»Dieser Dilettanten-Verein«
Zuweilen macht sich ein führender Mann des Bundesnachrichtendienstes (BND) einen Spaß daraus, in die Rolle des Helmut Kohl zu schlüpfen. In geselliger Runde mimt er den Oppositionsführer Kohl, der sich grämt, er sei abgeschnitten vom breiten Strom hochwichtiger Informationen, mit denen der Geheimdienst allein die Regierenden versorge.
Dann doubelt der BND-Mann den Kanzler Kohl: Er überfliegt, der Kopf ruckt immer schneller von rechts nach links, imaginäre Meldungen aus München-Pullach. Die Augen weiten sich in Entsetzen.
»Schrecki, Schrecki«, ruft BND-Kohl dem imaginären Kanzleramts-Chef Waldemar Schreckenberger zu, »wo sind die heißen, die geheimen Nachrichten? Jetzt muß ich alles kriegen vom BND, jetzt bin ich Bundeskanzler. Schrecki, warum steht da nichts.« Er wirft verzweifelt die Arme hoch.
Doch auch Schrecki weiß keine Antwort. »Denn«, erläutert der Kanzler-Darsteller mit ernster Miene seinen Zuschauern, »da ist nix. Da gibt es nicht mehr, Null.« Schon lacht er wieder laut, weil ja das, was sein Geheimdienst zu bieten habe, nur zum Lachen sei. Kohls Doppelgänger übertreibt nicht. Die Erwartungen der neuen Herren von Bonn an den BND waren überspannt, die Enttäuschung ist entsprechend groß. BND-Präsident Eberhard Blum wundert das nicht: »Die Erwartungen sind immer zu hoch, bei jeder Regierung.«
Bei dieser von einem Christdemokraten geführten besonders. Denn der Pullacher Dienst galt seit den Zeiten seines Gründers und ersten Chefs Reinhard Gehlen als tiefschwarz.
Und selbst während der dreizehn sozialliberalen Bonner Jahre war die Seilschaft der Christenunion im BND stets mächtig.
Doch auch der Regierung Kohl ist der BND nicht geheuer, weil *___der Ertrag an politischer Information bei der Spionage ____so dürftig ist; *___der Dienst sich zwar einen gigantischen technischen ____Apparat zugelegt hat, im Kanzleramt und im Auswärtigen ____Amt aber niemand so recht weiß, wofür der ganze Aufwand ____gut sein soll.
Der Geheimdienst wird, weil er kaum zu kontrollieren ist, von Kohls Leuten als ständige Bedrohung empfunden, als unberechenbare Größe, die dem Kanzler jederzeit durch Skandale eine neue Krise bescheren könnte. Und dieses Gefühl der Ohnmacht hat zugenommen, seit der Militärische Abschirmdienst (MAD) in der Affäre Wörner/Kießling den Bonner Regenten gezeigt hat, zu welcher Schlamperei ein westdeutscher Geheimdienst fähig ist.
Der Nimbus der Spionage-Organisation, einst unter ihrem Präsidenten Reinhard Gehlen vornehmlich durch geschickte Pressearbeit begründet, dann durch illegale Inlandschnüffelei bis hin zum Lauschangriff gegen den Atommanager Klaus Traube arg beschädigt, ist heute dahin.
Nur die Militärs auf der Hardthöhe sind halbwegs zufrieden. Stützt sich doch der Dienst beim Zusammenstellen der Tagesberichte über die östliche Feindlage ganz wesentlich auch auf die teure Lauschtechnik von Heer, Marine und Luftwaffe. »Wenn die Bundeswehr, wenn es ernst wird, eine halbe Stunde früher Bescheid weiß«, meint Präsident Blum, »haben sich doch die vielen Millionen für die Technik gelohnt.«
Der BND - kaum noch mehr als eine Hilfstruppe der Bundeswehr?
Früher, als der Eiserne Vorhang noch dicht war, konnte Gehlen mit seinen Meldungen aus dem Reich der Roten glänzen. Heute wissen westdeutsche Politiker und Journalisten aus ihren Gesprächen im Osten oft besser und früher Bescheid als der BND. Im Konkurrenzkampf mit Amerikanern oder Israelis, mit Engländern, Franzosen oder mit dem Auswärtigen Amt wurde der BND oft genug abgehängt.
Eberhard Blum, Präsident in Pullach seit 1983, gibt zu, daß sein Dienst nichts Tolles mehr zu melden hat: »Wir haben eben keinen Mann im Kreml, wir haben in Polen keinen neben General Jaruzelski sitzen.«
Heute ist der für Auslandsspionage zuständige BND mit 6500 hauptamtlich Beschäftigten so groß wie der gesamte auswärtige Dienst der Bundesrepublik Deutschland, nur teurer. 216 Millionen Mark weist der Etat 1983 aus, die tatsächlichen Ausgaben aber liegen bei 800 Millionen. 600 Millionen sind in anderen Posten des Bundeshaushalts versteckt.
Einfluß auf die politischen Entscheidungen in Bonn hat der BND nicht. Allenfalls ergänzende Informationen könne der Geheimdienst bieten, erläutert ein Außenpolitiker im Kanzleramt, »Topinformationen, die unsere Politik beeinflussen oder gar verändern, hat er nicht geliefert«. Als Spitzenleistung wurde in der Regierungszentrale schon gefeiert, als der BND kürzlich aus vergleichender Lektüre von »Prawda« und »Iswestija« acht Tage früher als das Auswärtige Amt eine leichte Veränderung in der sowjetischen Raketen-Haltung meldete.
