehrwürdigen Kaufhaus-Kriminalisten wie den Hamburger Kriminal-Hauptmeister Hermann Kalleicher, dessen Erfahrungsbericht das »Institut für Selbstbedienung« neben einem Stapel anderer Aufklärungswerke druckte*. Bald, prophezeit der Detektiv Kalleicher, werden in der Bundesrepublik Millionen von Menschen mit ihren Einkaufstaschen herumlaufen, »die ihren Verwandten oder Bekannten gegenüber Negatives über ein Geschäft erzählen müssen, in das sie nicht mehr hineingehen dürfen«.
Die von Strafanträgen überflutete Justiz soll nun, so fordert die »Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels von den deutschen Justizministern, dafür garantieren, daß »der Ladendiebstahl weil er in zahllosen Fällen eine Verbrecherlaufbahn einleitet, entsprechend seinem kriminellen Unrechtsgehalt schnell und eindrucksvoll geahndet wird.
Selbstverständlich widerspricht es diesem Notruf, daß in Duisburg eine Amtsgerichtsrätin, nachdem sie sich (für 16,59 Mark) bei Karstadt bereichert hatte, eines seelischen Ausnahmezustands wegen straffrei davonkam. Desgleichen mißfällt es dem handel wie übrigens auch der linken Referendar-Zeitschrift »Rote Rohe« daß ein schleswig-holsteinischer Staatsanwalt, der einem Supermarkt für 11,25 Mark Ware ohne Bezahlung entnommen hatte, zum Oberstaatsanwalt befördert und, ebenfalls wegen seelischer Überforderung, von dem Vorwurf freigesprochen wurde, Dich im Sinne des Strafgesetzbuches zu sein. Die »Rote Rohe« sieht da »Klassenjustiz.
Der Handel aber denkt nur an Abschreckung.« Übermorgen Schnellrichter«, lautet beispielsweise das Rezept eines Revisions-Referenten mi Horten-Konzern (Jahresumsatz- 2 1 Milliarden Mark). Hortens Generalbevollmächtigter Rudolf Tesmann glaubt, es gelte auch auf dem verführerischen Markt der Selbstbedienung unverletzliche Güter dieser Gesellschaft ohne Nachsicht zu verteidigen. »Der Schutz des Eigentums muß gewahrt bleiben-, sagt er, »man kann keine Auflösungserscheinungen zulassen.
Egal, welche Spesen entstehen, der Rechtsweg wird ausgeschöpft. Damit das flotter vonstatten geht. trachten die Konzerne danach, der Polizei die händeringenden Ertappten möglichst schon samt unterschriebenem Geständnis auszuhändigen.
»Wir leisten die Aufklärungsarbeit für die Strafverfolgungsbehörden«,
* Hermaun Kalleicher: »Mankomacher Kunde«. Verlag: Gesellschaft für Selbstbedienung. Köln; 139 Seiten.
sagt Christian Rauberger, Justitiar von Hertie (Konzernumsatz: 4,1 Milliarden Mark). Geständnisse, Zeugenaussagen, Anzeigen, Hausverbote sachgemäß und in Ruhe auszuarbeiten verursacht mehr Lohnkosten, als im Schnitt die entwendete Ware ausmacht.
Deshalb auch legen Geschäftsführer und Justitiare Wert darauf, den Spielraum richterlicher Nachsicht zu begrenzen. Widerspricht es schon ihrem Interesse, daß die Gerichte vielfach schleppend, mit erkennbarem Mißbehagen gegen die Kriminalisierung einer erstmaligen Konsumentensünde ermitteln und das meiste zu glimpflich per Strafbefehl abgeht, so erheben sie einhellig Einspruch gegen Einstellung wegen Geringfügigkeit.
Für den nur zu häufigen Fall, daß der Richter statt des Offizialdeliktes Diebstahl nur das Antragsdelikt Mundraub erkennt, liegt ein entsprechender Antrag auf Verfolgung schon bei, damit die dafür geltende Drei-Monats-Frist gewahrt bleibt. Wenig fügt es sich in das Sühnedenken des Handels, daß 1968 der BGH entschied, es könne sich selbst dann noch um Mundraub handeln, wenn ein gestohlenes Butterstück eineinhalb Pfund wiegt -- vorausgesetzt, es gab nicht kleinere Pakete.
Oft entkommen verzweifelte Diebe auf dem bürokratischen Dienstweg der Kaufhäuser mitsamt ihrer Beute, die ihnen erst vor ausreichender Zeugenschaft abgenommen werden sollte. Den Kriminalisten Kalleicher verstimmt das: »Was wollen die Kaufleute eigentlich? Die Personalien oder ihre Ware?'
Personalien gehen vor. Dem einmal gestellten (und noch so hochgestellten) Sünder wird es nichts nützen, wenn er seine volle Brieftasche hervorholt, für alles aufkommen und vielleicht noch fürs Rote Kreuz spenden möchte. Eher noch zeigt gelegentlich die Polizei mit Neulingen Erbarmen, hilft ihnen, den zu erwartenden Strafbefehl anderswo als im Familienbriefkasten abzufangen.
Sich mit einem Ladendieb zu arrangieren halten Ratgeber des »Instituts für Selbstbedienung« allerdings für statthaft. Speziell wenn der Gestellte schon früher ausgiebig gestohlen hat und sich nun erbietet, seine entsprechend grollen Schulden zu begleichen.
