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WÄHRUNG / BANK DEUTSCHER LÄNDER Die Weiche wird gestellt

aus DER SPIEGEL 23/1956

Der Posten vor dem Palais Schaumburg in Bonn salutierte, als sich Ludwig Erhard durch das Portal ins Freie schob. Es war Freitag vorletzter Woche, kurz nach 13.30 Uhr. Mit gerötetem Gesicht, die Zigarre schon wieder im Mund, ließ sich der Bundeswirtschaftsminister in den Rücksitz seines Mercedes fallen und fuhr nach Hause in die Schleichstraße Nr. 8. Seine Haushälterin richtete schnell ein improvisiertes Mittagessen her, Spinat mit Spiegeleiern. Erhard aß mit gutem Appetit.

Obwohl es Mittag war, als sich der Minister mit seinem Kanzler aussprach, hatte es im Palais Schaumburg nichts zu essen gegeben. Die Unterhaltung zwischen Kanzler und Wirtschaftsminister war allerdings auch nicht für ein Tischgespräch geeignet: Ludwig Erhard hatte dem Kanzler zum erstenmal seinen Rücktritt angedroht - falls Konrad Adenauer sich nicht bereit erkläre, die desavouierenden Äußerungen zurückzunehmen, die er tags zuvor auf der Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie im Kölner Gürzenich über den Bundeswirtschaftsminister von sich gegeben hatte. Erst gegen Ende des Gesprächs hatte der Kanzler den Staatssekretär Globke zugezogen, und während Erhard seine Spiegeleier aß, formulierte Globke mit seinem Herrn und Meister an der verlangten Ehrenerklärung herum.

Gegen 15 Uhr fuhr Erhard in sein Ministerium. Als um 15.35 Uhr ein Gespräch aus Frankfurt für den Minister ankam, mußte Erhards Sekretärin, Fräulein Stiller, den Anrufer bitten, es später noch einmal zu versuchen. Denn auf Erhards Leitung, sprach Herr Globke. Er machte Friedensvorschläge für den Wortlaut des Kommuniques. Erhard verlangte kategorisch, daß einige Passagen in den vorbereiteten Text eingefügt werden. Globke akzeptierte.

Um 16.30 Uhr war der Minister für das Gespräch aus Frankfurt frei. Eine sonore Stimme fragte ihn durch den Draht, ob er noch im Amt sei. Erhard gluckste, das sei der Fall, und er werde auch im Amt bleiben. Auf eine weitere Frage erklärte der Minister, es habe alles gut geklappt. Der Kanzler bereite gerade eine Erklärung vor, die noch um 17 Uhr in den Rundfunknachrichten verbreitet werde.

Der Anrufer aus Frankfurt war der Mann, dessen finanzpolitische Maßnahmen die Krise um Erhard letztlich ausgelöst hatten: Der Präsident des Direktoriums der Bank deutscher Länder (BdL), Geheimer Finanzrat Dr. Wilhelm Vocke. Gegen ihn vor allem hatten sich die scharfen Ausfälle des Kanzlers auf der Industriellen-Veranstaltung im Kölner Gürzenich gerichtet, denn Vocke war der Initiator der Kreditrestriktionen, die der Zentralbankrat der Bank deutscher Länder in der dritten Maiwoche im Einverständnis mit den Ministern Erhard und Schäffer beschlossen hatte.

Vor fünfhundert Industriellen und Journalisten (die Einladung verlangte dunklen Anzug) hatte der Kanzler insbesondere die Heraufsetzung des Wechseldiskontes von 4S auf 5S Prozent als »einen schweren Schlag gegen die deutsche Konjunktur« bezeichnet. Ähnlich wie unmittelbar zuvor der Industrie-Präsident Fritz Berg.

In außergewöhnlicher Erregung distanzierte Adenauer sich von seinen Ministern: »Ich bin unbeteiligt an den Beschlüssen,

die in Frankfurt gefaßt worden sind ... und ich bin sehr betrübt darüber. Ich habe nicht die Überzeugung gewonnen, daß eine derartige Maßnahme notwendig war.« Adenauers Rede gipfelte in der Ankündigung, die Minister Erhard und Schäffer würden wegen der von ihnen befürworteten Maßnahmen der Bank deutscher Länder »Rechenschaft« geben müssen.

Die auf Verlangen Erhards am nächsten Tage über den Rundfunk verbreitete Ehrenerklärung Konrad Adenauers, in der er dem Minister Erhard sein volles Vertrauen aussprach, konnte niemanden über die tiefe Kluft hinwegtäuschen, die zwischen dem Kanzler auf der einen und der von Erhard und Schäffer unterstützten westdeutschen Notenbank auf der anderen Seite aufgerissen ist. Die Ausfälle des Bundeskanzlers im Gürzenich hatten zudem nur eine schon längst bestehende Spannung zwischen Bonn und Frankfurt offenbar werden lassen.

Was durch Adenauers taktische Fehlleistung plötzlich sichtbar wurde, war der klassische Fall einer Interessenkollision zwischen der Staatsführung und einer unabhängigen Notenbank, die ihrer gesetzlich verankerten Pflicht nachkommt, ungeachtet der Tagespolitik über die Währung zu wachen.

Ein Jahr vor den Wahlen, die bereits jetzt des greisen Kanzlers Trachten und Tun bestimmen, bietet die Wirtschaft der Bundesrepublik ein Bild glänzenden Erfolges:

- Mit 23 Millionen in Arbeit stehenden Bundesbürgern ist das seit Jahren erstrebte Ziel der Vollbeschäftigung erreicht.

- Die Produktion ist mehr als doppelt so hoch wie vor dem Kriege (Index 213 - 1936 gleich 100).

- Aus Exportüberschüssen sind Devisen im Gegenwert von 14 Milliarden Mark angesammelt, davon fast 4 1/2 Milliarden in Gold.

Der westdeutsche Wirtschaftskörper ist gesund. Trotzdem zeigen sich im Röntgenbild der aufmerksamen Frankfurter Währungsdoktoren Schatten, die auf einen Krankheitsherd hindeuten: die steigenden Preise. Seit einem Jahr sind durch Preiserhöhungen die Lebenshaltungskosten in Westdeutschland um fast vier Prozent gestiegen, die Erzeugerpreise für Agrarprodukte sogar um zwölf Prozent. Für die nüchternen Geldstrategen der Bank deutscher Länder bedeutet das eine Entwertung der Deutschen Mark, die immerhin schon den Jahreszins eines Sparkontos schluckt.

Die Notenbank hatte bereits im vergangenen Jahr die Wirtschaft und die Bundesregierung mehrfach gewarnt. Als die Preissteigerungen und die hektische Überkonjunktur einiger Branchen dennoch nicht nachließen, stoppten die Währungshüter schließlich am 18. Mai den Kreditstrom für die deutsche Wirtschaft so abrupt, wie sie es in der Vergangenheit nur einmal, nach Ausbruch des Korea-Krieges, getan hatten.

Auch damals hatte der Zentralbankrat gegen den erklärten Wunsch und Willen des Kanzlers gehandelt. Schon damals hatte es Konrad Adenauer verblüfft, wie die Leitung der Notenbank ihre Entschlüsse faßt.

Die monatlichen Lageberichte der Bank deutscher Länder, in denen seit gut einem halben Jahr immer wieder vor der Übersteigerung der Konjunktur gewarnt wurde, dünkten den Kanzler planmäßig abgeschossene Torpedos, die sich gegen den Wohlstand und damit gegen das innenpolitische Fundament seiner Macht richteten.

In der Tat warnten die Währungshüter aus Sorge um die Stabilität der Mark vor den riesigen Ausgaben für die geplante Sozialreform, sie geißelten die Steuerwünsche des sogenannten Kuchen-Ausschusses der CDU/CSU, und sie deuteten an, daß insbesondere des Kanzlers Zugeständnisse an die Landwirtschaft Musterbeispiele für ein Nachgeben gegenüber Interessengruppen seien, das Schule machen und für die Währung gefährlich werden könne*. Adenauer dagegen nannte lange Wochen hindurch jegliche Warnung »das dumme Gerede von der überhitzten Konjunktur«.

Als Notenbankpräsident Vocke im Verlauf des zunächst rhetorischen Duells in einer Rede vor dem Hamburger Übersee-Club den Politikern zurief: »Zerrüttet nur die Währung, und Ihr werdet sehen, was aus Euren Zielen und Idealen wird«, entlud sich der Zorn des Kanzlers direkt über Vockes silbergrauem Haupt. Konrad Adenauer erklärte öffentlich, es sei - von allem übrigen abgesehen - schon unverantwortlich, in einer solchen Rede sechsundzwanzigmal das Wort »Inflation« zu gebrauchen.