Die Zeiten der Spitzen-Spitzel sind vorbei. Offen beklagt Blum das Elend seiner Spione: »Das Mißverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag auf diesem Gebiet ist oft grotesk.«
Und weil es so triste um den Spionagedienst bestellt ist, wird ein neuer Präsident gesucht, nach Auskunft aus dem Kanzleramt »dringendst«.
Helmut Kohl ist entschlossen, einen Fehlgriff der ersten Stunde wiedergutzumachen: Mit Blum hatte er nach dem Bonner Regierungswechsel einen 63jährigen zum BND-Präsidenten gemacht, der schon in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden war. Regierungssprecher Peter Boenisch heute: »Da brauchen wir jetzt einen dynamischen Mann, der neue Ideen hat.«
Nur - wer es besser machen könnte, ist dem Kanzler bisher nicht eingefallen.
Wertvolle Zeit für eine Reform der BND-Arbeit ist vertan. Notgedrungen setzt der Dienst mehr und mehr auf Technik. Mit hochmodernem Gerät lauschen und spähen die Pullacher, eingebunden in die Gemeinschaft westlicher Spionageorganisationen, in die Staaten des Warschauer Paktes.
Doch es bleibt bei Erkundungen an der Oberfläche. Was sich innerhalb der östlichen Partei-, Regierungs- und Militärapparate abspielt, welche Machtkämpfe dort laufen, wie Verhandlungsspielräume oder -ziele festgelegt werden - der Dienst weiß es nicht, höchstens im Ausnahmefall.
Von der Afghanistan-Invasion der Sowjets wurden die westdeutschen Späher überrascht, die Machtübernahme durch General Jaruzelski verschliefen sie. Daß die DDR den Mindestumtausch im innerdeutschen Reiseverkehr erhöhen würde, hat nicht der BND, sondern Herbert Wehner nach einem Tip aus der DDR vorab der Bundesregierung gemeldet.
Mit aller Behutsamkeit hatte Kohls Vorgänger Helmut Schmidt vorgefühlt, ob der BND denn auch einen Mann annähernd so hoch plaziert habe, wie es der DDR mit dem Kanzleramtsspion Günter Guillaume gelungen war. Die Antwort: Fehlanzeige. Das Beste, was der BND im letzten Jahrzehnt an Spionen aufzubieten hatte, war ein Zuarbeiter beim Zentralkomitee der SED.
Für moderne Antennenanlagen und Großcomputer, für ein neues Satellitenprogramm gemeinsam mit Amerikanern und Briten gibt der Dienst horrende Summen aus - als habe er weltweit die Interessen einer Großmacht zu wahren. In der Qualität seiner Ausstattung ordnet Präsident Blum den BND hinter den
Amerikanern auf Platz zwei gleichauf mit den Briten ein.
Wozu aber braucht die Mittelmacht Bundesrepublik einen weltweit aufklärenden Nachrichtendienst, der für die Regierungszentrale nennenswerte Entscheidungshilfe nicht liefert?
Die Supermacht USA, aber auch die nukleargerüstete Mittelmacht England, deren Atom-U-Boote in den Weltmeeren kreuzen, haben ganz andere nachrichtendienstliche Aufgaben, geben entsprechend viel für ihre Dienste aus.
Dieter Blötz, sozialdemokratischer BND-Vize von 1970 bis 1979, versuchte den Dienst auf spezielle bundesdeutsche Interessen zu beschränken. Sein Standardspruch: »Ihr seid keine Weltpolizisten.« Vergebens: Der BND hat es verstanden, bei den Haushaltspolitikern nach und nach immer mehr Mittel lockerzumachen, immer mehr Stellen zu ergattern. Wie von selbst rückte so der Dienst mit dem Aufbau seines gigantischen technischen Apparates auf den von Blum stolz verkündeten zweiten Rang im Westen auf.
Der Qualität bekam die Aufblähung nicht. Einstweilen jüngste Pleite des BND: Vier Tage vor dem Tod des sowjetischen Staats- und Parteichefs Jurij Andropow trug Präsident Blum bei der jeden Dienstag stattfindenden BND-Lage im Kanzleramt die Namen der drei aussichtsreichsten Nachfolger vor.
Statt Blums Favoriten Dimitrij Ustinow ("mein Geheimtip"), Grigorij Romanow und Michail Gorbatschow stieg Apparatschik Konstantin Tschernenko an die Kreml-Spitze auf - ihm hatte der Präsident nur geringe Chancen gegeben.
Sogar dem Kanzleramtschef Schreckenberger, oberstem Dienstherrn des BND, dessen liebstes Möbel der Panzerschrank ist, fiel die Dürftigkeit der Pullacher Berichte auf.
Vor einigen Monaten, das Rätselraten über Andropows Krankheit war noch im Gange, hatte Blum die Erkenntnis zum besten gegeben, der alte Herr in Moskau leide an Prostata-Beschwerden. Schreckenberger antwortete schroff: Das sei doch nur normal bei einem Mann in Andropows Alter. Das seien nicht die rechten Geheimnisse für seinen Safe.
