»DIESE MUSIK FINDE ICH SCHRECKLICH«
SPIEGEL: Herr von der Vring, seit Sie zum Gründungsrektor der neuen Universität Bremen bestellt worden sind, kursiert das Schlagwort von der »roten Universität«. Sind Sie ein Roter?
VON DER VRING: Ich bin Sozialdemokrat und Jungsozialist.
SPIEGEL: Sind Sie Marxist?
VON DER VRING: Ich würde mir diese Schelle nie umhängen. Aber ich habe von Marx sehr viel gelernt.
SPIEGEL: Sind Sie Sozialist?
VON DER VRING: Wenn jeder ein Sozialist ist, der am Sozialismus arbeitet, dann bin ich sicher ein Sozialist.
SPIEGEL: Sie sind stellvertretender Vorsitzender der SPD-Junioren, die sich Jungsozialisten nennen. Auf dem Münchner Kongreß im Dezember 1969 haben die Jusos beschlossen, »systemüberwindend zu wirken« und »sich klar abzusetzen von einem systemausbessernden Reformismus«. Sind Sie ein Gegner des Systems?
VON DER VRING: Ich bin ein Gegner des Kapitalismus. Wir haben in München in einem unserer Beschlüsse so einen Musiksatz reingeschrieben: An sich müsse man ja das ganze System abschaffen. Seitdem gelten wir Jungsozialisten als Frankensteins und Dr. Mabuses. Aber mich regt das nicht weiter auf.
SPIEGEL: Dürfen wir wiederholen: Sind Sie ein Gegner des Systems?
VON DER VRING: Was wir in München formuliert haben, mag als Provokation aufgefaßt werden. Provokationen sind manchmal ganz gut. Bislang sind alle Argumente, die wir Sozialisten vorgetragen haben, totgeschwiegen worden. Die einzige Chance, von der Öffentlichkeit ---- das haben wir aus der Hochschulreform gelernt -- beachtet zu werden, ist es, etwas Skandalöses in die Debatte zu werfen.
SPIEGEL: Wollten Sie die Leute, wie Frankenstein, doch nur erschrecken?
VON DER VRING: Das Nützliche an diesem Horror-Vergleich ist: Zunächst werden die Leute aufmerksam, und dann sind sie dankbar, daß wir so schlimm nun doch nicht sind.
SPIEGEL: Für viele sind Sie schlimm genug -- etwa für die CDU-Opposition in der Bremer Bürgerschaft, deren Sprecher »verfassungsfeindliche und revolutionäre Umtriebe« befürchtet.
VON DER VRING: Das sind, bestenfalls, nur Befürchtungen. Schlimmstenfalls ist das Demagogie.
SPIEGEL: Selbst SPD-Politiker haben offenbar Bedenken. So sorgte sich der Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann, »ob das angestrebte Modell der Bremer Universität die volle Freiheit von Forschung und Lehre garantiere und sich ... im Rahmen unserer grundgesetzlichen Ordnung bewege«.
VON DER VRING: Wenn ich mich und das Bremer Modell nur aus der »FAZ« kennen würde, wäre ich nicht bereit, auch nur einen Groschen dafür zu bewilligen.
SPIEGEL: Da Sie die »FAZ« lesen: Es heißt dort, in Bremen solle »die erste sozialistische Universität der Bundesrepublik entstehen«. Schwebt Ihnen so etwas vor?
VON DER VRING: Ich weiß nicht einmal, was das heute sein sollte.
SPIEGEL: Andere Linke haben da durchaus konkrete Vorstellungen -- etwa marxistische Studenten und Dozenten am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Sie wollen »aus Studenten, die noch keine Genossen sind, Genossen machen«. Das Studium soll dazu dienen, »daß sich revo-
* Mit Wolfgang Malanowski und Ernst Elitz.
lutionäre Intellektuelle Wissen aneignen, damit sie sich im Beruf mit dem Proletariat verbinden können« -- die Universität als marxistische Kaderschmiede also.