Präsident Vocke und seine Mitarbeiter erheiterten sich darauf an der Vorstellung, wie der Bundeskanzler Vockes Rede mit einem Rotstift zensiert. Jedesmal wenn er, Vocke, etwa gesagt habe, in der Bundesrepublik gebe es Gott sei Dank keine Inflation, oder wenn er betont habe, am Beispiel der Inflation der zwanziger Jahre habe man gelernt, sei offenbar wieder ein Kanzler-Strich in seinem Manuskript fällig gewesen Vocke ließ sich die Rede noch

einmal vorlegen und zählte die »Inflationen« nach. Selbst wenn er Adjektive wie »inflatorisch« und ähnliches einbezog, kam er nur auf die Zahl von einundzwanzig.

In dem klassizistischen Steinkasten an der Frankfurter Taunus-Anlage, der die Bank deutscher Länder beherbergt, verursacht ein Zornesausbruch des Kanzlers auch nicht annähernd ähnlichen Schrecken, wie etwa in den Ministerien der Residenz am Rhein. Die Bank deutscher Länder ist von Bonn und dem Kanzler unabhängig.

Diesen Grundsatz hatten bereits die Alliierten in ihren Verordnungen festgelegt, als sie während der Vorbereitungen der Währungsreform die BdL aus der Taufe hoben. Selbst das Übergangsgesetz vom 10. August 1951, das die Oberaufsicht der Militärgouverneure beseitigte, sanktionierte diese Unabhängigkeit der Notenbank von allen deutschen Ämtern und Behörden außer den Gerichten. Es sah lediglich vor: »Die Bank deutscher Länder ist verpflichtet, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu beachten und im Rahmen ihrer Aufgaben zu unterstützen.« Ein Weisungsrecht Bonns gegenüber Frankfurt hat es nie gegeben.

Die Notenbank in Frankfurt trat 1948 an die Stelle der alten Reichsbank. Ihre Aufgabe ist es, in Westdeutschland den Umlauf der Zahlungsmittel zu regulieren, die Geldeinlagen des Bundes zu verwalten, die für Ex- und Importe benötigten Devisen bereitzustellen und alle zur Sicherung der Währung nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Sie allein läßt die westdeutschen Münzen prägen und gibt die Banknoten aus. Jeder Geldschein trägt Geheimrat Vockes Unterschrift. Unter seiner Leitung arbeiten 2000 Angestellte.

Vockes Bank steht an der Spitze eines zweistufigen Systems. Sie ist Dachgesellschaft von neun Landeszentralbanken in den -einzelnen Bundesländern. Die Präsidenten dieser Landeszentralbanken, die jeweils von den Ministerpräsidenten der Bundesländer ernannt werden, bilden zusammen den Zentralbankrat, dem der frühere Ministerialrat im Wirtschaftsministerium Berlin, Dr. Karl Bernard, vorsitzt. Betrachtet man den Zentralbankrat als

Währungsparlament, so ist Vockes BdL die Regierung. Über ihre Landeszentralbanken hält sie die rund 3600 Geldinstitute der Bundesrepublik am Zügel.

Die Notenbank arbeitet wie ein Pumpwerk. Durch die verschiedensten Arten von Krediten pumpt (leiht) das Zentralbanksystem den Geschäftsbanken und jede Geschäftsbank wiederum der Wirtschaft Geld, um die Geschäfte anzukurbeln. Andererseits funktioniert die Pumpe auch derart, daß sie auf dem gleichen Wege Geld aus der Wirtschaft heraussaugt, wenn der Geldumlauf zu groß geworden ist und zu Preissteigerungen führt. Die großen Banken sind verpflichtet, Geheimrat Vocke allwöchentlich zu berichten, wieviel Geld in ihren Kassen ist und welche Kreditsummen sie an ihre Kundschaft ausgeliehen haben. An Hand dieser Wochenberichte kann die Leitung des Frankfurter Pumpwerkes jederzeit den Wasserstand des umlaufenden Geldstromes ablesen und je nach Bedarf die Schleusen öffnen oder schließen.

Zum Geldumlauf zählen mithin nicht nur die Banknoten und Münzen, sondern auch die Bankkredite, das sogenannte Buchgeld. Dieses Buchgeld hat am gesamten Geldumlauf sogar den größeren Anteil: Vom gesamten Geldvolumen der Bundesrepublik in Höhe von gegenwärtig 73 Milliarden Mark existieren tatsächlich nur 14 Milliarden in Gestalt von Geldscheinen und Münzen*, der größere Rest besteht aus Buchgeld.

Aber auch die Buchforderungen und Buchguthaben wirken in der Wirtschaft wie Bargeld. Gewährt etwa eine Geschäftsbank einem Fabrikanten eine halbe Million Mark Kredit, kauft der Fabrikant dafür neue Maschinen und zahlt mit einem Scheck, so ist kaufkräftiges Geld geschaffen, ohne daß eine Note oder Münze den Besitzer gewechselt hat.

Bei steigender westdeutscher Produktion war die Vermehrung des Umlaufs der direkten Zahlungsmittel (Banknoten und Münzen) nicht nur ungefährlich, sondern für die Abwicklung des Geldverkehrs zwingend notwendig. Die durch den Paragraphen 5 des Währungsgesetzes festgelegte Notenumlaufsgrenze ist darum nach Ausgabe der 40-Mark-Kopfquote und der Erstausstattung der Betriebe im Jahre 1948 mehrfach erhöht worden:

- 1952 auf 11 Milliarden Mark,

- 1953 auf 12 Milliarden Mark,

- 1954 auf 13 Milliarden Mark,

- 1955 auf 14 Milliarden Mark und

- am 14.1.1956 auf 15 Milliarden Mark.

Entscheidend ist nun, daß das gesamte Geldvolumen wertmäßig stets ungefähr der vorhandenen Warenmenge entspricht. Läuft nämlich mehr Geld um, als Ware vorhanden ist, so steigen nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage die Preise. Läuft zu wenig Geld um, so kann es geschehen, daß der Wirtschaftskreislauf stockt, daß Betriebe schließen und Arbeiter entlassen werden müssen. Zwischen diesen beiden Klippen einherzusegeln und das Geld stabil zu halten, ist seit der Währungsreform die Aufgabe der Notenbank in Frankfurt.

Wilhelm Vockes Kollegen in der internationalen Finanzwelt, die er aus seiner Zeit als Mitglied des Direktoriums der Reichsbank kannte, beglückwünschten ihn nicht, als er 1948 seine Aufgabe übernahm. Der neuen Deutschen Mark gab niemand eine Chance. Als Vocke nach seiner Ernennung zum BdL-Präsidenten in Lenden alte Freunde bei der Bank von England besuchte, erklärten sie ihm mitleidig länger als ein halbes Jahr werde er die neue Währung wohl kaum halten können. Selbst der alte Finanzzauberer Schacht, der Vocke in Frankfurt besuchte, bezweifelte die Chancen der neuen Mark.

In New York traf Vocke auf einer Tagung den Präsidenten des Weltwährungsfonds, den belgischen Bankier Gutt, wieder. Der fragte ihn. wieviel Gold er denn bereits in der Bank habe. Als Vocke ihm erklärte: »Nichts«, meinte Gutt mit seiner Fistelstimme: »Ach, Herr Vorke, dann ist Ihre D-Mark aber bald kaputt.«

Um das zu verhindern, bediente sich Wilhelm Vocke in den vergangenen acht Jahren immer wieder der Instrumente klassischer Notenbankpolitik. Für den heute siebzigjährigen Bankier, der unter Finanzpräsident Luther schon im Jahre 1923 an der Stabilisierung der Rentenmark mitarbeitete und mit 33 Jahren jüngstes Mitglied des Direktoriums der Reichsbank wurde, sind diese Instrumente vertrautes Handwerkszeug:

- Die Mindestreserven-Politik: Die Notenbank kann allen Geldinstituten der Bundesrepublik vorschreiben, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einlagen bei den Landeszentralbanken als Reserve zu halten. Je nachdem, ob dieser Prozentsatz erhöht oder ermäßigt wird, schrumpfen oder vergrößern sich die

Kreditausleihungen der Banken an ihre Kunden in der Wirtschaft.

- Die Diskont-Politik: Die Notenbank

setzt den Diskont, also den Zinssatz für Wechselkredite, fest. Nimmt die Kreditschöpfung der Geschäftsbanken durch Wechsel überhand, so kann die Notenbank mit einer Heraufsetzung des Diskonts den Wechselkredit verteuern und eine preistreibende Nachfrage abbremsen.

- Die Offen-Markt-Politik: Läuft zuviel

Geld um und treibt die Preise hoch, so verkauft die Bank deutscher Länder zinsgünstige Wertpapiere an die Geschäftsbanken und saugt dadurch beträchtliche Summen aus dem Geldkreislauf. Umgekehrt kauft sie bei Geldknappheit die Papiere zurück und pumpt so wieder Geld in die Wirtschaft hinein.

Alle diese Maßnahmen sind Teile in dem Pump-Mechanismus der Notenbank. Durch sie können Beträge bis zu drei, vier oder sogar sechs Milliarden Mark stillgelegt oder aber mobilisiert werden.

