GESELLSCHAFT / UNEHELICHES KIND Diebstahl der Natur
Bastard, Bankert, Niemandskind -- so spricht das Volk; fleischgewordene Sünde -- so die katholische Kirche. Shakespeare besang rühmend den »heißen Diebstahl der Natur«, begangen »am verdumpften, trägen, schalen Bett«.
Rund 46 000 mal wurde Shakespeare im Lande der Dichter und Denker 1967 wahr gemacht. 46 000 Kinder wurden im letzten Jahr in der Bundesrepublik unehelich geboren -- »u. e.«, wie es im Behördenjargon heißt.
Sie sind Kinder der wahrhaft vaterlosen Gesellschaft. Sie sind nach geltendem Gesetz mit dem Vater nicht verwandt -- obwohl sie ibm ihre Existenz verdanken. Sie stehen von Geburt an unter der Vormundschaft des Jugendamts -- als mißtraue man der Mutter.
Sie wachsen auf in einer Gesellschaft, in der die große Mehrheit der Männer (90 Prozent) und Frauen (70 Prozent) vor der Ehe intimen Umgang pflegt und viele das Zeugnis solchen Tuns dennoch als Heckenbankert abqualifizieren. Dieses Volk setzt die unverheiratete Mutter auf die Straße und weint im Vorstadtkino über ihre Not.
Kein anderer als Deutschlands erster Bundeskanzler Konrad Adenauer war es, der mit Anspielungen auf die uneheliche Geburt des SPD-Chefs Willy Brandt im Wahlkampf zu reüssieren vermochte. Doch zuviel war's dem Volk, als 1963 der Polsterer Franz Sander im hessischen Kelsterbach seine 18jährige Tochter und deren uneheliches Kind mit dem Hammer erschlug und die Großmutter des Bankerts noch dazu.
Im Dilemma zwischen Vorurteil und Vernunft haben sich Illustrierte wie Intellektuelle, »Bild« wie Professoren längst auf die Seite der Unehelichen geschlagen -- zu einem Zeitpunkt, da das Problem, der schieren Zahl nach, bereits schrumpft.
Die Kurve der unehelichen Geburten verläuft -- seil 1947 gleichmäßig -- nach unten. Im Jahre 1860 waren in Deutschland 120 von 1000 Neugeborenen unehelich. In der Bundesrepublik des Jahres 1962 waren es nur noch 56, 1965 gar 47 (die meisten in West-Berlin, die wenigsten im Saarland).
Fürsorger und Jugendbehörden in allen Bundesländern verzeichnen so etwas wie Läuterung unter den Leuten. »Das gibt's doch heute gar nicht mehr, daß jemand diffamiert wird«, sagt der hannoversche Jugendrichter Herbert Kirsten. »Die Gefährdung unehelicher Kinder ist heute nicht akuter als diejenige ehelicher Kinder«, meint Bezirkstadtrat Herbert Kovácz in Berlin-Zehlendorf,
Offenkundig gebietet die pharmazeutische Industrie angeblicher Sünde wirkungsvoller Einhalt, als es ehedem Kirchen und Gesetzgeber vergönnt war. Großstädtische Emanzipation und illustrierte Sexualaufklärung' anspruchsvollere erotische Gewohnheiten und die Pille wirken zusammen. So kann die Gesellschaft mit immer weniger Unehelichen immer toleranter verfahren.
So gesehen kann sich Bundesjustizminister Dr. Dr. Gustav W. Heinemann
*Während der Debatte über die Reform des Rechts der unehelichen Kinder Im Bundestag am 17. Januar dieses Jahres.
auf ein Stück gesunden Volksempfindens verlassen, wenn er jetzt eine längst fällige Reform zu verwirklichen trachtet: die Neuordnung des Unehelichenrechts. Anfang des Jahres begannen die parlamentarischen Beratungen über den umfänglichen Entwurf, den Heinemanns Referenten ausgearbeitet haben -- in Erfüllung des bejahrten Grundgesetzauftrages (Artikel 6 Absatz 5), den unehelichen Kindern »die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern«.
Freilich, in diesem Punkt ist das Grundgesetz ein Bastard. Denn in demselben Artikel 6 (Absatz 1) heißt es: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze -- der staatlichen Ordnung.« So scheint bereits der eine Teil des Grundgesetzes mit dem anderen nicht vereinbar. Und darüber hinaus löst die Rechtsstellung des unehelichen Kindes allein nicht das Problem.