VON DER VRING: Das würde ich für töricht halten, weil sich die Gesellschaft das nicht gefallen lassen kann; sie würde das sofort unterbinden.
SPIEGEL: Das ist, wie uns scheint, ein vordergründiges Argument.
VON DER VRING: Ich halte das auch aus einem anderen Grund für sinnlos. An einer solchen Universität würde man alle Diskussionen ersticken, und so kämen zum Schluß nur Dogmatiker heraus.
SPIEGEL: Das »Sozialistische Arbeitskollektiv« am Otto-Suhr-Institut sieht das Schwergewicht des Studiums »im proletarischen Kampf«. Für die Genossen ist es »klar, daß wir Agitation entfachen«.
VON DER VRING: Diese Musik finde ich schrecklich. Ich bin für eine kritische Universität -- andere mögen das eine sozialistische Universität nennen. Es geht mir darum, ein altes Ideal zu erfüllen, das einmal der Ursprung der Universität gewesen ist.
SPIEGEL: Was wollen Sie restaurieren?
VON DER VRING: Wenn es uns gelänge, eine Universität zu schaffen, in der vorurteilsfrei alle Erkenntnisse über diese Gesellschaft ausgesprochen werden können, ohne daß sofort Repressionen von außen einsetzen, dann hätten wir eine gute Universität.
SPIEGEL: Das nimmt sich für einen Jungsozialisten recht betulich aus. Wenn die Antworten, die Sie uns bis jetzt gegeben haben, nicht einem taktischen Kalkül der Beschwichtigung entspringen, könnte man -- um in Links-Jargon zu verfallen -- meinen, Sie seien ein liberaler Scheißer, der an einer sozialistischen Universität gar kein Interesse hat.
VON DER VRING: Eine sozialistische Universität kann ich mir erst in einer sozialistischen Gesellschaft vorstellen. Die Universität kann nur in dem Maße umgestaltet werden, wie sich die Gesellschaft demokratisiert. Aber man kann nicht mit der Universität versuchen, die Gesellschaft zu ändern. Da ist die Schule viel wichtiger.
SPIEGEL: Dann könnten Sie uns vielleicht erläutern, was eine »sozialistische Einheitsschule« ist -- dafür haben die Jungsozialisten in München ebenfalls plädiert.
VON DER VRING: Ich spreche ungern von sozialistischen Einzeleinrichtungen.
SPIEGEL: Die Jusos, zu denen Sie sich wohl noch zählen, tun das ganz gern.
VON DER VRING: Ich habe einen strengeren Umgang mit Worten. Man nennt mich deswegen auch einen Theoretiker. Aber wir können ruhig bei diesen Formeln bleiben, das sind nur Etiketten.
SPIEGEL: Sie haben bislang zu hochschulpolitischen Fragen öffentlich nicht Stellung bezogen -- ausgenommen Ihre 13 Seiten umfassende Schrift »Theoretische Überlegungen zum Problem der Universitätsgründung«, die Sie in Bremen vorgelegt haben. Darin ist vom Zusammenhang zwischen »Kritik und Revolution« die Rede. Sind das auch nur Formeln, Etiketten?
VON DER VRING: Es gibt gewisse begriffliche Schwierigkeiten. In der theoretischen Sprache der Wissenschaft spricht man ja auch von der industriellen Revolution, die durchaus evolutionär abläuft und nichts mit Gewalt zu tun hat.
SPIEGEL: Vielleicht sollten die auf Präzision bedachten Wissenschaftler sorgfältiger formulieren, um Mißverständnisse auszuschließen?
VON DER VRING: Das mag wohl sein. Ich habe das ja auch in einem wissenschaftlich formulierten Papier für Wissenschaftler geschrieben -- für die Angehörigen des Bremer Gründungssenats. Es gibt viele Probleme, die man nur in der Sprache der Wissenschaft überhaupt fassen, ausdrücken und behandeln kann. Hätte ich nicht zu Wissenschaftlern gesprochen, dann hätte ich von vornherein eine andere Sprachebene gewählt.
