Zur Ausgabe
Artikel 46 / 78

»Diese Wahl ist kein Geschlechterkampf«

SPIEGEL-Interview mit Geraldine Ferraro *
Von Valeska von Roques
aus DER SPIEGEL 39/1984

SPIEGEL: Werden Amerikas Frauen Ronald Reagan aus dem Amt wählen, oder wird er am Ende nicht doch bleiben, weil es so viele Männer in den USA gibt, die ihn als Symbol der Stärke, als harten Kerl nach Cowboy-Art schätzen?

FERRARO: Diese Wahl ist kein Geschlechterkampf. Amerikaner, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße, Alte und Junge, die verstehen, worum es wirklich in diesem Wahlkampf geht - vor allem um eine sichere und friedliche Welt, eine saubere Umwelt und eine Wirtschaft, die fair ist -, die werden dem Mondale-Ferraro-Team am 6. November den Sieg verschaffen. Ganz offenkundig ist das nicht einfach, aber wir haben eine Botschaft für die Zukunft, die wir im ganzen Land verbreiten.

SPIEGEL: Sie haben sich neulich geweigert, öffentlich zu sagen, daß Sie Ronald Reagan fürchten, weil man als Frau nicht zugeben dürfe, Angst zu haben. Ist es manchmal schwierig für Sie, Rücksichten nehmen zu müssen, über die männliche Politiker überhaupt nicht nachzudenken brauchen?

FERRARO: Sie haben recht, zweifellos werden Frauen in der Politik nach anderen Maßstäben als Männer beurteilt. Meine Frisur und meine Kleidung werden mehr beachtet als die von George Bush. Aber je mehr Frauen sich in der Politik engagieren, desto mehr werden sowohl solche Äußerlichkeiten als auch die ernsteren Fragen, die manche noch über Frauen in der Politik haben, in den Hintergrund treten. Ich hoffe, daß meine Kandidatur diese Entwicklung kräftig beschleunigt.

SPIEGEL: Sie sind nicht nur deshalb aufgestellt worden, weil Sie eine Frau sind, sondern unter anderem auch, weil Sie eine gute Katholikin sind, die jeden Sonntag zur Kirche geht. Das heißt doch: Religion ist ein Bestandteil der amerikanischen Politik. Aber jetzt werfen die Demokraten dem Präsidenten vor, er habe Religion mit Politik im Wahlkampf vermischt.

FERRARO: Ich bin nicht nominiert worden, weil ich jeden Sonntag zur Kirche gehe. Ich bin ausgewählt worden, weil ich das Amt des Vizepräsidenten gut ausüben werde. Zum ersten Mal seit den Zeiten John F. Kennedys ist Religion in einen Präsidentschaftswahlkampf getragen worden, und das geht aufs Konto der Republikanischen Partei. Wenn ich meinen Amtseid ablege, nehme ich damit die Verpflichtung an, Menschen aller Glaubensrichtungen zu dienen, nicht nur einigen Leuten meines eigenen Glaubens. Die Verfassung der Vereinigten Staaten, auf die ich eingeschworen werde, garantiert die Freiheit der Religion, die Trennung von Kirche und Staat.

SPIEGEL: Sie haben Ronald Reagan auch beschuldigt, er benutze einen »künstlichen, von den Werbeleuten der Madison Avenue hergestellten« Patriotismus im Wahlkampf. Aber Patriotismus ist doch wirklich eine starke Realität im politischen Leben Amerikas.

FERRARO: Wenn Patriotismus wirklich von den Amerikanern selber kommt, dann halte ich ihn auch nicht für künstlich. Es gab gerade in den letzten Jahren etliche Anlässe, bei denen viele von uns in der Tat Patriotismus empfunden haben, etwa als die Geiseln aus dem Iran zurückkamen. Und ich war so ekstatisch, daß mein Herz vor Stolz fast platzte, als Sally Ride in den Weltraum startete. Aber die Art und Weise, wie Patriotismus auf dem republikanischen Wahlparteitag benutzt wurde, das war, meine ich, künstlich.

SPIEGEL: Sie haben die europäischen Verbündeten beschuldigt, die Amerikaner nicht genug zu unterstützen. Was meinen Sie damit?

FERRARO: In erster Linie, daß sie ihre Verpflichtungen gegenüber der Nato erfüllen und sich an das Versprechen halten sollten, die Höhe ihrer Verteidigungshaushalte bei drei Prozent des Bruttosozialprodukts zu halten.

SPIEGEL: Wie soll es nun in der Abrüstungsfrage konkret weitergehen?

FERRARO: Wir halten Abrüstungsverhandlungen für wesentlich. Walter Mondale hat gesagt, er würde sein sowjetisches Gegenüber innerhalb der ersten sechs Monate seiner Amtszeit einladen, sich mit ihm zu treffen, um aus der Sackgasse herauszukommen. Er hat die Sowjets mit zwei Vorschlägen herausgefordert, nämlich mit Gesprächen über gegenseitige und überprüfbare Stopps von atomaren Tests unter der Erde und bei Weltraumwaffen.

SPIEGEL: Und wie soll es mit den Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenraketen weitergehen, an denen den Europäern so viel liegt?

FERRARO: Die Reagan-Administration scheint vergessen zu haben, daß der Nato-Beschluß aus dem Jahr 1979 ein Doppelbeschluß war, bei dem Abrüstungsverhandlungen ein wesentliches Element bildeten. Sie hat ihrem eigenen Verhandlungsführer Paul Nitze den Teppich unter den Füßen weggezogen, indem sie die sogenannten Waldspaziergangsvorschläge _(Während eines Waldspaziergangs bei Genf ) _(1982 hatten sich der amerikanische und ) _(der sowjetische INF-Unterhändler auf ) _(eine Kompromißformel geeinigt, die 75 ) _(Cruise-Missile-Rampen auf der westlichen ) _(Seite und 75 SS-20-Raketen auf der ) _(östlichen Seite vorsah. Der Kompromiß ) _(wurde später verworfen. )

ablehnte.

SPIEGEL: Und wo würden Sie wieder anfangen?

FERRARO: Walter Mondale hat bereits gesagt, er würde den Sowjets etwas vorschlagen, was eben diesen Kompromißformeln des Waldspaziergangs ähnelt. _(Mit Redakteurin Valeska von Roques. )

Während eines Waldspaziergangs bei Genf 1982 hatten sich deramerikanische und der sowjetische INF-Unterhändler auf eineKompromißformel geeinigt, die 75 Cruise-Missile-Rampen auf derwestlichen Seite und 75 SS-20-Raketen auf der östlichen Seitevorsah. Der Kompromiß wurde später verworfen.Mit Redakteurin Valeska von Roques.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 46 / 78
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren