»Die Vierte Partei kommt bestimmt«
Die Ovationen für Franz Josef Strauß bei der letzten Wahlkundgebung des Tages waren verklungen, da setzten sich in Landshut am vergangenen Dienstagabend einige CSU-Prominente noch auf einen Schoppen zusammen. Die Teilnehmer der Weinrunde -- Parteichef Strauß in ihrer Mitte -wurden Zeugen einer denkwürdigen Wandlung des scheidenden bayrischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel.
Bislang hatte der Münchner Regierungschef sich stets gegen alle Pläne gesperrt, die Bonner Fraktionsgemeinschaft mit der CDU-Schwester aufzulösen und die CSU als Vierte Partei ins Bundesgebiet hinein auszudehnen. Nun aber zeigte sich Goppel bekehrt.
Nachdem selbst ein Mann wie Alfred Dregger es in Hessen nicht geschafft habe, die CDU aus eigener Kraft an die Macht zu bringen, so Goppel beim Landshuter Umtrunk. sei die Zeit reif für den Schnitt. Nur in neuer Formation, mit zwei bundesweit getrennt operierenden Parteien. habe die Union noch eine Chance, den SPD! FDP-Block zu knacken und in Bonn endlich wieder zu regieren.
Wenn alles beim alten bleibe, juxte einer, werde der derzeitige Oppositionsführer Helmut Kohl »die nächsten 16 Jahre Kanzlerkandidat sein -- alle vier Jahre wieder«.
Der mit der »Operation Vierte Partei« verbundene Einfall der CDU in die christsozialen Stammlande schreckt in der CSU niemanden mehr. Denn die Kohl-Partei -- so die beruhigende Auskunft der Meinungsforscher -- könne in Bayern nicht einmal auf zehn Prozent der Stimmen hoffen. Strauß: »Der Einmarsch der CDU ist uns echt wurscht!«
Mit Wohlgefallen verfolgt der Bayer, wie die Diskussion über die Vierte Partei seit der Hessenwahl auch ohne sein Zutun wuchert. Nicht nur in der CSU, auch an der Basis und in der Führung der CDU wächst die Neigung, es nun trotz aller Risiken eines christlichen Schismas mit der Strauß-Strategie zu versuchen. Hessens Dregger über die Stimmung beim Fußvolk: »Die Leute haben mit Tränen in den Augen zu mir gesagt: »Mein Gott, was sollen wir noch tun? Wir haben doch jetzt alles probiert und es wieder nicht geschafft!"«
Der Vater der Vierten Partei selbst gibt sich gelassen. Strauß drängelt nicht mehr und trumpfte auch, zur Verblüffung seiner Gegenspieler um Helmut Kohl, nach der Hessen-Niederlage nicht auf. »Wir brauchen uns nicht mehr aus dem Fenster zu hängen und aufs Tempo zu drücken«, erläuterte ein enger Vertrauter des CSU-Vorsitzenden letzte Woche die Zurückhaltung seines Chefs, »die Vierte Partei kommt bestimmt, unabhängig vom Ausgang der Bayern-Wahl. Es gibt einen Sog dorthin.«
Helmut Kohl hingegen spielt auf Zeit. Offiziell, so haben die beiden Christ-Parteien vereinbart, soll die Entscheidung über eine Bundes-CSU erst im Frühjahr 1979, nach der laufenden Serie von Landtagswahlen, in der gemeinsamen Strategiekommission fallen. Bis dahin, hofft der CDU-Führer, werde sich die Diskussion schon wieder totlaufen. Doch der Bonner CSU-Landesgruppenleiter Friedrich Zimmermann, von Strauß längst zum Cheforganisator der Vierten Partei ausersehen, läßt keinen Zweifel: »Hessen -- das war eine historische Wahl. Das wird sich noch zeigen.«
Kohl freilich will immer noch nicht wahrhaben, wie ernst die Lage ist. Was Zimmermann als Wendemarke gilt, versucht der Oppositionsführer als knappe Wahlschlappe in der Provinz zu verharmlosen. Verblüfft hörten am Montag letzter Woche die Mitglieder des CDU-Bundesvorstandes, welche Lehren ihr Vorsitzender aus der Hessen-Wahl zog: Man brauche nur das Ergebnis auf die gesamte Bundesrepublik umzurechnen, dann hätte die Union die absolute Mehrheit. Kohl nach Weidmanns Art:., Die Jagd ist vorbei, jetzt wird das Gewehr geputzt und neu geladen.«
Er muß wohl auch das Visier richten lassen. Denn zumindest sein altes Konzept, spätestens 1980 mit Hilfe der Liberalen in Bonn an die Macht zu gelangen, ist -- das hat Kohl inzwischen einsehen müssen -- überholt.
In Hessen überlebten die Freidemokraten mit einem respektablen Ergebnis an der Seite der SPD. Mußte die Bonner Koalitionsspitze vor dem 8. Oktober noch bangen, der Gegenspieler des FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, werde bei verlorener Hessen-Wahl mit seinem Rücktritt das Signal zum Austritt der FDP aus der Regierung Schmidt geben, so ist das Bündnis jetzt neu gefestigt.
Ratlos, wie er sich und die Union unter diesen Umständen in absehbarer Zeit aus der Opposition führen soll, will es Kohl nun andersherum versuchen: Wenn er schon die FDP nicht gewinnen kann, möchte er wenigstens ihre Wähler haben.
