»Die Welt tötet die sehr Guten«
Die Sammlung adretter Polizeimützen, die immer so schön ordentlich in Reih und Glied aufgestellt waren, ist verschwunden, ebenso die bayrische Landkarte mit den vielen bunten Stecknadelköpfen, die sorgfältig alle Ausflüge in die Provinz markiert hatten. Der Hundenapf von Bizzi, früher stets fürsorglich gefüllt, ist auch nimmer da.
Dafür durfte das Herrchen, Bayerns Staatssekretär Peter Gauweiler, 39, in ein richtiges Ministerzimmer umziehen, vorneheraus zur Ludwigstraße, ganz in der Nähe der Feldherrnhalle und der königlichen Residenz und fast doppelt so groß wie die ehemalige Hinterstube.
Statt auf den öden Geschäftsbetrieb der Siemens-Hauptverwaltung blickt Gauweiler auf die Hinterseite des Reiterstandbilds von König Ludwig I. mit den Wahlsprüchen »Gerecht« und »Beharrlich«.
Doch der Umzug in die geräumige Ministersuite in dem ehemaligen Konzerthaus am Münchner Odeonsplatz bot Gauweiler nur wenig Trost. Denn mit der Kabinettsumbildung nach dem plötzlichen Tod von Ministerpräsident Franz Josef Strauß hatte der »Schwarze Peter« alles verloren, womit er sich bis dahin so vorteilhaft in Szene zu setzen pflegte - die Befehlsgewalt über 36 000 bayrische Polizisten und den energischen Zugriff auf die Immunschwäche Aids.
Futsch waren damit auch die von Gauweiler üppig genutzten und auch von CSU-Intriganten neidisch beäugten Privilegien - etwa mit Blaulicht und Martinshorn durch den Münchner Stoßverkehr zu jagen oder Polizeihubschrauber für den Weg zu seinen Arbeitsplätzen einzusetzen.
Der neue Innenminister Edmund Stoiber, 47, selber begierig auf die ungeteilte Kommandogewalt im Freistaat, hatte den überraschenden Tod des Staatschefs genutzt und den jungen Staatssekretär von seinen Höhenflügen heruntergeholt und ihm, im selben Ministerium, auf den ersten Blick so unattraktive Bereiche wie Bauwesen und Staatsbäder, Wegerecht und Wildbäche, Landschaftspflege und Lawinenverbauung zugeteilt.
Bei den einsturzgefährdeten Spannbetondecken in den Kuhställen, so ein sarkastisches Beispiel des Ministers, könne Gauweiler »Kreativität entfalten« und mal »sein Spektrum ein bißchen erweitern«.
Während Gauweilers Ziehvater Strauß dem »lieben Herrn Kollegen«, der tatsächlich in heißen Sicherheitsbereichen wie der Bekämpfung des organisierten Verbrechens Erfolge vorzuweisen hatte, stets und sogar schriftlich »unermüdliches und furchtloses Engagement« bescheinigte und ihn bis zuletzt anfeuerte, »weiterhin unbeirrt und entschlossen Kiellinie zu halten«, war manch mächtigen Parteifreunden das selbstherrliche Schalten und Walten des Benjamins im Kabinett am Ende zu bunt geworden.
Tatsächlich hat der politische Heißsporn ja auch nichts ausgelassen, was die Bürger erregen und bewegen konnte - erst als Münchner Sicherheits- und Gesundheitsreferent, dann als von Strauß ernannter bayrischer »Polizeistaatssekretär«.
Erst ließ Gauweiler seine Beamten in den Bierkrügen auf dem Oktoberfest herumstochern, um den dort florierenden Schankbetrug zu bekämpfen. Dann schwärmten V-Leute seiner Sittenpolizei ins Münchner Nachtleben, um verbotener Prostitution auf die Spur zu kommen.
Bei Beginn der Aids-Epidemie ließ er als Sofortmaßnahme die Türen in Homo-Saunen aushängen und in Stricher-Pissoirs die Heizung abstellen. Bald lancierte er einen der schärfsten gesetzlichen Maßnahmenkataloge der Republik gegen Aids-Verdächtige und -Infizierte.
Höhepunkt des Gauweiler-Repertoires war das theatralische Remake des Gladbecker Geiseldramas, das in der bayrischen Fassung - dargestellt von einem Spezialkommando der Polizei - hart, aber unblutig beendet wurde.
Im Spätsommer letzten Jahres beschäftigten die Extratouren Gauweilers in seiner Amtsführung den bayrischen Landtag in drei schriftlichen Anfragen mit mehr als einem Dutzend Punkten. Mal hatte der laut »Männer Vogue« durch »bayrische Eleganz« hervorstechende Politiker Kleiderschelte an Polizeilotsen geübt, mal wurden Verkehrspolizisten, die nach dem Geschmack des Staatssekretärs zuwenig Blaulicht einsetzten, in das Ministerium vorgeladen.