In seinem Erkenntnisstand über die Leistungskraft des BND ist Kanzler Kohl inzwischen soweit wie Helmut Schmidt, der auch nicht viel »von diesem Dilettanten-Verein« hielt.
»Mit dem Ausdruck ehrlichen Entsetzens«, schildert der ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling die Reaktion seines früheren Chefs, habe Kanzler Schmidt das Ansinnen abgeschlagen, doch einmal an der wöchentlichen BND-Sicherheitslage im Kanzleramt teilzunehmen. Dafür sei ihm seine Zeit nun wirklich zu schade. »Hohnlachend« habe er hinzugefügt, »da lese ich statt dessen doch lieber gleich die ''Neue Zürcher Zeitung''«.
Auch Kohl legt keinen Wert auf Begegnungen mit BND-Blum. Nach eineinhalb Jahren Erfahrung mit dem Präsidenten habe er, meint ein enger Mitarbeiter des Regierungschefs, nicht den Eindruck, »du mußt dem Kanzler raten, hol den Blum mal«.
Präsident Blum wehrt sich matt: »Den Wert des Dienstes spürt man doch erst, wenn es zu Krisen kommt. Wir brauchen die Krise, dann sind wir gut.« Oder auch nicht. Kanzler Schmidt hat da so seine eigenen Erfahrungen gemacht. Mitten in der Polen-Krise, im Dezember 1981, hatte sich Schmidt nach langem Zögern getraut, in die DDR zu reisen. Am dritten Tag der Staatsvisite beim kommunistischen Nachbarn wurde der westdeutsche Regierungschef von der Meldung überrascht, daß Warschau das Kriegsrecht verhängt habe. Bölling erinnert sich: »Wenn wir vorab etwas darüber erfahren hätten, dann hätten wir den Kanzlerbesuch nochmals verschoben. Wir sind dort ohne jede Vorwarnung aus Pullach hineingestolpert.«
Was Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem Präsidenten Blum als einziges zugute hält: In den anderthalb Jahren seiner Amtszeit seien keine Skandale publik geworden.
Doch, so Sprecher Boenisch: »Da besteht ja immer die Gefahr, daß was hochgeht.« Eine parlamentarische Kontrollkommission ist als Aufpasser bestellt, drei ausgewählte Mitglieder des Haushaltsausschusses prüfen die Finanzen. Praktisch aber entzieht sich der BND auch heute noch jeder wirksamen Kontrolle.
»Nur durch Zufall«, räumt SPD-Kontrolleur Rudi Walther ein, »kommen wir dem einen oder anderen Kinken auf die Spur.« Und der amtliche Aufseher Schreckenberger ist erst recht keine Garantie für das Funktionieren der Münchner Mammutbehörde. Denn der Dienst ist gefährlich nahe an den Kanzler angebunden. Sein Amtschef führt die Oberaufsicht über Pullach. Sammelt sich beim BND Sprengstoff, kann die Detonation in Bonn erfolgen.
Immer wieder sind Versuche gescheitert, den BND besser unter Kontrolle zu bekommen oder seine Macht zu beschneiden. So war daran gedacht, die BND-Zentrale aus dem 600 Kilometer entfernten München-Pullach in die Nähe Bonns, nach Euskirchen, zu verlegen. Doch die Geheimdienstler wußten sich mit allerlei Argumenten erfolgreich zu wehren. Sie blockten selbst den Plan ab, wenigstens die Leitung und die für die _(Zur Feier des - offiziell - 25jährigen ) _(BND-Bestehens 1981 in Pullach. )
Auswertung zuständige Abteilung III nach Bonn umzusiedeln. Das hätte der Regierung immerhin die Kontrolle darüber erleichtert, nach welchen politischen Kriterien die BNDler ihre Meldungen auswerten, mit welcher politischen Zielsetzung sie ihre Spanner losschicken, wie weit sie bei ihren Aufklärungsaktionen rechtsstaatliche Grenzen respektieren.
Tagtäglich sacken BND-Leute bei der Bundespost Privatbriefe aus der DDR ein und lesen im Rahmen der sogenannten strategischen Kontrolle mit. Rund um die Uhr überwachen sie von ihren Lauschtürmen entlang der Demarkationslinie den Telephonverkehr in die DDR und schneiden mit bei den Gesprächen von Bundesbürgern nach drüben.
Keiner in Bonn weiß genau - und will es im Zweifel auch gar nicht so genau wissen -, was da sonst noch mitgeschnitten wird. Oder wie es um den kurzen Dienstweg, den schnellen Austausch zwischen BND und Geheimdiensten der Westalliierten steht, die auf dem Boden der Bundesrepublik ungehindert mitlesen und mithören, was ihnen gefällt; nur ertappt wurden sie seit längerem nicht mehr. Es hält sich der Verdacht, daß der BND wie einst zu Gehlens Zeiten auch im Inland schnüffelt, gegen Recht und Gesetz.
Als der Genscher-Vertraute Klaus Kinkel 1979 seinen Dienst in Pullach antrat, hatte Kanzler Schmidt nur eine Bitte an den neuen Präsidenten: Der möge dafür sorgen, daß nichts Schlimmes passiere beim BND. Galt dort doch immer noch Gehlens Gesetz: »Der Dienst muß alles wissen, egal wie.«
Denkwürdige Brüllszenen werden kolportiert, wenn Kinkel Meldungen über illegale Abhöraktionen entgegennahm. »Sie sind ein Riesenarschloch«, schnauzte der Präsident solche Berichterstatter an.