Schon 1951 konstatierte der Bundesrichter Karl Emil Meyer: »Wenn ein Grundgesetz bestimmen würde, daß der Krüppel dem gesunden Menschen gleichgestellt wird, so kann das keinem Menschen seine gesunden Glieder geben. Genausowenig kann ein Gesetz ... die menschliche Situation des unehelichen Kindes ändern, das nun einmal aus einer Teilfamilie stammt.«
1962 steuerte die Richterin Hedwig Maier zur Erkenntnis des Richters die korrespondierende Sachinformation bei: »Nach der ... Untersuchung des Soziographischen Instituts Frankfurt (von 1961) beruht die Schlechterstellung des unehelichen Kindes nicht auf einem Mangel an Rechten, sondern auf einem Mangel an Familie« ("Blätter der Wohlfahrtspflege").
Das Parlament aber konnte auf die Dauer den Befehl des Grundgesetzes nicht mißachten, uneheliche Kinder rechtlich aufzuwerten, zumal auch das Bundesverfassungsgericht darauf drängte. Anfang der Bemühungen war das »Familienrechts-Änderungsgesetz« von 1961, das unter anderem die Alimentationspflicht unehelicher Väter bis zum 18. Lebensjahr des Kindes verlängerte. Die Arbeiten an der großen Reform, die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in zweien seiner fünf Bücher -- Familienrecht und Erbrecht -- elementar verändern mußte, schleppten sich weitere fünf Jahre hin.
Dann allerdings legte das Justizministerium mit einem zeitlichen Abstand von nur sechzehn Monaten gleich zwei Referentenentwürfe zu einem »Gesetz über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder« vor mit unterschiedlicher Tendenz.
Im Mai 1966 befanden die Bonner Juristen zum Beispiel, das uneheliche Kind dürfe neben ehelichen Kindern nicht erben. Im September 1967 hingegen hielten die Referenten Erbrecht für geboten; andernfalls sei der Grundgesetzbefehl nicht erfüllt.
Begründung 1966, als der katholische CSU-Mann Richard Jaeger Justizminister war: »Eine Beziehung, wie sie zwischen dem ehelichen Kinde und seinem Vater besteht, entsteht nicht allein durch den biologischen Akt der Zeugung, sondern durch das Beieinander- und Füreinandersein in der Familiengemeinschaft. Die bloße Tatsache der Abstammung würde überbewertet werden, wenn uneheliche Kinder erbrechtlich den ehelichen gleichgestellt würden.«
Begründung 1967, nachdem der protestantische SPD-Mann Gustav Heinemann Justizminister geworden war: »Die Tatsache, daß das uneheliche Kind in der Regel mit seinem Vater nicht in einer Familiengemeinschaft gelebt hat, rechtfertigt es nicht, das Kind nicht in demselben Umfang wie ein eheliches Kind am Nachlaß seines Vaters teilhaben zu lassen ... Es wäre im übrigen höchst unbillig, wenn der für das Kind nachteilige Umstand, daß es nicht in Familiengemeinschaft mit seinem Vater leben kann ... weiterhin dazu führen würde, daß das Kind im Erbrecht gegenüber ehelichen Kindern benachteiligt wird,«
Der Referentenentwurf 1967, der jetzt im Parlament erörtert wird, sieht vor:
* Uneheliche und eheliche Kinder sind in ihren Unterhaltsansprüchen gleichgestellt; auch der Uneheliche kann zeitlebens seinen Vater in Anspruch nehmen, wenn er bedürftig und wenn der Vater leistungsfähig ist; jedenfalls aber muß der leistungsfähige Vater zahlen, bis die Ausbildung seines unehelichen Kindes -- etwa ein Studium -- beendet ist.
* Das uneheliche Kind muß, wie das eheliche, auch seinerseits dem Vater Unterhalt leisten, wenn dieser in Not gerät.
* Die Höhe der Alimentation, die gegenwärtig allein durch die Verhältnisse der Mutter bestimmt wird, soll sich in Zukunft nach der Lebensstellung beider Eltern richten.
* Während heute die volljährige Mutter nur auf Antrag die elterliche Gewalt erhält, steht sie ihr künftig von vornherein zu.