Als das westdeutsche Währungsschiff an der Kaufpanik nach Ausbruch des Korea-Krieges zu scheitern drohte, kommandierte die Notenbank alle Mann an die Pumpen. Den Befehl führte nicht der Bundeskanzler, nicht der Wirtschafts- und nicht der Finanzminister, sondern Wilhelm Vocke mit dem Zentralbankrat.

Am 1. Oktober 1950 befahl er die Erhöhung der Mindestreserven um 50 Prozent. Außerdem wurde kurz darauf der für die Wirtschaft wichtigste tägliche Kredit, der Kredit auf Wechsel, radikal beschnitten. Die Banken erhielten Anweisung, nicht mehr Bargeld gegen Wechsel auszuzahlen, als ihre Geldausleihungen auf Wechsel am 12. Oktober betragen hatten. In Frankfurt bestimmt nicht der Kanzler Bundeskanzler Konrad Adenauer nahm an der Sitzung des Zentralbankrats, in der diese Maßnahmen beschlossen wurden, teil

- als Gast, denn ein Stimmrecht besitzt die

Regierung nicht. Der Kanzler wandte sich in Frankfurt heftig gegen die vorgeschlagene radikale Heraufsetzung des Diskonts von vier auf sechs Prozent. Ihm klangen die Klagen der Wirtschaft über eine solche geplante Kreditverteuerung im Ohr. Außerdem, so meinte er, werde durch eine so starke Kreditdrosselung der zügige Wirtschaftsaufbau unterbrochen und innenpolitische Unruhe erzeugt.

Der Souverän des Palais Schaumburg mußte an diesem Tage zum ersten Male erkennen, daß er gegen den Frankfurter Souverän der Währung keinerlei Druckmittel besitzt. Der Zentralbankrat beschloß die Erhöhung des Diskonts auf sechs Prozent. Später erwies sich diese gegen den Willen des Kanzlers getroffene Entscheidung als ein Segen für die westdeutsche Wirtschaft. Die Bundesrepublik überstand dank der Restriktionen die Korea-Preishausse wesentlich besser als andere westliche Länder und konnte sich dadurch für den Export bleibende Preisvorteile sichern.

Wilhelm Vocke und der Zentralbankrat haben auch in der Folgezeit aus den verschiedensten Anlässen und in mannigfachen Situationen ihr Währungs-Instrumentarium souverän gebraucht. War für die Wirtschaftsbelebung und den Aufbau der Zufluß neuen Geldes erwünscht, so öffneten sie die Diskont-Ventile. Empfahl sich wegen Nachfrage-Übersteigerungen, wegen zu großer Importe oder aus ähnlichen Gründen eine Drosselung des Geldstromes, so saugten die Pumpen der BdL Geld in Vockes Hauptquartier zurück (siehe Graphik Seite 18).

Beharrlich jedoch versuchte der Kanzler, die vermeintliche Selbstherrlichkeit der Notenbankiers zu unterminieren. Da seine innenpolitisch begründeten Bedenken oder Anregungen in Frankfurt kühl aufgenommen wurden und da auch einige seiner Fachminister, etwa der Ernährungsminister und der Wohnungsbauminister, ihm häufig von ablehnenden Bescheiden der BdL auf ihre Geldwünsche berichteten, setzte Adenauer seine Juristen an.

Die Gesetzentwürfe, die der Kanzler von seinem Finanzminister vorlegen ließ, sollten unverkennbar den Einfluß der Regierung auf die Notenbank stärken. In den ersten Vorschlägen wurde noch offen gefordert, die Bundesregierung selbst müsse die Mehrzahl der Mitglieder des BdL -Direktoriums und des Zentralbankrats ernennen. Als die Absicht, auf diese Weise der Regierung genehme Männer in die BdL zu bringen, in der Öffentlichkeit heftig kritisiert wurde, versuchte Bonn, auf Umwegen das gleiche Ziel zu erreichen. Etwa dadurch, daß in Streitfällen die Stimme des von der Regierung eingesetzten BdL-Präsidenten doppelt zählen solle.

Wie sehr diese Attacken auch darauf gerichtet waren, den unbequemen Präsidenten Vocke aus dem Amt zu drängen, beweist ein Gesetz-Entwurf, der unter anderem das Höchstalter der BdL-Präsidenten auf 65 Jahre festsetzen sollte. Als der heute siebzigjährige Geheimrat Vocke den Minister Schäffer auf diesen Entwurf ansprach, erklärte Schäffer, wie Vocke später berichtete, verlegen und wenig glaubhaft: »Jo mei, Herr Vocke, dös trifft doch net auf Sie zu.«

Als die westdeutsche Aufrüstung näher rückte, versuchte Schäffer im Auftrag des Kanzlers, der Notenbank eines ihrer vielseitigsten Mittel, die Offen-Markt-Politik, aus der Hand zu nehmen. Für ihre Offen-Markt-Operationen hat die BdL das Recht,

bis zu zwei Milliarden ihrer aus der Währungsreform herrührenden Ausgleichsforderungen gegen den Bund in Geldmarktpapiere des Bundes (z.B. Bundesschatzanweisungen) umzutauschen. Sobald sie Geld aus dem Verkehr ziehen will, kann sie diese Geldmarktpapiere zu attraktiven Zinssätzen an die Banken abgeben, sobald sie der Wirtschaft zusätzliches Geld zuführen will, die Papiere wieder zurückkaufen.

Mit der deutlich erkennbaren Absicht, sich in späteren Rüstungstagen jederzeit größere Summen beschaffen zu können, bestand nun Schäffer darauf, das für verkaufte Bundespapiere bei der BdL eingegangene Geld für sich in Anspruch zu nehmen. Damit wäre die Offen-Markt-Politik illusorisch geworden. Denn wenn Schäffer das von der BdL abgesaugte Geld in seine Kassen fließen lassen und eigenmächtig wieder für Staatsausgaben verwenden kann, strömen die Beträge doch in den Wirtschaftsprozeß zurück. Es bedurfte langer Auseinandersetzungen zwischen Frankfurt und Bonn, um diese Absicht zu vereiteln.

Nach Abflauen der Korea-Psychose hatte die Notenbank die Kreditzügel nach und nach gelockert. Mitte vergangenen Jahres aber begann sie, die Kreditbremse wieder anzuziehen. Am 3. August 1955 quittierte sie die verstärkten Preissteigerungen mit einer Heraufsetzung des bis auf drei Prozent herabgedrückten Diskontsatzes auf dreieinhalb Prozent Auch die nach Abklingen der Korea-Psychose ermäßigten Mindestreservesätze wurden anschließend erhöht.

Diese Maßnahmen sollten eine Warnung sein: »Es war in der Tat die Absicht der Bank«, hieß es im Jahresbericht der BdL, »zu bekunden, daß ihrer Meinung nach die Konjunktur in ein kritisches Stadium getreten sei, in dem nur Maßhalten in der weiteren Expansion ein Abgleiten der Hochkonjunktur und der Vollbeschäftigung in gefährliche Bahnen verhindern könne.«

Diese warnende Kreditverteuerung konnte allerdings den Elan der Wirtschaft kaum bremsen. Mit Sorge registrierten die Notenbankiers in Frankfurt überdies, daß in Bonn erneut über gezielte Steuererleichterungen aller Art und über Ausgabe-Erhöhungen zugunsten der Landwirtschaft, der Rentner und anderer Interessengruppen diskutiert wurde. Die BdL schätzte allein die vorgeschlagenen Ausgabenerhöhungen auf vier bis fünf Milliarden Mark, die Steuersenkung nicht gerechnet. Im Februar-Monatsbericht dieses Jahres hieß es deshalb, die Bewilligung solcher Forderungen müßte »zu einer finanzpolitischen Entwicklung führen, die für die Währung schwere Gefahren heraufbeschwört«. Es war nicht schwer zu prophezeien, daß die BdL auf diese Entwicklung mit einer Diskonterhöhung reagieren würde.

Vocke zum Rapport

Am 22. Februar standen die Minister Schäffer und Erhard auf dem zugigen Bahnsteig 2 des Bonner Bahnhofs. Sie wollten nach Frankfurt, um im Auftrage des Bundeskanzlers an der dort anberaumten Zentralbankrats-Sitzung teilzunehmen. Ein Kabinettsbeschluß hatte sie verpflichtet, eine erneute Diskont-Erhöhung unter allen Umständen zu verhindern.

Da nun aber an diesem Tage infolge der heftigen Kältewelle die Züge nach Frankfurt nur mit mehreren Stunden Verspätung verkehrten, saßen die beiden Emissäre des Kabinetts im, Eis der Bundeshauptstadt fest. Sie konnten ihren Einspruch gegen die Diskonterhöhung nur noch schriftlich nach Frankfurt abgehen lassen.

Als die nächste Zentralbankrats-Sitzung stattfand, am 7. März, hatte zwar der Frühling das Eis auf den Bundesbahnschienen gebrochen, an dem Gegensatz zwischen Bundesregierung und Notenbank aber hatte sich nichts geändert. Als die Sitzung beendet war, meldeten die Fernschreiber, der Zentralbankrat habe den

Wechseldiskont um ein ganzes Prozent auf viereinhalb Prozent erhöht.