Nachfolger Blum kennt die illegalen Praktiken: Er diente General Gehlen, der seinen BND im Inland gegen Gewerkschaftler, Sozialdemokraten und linksverdächtige Journalisten einsetzte, als Persönlicher Referent.
Blum unterhielt mit dem »Doktor«, so hieß Gehlen im Pullacher »Camp«, ein Bratkartoffel-Verhältnis. Nach Dienstschluß schaute Gehlen gern noch daheim bei Blum und »Blümchen«, wie dessen Ehefrau im BND genannt wurde, auf einen Teller Bratkartoffeln vorbei.
Auch unter der neuen Regierung dauert die Krise im BND an. Die Bonner klagen über die in Pullach, die Pullacher über die in Bonn.
Gegenüber der »Welt« merkte Aufseher Schreckenberger an, der Dienst solle sich doch künftig mehr um Analysen kümmern. Was wohl zweierlei heißt: Bei Nachrichten habe der BND ohnehin nicht viel zu bieten; und die bisherigen Analysen waren dem Chef des Kanzleramtes zu dünn.
Blum hat die Begeisterung für den Dienst auch nicht zu nähren vermocht. Tagtäglich gehen im Kanzleramt schriftliche Berichte aus Pullach ein, die sich mit allem und jedem draußen in der Welt befassen - knapp über oder unter Zeitungsniveau -, selten aber liefert der BND dem Kanzleramt, was dort gerade besonders interessiert.
Daran ändert auch wenig, daß der Präsident jeden Dienstag im BND-eigenen Jet, einer zweistrahligen »Mystere«, zur Lage ins Kanzleramt düst. Die Vorträge des BND-Chefs sind bei den Teilnehmern gefürchtet - wegen ihrer Langeweile. Was Blum zu sagen hat, liest er vom Blatt ab oder läßt vortragen.
In der Münchner Zentrale hat der Chef der für die Auswertung zuständigen Abteilung III, Elsässer, seine Referatsleiter zu besonderer Sorgfalt beim Abfassen der Berichte angewiesen, da - so wird gehöhnt - der Präsident auch Tippfehler vorliest.
Damit es nicht zu Pannen kommt, werden Blum die Papiere in der »Ich«-Form aufgeschrieben. So heißt es zum Beispiel in der Sprechvorlage für den Präsidenten vom 23. Januar 1984 zur Lage in Mittelamerika: »Die Fakten darf ich als bekannt voraussetzen. Ich beschränke mich auf eine Wertung der jüngsten Ereignisse sowie den Versuch eines Ausblicks.«
Pullach revanchiert sich für die Kritik aus Bonn mit Schelte über »die Ignoranten im Kanzleramt«, die mangels außenpolitischer Erfahrung und Interesses die vom Dienst gelieferten Informationen, etwa zur Dritten Welt oder über den arabischen Raum, gar nicht zu schätzen wüßten.
Kurt Weiß alias Winterstein, 1981 beim BND ausgeschieden, kritisiert offen die Mängel des Kanzleramtes unter Kohl und Schreckenberger. Unionssympathisant Weiß, 1970 von der SPD als Chef der Aufklärungsabteilung abgelöst und auf den Posten des BND-Schulleiters abgeschoben, urteilte gegenüber dem SPIEGEL über die Regierung Kohl: »Es fehlt an Fürsorge für den Dienst, es fehlt an Steuerung, es fehlt an Führungsfähigkeit. Es gibt kein wirkliches Vertrauensverhältnis.«
In Bonn interessiere sich, so Weiß weiter, niemand so recht für den BND, _(Mit sowjetischem Offizier im Oktober ) _(1949. )
»und der Dienst spürt das. Der Dienst braucht endlich mal klare Weisungen, es müßten ihm vom Kanzleramt aus Prioritäten gesetzt werden.«
Kohls Kanzleramt beschränkt sich in der Tat bei Vorgaben für den BND auf Routine. Einmal monatlich wird im Umlaufverfahren eine Wunschliste erstellt, und dies »geschieht so nach dem Motto, die müssen sich um alles kümmern« (ein Mitarbeiter Schreckenbergers).
Aber in der Regierungszentrale schwingt auch Vorsicht mit: Man weiß ja nie, wer alles in Pullach mitliest. Ähnlich hält es der amerikanische Geheimdienst CIA, der sich hütet, den Deutschen allzu heikle Informationen zu überlassen, auch aus Sorge vor Ostagenten im westdeutschen Apparat.
Zwar lassen die Amerikaner den Deutschen mehr von ihren Geheim-Erkenntnissen zukommen als den meisten anderen westlichen Nationen. Aber einige werden noch besser bedacht als die Deutschen: die Briten, die Kanadier oder die Australier.
Australien verlangt und erhält seinen Anteil an jenen Top-Informationen, die in den Empfangsstationen für amerikanische Spionagesatelliten auf dem fünften Kontinent anfallen. Sogar die Kommunisten der Volksrepublik China bekommen aus demselben Grund von Fall zu Fall mehr und bessere Aufklärungsware als die Deutschen.