SPIEGEL: Was hieße Revolution auf dieser anderen Ebene?
VON DER VRING: Die Veränderung einer Sache durch die Kritik und aufgrund der Kritik.
SPIEGEL: Also Evolution?
VON DER VRING: Vielleicht sollte man sich darauf einigen, um Verwechselungen künftig zu vermeiden: Revolutionen sind Aufstände mit bewaffneter Gewalt gegen bewaffnete Gewalt. Eine Gesellschaftsordnung, die nicht auf physischer Gewalt beruht, wie die bundesrepublikanische, kann man auch nicht mit Gewalt umstürzen. Ein solcher Versuch ginge an der Sache vorbei.
SPIEGEL: Dann sind Sie ein Anhänger der parlamentarischen Demokratie?
VON DER VRING: In dieser Gesellschaftsordnung und in dieser Zeit hat es einen guten Grund, daß wir ein parlamentarisches System haben. Dieses System ist natürlich variationsfähig. Für mich ist Sozialismus die demokratisierte Gesellschaft mit allen Konsequenzen.
SPIEGEL: Mit welchen Konsequenzen?
VON DER VRING: Da braucht man nur seine Phantasie walten zu lassen: Mitbestimmung in den Betrieben, Demokratie an der Hochschule, Verstaatlichung der Großbanken ...
SPIEGEL: ... und auch »die Vergesellschaftung der Produktionsmittel«. Das ist ebenfalls eine Juso-Forderung.
VON DER VRING: Wenn man so etwas erwähnt, dann scheuen schon die Pferde. Das liegt daran, daß der Begriff Demokratie nicht mehr so recht ernst genommen wird. Man hat es sich abgewöhnt, Demokratie so konkret zu verstehen, wie wir das tun: als Volksherrschaft.
SPIEGEL: Also Volksherrschaft, gemäß parlamentarischem Brauch mit mindestens 51 Prozent der Wählerstimmen?
VON DER VRING: Warum soll das in der Bundesrepublik nicht möglich sein? Die Schweden sind diesen Weg schon gegangen. Dort hat man eine Gesellschaftsordnung, die sich mit Ruhe und Überlegung weiter zum Sozialismus entwickeln kann. In der Bundesrepublik wird allerdings in allen Punkten, in denen wir Reformen durchsetzen wollen, ein riesiger Kampf entbrennen. Die SPD wird um diesen Kampf nicht herumkommen -- kein Kampf mit Kanonen, vielmehr ein Kampf um das Bewußtsein der Massen, um wenigstens 51 Prozent.
SPIEGEL: Ist damit die Revolutionierung des Bewußtseins gemeint, von der Rudi Dutschke einmal sprach? Soll die Universität zu dieser Bewußtseinserhellung beitragen, indem sie Partei ergreift -- und sich »offen auf die Seite des Fortschritts schlägt«, wie Sie in Ihrem Bremer Papier formulieren?
VON DER VRING: Ja, denn das hat sie lange genug versäumt. Wenn wir heute fordern, daß sie diese aufklärerische Funktion erfüllt, dann wird das schon als umstürzlerisch gewertet.
SPIEGEL: Wie soll die Universität denn die aufklärerische Funktion, die Sie ihr abverlangen, wahrnehmen?
VON DER VRING: Das kann ich Ihnen am Beispiel der Nationalökonomie erläutern. Sie hat längst aufgehört, eine kritische, volksverbundene Wissenschaft zu sein, wie sie es zu Zeiten von Adam Smith noch gewesen ist. Sie hat praktisch Partei genommen für den Kapitalismus, indem sie die Fragen der Gesellschaftsordnung und der Wirtschaftsverfassung als sogenannte außerökonomische Probleme ausgeklammert hat -- obwohl die Wissenschaftler die Mängel dieses Systems erkennen mußten; und manche von ihnen haben sie erkannt -- aber nicht artikuliert. So ist es kein Wunder, daß die Universität in Teilbereichen zu einer kapitalistischen Kaderschmiede geraten ist -- um einmal diese Metapher gegen die zu kehren, die sie heute auf uns anwenden ...