* Das uneheliche Kind führt grundsätzlich den Familiennamen seiner Mutter zur Zeit der Geburt. Nimmt eine verheiratete Mutter eines unehelichen Kindes nach Auflösung ihrer Ehe wieder ihren Mädchennamen an, so wird der Mädchenname der Familienname des Kindes, wenn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
* Das uneheliche Kind erbt nach dem Tode seines Vaters wertmäßig wie dessen eheliche Kinder, freilich ohne zur Erbengemeinschaft zu gehören.
Der letzte Programmpunkt, der Erbanspruch des Niemandskindes, bricht mit deutscher Tradition. Minister Heinemann versteht sich als Schocktherapeut: »Wie beim Unterhaltsrecht, so dient auch bei der Neuregelung des gesetzlichen Erbrechts die möglichst vollständige Einfügung des unehelichen Kindes und seiner Abkömmlinge in die Familie des Vaters dazu, seine gesellschaftliche Stellung zu heben und noch vorhandene Vorurteile abzubauen.«
Und tatsächlich sind die geltenden rechtlichen Regelungen ebensosehr Ausdruck gesellschaftlicher Diskriminierung, wie sie diese Diskriminierung immer aufs neue verursachen. Den »Spurius« des Mittelalters, den Vorfahren des Unehelichen von heute, stieß das Kirchenrecht in der Verteidigung des Ehe-Sakraments aus der Tugend-Gemeinde.
Nach dem Kirchenrecht sind die unehelichen Kinder noch heute »irregulares ex defectu« -- fleischgewordener Fehltritt gewissermaßen. »So kommt es«, räumt der katholische Moraltheologe Professor Waldemar Molinski ein, »daß sie häufig psychische Komplexe entfalten ... und daß sie leicht in die Rolle des Außenseiters gedrängt werden*.«
Diese Außenseiterrolle bedeutet allerdings nicht immer Schmach und keineswegs Verzicht auf Ruhm. Normannenherzog Wilhelm, Eroberer von England, nannte sich stolz »Bastardus« -- »natürlicher Sohn« des Herzogs Robert. Solchen natürlichen Kindern blieben zwar bestimmte Titel oder Lehen versagt, doch stand es in der Freiheit des Vaters, individuelle Korrekturen vorzunehmen -wovon zum Beispiel der Renaissance-Papst Alexander VI. unbefangen Gebrauch machte: Die Nepoten Heiliger Väter waren gut für Fürstentümer und Kardinalshüte
Und Europas Dichter und Denker meinten es nicht böse mit den Bastarden. Kleists Käthchen von Heilbronn avanciert, sobald der Kaiser sie als seine »natürliche Tochter« erkennt, zur Prinzessin von Schwaben. Romantiker Tieck: »Man spricht, daß solche Km-
* Waldemar Molinski: »Uneheliche Kinder -- rechtlose Kinder?«, Paulus Verlag, Recklinghausen; 96 Seiten; 6,90 Mark.
der, Liebeskinder, wie man sie nennt, stets schöner, größer werden als Kinder rechter Ehen ... und daß der Himmel, um die Sünd zu mildern, am Kinde gutmacht, was die Eltern fehlten.«
Als Bastarde wurden Leonardo da Vinci wie Papst Klemens VII. geboren. Der Sieger der Seeschlacht von Lepanto, Don Juan d'Austria, entstammte einer Liaison des Kaisers Karl V. und der Regensburger Bürgerstochter Barbara Blomberg.
Uneheliche waren auch der Retter Preußens, Graf Yorck von Wartenburg, Unterzeichner der Konvention von Tauroggen. Niemandskinder waren die Liszt-Tochter Cosima Wagner, der französische Maler Maurice Utrillo und Marilyn Monroe. Außerehelich geboren wurden Sophia Loren und Fidel Castro, Hitlers Vater Alois Schicklgruber und der 1934 ermordete österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß.
Sie alle tragen unsichtbar den Bastardfaden (bâton sinistre), den ihre ritterlichen Vorgänger ehedem offen im Schilde führten: einen schwarzen Strich, von schräg links über das ganze Feld gezogen. Wem der Faden nicht genügte, dem stellte der Heraldiker sogar noch mehr Schwarz zur Verfügung: den Bastardbalken.