Denn zwei der wichtigsten Horchposten im weltweiten US-Lauschnetz überwachen von rotchinesischem Boden aus die Sowjet-Union. Die Einrichtungen in China sind für die USA um so wichtiger, seit Ajatollah Chomeini die gegen die Sowjet-Union gerichteten Stationen der USA im Iran hat schließen lassen.
Die engsten Geheimdienstbeziehungen unterhält der CIA schon traditionell zu Großbritannien - und liefert dorthin auch wirklich exklusives Material. Die USA haben die üblichen Klassifizierungen »vertraulich«, »geheim«, »streng geheim« mit zusätzlichen Kategorien erweitert.
95 Prozent dieser klassifizierten Dokumente - unter den Kennworten »Schatten« oder »Halskrause« ging es etwa um Erkenntnisse von Spionagesatelliten - dürfen nicht ins Ausland geliefert werden; die restlichen fünf Prozent allerdings können Engländer oder Kanadier mitlesen und auswerten, nicht aber die Deutschen.
Der BND ist offenkundig nicht ganz dicht. Es gibt untrügliche Anzeichen für Maulwürfe.
Die DDR-Zeitschrift »Horizont« berichtet unregelmäßig, aber korrekt über zum Teil streng geheime Interna des BND, etwa Ende 1983 über BND-Mitarbeiter in Köln, Rio de Janeiro, London, Rom, Paris und Stockholm. Enttarnt wurde ein weitgespanntes Kontaktnetz des westdeutschen Dienstes zu Exil-Polen, die in Operationen gegen die Volksrepublik eingespannt sein sollten. Illustriert hatte das dem Außenministerium nahestehende DDR-Blatt seinen Report mit faksimilierten BND-Akten, die es nur in dreifacher Ausfertigung gab.
Von solchen Erfolgen kann der BND, seit vor Jahren DDR-Agent Werner Stiller überlief, nur träumen.
Vorbei die Glanzzeit, als Gehlens Leute den Ostblock bis in die Zentren der Macht hinein auskundschafteten.
Mit seinem im demokratischen Staat überholten Selbstverständnis, mit seinen Feindbildern, seinen - bisweilen illegalen - Methoden prägte Gehlen den Nachfolger Gerhard Wessel. Und auch Blum hat sich nach eigenem Eingeständnis von dem Vorbild nicht gelöst - gar nicht zu reden von vielen der 6500 Blum-Untergebenen.
Gerade zu Zeiten der Sozialliberalen fühlte sich der BND als Hort des Antikommunismus, je mehr die alten Feindbilder durch eine Politik der entspannten Annäherung ersetzt wurden.
Als eingefleischter Zivilist, FDP-liberal angebrütet, ostpolitisch auf Entspannungskurs, versuchte Klaus Kinkel den Dienst umzumöbeln - personell, politisch, in den Methoden und im Image.
Gehlen hatte seine Mannschaft aus SS und Sicherheitsdienst der Nazizeit, aus altem Adel, Ostemigranten und der eigenen Verwandtschaft, allenfalls noch aus Bundeswehr und Polizei, rekrutiert. Deren Weltbild war antikommunistisch militärisch geprägt, ihr Rechtsstaatsbewußtsein dürftig entwickelt. Die Agenten des alten Gehlen-Schlags verspottete Kinkel als »Schlapphut-Indianer«.
Ihm schwebte ein ganz anderes Unternehmen vor: ein Dienstleistungsbetrieb, der durch elektronische Aufklärung den Spion alter Art überflüssig machte. Gesucht wurden hochqualifizierte Naturwissenschaftler, Techniker und Mathematiker. Er selber wollte darauf achten, daß die Regeln des Rechtsstaats auch für eine Untergrundorganisation gelten.
Mit diesem Konzept aber mag Blum, den der Kanzleramtschef Horst Ehmke einst aus Pullach nach Washington abgeschoben hatte, sich nur schlecht anfreunden. Den von Kinkel forcierten Ausbau der Technik will und kann er zwar nicht anhalten.
Aber Blum will, sagt er, jetzt »vermehrten Wert« auf menschliche Quellen legen - nach der alten Parole: wieder eindringen in den Herrschaftsbereich des Gegners. Blum weiß sich einig mit Richard Meier, dem früheren Präsidenten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Zu sehr hat der BND, so Meiers Votum, in den vergangenen Jahren von der Auswertung offener Quellen gelebt, Rundfunksender abgehört und Zeitungsberichte ausgeschnitten. Die Folge: keine Erkenntnisse aus den Entscheidungsgremien in den Ostblock-Staaten.
Auch Meier gibt zu, daß es schwierig ist, Wissenschaftler, Militärs oder Funktionäre anzuwerben. Sie haben als Mitglieder der Nomenklatura selten Probleme mit dem Regime. Doch er bemängelt, daß nicht einmal entsprechende Versuche unternommen, »keine Talente herangezüchtet« werden.
Als Vorbild nennt er den CIA. Die amerikanische Konkurrenz sei selbst in der DDR besser als der BND und auch beim Keilen von Überläufern erfolgreicher.
Geradezu beschämend findet Meier, daß der BND oft im Kanzleramt nur mit Erkenntnissen des CIA über die Machthaber und die Zustände in den Ostblockstaaten aufwarten könne.
