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»Diese unheimlich dreckige Stadt«

Über Hausbesetzungen in Leipzig und sein Leben als Aussteiger berichtet der 20jährige Harry: _(Aus der Textsammlung: »VEB Nachwuchs. ) _(Jugend in der DDR«. Rororo, Reinbek bei ) _(Hamburg; 1983; 9,80 Mark. ) *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Im Frühjahr 1982 wollte ich von Sangerhausen im Harz nach Leipzig ziehen. Hinter mir: eine verkrachte Lehre wegen Waffenverweigerung bei der vormilitärischen Ausbildung, vom Abi geflogen, Krach mit den Erzeugern, Durchschlagen mit ''nem Zimmer bei ''nem Kumpel und 120 Mark im Monat. Trotz alledem oder gerade dadurch noch die Ideale von Peace und Love im Kopf - Opposition überhaupt, gegen alles Konservative und so. Ende Februar hatte ich die Lehre beendet. Plötzlich ''ne Karte von Mozart und Bruno, die Leute, zu denen ich ziehen wollte: »Wir werden geräumt.« Ein einmaliger Akt - zumindest in der Größenordnung. In einer Straße waren dreizehn Wohnungen besetzt. Kommen und Gehen, Feten, Musik, lange Haare ...

Die offizielle Rechtfertigung der Behörden: Die Häuser stehen auf Abbruch. Die inoffizielle: zu große Anhäufung progressiver Leute mit staatsfeindlichen Interessen.

Wir wunderten uns sehr, denn alle bekamen eine Wohnung, natürlich in Häusern mit gesitteten Spießern. Da hat man die Leute besser unter Kontrolle. Außer zweien, denn Tanja und Jule sind auserkoren, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Tanja wird trotz Arbeitsverhältnis gekündigt und nach Bad Düben zwangsverwiesen, weil dort ihre Eltern wohnen. Beide hatten die angebotenen nassen Wohnungen nicht genommen.

Ich zieh'' trotzdem nach Leipzig zu Bruno, der ''ne Einraum-Wohnung mit feuchten Wänden bekommen hat. Dort lern'' ich dann Tanja näher kennen, die natürlich mächtig am Ende ist. Und dort wohnen wir nun, Bruno, Tanja, Mozart und ich. Bruno geht als einziger arbeiten und stinkt entsprechend auf uns ab.

Ich renn'' wie ein Bekloppter nach Arbeit rum. Nichts zu machen. Als gelernter Elektriker höre ich nur immer wieder die Worte, »gehn Sie mal zurück in die Produktion. Als Elektriker werden Sie gebraucht. Sie als junger Mann müssen doch Ihre Arbeitskraft voll auslasten«, und so weiter. Dieser ewige Kreislauf, dieses Reinpressen in Proletennormen, nur nicht denken, Arbeiten und Konsumieren sind angesagt. Wer das kennt, so einen Achtdreiviertel-Stunden-Tag in der Fabrik, der weiß, wie es ist, wenn man nach Hause kommt und nicht mehr den Elan hat, sich ein Buch zu greifen oder wegzugehen.

Aber noch hatte ich genug Zeit, mich mit allem möglichen zu beschäftigen. Langsam auch vergessen die Zeit, wo ich mit Liebe die Welt revolutionieren wollte. Die Ost-Freak-Zeiten als Woodstocknachläufer mündeten in individuellen Radikalismus und Nihilismus. Ich las anderes, versuchte mir auf allen möglichen Wegen Bücher zu beschaffen, die dem Staat unerwünscht waren. Trotzki, Stalin, Marcuse, Sartre, Anarchie ganz oben. Her mit Bomben und Maschinenpistolen, zeigt''s den Staatskapitalisten. Ab in den Underground - so jedenfalls träumten meine Kumpels und ich.

Tanja und ich hatten inzwischen eine Wohnung aufgerissen. Wir zogen dort schwarz ein. Unsere Wohnung wurde allmählich Anlaufpunkt. Wir quatschten viel und lange.

Entscheidend waren eigentlich immer solche spontanen Feten. Ich war dann mit Tanja auch irgendwie auseinander, wir wohnten zwar noch zusammen, aber gelaufen ist halt nix mehr. Mir selbst ging''s immer beschissener, ohne Job, kein Geld. Dazu Depressionen und die Angst, festgenagelt zu werden - dieser Verfolgungswahn vor den Bullen und der Stasi, denn Nichtarbeiten ist ja strafbar und asozial.

Aber weiter ging''s trotzdem. Ich trampte ziemlich viel rum, Leute besuchen und so. Dann wieder in Leipzig, schaust deine Klamotten nach, was du verkaufen kannst, um über die Runden zu kommen.

Mit der Zeit ging mir dieses Nichtarbeiten ganz schön auf die Nerven. Du stehst früh auf, schießt los, um dir was zu essen und zu rauchen zu besorgen. Und abends irgendwohin, in den Jazzkeller oder zu Leuten.