Im VIP-Bereich des Flughafens war Gauweiler gemaßregelten Polizeiführern durch hochherrschaftliche Allüren aufgefallen. Und Strauß-Spezln wie der Münchner Mercedes-Statthalter Karl Dersch waren, dank Gauweiler, bei privaten Festlichkeiten mit Spalieren berittener Polizei und polizeilichen Musikzügen beglückt worden.
Nun ist das alles ja vergeben und vergessen und ferne Vergangenheit, seit Gauweiler bei der Kabinettsumbildung degradiert worden ist, was er »erst einmal aus der Zeitung erfahren« hat. Das Bundesverdienstkreuz am Bande, das ihm danach wegen seiner Verdienste um Aids und Polizei verliehen wurde, mußte ihm wie Hohn erscheinen. Und was ihm der neue Regierungschef Max Streibl nach dem Entzug von Aids-Politik und Polizei-Gewalt zuraunte, klang auch nicht gerade erhebend: »Sei froh, daß du das Ganze endlich los hast!«
Von Strauß blieb dem Degradierten eine behäbige Tasse nach Altväterart, die er nun unbenutzt wie eine Reliquie in seinem neuen Büro verwahrt. Denn das Privileg des Alten, als einziger am Kabinettstisch zwischendurch Tee zu schlürfen, hat er ja nicht mitgeerbt.
»Ich möchte nicht einfach aufgeben, was ich in 20 Jahren bei Strauß gelernt habe«, versichert der Geächtete, der es bei seinem Lehrmeister nach bayrischem Sprachbrauchtum immerhin bis zu einer Art Vorstufe des Duzens gebracht hat. Gauweiler: »Er sagte manchmal ,lieber Peter Gauweiler' zu mir.«
Gleichwohl gab es zwischendurch auch Phasen, in denen Gauweiler am liebsten der Politik untreu geworden und in seine derzeit verpachtete Rechtsanwaltskanzlei zurückgekehrt wäre. Nach eigenem Bekunden war er jedenfalls nahe dran, »alles hinzuschmeißen«.
Tatsächlich ist der ausgebootete Bayer wenigstens in Gedanken eine Zeitlang »In einem anderen Land« untergetaucht, hinter »Die grünen Hügel Afrikas« verschwunden und »Über den Fluß und in die Wälder« entflohen - alles Titel von Büchern Ernest Hemingways, in die sich Gauweiler in seiner Not vergraben hat.
Er entdeckte dort auf Anhieb was »ungeheuer Wildes«, das der »emanzipatorisch durchsäuerten Gesellschaft am Ende der achtziger Jahre« immer mehr abhanden kommt - »Hochseeangeln im Golfstrom, Jagd in Afrika, gefühlsstarke Frauen und eisgekühlte Daiquiris«, eine »bunte Welt«, die so wohltuend kontrastiert zu der »von Abdankungsbereitschaft, Mattheit und jedweden Angstgefühlen geplagten Zeit«.
Tief watete der unversehens zum »Bauweiler« (CSU-Spott) mutierte Absteiger hinein in die Gefühlswelt der »Lost generation«, sorgfältig notierte er die literarischen Fundstellen, mit denen er sich derzeit so gut identifizieren kann. »Die Welt«, so etwa läßt Hemingway eine seiner Figuren sagen, »tötet die sehr Guten und die sehr Feinen und die sehr Mutigen, ohne Unterschied.«
Für den Hemingway-Fan selber hat freilich die Stunde noch lange nicht geschlagen. Schon hat er sich nämlich wieder berappelt. Statt der Polizeimützen-Sammlung symbolisiert nun ein Stück hölzerner Wasserleitung aus dem vorigen Jahrhundert seinen neuen Arbeitsbereich. Auch reichlich Landkarten hängen schon wieder herum - diesmal nicht mit Flugrouten von Polizeihubschraubern, sondern mit Autobahnen und Wasserstraßen.
Flugs hat er ein staatlich betreutes Bauvolumen von 60 Millionen Kubikmetern errechnet ("Soviel wie ganz Augsburg"), und er kann immerhin wieder ein Heer von 15 000 Bau-, Straßen- und Flußmeistern dirigieren. Das Unfallgeschehen auf den Engpässen des ausgerechnet im Großstadtbereich auf Landstraßen gelenkten Autobahnverkehrs mit 60 Verkehrstoten im letzten Jahrzehnt macht Gauweiler auf seine Weise plastisch: »Dös is für mi Ramstein.«
Ein berufsspezifisches Schlüsselerlebnis hatte er auch schon - in einem 15-Kilometer-Stau auf der Autobahn nach Stuttgart. Der Staatssekretär mußte - »Blaulicht hab' i ja koans g'habt« - zweieinhalb Stunden warten, bis er endlich zur Baustelle kam: »Koa Mensch da, nur a einsame Schaufel nach Art von Joseph Beuys.« Gauweiler sagte sich: »Gauweiler - da bist ja du zuständig!« Seither wird auf den meisten bayrischen Autobahnbaustellen wie auf US-Highways rund um die Uhr gearbeitet.