Gehlen hatte in einer Hochphase die Bonner mit solchen Vorführungen verwöhnt. Er hielt sich die von Meier vermißten V-Männer im Zentrum der gegnerischen Macht. Im Vorzimmer von Ministerpräsident Otto Grotewohl spionierte Elli Barczatis (Deckname: »Gänseblümchen"), Walter Gramsch (Deckname: »Brutus") im Staatssicherheitsministerium von Ernst Wollweber, und selbst der stellvertretende Ministerpräsident Hermann Kastner arbeitete in Gehlens Auftrag. Seine Frau schaffte in BH und Hüftgürtel Dokumente über die West-Berliner Sektorengrenze, im Dienstwagen ihres Mannes.
Die meisten verstanden sich als Patrioten, nicht als Agenten, waren als Sozialdemokraten oder einstige Liberaldemokraten mit dem SED-Kurs über Kreuz. Eine BND-Helferin bezahlte ihren Verrat sogar mit dem Leben: Die Grotewohl-Sekretärin Barczatis wurde in der DDR hingerichtet. Aber spätestens seit dem Mauerbau 1961 sprudelten die »hochrahmigen Quellen« (Geheimdienstjargon) nicht mehr. Daran mußten sich die Bonner gewöhnen.
Wenn Blum sich nun wieder daranmacht, Quellen aufzubohren, geheime Panzerschränke zu knacken, wird das die Bonner kaum beeindrucken. Die Kette der Agenten-Pannen des BND ist zu lang. Über Jahre hat der Dienst mit größter Leichtfertigkeit Menschen geradezu geopfert.
Das Anwerben von Spionen vor Ort, etwa in der DDR, ist seit den glorreichen Gründerjahren des BND ein mühsames Geschäft. »Wir müssen tausend Tips durchsieben«, klagt ein Insider, »ehe wir eine Quelle wirklich für uns gewinnen.«
Die BND-Akquisiteure keilten statt dessen lieber Bundesbürger, versahen sie mit Kleinkamera und der Instruktion, alles sei interessant, und schickten sie in die DDR. Oft dauerte es nur Stunden, bis die Dilettanten gefaßt wurden, etwa weil sie militärische Anlagen der Volksarmee geknipst hatten. Am Ende standen drakonische, sogar lebenslange Freiheitsstrafen.
Honecker-Anwalt Wolfgang Vogel wurde beim Ständigen Vertreter Bonns in Ost-Berlin, Klaus Bölling, vorstellig und bat, im Interesse der deutsch-deutschen Beziehungen »derartige Kindereien einzustellen« (Bölling). Als Kanzler Schmidt von den Methoden erfuhr, war er empört. Er unterband die Praxis.
Selbst gegenüber Top-Informationen des BND, weiß Bölling, war Vorsicht angebracht. In Pullach durfte er einmal Einblick nehmen in die dort gespeicherten Personalinterna der DDR-Prominenz. Was er las, fand Bölling, »kann ein guter Korrespondent drüben auch herausbringen«.
Der Berliner SED-Chef Konrad Naumann, erfuhr er, unterhielt eine Liaison mit einer Schauspielerin des Deutschen Theaters. Alexander Schalck-Golodkowski, gemeinsam mit Franz Josef Strauß bekannt als Kredit-Einfädler, ließ für Politbüro-Mitglieder über eine Spezialfirma Luxusgüter aus der Schweiz einführen. Und auch Vergnügen und Vergehen von Bonzen-Kindern waren sorgfältig verzeichnet.
Dafür aber gab es nichts über Entscheidungen im Politbüro oder Zentralkomitee der SED oder über das heikle Verhältnis der DDR zur Sowjet-Union. Solche Informationen, erinnert sich Bölling, »mußte man sich anderswo beschaffen«.
Aufschlußreich sind damals wie heute einzelne Berichte, etwa über die Behandlung von Ausreisewilligen, über die ökonomische Situation von Großkombinaten oder über Stimmungen in der Bevölkerung und der Volksarmee - Dinge, die auch ein routinierter Journalist recherchieren kann.
Nicht nur deswegen war Helmut Schmidt kein Freund des BND. Ihn störte weit mehr: die Personalpolitik, die Umtriebe der CSU-Seilschafter, die elitäre Selbstüberschätzung und das Mißverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.
Auch Klaus Kinkel gelang es in seiner vierjährigen Amtszeit nicht, den Dienst umzukrempeln. Noch zieht es die Wissenschaftler, die Kinkel sich wünschte, eher zu Siemens. Allenfalls Leute mit 007-Phantasie melden sich freiwillig.
Immer noch ist der Typ weit verbreitet, der strammsteht und brüllt: »Anerkannt, Herr Präsident«, wenn der ihn tadelt.
Der alte Geist zeigte sich wieder, als sich aus der DDR Oberstleutnant Klaus-Dieter Rauschenbach absetzte. Führende BND-Leute sperrten sich, als Rauschenbach nach kurzer Zeit den Wunsch äußerte, zu seiner Familie in die DDR zurückzukehren.