Im Auftrage des Kanzlers hatten die beiden Minister vergeblich dagegen protestiert, daß diese Entscheidung sofort bekanntgegeben wurde. Sie beriefen sich dabei auf eine Bestimmung des Notenbankgesetzes, nach der von der Bundesregierung angefochtene Beschlüsse mindestens acht Tage lang- aufgeschoben werden müssen und erst dann verkündet werden können. Bernard und Vocke sagten den beiden Ministern jedoch kühl, man habe den Beschluß, den Diskont zu erhöhen, bereits in der Sitzung am 22. Februar gefaßt, an der teilzunehmen den beiden Herren leider nicht möglich gewesen sei. Die Aufschubfrist sei deshalb inzwischen bereits verstrichen.

Erzürnt ob dieser neuen Eigenmächtigkeit der Notenbankiers ließ Kanzler Adenauer die Präsidenten Vocke und Bernard ins Palais Schaumburg bitten. Die Atmosphäre dieses Treffens, das von der Presse als »Rapport Vockes« gewertet wurde, war genauso eisig wie drei Wochen zuvor die Luft auf dem Bonner Bahnsteig 2. Adenauer erklärte frostig, er wolle die Diskontentscheidung als gegebene Tatsache hinnehmen, schlage aber doch dringend vor, daß man sich künftig öfter über die Währungspolitik unterhalten müsse. Vocke erwiderte, er komme gern jeden Tag nach Bonn, sofern er eingeladen werde.

In einem lendenlahmen Kommuniqué wurde versucht, die Aussprache als einen Erfolg darzustellen. Die Meinungsverschiedenheiten jedoch wurden in der fünfstündigen Unterredung keineswegs ausgeräumt. Im Gegenteil, was die Frage der achttägigen Aufschubfrist betreffe, so ließ die Bundesregierung Vocke und Bernard wissen, werde sie die Rechtslage von ihren Juristen prüfen lassen und ihren Rechtsstandpunkt in Kürze nach Frankfurt übermitteln.

Während solcher Scharmützel nahm nun die Kreditnachfrage in der Bundesrepublik weiter zu, wenn auch nicht mehr so

zügig. Vocke mußte mit ansehen, wie viele Geschäftsbanken seine Notenbankpolitik teilweise geradezu sabotierten.

Mehrere Male stellte der Notenbankpräsident Bankiers, die ihn im ersten Stock seines Frankfurter Verwaltungsgebäudes besuchten, die Gewissensfrage, wie sie sich denn jetzt in der Praxis verhielten, wenn etwa eine große Firma käme und 25 Millionen Mark Kredit verlange. Vocke ersparte den sich meist verlegen gebärdenden Geldmännern die Antwort. Er gab sie selbst: »Natürlich geben Sie den Leuten das Geld. Weil Sie genau wissen, wenn Sie es nicht tun, macht es eine andere Bank.«

Schäffers hohe Besteuerungssätze haben es den Firmen unmöglich gemacht, für ihr wachsendes Geschäftsvolumen ausreichendes Eigenkapital anzusammeln. Viele Unternehmen ergänzten deshalb ihr unzulängliches Gesellschaftskapital, indem sie - meist kurzfristige - Kredite aufnahmen. Nachweislich hat sich in den vergangenen Jahren das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital dadurch sehr verschlechtert. In ihrem Jahresbericht konstatierte auch die BdL: »Die Wirtschaft holte gewissermaßen als Kredit wieder herein, was ihr der Staat in Form von Steuern nahm.'

Weil die scharfe Besteuerung von den Gewinnen nur einen Bruchteil übrigließ, der zur Stärkung des eigenen Kapitals hätte verwendet werden können, nutzten die Betriebe jede Möglichkeit, den steuerpflichtigen Gewinn niedrig zu halten. Einen besonderen Anreiz dazu bildete überdies die Möglichkeit der sogenannten degressiven Abschreibung, die ursprünglich den Unternehmen die Möglichkeit geben sollte, die im Kriege zerstörten Fabriken und Produktionsanlagen möglichst schnell wiederaufzubauen. Die degressive Methode gestattet beispielsweise, von einer Maschine im Wert von 50 000 Mark bereits binnen zwei Jahren fast 50 Prozent des Anschaffungspreises vom steuerpflichtigen Gewinn abzusetzen. Schäffers verfehlte Steuerpolitik goß mithin auf zweierlei Weise Öl in das Feuer der Konjunktur: Sie forcierte die Kreditnachfrage und die Investitionen.

Durch die Härten, die seine Kreditrestriktion für viele Unternehmer mit sich

brachte, kam Vocke bald in den Ruf, er sei ein sturer »Deflationist«. Er selbst begründet die gegenwärtigen Gefahren für die Währung psychologisch, mit dem verderblichen Drang nach Expansion um jeden Preis, mit der Tendenz, alles auf einmal zu wollen: riesige Investitionen, Sozialreformen, Lohnsteigerungen, Mittelstandsförderung und obendrein noch die Rüstung. Kabinettsbeschlüsse wie die Rentenreform - mit der Koppelung der Renten an den Einkommensindex -, die den Schluß zulassen, die Regierung habe sich mit einer schleichenden Geldentwertung als Folge der beginnenden Aufrüstung abgefunden (SPIEGEL 13/1956), mußten zwangsläufig Feindschaft in Frankfurt hervorrufen.

Geheimrat Vocke, ein nüchterner, distinguierter Herr, wird geradezu leidenschaftlich, wenn er über den seiner Ansieht nach heute weit verbreiteten Glauben spricht, man könne gar nichts Besseres tun als sich verschulden. Diesem Glauben, so weil Vocke, liege die verderbliche Einstellung zugrunde, die Bankzinsen für eine neue Maschine, für einen neuen Fabrikanbau würden von den »ja sowieso kommenden Preiserhöhungen« für die mit den neuen Maschinen und in den neuen Fabriken erzeugten Waren getragen Spekulationen dieser Art auf den Anstieg der Preise und damit auf die Aushöhlung der D-Mark will der Notenbankpräsident durch eine straffe Kreditpolitik gründlich versalzen.

Vocke meint, vielen Leuten sei das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder offenbar zu Kopf gestiegen. Auswendig zitiert er aus den Bilanzen großer und kleinerer Industriegesellschaften die für aufgeblasene Neu-Investitionen ausgeworfenen Summen. Auch Vocke muß das Argument gelten lassen, daß für die Befriedigung der wachsenden Kaufkraft investiert und produziert werden muß, um eine gesunde Konsumausweitung zu ermöglichen und dem durch Lohn- und Gehaltserhöhungen verbreiterten Geldstrom ein ausreichendes Warenangebot gegenüberzustellen. Als kurzsichtigen Unfug

jedoch bezeichnet er es, wenn man, wie jetzt in der Bundesrepublik, alle Investitionen sofort wolle. Denn: »Ehe sie die Früchte dieser Neu-Investitionen in Gestalt eines erhöhten Warenangebotes ernten würden, wäre die Währung bereits zerrüttet.«

Die Notenbank ist in der Tat überzeugt, daß die großzügigen Investitionen, also der Aufbau neuer Produktionseinrichtungen, mehr noch als der gleichfalls stark gewachsene Konsum der Bevölkerung Ursache der Preissteigerungen sind. Ihr letzter Jahresbericht spricht geradezu von einem Investitions-Boom. Es seien im Jahre 1955 38,1 Milliarden Mark (1954: 30,6 Milliarden), das sind mehr als 23 Prozent des Brutto-Sozialproduktes, für Produktions-Anlagen investiert worden.

Da nun aber in Westdeutschland mittlerweile kaum noch mobilisierbare Produktionsreserven, insbesondere Arbeitskräfte, zur Verfügung stehen, habe »der Markt mehr verlangt, als ihm selbst bei

weitgehendem Einsatz der verfügbaren Produktionsfaktoren angeboten werden konnte. Unter diesen Umständen war es begreiflich, daß es zu Preissteigerungen kam.«

Dies war die Situation Mitte des vergangenen Monats, als selbst dem Bundeskanzler inmitten seiner Regierungsgeschäfte auffiel, wie sehr »die Bevölkerung von einer Unruhe ergriffen« ist:

Die Preise, besonders die Lebensmittelpreise, zeigten steigende Tendenz, der Zuwachs der Spareinlagen - das sicherste Barometer für das Vertrauen in die Währung - stagnierte zum ersten Mal seit langer Zeit. Statt dessen stieg der Umsatz echter Goldmünzen an den Bankschaltern. Die Gewerkschaften meldeten neue Lohnforderungen an. Das Bonner Parlament diskutierte unterdessen über seine Wahlgeschenke.

Kostete eine Verwirklichung der Vorschläge des CDU-Kuchenausschusses rund fünf Milliarden Mark, so boten die Sozialdemokraten den Wählern noch mehr. Einschließlich der Beseitigung des Notopfers Berlin, der Herabsetzung zahlreicher Verbrauchsteuern und völliger Steuerfreiheit für 2,5 Millionen Bundesbürger würde eine Realisierung ihrer Vorschläge etwa 6,8 Millarden Mark kosten.