In einer Kampagne will Kohl dem liberalen Publikum einhämmern. im Block mit der SPD habe die FDP ihre Eigenständigkeit verloren. Zusätzlich hat er noch ein Sonderangebot »liberaler Sachpolitik« auf Lager. Die Hits im Schlußverkauf: Familienpolitik und Umweltschutz. Dies allein reiche schon, so redet Kohl den Seinen zu, um bei der Bundestagswahl 1980 die letzten wenigen Prozente für den Machtwechsel zu ergattern.
Dabei bleibt es freilich Kohls Geheimnis, wie er den Ruck zur Mitte in seiner eigenen Partei durchsetzen will, nachdem die CDU-Rechte bislang alle Versuche unterlaufen hat, die Unionspolitik mit sozial-liberalen Tupfern zu schmücken.
Hoffnungsfroh verkündete Kohls Generalsekretär Heiner Geißler in einer vertraulichen Runde am Montag vergangener Woche. diesmal werde man es denen, die mit ihrem Kurs in Hessen schließlich gescheitert seien, schon zeigen. Und wenn die CSU bei einer liberaleren Politik nicht mitmachen wolle, solle sie doch sehen, wo sie bleibe.
Kritik am Vorsitzenden, so Geißler, werde er künftig unterbinden. Wer Kohl angreife. fliege raus.
Kaum war der Geißler-Abend zu Ende, erstattete ein CSU-Konfident dem Vorsitzenden in Bayern am Telephon ausführlich Bericht. Strauß war empört. Und ein Strauß-Intimus giftete: »Der Mann ist ein Unglück für Kohl.«
Die wahltaktischen Planspiele des CDU-Vorsitzenden und seines Sekretärs sind Strauß nur ein Beweis mehr für seine These, daß die Kohl-Union Kanzler Schmidt nicht kippen kann. Überzeugt, daß Kohls Kurs die Niederlage garantiert, hält Strauß das Experiment der Vierten Partei für hinreichend gerechtfertigt, zumal er die Chancen höher einschätzt als die Risiken.
Die bundesweite CSU werde es, so seine Rechnung, auf mindestens 18 bis 20 Prozent der Wählerstimmen bringen. Als Fixposten schlage dabei das bayrische Potential allein schon mit acht Prozent zu Buch.
Noch besser, kalkulieren die Parteiplaner in der Münchner Lazarettstraße, könnte die CSU abschneiden, wenn rechte Dissidenten aus der CDU-Prominenz mitmachen.
Am liebsten wäre den Christsozialen, wenn Dregger kommt. Zimmermann: »Dregger hat für die CDU geholt, was zu holen war. Keiner hätte mehr gebracht.« Stieße der Hesse zur Vierten. dann hoffen deren Promotoren gar auf 25 Prozent bei der Bundestagswahl.
Schon umwirbt Strauß den Wunschkandidaten. Am Donnerstag vergangener Woche bat der CSU-Vorsitzende Dregger zu sich in seine Münchner Wohnung. Bei einem ausgedehnten Frühstück sondierten die beiden die Zukunft.
Wie immer die auch aussehen mag -- Helmut Kohl jedenfalls hält das Strauß-Horoskop der Vierten Partei für unseriös. Seine Gegenrechnung: Eine bundesweite CSU werde keine neuen Wähler hinzugewinnen, der CDU lediglich welche wegnehmen. Es sei sogar zu befürchten, daß für beide Unions-Parteien unter dem Strich weniger übrigbleibe. da Spaltung und Streit die Wähler abschreckten.
Den CDU-Vorsitzenden drückt vor allem die Furcht, er werde seinen ganzen rechten Flügel an die Vierte Partei verlieren, weil die CDU dann stärker die Klientel der linken Mitte umwerben müsse. Einzelne rechte Christdemokraten wiederum plagt der Gedanke, die Rest-CDU könnte auf eine Koalition mit den Sozialdemokraten zusteuern.
Aus diesem Grund sprach sich etwa der Kohl-Getreue Philipp von Bismarck, Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates. im Bundesvorstand nachdrücklich gegen die Trennung aus. Und CSU-Zimmermann berichtete letzte Woche von CDU-Prominenten, »die zu uns kommen und sagen, ehe wir uns spalten, soll Kohl Bundespräsident werden und Strauß der gemeinsame Kanzlerkandidat von CDU/CSU«.
Doch Kohl will unter keinen Umständen auf seinen Posten als Kanzlerkandidat verzichten. Er hält indes auch nichts von tröstenden Einflüsterungen, bei der Sezession könne er nur gewinnen, dann könne ihm Strauß nicht mehr in seine Partei und den Vorsitz dreinreden. Kohl weiß: Ein CDU-Chef. unter dem die Einheit der Union zerbricht, hat kaum eine Überlebenschance.
Strauß hingegen hat nichts zu verlieren. Gelingt es ihm nicht, mit seiner Vierten Partei im ersten Anlauf 1980 die Regierung zu stürzen, wird er sich das Experiment dennoch als historische Tat zugute halten. Dann sei er es gewesen, der die verkrustete Parteienstruktur in der Bundesrepublik aufgebrochen habe. Sache der nachfolgenden Generation müsse es sein, daraus das Beste für die Union zu machen.
Würde der hoffnungslose Versuch aber glücken, würde die Vierte Partei den Durchbruch schaffen und gemeinsam mit der CDU die Mehrheit erreichen, wäre Strauß der große Gewinner. Der Preis: die Kanzlerschaft.