»Meine Herren«, erinnerte sie Kinkel, »ich denke, wir haben hier Freizügigkeit.« Die Herren meinten, das Problem lasse sich mit Geld lösen. Aber Kinkel glaubte nicht daran: »Wissen Sie, was er dann sagt: ''Ich will nach Hause zu meiner Frau.''«
Aber die Herren ließen nicht locker. »Versprechen Sie ihm, daß wir seine Frau rausholen und seine Kinder.« Kinkel: »Gut, können Sie das denn?« Die Antwort: »Nein, natürlich nicht.«
Methoden der Täuschung, wie sie in Gehlens Zeit von oben gewünscht waren.
Als ein Referatsleiter unverblümt einmal monierte, in Meldungen aus der
Zone werde als Quelle »ein Mitarbeiter im SED-Zentralkomitee« genannt, antwortete Gehlen: »Ja und?« Der Untergebene: »Wir haben doch gar keinen Mitarbeiter im Zentralkomitee.« Gehlen: »Wer will uns das Gegenteil beweisen?«
Schon bald nach Amtsübernahme hatte der neue BND-Chef Kinkel gemerkt, daß er diese Truppe schwerlich ändern kann.
Er bekam rasch das Etikett »zu weich«. Schon nach einem halben Jahr wollte er am liebsten wieder weg, aber er blieb und konnte allenfalls ein paar Auswüchse zurückschneiden.
Auch in seiner Zeit noch beteiligten sich BND-Helfer illegal am Verhör von Palästinensern in einem Münchner Gefängnis. Brief- und Telephongeheimnis zahlreicher Bürger werden bei der Kontrolle von Ost-West-Kontakten und bei weltweiten Abhöraktionen im Weltraum verletzt.
Gerade der von Kinkel forcierte technische Ausbau greift weit in die Privatsphäre der Bürger. Helmut Schmidts Kanzleramtsstaatssekretär Manfred Schüler räumte ein, »natürlich« sei »nicht auszuschließen«, daß auch Inlandsgespräche aufgefangen werden - schließlich könne niemand erwarten, daß hinter den Pullachern »permanent ein Parlamentarier steht, der ihnen über die Schulter schaut«.
So genau weiß auch Blum nicht, wie er die Aufklärung durch menschliche Quellen verbessern will. Er verspricht sich einiges davon, »in Drittländern« Botschaftspersonal aus Staaten des Warschauer Paktes anzuheuern. Nach altem Brauch sollen menschliche Schwächen, etwa die Anfälligkeit für Geld oder junge Männer, als Anknüpfungspunkt dienen.
Beste Beziehungen unterhalten die Pullacher traditionell zu bestimmten Regionen in der Dritten Welt, so in Lateinamerika und im Nahen Osten. Die Gehlen-Garde fand Kontakte zu alten Kameraden, die sich in diese Gebiete abgesetzt hatten und in dortigen Geheimdiensten oder sonst in einflußreichen Positionen untergekommen waren.
Und bald ergab sich die Gelegenheit zu kleinen oder größeren Gefälligkeiten für die jeweilige Regierung. BND-Leute bildeten Leibwachen aus, etwa für die persische Regierung und den saudischen König. Sie organisierten den Geheimdienst in zahlreichen Staaten, auch Schwarzafrikas, und lieferten Waffen.
Eigentlich lautete der Auftrag, den Gehlen erhielt, seine Tätigkeit - weg von der Fixierung auf den sowjetischen Gegner - auf die Aufklärung der Krisengebiete in aller Welt auszudehnen. Aber Gehlen hielt an seinem Feindbild fest: Er nutzte die Kontakte in der Dritten Welt vor allem, um Erkenntnisse über die Sowjets zu sammeln. Syrien zum Beispiel, das Waffenlager Moskaus im Vorderen Orient, ist für den BND bis heute Fundstätte der jeweils neuesten Kriegstechnologie.
In anderen Ländern, so im Irak oder Iran, wo wegen Umsturz und Krieg Diplomaten sich absetzen mußten, übernimmt der BND bisweilen sogar sinnvolle, quasi-diplomatische Aufgaben für die Bonner Regierung und den Schutz von Deutschen.
Ärger hat der BND nicht nur mit dem Kanzler und dessen Regierungszentrale. Mit dem Zusammenbruch des BND-Agentennetzes im Osten wuchs in den 70er Jahren auch der Unwille der Bundeswehr an der sich verschlechternden Qualität der »Feindlage«-Berichte aus Pullach. Die Militärs verlangten militärische Aufklärung in eigener Regie.
Der Streit zog sich bis in die achtziger Jahre. Erst im Herbst 1982 klärten der Dienst und das Verteidigungsministerium in einem zwölf Seiten umfassenden Papier die Kompetenzen ab:
Ein »Amt für Nachrichtenwesen«, von der Bundeswehr schon vorsorglich als Kern eines eigenen Nachrichtendienstes gegründet, erhält statt der geforderten 500 Soldaten - insgesamt sind 800 Bundeswehrangehörige beim BND tätig - aus Pullach ganze 18 Mann zurück, und auch die nicht auf einen Schlag, sondern verteilt über fünf Jahre.
Daß der BND zunächst obsiegte, hat er seiner massiven Umrüstung auf technische Aufklärung zu danken. Seit Mitte der 60er Jahre setzte Pullach mehr und mehr auf die Elektronik mit ihren Entwicklungssprüngen. Eine gigantische Aufrüstung für den Krieg im Äther lief an.