Dann endlich klappte es mit einem Job - als Aufsicht im Museum. Endlich diese Angst los, doch noch einzufahren. Aber just danach bekamen wir einen Räumungsbescheid. Da sie wohl nicht wußten, wohin mit uns, wiesen die uns vom Amt ''ne Wohnung zu, und das, obwohl kurz vorher im selben Viertel ''ne Kommune von den Bullen geräumt worden war.

Wir waren echt happy über die neue Bude, obwohl uns gesagt wurde, wir müßten jeder dreihundert Mark Ordnungsstrafe zahlen. Unbefugtes Wohnen in einer Wohnung!

Am Anfang kamen wir mit den Leuten im Haus recht gut zurecht. Die dachten, wir wären ein junges Paar oder so. Aber so nach und nach änderte sich deren Verhalten. Spätestens, als wir den Flur

knallgrün und türkis strichen. Das checkten sie dann nicht mehr.

Dann kam für mich der Hammer: 12. August, Einberufungsüberprüfung. Verdammte Scheiße, das hatte mir noch gefehlt. Ich war total am Ende. Nachdem die letzte Zeit so glimpflich verlaufen war, jetzt dieser Tiefschlag. Armee. Das war mein Trauma. Der Alp. Ich hatte natürlich einen unheimlichen Schiß vor dieser Musterung.

Als ich dann vorgeladen war, ging mir ganz schön die Muffe. Ich erzählte irgendwelchen Mist, freireligiös und so weiter und machte einen Antrag auf Bausoldat. Die Tage vor dem Einberufungstermin war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Jedesmal Angst - der Blick in den Briefkasten, der blaue Brief. Aber er kam nicht. Da war ich natürlich total oben. Endlich wieder ein kleiner Lichtblick.

Dann pochte auch schon der Winter an die Tür. Wir hatten natürlich keine Kohlen. Die ersten kalten Wochen kamen wir mit Borgen über die Runden. Zu Leuten in der Nähe und mit ''nem Rucksack voller Kohlen wieder zurück.

Im November war ich dann auch viel in Berlin. Leipzig kotzte mich total an - diese unheimlich dreckige Stadt, und vor allem diese Hinterwäldler-Spießer. Wegen ''nem Ring im Ohr ist man da gleich angemacht worden. Allerdings gab uns das den Zusammenhalt, einfach, daß die Beziehungen zu den anderen Leuten eigentlich viel enger waren, bedingt durch die graue Masse und das System.

Es gab natürlich auch Diskrepanzen zwischen uns. Da war eigentlich, was mich am meisten belastete, dieser Klatsch und Tratsch, bedingt durch die kleine, große Stadt. Über hundert Ecken erfuhr man dann, was man mal irgendwo mehr oder weniger Belangloses gesagt hatte. Ich nehme mich da nicht aus.

Da war zum Beispiel die Sache mit Tanja, eines der beschämendsten Dinge, die ich mir je geleistet habe. Durch ein paar dumme Erlebnisse mit den Bullen in direkter Folge aufeinander - es war Anfang Dezember - hatte ich einen ziemlichen Frust und Verfolgungswahn. Überall sah ich Spitzel, achtete auf die abnormsten Details bei den Leuten, die auf solche Tätigkeiten hinweisen konnten.

Bei Tanja kam da so einiges zusammen, meine Phantasie hatte keine Grenzen mehr, ich steigerte mich immer mehr hinein. Tanja war tierisch neugierig, ich bildete mir ein, sie durchkramte mein Zimmer, die Ordnungsstrafe für die Wohnung kam auch nicht mehr, und so weiter. Ich erzählte nur ein paar Freunden meine Befürchtungen, vielleicht, um zu hören, daß sie sie nicht teilen würden, und mit der Hoffnung, mir das alles auszureden.

Aber es kam, wie es kommen mußte. Einer hielt die Klappe nicht, der Kreis schloß sich, und Tanja erfuhr von allem. Klar, daß sie total fertig war. Es kam zu ''ner Aussprache zwischen uns beiden, ich fühlte mich ziemlich mies. Schließlich hatte ich das alles verzapft! Aber sie nahm mir das gar nicht übel, und irgendwann war die Sache dann auch vergessen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Leute durch solche Denunziationen fertiggemacht worden wären oder zum Strick gegriffen hätten.

Hier in Leipzig gibt''s noch ein altes Haus, in dem mehrere Leute wohnen und das wohl auf Abriß steht. Die haben dort viel gemacht, Rohre und Leitungen verlegt und wohnen halt ganz allein drin. So was finde ich echt verschärft. Da gibt''s zwar auch das übliche Chaos und auch Konflikte, aber eigentlich ist das für Leipzig die absolute Sahne! Vielleicht gehe ich, wenn mir der Job zum Halse raushängt, doch nach Berlin. Da gibt''s ''ne Menge dufter Typen, ich hätte Lust, da mal so was aufzuziehen.

Aus der Textsammlung: »VEB Nachwuchs. Jugend in der DDR«. Rororo,Reinbek bei Hamburg; 1983; 9,80 Mark.

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