»Die Welt ist schließlich in Bewegung«
Hungernde Deutsche vor russischen Feldküchen, deutsche Kriegsverbrecher hinter Gittern -- das gab's nur einmal, 1945. Was seitdem in Deutschland geschehen ist Demontage und D-Mark-Taumel, Spaltung der Nation und Wandlung der Opposition, Wiedergutmachung und Wiederaufrüstung -, halten zwei Dokumentarwerke des Münchner Desch-Verlags aus der Reihe »Hundert Jahre Deutsche Geschichte« in Texten, Statistiken und Bilddokumenten fest. Der elfte Band ("Die Bundesrepublik in der Ära Adenauer") wurde bereits veröffentlicht, der zehnte Band ("Deutschland unter den Besatzungsmächten") erscheint Ende April; beiden Bänden sind die Bildei der folgenden Seiten entnommen. Es sind zugleich Dokumente vom Aufstieg und Abschied Konrad Adenauers.
D as Zerwürfnis der Siegermächte bald nach dem
Krieg zerriß auch die Deutschen. 1947 scheiterte die gesamtdeutsche Ministerpräsidentenkonferenz in München. »Gottlob!«, hörte Freidemokrat Reinhold Maier damals westdeutsche Delegierte sagen, »daß wir die Kommunisten los sind.« 1948 -- östliche Berlin-Blockade, westliche Währungsreform -- wurde der Riß vertieft, 1949 Staatsgründung im Westen wie im Osten -- verbrieft. Aus der Hand der westlichen Hohen Kommissare nahm am 21. September Regierungschef Konrad Adenauer, aus der Hand des sowjetischen Generals Wassilij Tschuikow am 10. Oktober Regierungschef Otto Grotewohl Teilsouveränität entgegen. Konsequent verknüpfte Adenauer -- obwohl hochfliegende Europa-Pläne bald zerstoben -- die Bundesrepublik mit dem Westen (EWG, Nato). Er betrieb die Aussöhnung mit Israel, er zumindest brachte das Bild vom häßlichen Deutschen in der Welt zum Verblassen. Aber seine Wiedervereinigungspolitik, als Politik der Stärke angelegt, blieb erfolglos. Noch nach dem Mauer-Bau sprach er: »Ich wünschte, es gäbe noch mehr Druckmittel.« Konrad Adenauer, dem nichts »so unsympathisch war wie ein preußischer General«, wollte ursprünglich ein Deutschland ohne Waffen. Doch ein Jahr nach Regierungsantritt -- in der DDR trugen Deutsche bereits wieder Gewehre -- bot er den Alliierten deutsche Truppen für eine integrierte europäische Armee an. Zur Vorbereitung der Remilitarisierung etablierte er 1950 das Amt Blank. 1956 begrüßte er in Andernach die ersten Freiwilligen, im selben Jahr wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die Deutschen, einst anfällig für die von Sozialdemokraten geschürte »Ohne mich-Stimmung, begannen wieder. sich ans Militär zu gewöhnen. Bundespräsident Theodor Heuss, gleich Konrad Adenauer ungedient, spornte die neue Truppe 1958 im Manöver an: »Nun siegt mal schön.« Die Bundeswehr entwickelte sich -- wenn auch mitunter nur bedingt abwehrbereit -- zu einer Truppe von 464 000 Mann.
Hohe Bonn-Besucher kamen vornehmlich aus dem Westen -- das entsprach Adenauers Außenpolitik. Nur einmal, 1958, stellte sich ein prominenter Mann aus Moskau ein: Anastas Mikojan. Ein Jahr später wollte der Rhöndorfer für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren, und es schien, als sei die Ära Adenauer beendet. Aber weil die Lage ihm wieder einmal besonders ernst schien, blieb er dann doch im Kanzleramt -- bis 1963. Die CDU setzte ihm diese Frist, als sich im Lande Unbehagen über den Starrsinn des grollen alten Mannes breitmachte, der viele Triumphe eingeholt und sich doch gesorgt hatte, was wohl aus Deutschland werde, »wenn ich einmal nicht mehr da bin«. Als sein Biograph Paul Weymar ihn darauf ansprach, blickte Konrad Adenauer auf und sagte: »Ich habe es mir abgewöhnt, alle künftigen Möglichkeiten bis zum letzten Punkt zu überdenken. Die Welt ist ja schließlich in Bewegung.«