Im Bonner Kabinett aber duckten sich die Fachminister unter den Intentionen des Kanzlers. Ein Kabinettsmitglied bezeichnete die Atmosphäre im Kabinett als für wirtschaftspolitische Entschlüsse denkbar ungeeignet. Sobald auch nur zwei Minister sich zu gemeinsamem Handeln anschickten, habe der Kanzler »reagiert wie auf ein Komplott«.

Notenbankpräsident Vocke hatte Konrad Adenauer nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub in Ascona in einem Brandbrief noch einmal seine Besorgnisse geschildert. Dr. Adenauer versprach in seiner Antwort, er werde Vockes Anregungen beachten. Als die Bundesregierung trotzdem das Ruder der Wirtschaftspolitik nicht ergriff, ging Vocke auf die Brücke. Er gewann schließlich auch den Wirtschaftsminister und den Finanzminister für seinen Kurs, denn beide konnten ihm keine Auskunft darüber geben, wann und welche Beschlüsse die Bundesregierung fassen werde, um die prekär werdende Konjunkturlage zu stabilisieren.

Ohrfeige für die Konjunktur

Als im Frühjahr die Bausaison begann, bot Westdeutschlands Wirtschaft das Bild einer kraftstrotzenden, überschäumenden Hochkonjunktur. Viele Unternehmen zahlten für das vergangene Geschäftsjahr erstmals seit dem Kriege Dividenden von zwölf Prozent. Ein Viertel des Volkseinkommens wurde schleunigst wieder in neue Maschinen und Gebäude investiert; dazu bestimmt, die Gaben aus dem Wirtschaftswunderhorn bald zu verdoppeln und zu verdreifachen. Um rotznäsige Schulabgänger wurden erbitterte Gefechte ausgetragen. Mangels anderer Arbeitskräfte setzte eine Hamburger Werft zum erstenmal seit dem Kriege nach sowjetischer Manier Frauen als Schweißer ein.

In diesem Taumel wirkte die Maßnahme der Frankfurter Notenbank wie eine ernüchternde Ohrfeige.

Am 18. Mai beschloß der Zentralbankrat, durch das Pumpwerk der BdL einen kräftigen Schuß Liquidität aus dem Geldkreislauf abzusaugen. Schäffer und Erhard hatten die Hand mit an der Pumpe. Ausdrücklich und des Kanzlerzornes gewiß stimmten sie den einzelnen Maßnahmen der Notenbank zu:

- Der Diskontsatz der Landeszentralbanken wurde von 4 1/2 auf 5 1/2 Prozent erhöht.

- Der Lombardsatz, das heißt der Zinssatz für Kredite gegen Hinterlegung von Wertpapieren oder Sachwerten, wurde von 5 1/2 auf 6 1/2 Prozent heraufgesetzt.

- Der Umfang der Wechselkredite wurde

stark eingeschränkt, was auf folgende Art erreicht wurde: Jede Geschäftsbank darf nur bis zu einem bestimmten Gesamtbetrag Wechsel ihrer Kunden bei der Landeszentralbank hinterlegen und dafür bares Geld empfangen (Rediskontieren). Bis zum 18. Mai waren, um den Export zu fördern, alle Exportwechsel nicht auf dieses Kontingent angerechnet worden. Diese Vergünstigung wurde aufgehoben, und mit der Einbeziehung von Exportwechseln in das Kontingent verringerte sich zwangsläufig

der gesamte zulässige Wechselkredit der Banken erheblich.

Das war für die Wirtschaft ein schmerzhafter Schlag. Viele Kaufleute und Bankiers hatten noch im April gehofft, die BdL werde durch ein Herabsetzen der Bankmindestreserven der Wirtschaft eine neue Geldspritze geben. Statt dessen geschah genau das Gegenteil. Der für kurzfristige Finanzierungen wichtigste Kredit überhaupt, der Wechselkredit, wurde abermals beschnitten.

Der Handelswechsel über drei Monate Laufzeit ist das Rückgrat des Geschäftsverkehrs in Westdeutschland*. Mit ihm bezahlt der Gastwirt seine Bierrechnung, der Schuster sein Leder und der Fabrikant seine Rohstoffe. Mit der Unterschrift des

Wechsels verspricht der Schuldner, die vermerkte Summe nach spätestens drei Monaten in bar demjenigen zu bezahlen, der den Wechsel gerade besitzt. Nach drei Monaten nämlich hat er üblicherweise die aus dem eingekauften Rohstoff angefertigten Waren verkauft und wieder Bargeld eingenommen. Täglich werden im Bundesgebiet Rechnungen über Hunderte von Millionen Mark auf diese Weise bezahlt.

Weil nun der mit einem Wechselpapier bezahlte Lieferant in der Regel wiederum selbst Geld braucht, reicht er den Wechsel seiner Geschäftsbank ein. Diese gibt ihm dafür bares Geld, zieht allerdings für die drei Monate, die es dauert, bis der Schuldner die Wechselsumme bezahlt, die Zinsen ab. Und dieser von der Wechselsumme vorweg abgezogene Zins heißt Diskont. Auch die Geschäftsbank verfügt nun nicht über unbegrenzte Mittel. Sie gibt deshalb die von ihrer Kundschaft eingereichten Wechsel täglich bündelweise an die Landeszentralbanken Wilhelm Vockes, die nun

ihrerseits den Geschäftsbanken Geld für die Wechselpapiere auszahlen. Wiederum unter Abzug des Diskonts für die neunzig Tage Laufzeit*.

Dieser Diskont der Landeszentralbanken ist gemeint, wenn die BdL neue Diskontsätze festsetzt. Weil die Geschäftsbanken auch am Wechselgeschäft verdienen wollen, liegt ihr Diskontsatz für die Kundschaft durchschnittlich um ein Prozent über dem Landeszentralbank-Diskont. Seit dem 19. Mai ist deshalb der Wechselkredit für Zehntausende von westdeutschen Kaufleuten auf Sätze von 6 1/2 bis 7 1/2 Prozent gestiegen. Diese Verteuerung geht praktisch zu Lasten der Gewinnspanne. Die Kaufleute müssen - und das ist die beabsichtigte konjunkturdämpfende Wirkung - jetzt schärfer überlegen, ob das eine oder andere Geschäft überhaupt noch tragbar ist, oder ob es nicht besser unterbleibt.

Nicht zuletzt richten sich die Restriktionen der BdL auch gegen die Übernachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Eine Abschwächung der Konjunktur wäre geeignet, den Run auf Arbeitskräfte zu verlangsamen und unvernünftigen Lohnforderungen der Gewerkschaften den Boden zu entziehen.

Baupläne werden zerrissen

Darüber hinaus ist der Diskont Maßstab für zahlreiche andere Kredit-Arten. Durch seine Erhöhung im Mai stieg automatisch der Kredit in laufender Rechnung (Kontokorrent-Kredit) für Bankkunden auf neun, zehn Prozent. Wer sein Konto jetzt noch überzieht, muß also die Summe, mit der er in der Kreide steht, mit zehn Prozent verzinsen. Desgleichen erhöhten sich die Zinssätze, die Einzelhandelsgeschäfte zur Finanzierung der Ratenkäufe ihrer Kunden an Teilzahlungs-Kreditbanken entrichten. Beim Teilzahlungskauf von Automobilen ist beispielsweise der Jahreszinssatz auf effektiv 16 Prozent gestiegen. Selbst für einen auf Teilzahlung erworbenen Kühlschrank im Werte von fünfhundert Mark müssen statt bisher fünfzig künftig sechzig Mark Zinsen bezahlt werden.

Das »Fallbeil« fuhr besonders scharf auf die Exporteure nieder. Sie hatten ihre Auslandswechsel bisher zu den recht billigen ausländischen Diskontsätzen verzinsen können. Jetzt sind auch sie auf den hohen Zinssatz des binnendeutschen Diskonts festgelegt. Das bedeutet, daß sie den deutschen Satz von 5 1/2 Prozent, statt etwa Diskontsätze von 1 1/2 Prozent in der Schweiz, 2 3/4 Prozent in den USA und 3 Prozent in Holland, Belgien, Frankreich und Kanada bezahlen müssen.

Offenbar glaubt die BdL, bei einem Devisenpolster von 14 Milliarden Mark könne die Ausfuhr einen leichten Dämpfer vertragen - um so mehr, als auch durch die Pflicht der Notenbank, den Exporteuren ihre verdienten Devisen in Deutsche Mark umzutauschen, der Geldumlauf im Inland angeschwollen ist.

Erfreuliche Auswirkungen brachte die Diskontheraufsetzung nur für den Sparer. Da nämlich jetzt alles Geld teurer geworden ist, sollen die Zinssätze für Sparkonten demnächst gleichfalls erhöht werden.