SPIEGEL: ... und Ihnen, wie Springers »Welt«, »Irrsinn weltanschaulich fixierter Universitäten« attestieren. Das Blatt fürchtet, wie manche Parteipolitiker, daß die Universität Bremen unter rotem Vorzeichen genauso unkritisch Wissenschaft treiben könne -- dogmatisch vom Marxismus her, nicht vom Kapitalismus.
VON DER VRING: Um es ganz klar zu sagen: Mein methodisches Prinzip ist der Methoden-Pluralismus. Wir brauchen die Methoden der Positivisten in gleicher Weise wie die Analysen der kritischen Schule um Horkheimer, Habermas und Marcuse.
SPIEGEL: Gäbe es an der Bremer Universität auch Platz für einen so profilierten Rechts-Professor wie den Würzburger Brigadegeneral Friedrich August Freiherr von der Heydte?
VON DER VRING: Vorstellen kann ich es mir schon -- obgleich es ziemlich lustig wäre. Eine andere Frage ist, ob er an einer solchen Universität arbeiten möchte. Es würde für ihn bestimmt kein Vergnügen sein.
SPIEGEL: Käme es nicht schon darauf an, ob Professoren wie von der Heydte von einer mit Studenten, Assistenten und Professoren besetzten Berufungskommission die Mitarbeit in Bremen angetragen würde?
VON DER VRING: Sie haben recht, wahrscheinlich würde er dort keine Mehrheit finden. Mich würde von der Heydte nicht weiter stören, weil ich glaube, daß diejenigen, die kritisch sind und an der Überwindung der Gesellschaftsordnung im heutigen Zustand arbeiten, sich gegen alle konservativen Positionen argumentativ durchsetzen können.
SPIEGEL: Nun sind Sie wieder bei der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung...
VON DER VRING: ... und Sie können sich eine sozialistische Gesellschaftsordnung immer noch nicht konkret vorstellen.
SPIEGEL: Können Sie es?
VON DER VRING: Ich will Ihnen zeigen, daß Sozialisten nicht immer so unpraktisch sind und nur faseln. Ich bin der Meinung, daß diese Gesellschaftsordnung, in der wir heute leben, ein vernünftiges Politikmachen nicht zuläßt, daß man immer mit Krücken arbeiten muß, daß ungeheuer viel verschwendet wird und daß eine Gesellschaftsordnung, wie ich sie mir vorstelle, für alle angenehmer, besser und humaner wäre.
SPIEGEL: Darunter können wir uns immer noch nicht viel vorstellen.
VON DER VRING: Wir müssen die Mitbestimmung am Arbeitsplatz durchsetzen, damit Keimzellen entstehen, wo Solidarität und Kollektivität erwachsen können. Die heutige Gesellschaftsordnung bringt doch die Leute in ein Konkurrenzverhältnis, das dann Feindschaftsreaktionen auslöst und die Solidarität zerstört. Ein anderes: das klassenlose Krankenhaus. Zur Überraschung vieler Sozialdemokraten hat sich herausgestellt, daß diese Forderung, obwohl sie sehr wild klingt, schon von über 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt wird. Man muß solche Forderungen nur einmal formulieren -- wie auch jene der Jungsozialisten, Grund und Boden der privaten Spekulation zu entziehen.
* Oben: in der Bibliothek der PH Berlin; unten: Anschläge von Basisgruppen In der TU Berlin.
Wir müssen die Parteien dazu zwingen, endlich ein neues Bodenrecht zu beschließen.
SPIEGEL: Wie zwingen?