Den ersten Schritt vom edlen Bastard zum gemeinen Bankert -- dem auf der Bank statt im Bett gezeugten Kind -- vollzog die Kirche, indem sie die Einehe mit dem Sexualmonopol segnete. Den zweiten Schritt ging das Bürgertum, indem es Prüderie privilegierte. Die Gesellschaft ächtete die Konkubine. Das Verdikt galt nicht nur dem Fräulein-Kind, sondern auch dem Fräulein mit Kind.
Je lauter die deutsche Bürgergemeinde vor allem im 19. Jahrhundert das hohe Lied von der Mutterschaft erschallen ließ, desto erbarmungsloser erniedrigte sie die unverheiratete Mutter. Die erste systematische Arbeit, die in Deutschland über die Situation der Unehelichen erstellt wurde, setzte denn auch bei den Müttern an. 1912 untersuchte die Frauenrechtlerin Adele Schreiber in Berlin die Verhältnisse von 2000 ledigen Müttern und ihren Kindern.
Das Resümee fiel für die gefallenen Mädchen ("Eine hohe illegitime Geburtenziffer kann der Ausdruck gesunder, sogar monogamer Sittlichkeitszustände sein") über Erwarten positiv, für die Gesellschaft aber vernichtend aus.
Am nachhaltigsten schädigten, so Adele Schreiber, das »junge Weib, dessen ganze »Schuld' in seiner Mutterschaft besteht«, die Härte der Eltern, die Sanktionen »tugendhafter Arbeitgeber« sowie »die pharisäische Mitleidlosigkeit der Gesellschaft«.
Erst als nach dem Ersten Weltkrieg die plüschselige Ordnung dahinging, schien das Recht der unehelichen Kinder zur Reform reif. Mit dem Artikel 121 beauftrage die Weimarer Nationalversammlung den künftigen Reichstag, alle Diskriminierungen des Bankerts aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu tilgen.
Der Widerstand war so leise wie zäh. Die widersprüchlichen Argumente sind offenbar unsterblich. Erst kürzlich formulierte sie Dr. Jakob David, Direktor des Sozialinstituts der Bistümer Paderborn und Essen, noch einmal für die Leserbriefspalte der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
* Je höher die finanzielle Verpflichtung des Vaters, desto größer werde für ihn auch die Versuchung, auf Schwangerschaftsunterbrechung zu drängen -- »eine um so größere Zahl dieser Unehelichen wird das Licht der Welt überhaupt nie erblicken«.
* Je höher die Verpflichtung des Vaters, desto größer die Versuchung für unverheiratete Frauen, »in eine bestehende fremde Ehe einzubrechen und sich durch ein uneheliches Kind eine Rente zu verschaffen«.
* Die Umgestaltung des Unehelichenrechts führe möglicherweise dazu, »daß damit die Zahl der Unehelichen vermehrt« werde, womit »den Kindern schlecht gedient« sei.
* Weiblicher »Leichtsinn« schließlich werde »durch Erleichterungen nur noch größer«.
Die Abgeordneten des Reichstags hörten die Kirchenglocken und wahrten Abstinenz. Abgesehen vom Jugendwohlfahrtsgesetz, das 1922 die automatische Amtsvormundschaft einführte, geschah für Deutschlands u.e.-Bürger nichts. Im Dritten Reich unterblieb die Reform aus züchterischen Erwägungen: An Kindern war Bedarf, an Heimen kein Mangel. Von einer gesetzlichen Lösung aber stand zu befürchten, daß sie zwar die präsumtiven Kindsmütter freier, jedoch die Väter moralischer stimmen könnte -- gerade das war den Nazis nicht geheuer.
Nach solcher Zurückhaltung konnten die Väter des Grundgesetzes in jenem Absatz 5 des Artikels 6 ihrer Verfassung den alten Artikel 121 der Weimarer fast wörtlich übernehmen. Erst nach einem weiteren Jahrzehnt der Stagnation aber halfen wissenschaftliche Erkenntnisse, der Rechtsreform den Boden zu bereiten. Die wichtigsten. so die Marburger Sozialwirtin Franziska Ras ("Das Verhältnis der unehelichen Eltern zu ihrem Kinde"):
* Uneheliche Väter sind nicht durchweg desinteressiert an ihren Sprößlingen; beinahe die Hälfte räumt eine persönliche Bindung ein.