Besonders einschneidend dagegen wirken die Maßnahmen der BdL auf dem Baumarkt. Es wird den Bauherren sehr viel schwerer werden als bisher, Baugeld in Form der ersten Hypothek zu beschaffen. Denn die Verteuerung des Geldes hält jetzt viele Geldgeber davon ab, Pfandbriefe mit

einem Zinsertrag von nur sechs Prozent zu kaufen, und in der jüngsten Zeit ist der Absatz dieser Wertpapiere stark zurückgegangen. Den Bargelderlös aus dem Verkauf der Pfandbriefe benutzen nun aber die Pfandbrief-Banken (Hypotheken-Banken) dazu, Hypotheken-Gelder für Neubauten auszuleihen. Ein Rückgang des Pfandbriefabsatzes läßt mithin eine der größten Baugeldquellen versiegen.

Mancher Bauherr, dessen Einfamilien- oder Etagenhaus schon bis zum ersten Stock gediehen ist, wird es jetzt sehr viel schwerer haben als bisher, eine erste Hypothek zu bekommen. Mancher zunächst unverbindlich zugesagte Hypothekenkredit kann nicht mehr ausgezahlt werden. Bauherren in spe werden abgeschreckt, zerreißen die Baupläne und bleiben in ihren Mietswohnungen.

Diese Folgen der Diskonterhöhung machen deutlich, wie sehr das auf die Währung gerichtete Interesse Frankfurts zwangsläufig mit den politischen Volksbeglückungs-Plänen Bonns kollidiert. Haben doch die Koalitionsparteien rechtzeitig für die Bundestagswahl ein neues Wohnungsbaugesetz vorgelegt, das aus dem deutschen Volk nachgerade ein Volk von Eigenheimbesitzern machen soll. Dies, obwohl jedermann weiß, daß der Baumarkt - die Baupreise stiegen im vergangenen Jahr um 7 1/2 Prozent - einer der Fieberherde der westdeutschen Konjunktur ist.

Vockes Schocktherapie zeigte relativ schnell Wirkung. Die Börse reagierte mit Kurseinbrüchen für Aktien bis zu 10 Punkten, weil alle Welt Wertpapiere zum Verkauf anbot, um für die laufenden Geschäfte flüssig zu bleiben. Industrie-Schuldverschreibungen sackten bis auf 86 Prozent

ihres Nennwertes, mithin auf einen Rekordtiefstand ab. Jede Bank ließ ihre Kreditabteilung alle Konten überprüfen. Danach ergoß sich schon in den vergangenen Tagen ein Strom von blauen Briefen an die Firmen. Mit ihnen wurden zahlreiche Kredite gekürzt, gekündigt und neue Kreditwünsche abgelehnt.

Frankfurts Notenbankiers vertrauen fest darauf, daß der jüngste scharfe Eingriff in den Geldstrom manche geplante Investition, manches Bauvorhaben und auch manches Spekulationsgeschäft unterbinden wird. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Rüstung haben sich nämlich Handels- und Industriebetriebe vorsorglich mit Schrott, Nichteisenmetallen und Rohstoffen aller Art eingedeckt. Diese Rohstoff- und Warenlager aufzulösen, ist gleichfalls eines der Ziele der BdL. Weil ihnen viele Kreditwege jetzt verbaut sind, sollen die Spekulanten ihre Ware in den Markt strömen lassen, wenn sie Geld brauchen, und dadurch preisdrückend wirken.

In der Zentralbankrats-Sitzung am 18. Mai haben Vocke, Erhard und Schäffer ihren finanzpolitischen Rütli-Schwur abgelegt. Der Kanzler-Affront im Gürzenich hat dieser Einigkeit der drei - in Teilfragen durchaus verschieden denkenden - Fachleute schließlich ein noch festeres Fundament gegeben. Ihr persönlicher Kontakt war nie so eng wie heute. Die alten Rivalen Schäffer und Erhard telephonierten sofort miteinander, als ihnen die Äußerungen Adenauers zu Ohren gekommen waren.

Schäffer und Erhard reisten von der' Frankfurter Sitzung mit der Erkenntnis nach Bonn zurück, daß die Eingriffe der Währungsbank jetzt durch schnelle und klare wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung ergänzt werden müssen. Ludwig Erhard, in den Jahren des rasanten Wirtschaftsaufstiegs erklärter Liebling der Industrie, hatte sich monatelang über den offensichtlichen Rückgang seiner Beliebtheit gegrämt. Mehrfach schüttete er Vertrauten sein Herz aus: »Es ist grotesk, mir vorzuwerfen, ich sei investitionsfeindlich. Dabei habe ich doch acht Jahre lang davon gelebt, die deutsche Wirtschaft in die Expansion zu treiben.«

Gestärkt durch zahlreiche Vertrauensbeweise nach der Diffamierung durch den Kanzler und angelehnt an den selbstsicheren Notenbankier Vocke, scheint er jetzt entschlossen, das zu tun, was er zumindest seit einem Jahr versäumt hat: Wirtschaftspolitik zu machen. Der listige Schäffer, dem die Industrie wegen seiner Milliarden im Julius-Turm sowieso gram ist, hat die neue Gewichtsverlagerung im Kabinett rechtzeitg erkannt und sich den beiden angeschlossen.

Schon die sich häufenden Zusammenkünfte aber, die täglichen Telephongespräche der drei und die Bezeichnung »Konjunkturrat« in der Presse ließen den Bundeskanzler eine Art Palastrevolution befürchten. Er entrüstete sich über die Bezeichnung »Konjunkturrat": »Es gibt ihn nicht und wird ihn nicht geben!«

Die Empfindlichkeit des Kanzlers in diesem Punkte und sein Verhalten auf der Kölner Industrietagung sind weitgehend von seinen politischen Absichten bestimmt. Dr. Adenauer weiß, wie sehr die günstige Wirtschaftslage und die vollen Lohntüten im Jahre 1953 seine Wiederwahl begünstigten. Er möchte diese Aufwärts-Stimmung in der Öffentlichkeit bis zu der nächsten Bundestagswahl konservieren. Des Kanzlers eilfertiges Einstimmen in die Proteste gegen die Maßnahmen der BdL sollte ihm überdies für die Bundestagswahl die finanzielle Unterstützung der Industrie sichern.

Aus außenpolitischen Gründen schließlich will Konrad Adenauer unter allen Umständen verhindern, daß ein Abschnüren der Industrie-Kredite die westdeutsche Aufrüstung noch mehr verzögert und dadurch neue Zweifel an der Nato-Treue der

Bundesrepublik auslöst. Jede Maßnahme der Notenbank und jeder Vorschlag der Kabinettsmitglieder Erhard und Schäffer, die diesen Wünschen anscheinend zuwiderlaufen, müssen deshalb zur Zielscheibe seiner Kritik werden.

Der nicht existierende Konjunkturrat hat jedoch mittlerweile die Grundzüge eines konjunkturpolitischen Programms entworfen, zu dem beide Minister und der Notenbankpräsident entschlossen stehen. Erhard und Schäffer wollen diese Gedanken jetzt im Bundeskabinett und in den Fraktionen der Regierungsparteien durchsetzen. Hauptstütze ihrer konjunkturpolitischen Maßnahmen soll Erhards dreißigprozentige Zollsenkung sein. Der Minister ist entschlossen, »diese wunderbare konjunkturpolitische Reserve« einzusetzen, um durch billige ausländische Lebensmittel und auch Industriewaren den Preisauftrieb zu stoppen.

Obwohl die beiden Minister weitere Einzelheiten streng hüten, lassen Andeutungen darauf schließen, daß ihr Programm Vorschläge enthält, die weiteren innenpolitischen Zündstoff bergen. Denn sie betreffen wahltaktisch so eminent wichtige Komplexe wie die Sozialreform, Zugeständnisse an die Grüne Front und die vieldiskutierte Mittelstandsförderung.

Die großzügigen Ausgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden hatten entscheidenden Anteil an dem Hochputschen der Investitionstätigkeit, besonders auf dem Bausektor. An diesen Ausgaben kann Vocke zu seinem Bedauern nun allerdings nicht das Geringste ändern. Deshalb sind die Drosselungsmaßnahmen für den ihm erreichbaren Sektor, für die Wirtschaft, um so stärker ausgefallen. Handel und Industrie haben auf diese Weise einen Teil der Prügel mitbeziehen müssen, die eigentlich der Bundestag, die Länder- und die Gemeindeparlamente hätten bekommen müssen.

Die Bank deutscher Länder konnte lediglich in ihren Monatsberichten empfehlend auf eine Beschneidung der Haushaltsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden drängen. Der Bau staatlicher Gebäude und notfalls auch der soziale

Wohnungsbau müßten nach Ansicht von Experten für eine Weile gebremst werden, um die Konjunktur zu dämpfen. Und nur wenn überdies die auf Schäffers gehorteten Milliarden abzielenden aktuellen Ausgabenwünsche des Bonner Parlaments kräftig eingedämmt würden, könnte man nach Vockes Ansicht der vom Bundestag geplanten Steuersenkung zustimmen.