VON DER VRING: In unserer Gesellschaft werden von den Staatsinstanzen Vorschläge offenbar nicht aufgegriffen, wenn nicht Demonstrationen und Kampagnen stattfinden. Wir haben das am Beispiel der Hochschulreform gesehen: Seit 1960 stapelten sich die Reformvorschläge in den Schränken. Aber es ist nichts geschehen -- bis die Transparente kamen und die Scheiben klirrten. Das ist eine Erfahrung, aus der sehr viele gelernt haben. Und ich glaube, alles, was wir hier fordern, werden wir ohne Kampagnen nicht durchsetzen können.
SPIEGEL: Sollen solche Kampagnen an der Universität vorbereitet werden?
VON DER VRING: Die Universität kann keine Kampagnen vorbereiten. Sie kann nur denjenigen, die etwas tun wollen, die Munition liefern, sie mit Ideen ausstatten, ihnen die Fehler offenlegen und ihnen sagen, wie man manches besser machen kann.
SPIEGEL: Bei allem Methodenpluralismus, für den Sie plädieren, wäre die Hochschule dann doch ein Instrument sozialistischer Politik.
VON DER VRING: Sie sollte eine treibende Kraft zur Veränderung der Gesellschaft sein, sie sollte Modelle entwickeln, Alternativen aufzeigen.
SPIEGEL: Also wollen Sie, wie der SDS, die »wissenschaftliche Produktivität gegen das kapitalistische System einsetzen«?
VON DER VRING: Ja, das klingt sehr gut. Studenten und auch Schüler müssen die Demokratie lernen und praktizieren. Zugleich müssen sie lernen, an welchen Stellen man drücken muß. Und wenn wir diesen Druck erzeugen können und auf diese Weise die Gesellschaft dazu bringen, sich permanent um Reformen zu bemühen, dann würde ich das eine systemdehnende Politik nennen.
SPIEGEL: Dieser Begriff ist uns neu.
VON DER VRING: Natürlich könnte ich auch sagen, wir wollen den Kapitalismus überwinden. Aber sobald wir konkret werden, läßt sich kaum definieren, wo das alte System aufhört und das neue beginnt.
SPIEGEL: Ihre Genossen, die Jungsozialisten, könnten Sie da leicht verdächtigen, daß Sie nur einen »systemausbessernden Reformismus« betreiben.
VON DER VRING: Als ich aus dem SDS ausgeschieden bin, hat man mich Arbeiterverräter genannt. Wenn man mich heute als Reformisten oder als liberalen Scheißer abqualifiziert, dann ist mir das auch egal. Wenn die Leute solche Aggressionsentladungen für ihren seelischen Haushalt brauchen, hat das ja immerhin noch eine ganz nützliche Funktion.
SPIEGEL: Haben Sie unter diesen Umständen das Vertrauen derjenigen, die meinen, Sie würden eine sozialistische Universität aufbauen helfen?
VON DER VRING: Intellektuelle Sozialisten neigen dazu, mit neuen und wilden Worten um sich zu werfen. Wir nennen das Wortradikalismus. Wenn dann auf einmal etwas Ordentliches daraus wird, etwa eine Universitätsgründung, dann ist es für viele eine ganz große Nebensächlichkeit.
SPIEGEL: Kann der Rektor einer solchen Nebensächlichkeit darauf rechnen, noch einmal in den Vorstand der Jusos berufen zu werden?
VON DER VRING: Ich glaube kaum, daß ich als Gründungsrektor genügend Zeit aufbringen könnte, weiter Jungsozialisten-Funktionär zu sein. Außerdem bin ich schon 33 Jahre alt und glaube, daß nun Jüngere den Verband Organisieren sollten.
SPIEGEL: Wenn es zutrifft, daß -- wie der »Kursbuch«-Autor Bahman Nirumand einmal schrieb -- die »Taktik der studentischen Avantgarde in einem bescheidenen Grad eine modifizierte Anwendung der Guerilla-Strategie« sei, liegt die Frage nahe, ob Ihr Reformismus nicht nur Tarnung, nicht nur Taktik ist. Ihr Vokabular im Bremer Papier ist in dieser Hinsicht jedenfalls zweideutig. Da ist von einer »Strategie des Widerstandes der Universität gegen Ansprüche der gesellschaftlichen Hierarchie« die Rede, die es zu entwickeln gelte.