* 72 Prozent der unehelichen Mütter haben ein »gutes, liebevolles« Verhältnis zu ihren Kindern.
Und auch die Kirche mußte das zur Kenntnis nehmen. Beide Konfessionen legten zumindest das Flammenschwert beiseite, mit dem sie jahrhundertelang alle Unbefugten vom Glück angeblicher ehelicher Freuden fernzuhalten suchten. Allerdings gelten der katholischen Moraltheologie die Unehelichen noch immer als inkarnierter Fehltritt. Und die »Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden« überläßt es den Gliedkirchen, ob Mütter unehelicher Kinder den Segen verdienen.
Aber ohne den artikulierten Rückhalt der Kirchen hat der Widerstand gegen eine Reform des Unehelichenrechts keine Leitstimme mehr. Als der Hamburger Professor Zweigert den Gesetzgeber aufrief, die »infernalische Begrüßung am Eingangstor«, den Paragraphen 1589 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), ersatzlos zu streichen, protestierte niemand mehr. Mit Paragraph 1589 beginnt im BGB der Abschnitt »Verwandtschaft«. Sein zweiter Absatz lautet: »Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.«
Fällt diese Bestimmung, so muß die ganze bisherige Regelung des Unehelichenrechts in sich zusammenbrechen, der Bankert zum Kind werden. Im Grundsatz gehört er dann zur Familie -- und untersteht dem Familienrecht.
Genau dieses Ziel hat Gustav Heinemann anvisiert. Sein Entwurf zu einem »Gesetz über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder« will mehr als nur die rechtliche Benachteiligung des Unehelichen beseitigen: 99 Seiten füllen allein die neugefaßten Bestimmungen samt Erläuterung.
»Eine ungleiche rechtliche Behandlung ehelicher und unehelicher Kinder ist geradezu geboten«, heißt es in der Begründung zum Entwurf, »um die tatsächliche Lage der unehelichen Kinder derjenigen der ehelichen Kinder möglichst anzugleichen.«
Offenbar fiel das nicht leicht. An die Stelle einer wegfallenden Vorschrift treten wenigstens drei neue. Dennoch bliebe der Uneheliche, würde allein das Bürgerliche Gesetzbuch zu seinen Gunsten verändert, vorerst benachteiligt. Die Fiktion, er sei mit seinem Erzeuger nicht verwandt, hat nämlich im Laufe der Zeit nahezu die gesamte Rechtsordnung durchtränkt: das Personenstandsrecht' das Jugendwohlfahrtsrecht, vor allem aber den Vorschriften-Dschungel öffentlicher Versorgungslistungen, sogar das Wehrpflichtgesetz. Der eheliche Sohn eines gefallenen Vaters braucht keinen Wehrdienst zu leisten. Der uneheliche muß dienen.
Nach einer Kehrtwendung könnte der Gesetzgeber nicht umhin, die Stockflecken des Stigmas überall zu entfernen. Im bürgerlichen Recht freilich wirkt sie sich nicht allein zum Vorteil des Unehelichen aus. Zum Beispiel muß er jetzt auch für den Vater zahlen, wenn der zum Fürsorgefall wird.
Verdient der Zahlvater aber gut, so gewinnt das Kind. Die Bestimmung, daß sich künftig der Unterhalt nach den Lebensverhältnissen beider Eltern bemessen soll, sichert ihm angemessene Rente.
Und auch im Erbfall geht's ihm besser. Selbst wenn sein Vater zuungunsten des außerehelichen Abkömmlings ein Testament macht, bleibt dem Illegitimen der Anspruch in Höhe des Pflichtteils, der Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Leidtragende der neuen Erbregelung ist die Ehefrau, wenn ihre Ehe kinderlos geblieben ist. Wird ihr Mann als Kindsvater außerhalb der Ehe beansprucht, so fällt sie zugunsten des unehelichen Kindes auf ein Viertel des Nachlasses zurück.
Selbst Tote sollen noch als Väter herhalten; vorausgesetzt, das Kind war zur Zeit des Vatertodes nicht älter als sechs Monate und der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft wurde binnen sechs Monaten nach dem Todesfall gestellt.