Dem Kölner Psychiater und Gerichtsgutachter Professor Wolfgang de Boor verübeln es die Mächtigen des Einzelhandels, daß er beharrlich dagegen spricht, im Kaufhaus-Diebstahl »ein kriminelles Delikt im typischen Sinne zu sehen«. Er aber festigt anhand des wachsenden Materials seine Überzeugung, man solle von erstmals in der Warenfülle gestrauchelten Opfern der »Volksseuche« Ladendiebstahl (Bundeskriminalamt) -- und das wären schätzungsweise zwei Drittel der Erwischten -- zunächst nur ein Bußgeld nehmen und lieber ihre Moral in einem amtlichen Konsumsünder-Kursus stabilisieren. De Boor: »Ein Trugschluß, daß man sozial abweichendem Verhalten durch strengere Bestrafung beikommt.«
Doch die Branche pocht auf ihr Recht. Sie will sich nicht bei dem Gedanken aufhalten, wieweit ihre psychologisch immer weiter verfeinerte Verkaufstechnik den Kunden in Versuchung führt. Während der »Aufforderungscharakter« eines offengelassenen Kraftfahrzeugs längst zum festen Erkenntnisschatz rechnet, erhebt sich kein Zweifel daran, daß man dem Konsumenten reinsten Gewissens immer verschwenderischer unbeaufsichtigte Ware hinschieben darf.
Tiefere, der Selbstkontrolle entzogene Besitzinstinkte zu wecken, erstreben die Psychologen des Handels und der Konsumgüterwerbung. »Spontaner Kaufdrang«, verrät eine vom Handel finanzierte Studie, solle entstehen. Benebelt mag der Kunde zugreifen -- aber ehrlich, versteht sich, muß er denn doch bleiben. Ein Neckermann-Manager schwärmt vom »griffaktiven Aufbau neuer Selbstbedienungszonen, von künstlich erzeugtem »Einkaufsbehagen«, das den Kunden wie luxuriöse Benommenheit in überheizten Räumen befällt. »Schließlich können wir, sagt dieser Fachmann, »unsere Häuser nicht unter dem Gesichtspunkt der Diebessicherung gestalten.« Justitiar Rauberger von Hertie sähe allen Ernstes die Versorgung der Bevölkerung in Frage gestellt, falls man bei der Selbstbedienung bremse.
Alte Kaufhäuser in der Provinz, etwa das Hortenhaus in Regensburg, bleiben dank ihres braven Stamms einheimischer Verkäufer, ihrer zurückgebliebenen Verkaufsgepflogenheiten und ortsansässigen Stammkunden vom Ladendiebstahl bemerkenswert verschont.
Die prosperierende Selbstbedienungsbranche forschte bisher kaum danach, bis zu welchem Grad die moralische Balance im Kunden vom Raffinement des Waren-Angebots gestört wird. Aber ein Unbehagen beschleicht gerade die Praktiker in den Warenhäusern. Der Frankfurter Kaufhof-Manager Rippegather nachdenklich: »Erst war das Berühren der Ware verboten, nun soll man alles fühlen.
Im Kaufhof an der Frankfurter Hauptwache wandert der Kunde etwa mit Stapeln von Herrenwäsche ungeschoren quer durch die Etage, einen Spiegel, eine Kasse, einen Ratgeber zu suchen. Interne Nachlässigkeit der Kaufhäuser fordert die Schwäche der Kunden heraus, die, wie Kriminalist Kalleicher behauptet, »geringe kriminelle Energie« des potentiellen Gelegenheitsdiebs wird künstlich beatmet.
Beispielsweise wenn leere Plastiktüten mit Firmenzeichen für jeden greifbar herumliegen; wenn Verkäufer -- wie im Kaufhof -- sich kleiden wie Kunden und einander selber kaum noch erkennen. Wer seinen Bedarf im Kaufhof deckt, erhält häufig keinen Bon mehr. Von einem, der im Kaufhof klaut, unterscheidet er sich vielleicht gerade noch durch die korrekteren Pakete im Arm.
In aller Gemütsruhe stahl sich ein Bielefelder Kriminalbeamter probeweise in lachhaft markanter Aufmachung durch die Kaufhäuser seiner Stadt, in denen zuvor sogar sein Steckbrief aushing. Freundlich desinteressiert sahen die Verkäufer an ihm vorbei.
Zur unmittelbaren Willensschwächung beim Einkauf addiert sich so die vorerst unberechenbare, ins Unbewußte zielende Werbekraft dieser freien Marktwirtschaft. Was in Warenhäusern als unverzeihlicher Rechtsbruch gilt, gewichtig genug, sich darauf zu besinnen, wie einst Marktdiebe aufs Rad geflochten oder »mit dem Strang gericht« wurden, dient andererseits in der Konsumgüter-Werbung als letzter Pfiff.
Auf einer Farbanzeige in großen deutschen Bildblättern stiehlt ein smarter Junge am Rande einer Party gerade die Flasche seiner Wahl. Es handelt sich um die Oetker-Marke »Söhnlein«, einen Sekt, »mit dem«, so heißt es, »vielleicht mehr Finger lang geworden sind als mit jedem anderen«. Merke »Ein großer, prickelnder, überschwenglicher Sekt, der die Moral untergräbt.«