Die Mehrzahl der Experten befürwortet eine solche lineare Steuersenkung. Sie könnte zwei beachtliche Folgen zeitigen: Die Betriebe würden wahrscheinlich auf Anschaffungen verzichten, die bisher nur vorgenommen wurden, weil man den Gewinn nicht zum Finanzamt tragen wollte. Andererseits könnte der durch diese Steuersenkung herbeigeführte Steuerausfall die gefährliche Ausgabefreudigkeit der öffentlichen Hand und des Parlaments dämpfen.

Hauptsorge der Notenbank ist es, ein Einströmen der durch die Steuersenkung frei werdenden Kaufkraft in die Konsum- und Investitionswelle zu verhindern. Deshalb stehen Anreize zum Sparen und für die Verwendung der Gelder zur Erhöhung der Eigenkapitalien in dem Programm der beiden Minister und des Notenbankpräsidenten. Einigkeit besteht darüber, daß schnell gehandelt werden muß, wenn die Deutsche Mark jene hervorragende Stellung unter den Währungen behalten soll, die sie ungeachtet der leichten Preissteigerung im Inland auf dem Weltmarkt nach wie vor innehat.

Schon während seiner Sitzung in Berlin im Oktober waren dem Bundestag insgesamt 40 Vorschläge zur Konjunkturpolitik eingereicht worden. Von ihnen ist bis heute nicht ein einziger verwirklicht. Erst nach dem Paukenschlag aus Frankfurt und nach Konrad Adenauers folgenschwerer Beckmesserei im Kölner Gürzenich gewannen die Bonner Beratungen über die Konjunkturpolitik einiges Tempo.

Am vergangenen Montag beriet im Vorstandssaal des Hochhaus-Flügels im Bundeshaus der CDU-Fraktionsvorstand mit den Ministern. Erschreckt von den Auswirkungen seiner Rede im Gürzenich hatte der Kanzler am Sonntag ein Gespräch mit seinem Wirtschaftsberater Robert Pferdmenges geführt, der sich in Bad Kissingen

zur Kur aufhielt. Adenauer bat ihn am Telephon, er möge am Montag nach Bonn kommen, um ihm in der Sitzung des Fraktionsvorstandes sachkundig Schützenhilfe zu leisten. Der Kanzler hatte sich besonders in Sachen Notenbankpolitik nicht zuletzt schon dadurch der Gefahr der Lächerlichkeit ausgesetzt, daß er von der BdL fälschlich als von der »Landesbank« gesprochen hatte.

Gegen drei Uhr nachmittags traf Pferdmenges am Bundeshaus ein. Der Kanzler zog sich sofort mit ihm zu einem Gespräch unter vier Augen zurück. Erst mit ein einviertelstündiger Verspätung erschien Konrad Adenauer dann mit Pferdmenges im sogenannten Vorstandssaal. Journalisten, die aus dem Erscheinen Adenauers mit Pferdmenges Rückschlüsse zogen, fertigte Pferdmenges mit dem Bemerken ab, er habe den Kanzler »gerade eben« auf der Straße getroffen.

Immer nur lächeln

Die Sitzung war durch ungewöhnliche Geheimhaltungs-Vorkehrungen gegen ungebetene Zuhörer abgeschirmt. Entgegen der sonstigen Gepflogenheit durfte keine Bedienung in den Saal, um Erfrischungen zu reichen. Vor der Tür wartenden Reportern fiel auf, daß die Teilnehmer der Sitzung, wenn sie einmal auf den Flur traten, betont lächelnde Gesichter zur Schau trugen. Der Grund dafür wurde offenbar, als Sitzungsteilnehmer schmunzelnd berichteten, am Ausgang des Saales sei ein Zettel an die Wand geheftet, der jeden aufforderte, nur demonstrativ lächelnd aus der Tür zu treten.

Auch der Bundeskanzler verließ am Schluß der hitzigen Sitzung grienend den Saal. Befragt, ob sein Gesichtsausdruck auf einen befriedigenden Verlauf der Konferenz schließen lasse, witzelte er: »Ach wat, dat ist nur Heuchelei.« Und mit dem Daumen zurück in den Saal weisend: »Dat habe ich da drinnen jelernt.«

Am nächsten Tage, dem Dienstag, beriet die Fraktion der CDU/CSU. Anders als später offiziell berichtet wurde - daß nämlich die Sitzung mit einem Sieg des Kanzlers geendet habe - zeigte diese Aussprache, daß sich in des Kanzlers eigener Fraktion die Überzeugung durchzusetzen beginnt, seine staatsmännische Weisheit lasse nun doch nach.

Adenauers Rechtfertigungsansprache in dieser Sitzung wurde mehrfach von scharfen Zwischenrufen und von Gegendarstellungen der Minister Erhard und Schäffer unterbrochen. Zu einer Erörterung der sachlichen Probleme der Konjunkturpolitik kam es auf diese Weise so gut wie gar nicht. Der Parteichef Adenauer sah sich heftiger Kritik ausgesetzt.

Außerdem wurde dem Kanzler - allerdings nicht in der Fraktionssitzung - vorgeworfen, er habe mit seinem Verhalten seine institutionelle Pflicht als Regierungschef insofern verletzt, als die Geschäftsordnung der Bundesregierung vorschreibt, daß vor wichtigen Entscheidungen auf dem Gebiete der Konjunkturpolitik eine Beratung im Kabinett herbeigeführt werden muß.

Wie wenig das offizielle Kommuniqué über eine Aussöhnung des Kanzlers mit seinen desavouierten Ministern der -Wahrheit entsprach, beweist die Tatsache, daß der Kanzler-Berater Robert Pferdmenges in der vergangenen Woche mehrfach an den bisherigen FDP- und kunftigen CSUBundestagsabgeordneten Dr. Hans Wellhausen die Frage richten ließ, ob er bereit sei, das Finanzministerium zu übernehmen.

Mit den konjunkturpolitischen Maßnahmen, über die in Bonn zur Zeit beraten wird, wird die Weiche für die Entwicklung der Deutschen Mark in den nächsten Jahren gestellt. Nachdem die Wirtschaft der Bundesrepublik stellenweise an den Grenzen ihrer Kapazitäten und Reserven angelangt ist, werden die nächsten Maßnahmen darüber entscheiden, ob in den kommenden Jahren eine weiche oder harte Währungspolitik betrieben wird. Nicht zuletzt aber fällt jetzt die Entscheidung über die Finanzierung der Aufrüstung der Bundesrepublik.

Findet man sich in Bonn heute damit ab, daß die Währung im vergangenen Jahr vier Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt hat, und gehen die Politiker, um vor den Wahlen nicht unpopuläre Beschlüsse fassen zu müssen, auf diesem Wege weiter, dann wäre die Stabilität der Deutschen Mark ernstlich gefährdet. Denn die große Bewährungsprobe der am 20. Juni 1948 geborenen neuen Mark kommt erst dann, wenn mit der Rüstungsproduktion neue Kaufkraft in den Geldstrom einmündet, die als Lohn und Gehalt für die Erzeugung von Waffen, Geräten und anderen nicht konsumierbaren Produkter ausgezahlt worden ist.

Die Bank deutscher Länder nimmt an diesem Wendepunkt eine entscheidende Position ein. Geheimrat Vocke und der Zentralbankrat haben mit ihrer Roßkur vom 18. Mai deutlich gemacht, daß sie schon den Anfängen einer Geldentwertung wehren wollen. Vocke warnt: »Man kann auch auf die Dauer nicht an eine gemäßigte oder an eine kontrollierte Inflation glauben. Keine Inflation kommt von selbst zum Stillstand, sondern sie frißt weiter, die Entwertung erweitert und beschleunigt sich.«

Die Entscheidung über den Kurs der Deutschen Mark wird um so dringlicher, als bereits die ersten Rüstungsmilliarden rollen.

Im dritten Nachtrag zum Bundeshaushalt sind 1560 Millionen Mark Vorwegbewilligungen beantragt, darunter 336 Millionen Mark für das erste Marinebauprogramm. Noch im Laufe des Sommers wird das Verteidigungsministerium den Bau von 40 Kasernen ausschreiben. Jede dieser für tausend Soldaten vorgesehenen Kasernen soll 11,4 Millionen Mark kosten. Ferner sollen 34 Flugplätze für insgesamt 1,2 Milliarden Mark gebaut werden. Für Bekleidung und Ausrüstung der ersten 100 000 Soldaten, die Minister Blank bis zum Jahresende aufgestellt haben will, müssen rund 225 Millionen Mark ausgegeben werden.

Sechs Milliarden Mark fließen auf diese Weise noch im gegenwärtigen Haushaltsjahr in die Rüstung. In den nächsten Jahren werden es acht, elf, dreizehn und schließlich vierzehn Milliarden Mark sein. Was die Politiker in Bonn noch nicht zuzugeben bereit sind, ist in der Bank deutscher Länder bereits ein Gemeinplatz: Wenn derartige Summen in den Geldumlauf fließen, müssen in einigen Jahren wahrscheinlich die Steuern wieder erhöht werden.