VON DER VRING: Ich bin natürlich nicht darauf aus, ungeschickt zu sein, und ich mache es meinem Gegner immer sehr schwer. Aber ich habe Ihnen ja schon gesagt: Dieses Bewerbungsschreiben gehört auf eine andere Ebene als unser Gespräch. Die Formulierung, die Sie eben gebraucht haben, habe ich in der theoretischen Sprache der Wissenschaft gemacht.
SPIEGEL: Auf welcher Ebene haben Sie sich denn gerade befunden, als Sie schrieben, die Universität müsse sich in dem »Konflikt zwischen ... Privilegierten und den Unterprivilegierten« -- zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beispielsweise -- auf die Seite der Unterprivilegierten schlagen. Wir zitieren Sie: »Eine kritische Universität ist in diesem Konflikt Partei.«
VON DER VRING: Ich glaube, daß eigentlich jeder Abgeordnete, der vom Volk gewählt wird, sich auch auf die Seite des Volkes stellen muß. Und wenn die Abgeordneten vom Volk sprechen, dann meinen sie doch die neunzig Prozent, die einen Anzug von der Stange tragen. Und da diese Leute durch ihre Steuern auch das Geld für die Universitäten aufbringen, halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, daß die Wissenschaftler sagen: Ich arbeite mit meinen Forschungsprojekten für diese Leute und nicht für irgendwelche Ideen, die im Himmel liegen.
SPIEGEL: Die SDS-Intellektuellen stellen sich die Solidarität mit den Unterprivilegierten etwas konkreter vor als Sie. Sie wollen proletarische Kampforganisationen aufbauen, Betriebs-Basisgruppen bilden und mit den Arbeitern Streiks organisieren.
VON DER VRING: Die Arbeiter lassen sich doch von den Studenten keine Streiks organisieren. Und die
* Vor der TU Berlin.
Universität kann auch keinen Verein gründen, um die Arbeiter zu organisieren. Ich habe so meine Zweifel über das Verhältnis von Intellektuellen und Proletariat. Da ist noch nie sehr viel Gutes bei herausgekommen. Wer heute an der Universität studiert oder sie als Lehrer, Arzt oder was auch immer verläßt, hat eine privilegierte Stellung in der Gesellschaft. Und man kann nicht erwarten, daß er sich den Ast absägt, auf dem er sitzt. Es ist illusionär zu glauben, daß die Privilegierten die Gesellschaft verändern können.
SPIEGEL: Dann wäre es mit der auch von Ihnen geforderten Solidarität der Hochschule mit den Unterprivilegierten nicht weit her.
VON DER VRING: Man kann diesen Begriff nicht so vordergründig betrachten. Vielleicht wird es beispielsweise möglich sein, in Kooperation mit Bremer Betrieben allgemeine Bildungsarbeit zu organisieren. Ich weiß, das ...
SPIEGEL: ... klingt wenig revolutionär.
VON DER VRING: Genau. Die Universität kann nicht selbst politisch aktiv sein. Sie kann nur durch Worte oder durch Schriften wirken.
SPIEGEL: Die Verbindung von Theorie und Praxis, die Sie für die Wissenschaft postulieren, besteht dann wohl nur darin, daß die Wissenschaftler in ihren Theorien auch die Praxis mitbedenken?
VON DER VRING: Ganz richtig. Diesen Gedanken würde ich für zentral halten.
SPIEGEL: Ein ganz neuer Gedanke ist das nicht gerade.
VON DER VRING: Da haben Sie recht. Und ich sehe schon den Tag kommen, an dem alle, die sich heute eine sozialistische Universität erhoffen oder die sich vor ihr fürchten, gemeinsam vor der Universität Bremen stehen und sagen: Und das soll nun eine sozialistische Universität sein.
SPIEGEL: Herr von der Vring, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.