Wenn sich aus Themen wie dem Dachgeschoßausbau in Ballungsgebieten oder der Ringkanalisation um den Chiemsee nicht genug Funken schlagen lassen, versucht der vom Polizeichef zum obersten Straßen- und Wasserwart geläuterte Politiker auch schon mal eine Umwertung aller Werte.
»Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser«, zitierte er Ende Mai bei der Einweihung von Bayerns kleinster Kläranlage im fränkischen Herrieden den Philosophen Thales von Milet, »aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück.«
Gauweiler selber kehrt am liebsten zu seinen gewohnten Themen zurück. Noch immer betreut er als Herausgeber die Zeitschrift »Aids-Forschung«. Seine politischen Erfahrungen mit der Seuche hat er gerade unter dem Titel »Wege aus der Gefahr« in Buchform veröffentlicht. Zur Zeit arbeitet er an einer größeren Untersuchung über »Architektur und Kriminalität«.
Auch vor der nationalen Frage scheut der Junggeselle nicht mehr zurück. »Wir werden beide 40, mein Land und ich«, schrieb er unlängst im Parteiorgan »Bayernkurier« und erwog: »Staat zeigen, große Parade, Deutschlandlied.« So einen sähe Ministerpräsident Streibl ja gern an der Spitze der Münchner CSU, zumal ein Umfrageinstitut herausgefunden hat, daß am ehesten Gauweiler die Republikaner im Zaume halten könnte. Rund 20 Prozent der bayrischen Polizisten tendieren bereits zur Schönhuber-Partei, nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei sogar mehr als die Hälfte.
Über Schönhuber, der Gauweilers schmählichen Wechsel aus dem Polizeiressort öffentlich bedauert hat, mag der Staatssekretär vor Parteifreunden »gar net vui red'n«; er falle aber, sagt Gauweiler, bei diesem Thema auch nicht »von einer Ohnmacht in die andere«. Die Abgrenzung bleibt etwas vage, der Beifall eher spärlich. »Den Unterschied zwischen mir und dene«, so formuliert er vorsichtig in seinem Kreisverband im Münchner Westen, »den kenne ich: Ich hab' mehr als sieben Prozent in Bayern.«
Eher behutsam bereitet sich Gauweiler auf sein politisches Comeback vor. Am Freitag dieser Woche will er lediglich als einer der drei Stellvertreter im Vorsitz der Münchner Partei kandidieren. Bei der miesen Lage der Union sind für einen Parteichef vorerst keine Lorbeeren zu ernten. Die »weichen Themen« der Bonner Schwesterpartei, meint er, hätten nur zu »weichen Wahlergebnissen« geführt. Bald werde diese »Geißler-Schneise« auch in Bayern zu sehen sein.
Gauweilers Zeit wird wohl erst nach der Kette von Wahlen kommen, die demnächst über den Freistaat hereinbrechen werden. Schon ängstigen sich Parteifreunde, die Gauweilers »Skrupellosigkeit im Umgang mit der Macht« fürchten. Unter Hinweis auf den CSU-Generalsekretär Erwin Huber, 42, und den Parteivorsitzenden Theo Waigel, 50, machen sie schon jetzt den Rücken steif: »Mia san ja aa jung.«
Der Jüngste ist Gauweiler ja auch gar nicht mehr - jedenfalls im Kabinett. Da hat ihm sein ehemaliger Sozius in der gemeinsamen Anwaltskanzlei, der Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten Alfred Sauter, 38, inzwischen den Rang abgelaufen. Schon plagen den mit seinem Alter gern kokettierenden Politiker zuweilen Kreuzschmerzen, und er vermißt dann seine jetzt nach Frankreich verzogene chinesische Heilpraktikerin, die ihm mit gekonnten Akupunkturstichen auch die ersten Spuren eines Bauchansatzes beseitigt hatte.
Wie bei Hemingways Leoparden am Kilimandscharo weiß niemand, was Gauweiler zu den Gipfeln treibt. »Die Würde der Bewegung eines Eisbergs«, so schreibt das Gauweiler-Idol in »Tod am Nachmittag«, sei darauf zurückzuführen, »daß nur ein Achtel von ihm über Wasser ist«. Die Tiefenschichten seiner umtriebigen Seele kennt wohl nicht einmal Gauweiler selber.