Fritz Schäffers fiskalischer Versuch, einen Teil der Rüstungsmittel im Julius-Turm aufzusparen, hat sich als untauglich erwiesen. Er hat im Gegenteil die überhöhte

Kreditnachfrage, die zu der gegenwärtigen Situation geführt hat, noch geschürt. Seine Milliarden können nur mit äußerster Vorsicht wieder in den Geldstrom eingeschleust werden. Gelangten sie plötzlich in die finanzielle Blutbahn des westdeutschen Wirtschaftskörpers, so würden sie sofort einen katastrophalen preissteigernden Überdruck hervorrufen.

Präsident Vocke wandte sich in seiner Rede vor dem Übersee-Club mit Nachdruck gegen jene Bonner Politiker, die glauben, Westdeutschlands Aufrüstung

werde eine leicht erschwingliche Zugabe in der deutschen Wirtschaftswundertüte sein.

Vocke, der nie einer Partei angehört hat, definierte seine grundsätzliche Meinung über das Ausmaß einer Rüstung, die die Stabilität einer Währung nicht gefährdet, so: »Wenn ich die von uns übernommene maßvolle Rüstungslast für tragbar erklärt habe, so heißt das nicht, daß sie auch dann tragbar sein würde, wenn wir auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel für erhöhte Soziallasten, Kosten übernehmen. Im Gegenteil, die Höhe der Rüstungsausgaben bedingt ein strenges und genaues Maßhalten, sonst würde die Gesamtlast zu schwer.«

Geheimrat Vocke hat in seinem Leben das Entstehen einer durch Rüstung hervorgerufenen Inflation ganz aus der Nähe beobachten können. Der evangelische Pfarrerssohn aus dem bayrischen Aufhausen war nach Abschluß des juristischen Studiums, nach Zwischenstationen seiner Verwaltungslaufbahn im Finanzamt Würzburg und im Berliner Reichspatentamt 1919 Mitglied des Direktoriums der Reichsbank geworden. Der 33jährige Währungsspezialist, der schon den Titel Geheimer Finanzrat führte, beobachtete in der Reichsbank - der Spitze des damaligen Notenbanksystems - entsetzt den Absturz der Reichsmark in die erste deutsche Inflation.

Fünfzehn Jahre später konnte er einem Rüstungsfinanzier großen Stils; dem Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht, bei der Arbeit zusehen. Schacht finanzierte damals die Anfänge der Aufrüstung des Dritten Reiches mit Hilfe seiner legendär gewordenen Mefo-Wechsel, die auf die Metall-Forschungs AG in Berlin ausgestellt waren. Hinter dieser Firma standen als Kapitaleigner Siemens, Krupp, Rheinstahl und die Gutehoffnungshütte. Für die von der Metall-Forschungsgesellschaft unterschriebenen Wechsel bürgte selbstschuldnerisch das Reich.

Lieferte damals ein Fabrikant Rüstungsgüter für die Wehrmacht, so schrieb er einen Wechsel aus, den die Metall -Forschungs AG mit ihrer Unterschrift versah. Diese Wechsel waren so gut wie bares Geld. Mit ihnen ging der Lieferant zur Reichsbank, die ihm dafür Banknoten auszahlte. Schacht zauberte nach dieser Methode insgesamt 12 Milliarden Mark aus dem Nichts. Allerdings hatte er die Laufzeit seiner Wechsel auf fünf Jahre begrenzt, danach sollte das Reich sie wieder einlösen.

Als aber 1938 die ersten Mefo-Wechsel über drei Milliarden Mark fällig waren, konnte das Reich nicht zahlen. Infolge der bereits erheblich gestiegenen Rüstungslasten wiesen die Kassenbücher des Finanzministers ein Defizit von einer Milliarde Mark aus. Die Reichsregierung forderte deshalb erneut Kredite. Ähnlich wie heute in der Bundesrepublik mußte damals im Reich die Weiche für den weiteren Weg der Währung gestellt werden.

Das Direktorium der Reichsbank versuchte die Neuschöpfung ungedeckten Geldes zu verhindern. Die Direktoren schickten ein Memorandum an den Führer, das der Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, wegen des »hochverräterischen« Inhalts eine Woche lang nicht vorzulegen wagte. Dann kam es auf den Schreibtisch Hitlers, und er las:

- »In der Zeit von März bis Ende Dezember 1938 stieg der Notenumlauf von 5278 Millionen auf 8223 Millionen Mark, das ist ein größerer Anstieg als in den fünf vorausgegangenen Jahren*. Für die Stabilerhaltung des Geldwertes ist nun letzten Endes nur das Verhältnis von Geldumlauf und Konsumgüterproduktion maßgebend. Steigt die Geldumlaufsmenge schneller, als die Konsumgüterproduktion zunimmt, so steht denVerbrauchern eine vermehrte Kaufkraft zur Verfügung, der ein verringertes Warenangebot gegenübersteht, was die Preise hinauftreiben muß.

- »Die Reichsbank hat die Finanzierung

der Rüstung (bisher) weitgehend auf sich genommen, trotz der darin liegenden währungspolitischen Gefahren. Unsere Verantwortung erfordert es, darauf hinzuweisen, daß eine weitere Beanspruchung der Reichsbank währungspolitisch nicht zu verantworten ist, sondern geradewegs zur Inflation führen muß.«

Hitler tobte, das sei Meuterei. Er erließ schleunigst einen Geheimbefehl, der die Reichsbank verpflichtete, dem Reich künftig jeden geforderten Kredit zu bewilligen. Damit war die währungspolitische Weiche auf Inflation gestellt. Die Notenpresse begann zu arbeiten, und die Schöpfung von Buchgeld durch Kredite konnte durch nichts mehr gebremst werden. NotenbankpräsidentSchacht und die Mehrzahl der Direktoriumsmitglieder, deren Unterschrift das Memorandum trug, wurden entlassen.

Unter ihnen auch der Geheime Finanzrat Vocke, der sich zu seiner fünfköpfigen Familie nach Berlin-Dahlem und zu seinem Geigenspiel zurückzog, bis man ihn nach dem Kriege als Geburtshelfer der neuen Währung wiederholte. Wilhelm Vocke hatte das Memorandum verfaßt.

* Der Landwirtschaft wurden durch den vor einigen Monaten im Bundestag bewilligten »Grünen Plan« Steuererleichterungen und Subventionen im Werte von jährlich 896 Millionen Mark gewährt. Von dem sogenannten Kuchenausschuß der CDU ist ein Programm ausgearbeitet worden, das höhere Pauschalen für Werbungskosten, höhere Steuerfreibeträge für die Ehefrau und die Kinder, eine Senkung der Umsatzsteuer für Betriebe bis zu 250 000 Mark Jahresumsatz sowie eine gestaffelte Einkommensteuersenkung vorsieht.

* Die in Scheinen und Münzen umlaufenden 14 Milliarden reichen für alle Bargeld-Transaktionen (Lohnzahlungen, Einzelhandelsumsätze usw.) aus.

* Da der Wechsel durch Übertragung (Indossament) wie eine Banknote weitergegeben werden kann, steht der Wechselgläubiger unter besonderem gesetzlichem Schutz. Eine Wechselforderung muß immer eingelöst werden, gleichgültig, ob das mit ihr verbundene Geschäft ordnungsgemäß abgelaufen ist oder nicht.

* Ist auch die Landeszentralbank knapp bei Kasse, so rediskontiert sie den Wechsel auf die gleiche Weise bei der BdL in Frankfurt, Diese Transaktion besteht jedoch nur aus einem Buchungsvorgarig, das Wechselpapier selbst bleibt bis zur Fälligkeit im Safe der Landeszentralbank.

* Bis zum Jahre 1945 war der Notenumlauf auf 56 Milliarden Reichsmark gestiegen, das gesamte Buchgeld (Kredite usw.) hatte die Summe von 500 Milliarden Mark überschritten.

Notenbankier Vocke

Vier Pfennig fehlen an der Mark

Bundeskanzler und Industriepräsident: Der Prophet kam zu Berg

Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung

»Zum Donnerwetter, wer hat denn da die Konjuhkturbremse gezogen?

Dem werde ich aber - - - mein vollstes Vertrauen aussprechen . . .«

Zentralbankrats-Präsident Bernard

Vereisung zwischen Bonn und Frankfurt

Kanzler-Emissäre Erhard, Schäffer

Kalte Fuße auf dem Bahnsteig

Lohngeld-Transport im Waschkorb (1922): Durch zwei deutsche Inflationen...

... schmerzliche Erfahrungen gesammelt: Kopfquoten-Transport im Lkw (1948)

Reichsbankpräsident Schacht, Vocke (1936)

Memorandum gegen die Aufrüstung

Bank deutscher Länder, Frankfurt: Hauptquartier im Kampf um die Währung

Geldschein mit Vockes Unterschrift*

Harte Währung auf dem Weltmarkt

»Dem verehrlichen Publico zu Gefallen, zeigen wir nun, was mit konjunkturempfindlichen Ministern geschieht«

* Neben dem Namenszug Vockes die Unterschrift des Vizepräsidenten des Direktoriums der BdL, Wilhelm Könneker.

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