Das System der gesetzlichen Vaterfindung ist darauf angelegt, den Fiskus zu entlasten. Als Vater läßt das deutsche Recht grundsätzlich den figurieren, von dem die Kindesmutter unwiderlegt behaupten kann, er habe mit ihr während der gesetzlichen Empfängniszeit -- zwischen dem 302. und dem 181. Tage vor der Geburt -- Verkehr gehabt.
Geht der Gesetzgeber der Mutter schon bei der Auswahl des prospektiven Zahlvaters an die Hand, indem er ihr den wundersam langen Empfängniszeitraum von 121 Tagen gewährt, so schützt er sie nachher auch gegen den Widerspruch des als Vater Benannten.
Gegenwärtig kann sich der Intimfreund gegen die Annonce der Freundin nur wehren, indem er
* entweder dartut, daß er nicht der biologische Vater sein kann, oder
* beweist, daß die Mutter während der Empfängniszeit außer mit ihm auch noch mit anderen Männern verkehrte.
Versucht er das eine, so läßt ihn häufig die Medizin im Stich. Trägt er die »Einrede des Mehrverkehrs« (Exceptio plurium) vor, so scheitert er meist an der Beweislast. Regelmäßig zeigt sich weder die Mutter als gedächtnisstark noch ein anderer -- nun ebenfalls gefährdeter -- Liebhaber der Frau.
In den Jahren 1959 bis 1961 entschlüpften den Hamburger Richtern nur 98 Männer mit Hilfe der Mehrverkehrseinrede. In diesem Zeitraum wurden 6083 uneheliche Kinder geboren.
Gustav Heinemann aber will, daß jeder seinen Vater hat. Der als Erzeuger benannte Freund muß nach dem neuen Gesetzentwurf selbst auf die Mehrverkehrseinrede verzichten. Im Paragraphen 1600 steht einfühlend, die Vaterschaftsvermutung sei sachlich gerechtfertigt, »denn im allgemeinen verkehrt die Mutter eines unehelichen Kindes während der Empfängniszeit mit nur einem Mann«.
Die Suche nach dem Vater, die das deutsche Unehelichenrecht kennzeichnet, hängt mit der Abneigung zusammen, sich auf die Mutter als natürlichen Mittelpunkt der Teilfamilie zu konzentrieren.
Daß für ein Kind die ersten Lebensjahre prägend sind -- das Zuhause, ob mit oder ohne Vater -, wissen in Deutschland offenbar nur die Psychologen. Für die skandinavischen Gesetzgeber dagegen beginnt die Unehelichen-Fürsorge mit der Mütterhilfe.
Im Auftrag der »Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge« berichtete zum Beispiel 1963 Dr. Ferdinand Blötz: »Was ursprünglich nur für die unehelichen Mütter (in Dänemark) gedacht war, ist inzwischen für alle Mütter, die ... allein dastehen, wirksam geworden. Mithin wird genau dieselbe Art der Hilfe einerseits und dieselbe Form der Inanspruchnahme der unterhaltsverpflichteten Männer andererseits ... gewährt.«
Für ein uneheliches Kind wird in Dänemark sofort nach seiner Geburt ein sogenannter »Normalbeitrag« aufgewendet -- und zwar an denjenigen, der das Kind betreut. Das kann die Mutter selbst sein. Häufig sind es ihre Eltern. Gezahlt wird aber auch an Pflegeeltern und Heime: So wird von Anfang an das Zuhause gesichert.
Nicht die Mutter, die sich frei von seelischen Belastungen um ihr Kind kümmern soll, trägt das Erfolgsrisiko der Vatersuche. Es erübrigt sich, Erzeuger zu ersinnen.
Allerdings: Ist ein Däne erst einmal der Zeugung überführt, so fackelt die Behörde nicht. Der Belehrung folgt alsbald die Lohnpfändung. Vaterflucht endet sicherer im Gefängnis als in Deutschland Fahrerflucht.
In der Bundesrepublik jedoch erhält das niedergekommene Mädchen erst dann Unterhalt, wenn der benannte Vater auch tatsächlich zahlt. Die Fürsorge nimmt sich der Mutter erst an, wenn sie alle eigenen Mittel mit ihrem Kinde geteilt hat -- wenn mithin beide zu Sozialfällen geworden sind.
Das wird auch die Reform nicht ändern, die Bonn jetzt anstrebt.