In den frühen siebziger Jahren war es der von den regierenden Sozialdemokraten nach Pullach abkommandierte Genosse Dieter Blötz, der sich als BND-Vize um den Ausbau des elektronischen Lauschapparates kümmerte. Blötz reservierte sich dabei die Kontakte zum Großen Bruder, dem amerikanischen Geheimdienst »National Security Agency« (NSA). Die Mitarbeiter dieses Amtes für nationale Sicherheit hören weltweit Telephongespräche, Satellitenfunk, militärischen Funkverkehr ab, sie analysieren Funksignale von Raketenstellungen, U-Booten, Flugzeugen und Panzern.
Heute noch wird Blum zornig, wenn er daran zurückdenkt, wie rüde SPD-Blötz mit ihm als dem Repräsentanten des BND in Washington umgesprungen sei. Nach Fort George G. Meade in Maryland, Sitz der NSA-Zentrale, durfte Blum seinen Vorgesetzten Blötz bei USA-Besuchen hinfahren, ihn von dort auch wieder abholen. Zu den Konferenzen aber wurde Blum nicht mitgenommen.
Über die NSA bezogen die BND-Techniker feines und modernes Lauschgerät: Von 1972 bis 1977 gaben die Bundes deutschen für die elektronische Kriegsführung insgesamt eine Milliarde Mark aus.
Seither belauschen die Westdeutschen in engem Zusammenspiel mit den Amerikanern Telephongespräche in der DDR und der CSSR sowie den militärischen Funkverkehr, sie überwachen Verkehrsnetze und orten die Abstrahlung gegnerischer Radar- und Wärmequellen.
Entlang der Ostgrenze der Bundesrepublik ziehen sich von Neustadt an der Ostsee über Braunschweig, Bad Sachsa bis zum Schnellberg in Bayern wie Riesenzaunpfähle die Beton- und Stahltürme, auf denen das Arsenal der Horchantennen montiert ist. Die Anlagen werden
teils von Spezialeinheiten der Bundeswehr, teils vom BND unmittelbar betrieben. Koordinator ist der Präsident des BND.
Nahe den Türmen, etwa auf dem 1079 Meter hohen Schwarzriegel im Bayerischen Wald, hocken Deutsche und Amerikaner in ihren Baracken und bedienen das Horchgerät, überwiegend Entwicklungen aus den USA, zum Teil auch aus BND-eigenen Forschungsinstituten. Hochleistungscomputer sortieren die aus dem Äther gefischten Daten und versuchen, sie zu dechiffrieren. Bei der Telephonüberwachung denken die Maschinen so weit mit, daß sie nur auf bestimmte Zahlenkombinationen hin - zum Beispiel Rufnummern - oder bei bestimmten Stichworten mitschneiden.
Die westlichen Geheimdienstler zapfen die Richtfunkstrecken an, über die in der DDR und der CSSR die Mehrzahl der Telephonverbindungen läuft. Dabei steht den Lauschern nicht nur das öffentliche Fernsprechnetz offen. Sie horchen auch in die gesonderten Netze der Nationalen Volksarmee oder der SED.
Aus diesem Sondernetz schnitten die Westdeutschen zum Beispiel am 11. Januar 1980 um 12.30 Uhr ein Gespräch zwischen SED-Funktionären mit. Da unterhielt sich der für Wirtschaftsfragen zuständige Abteilungsleiter Siedert aus Roßlau mit dem Genossen Schenk in einem Chemie-Betrieb in Halle über Kostenprobleme. Siedert: Na, wie es denn laufe, ob der Betrieb wieder in die roten Zahlen rutsche? Ja, gab Schenk zu, man müsse wieder Schulden machen, und zwar 1,7 Millionen Mark.
Für die Horcher vom BND kommt so eins zum anderen, ein Mosaik der internen Probleme im anderen Deutschland fügt sich zusammen.
Bis in die westlichen Bezirke der Sowjet-Union hinein reichen heute die Späher mit ihren empfindlichen Geräten zu Wasser, zu Land und in der Luft. Sie registrieren den Aufbau neuer SS-20-Stellungen, mobile Raketensysteme der Russen und die Gefechtsbereitschaft des Warschauer Paktes. Deutsche, Norweger, Briten, Türken, Franzosen und Italiener sind bei dieser Fern-Spionage kurzgeschlossen: Sie tauschen ihre Erkenntnisse aus.
Um Weltniveau bemühen sich die Westdeutschen auch beim Dechiffrieren. Den Computern in der »Zentralstelle für das Chiffrierwesen« in Bad Godesberg gelingt es gleichwohl nur selten, die gegnerischen Kodes zumindest zeitweilig zu knacken, die heutzutage meist »überschlüsselt«, also mehrfach chiffriert sind. Immerhin schaffen es die deutschen Experten, die verschiedenen Funkverkehre zum Beispiel nach ihrer Herkunft zu ordnen, also zivile, militärische oder diplomatische Funksprüche auseinanderzuhalten - für die Feindlage-Analytiker wichtige Erkenntnisse.
Während des Falkland-Krieges half der BND den Briten, die Funksprüche
der Argentinier zu entschlüsseln. Umgekehrt sind, heißt es in Bonn, die Russen den Lateinamerikanern beim Aufbrechen des britischen Kodes zu Diensten gewesen.
Die elektronische Aufrüstung des BND war von Helmut Schmidt gefördert worden. Der Kanzler, durchdrungen von der weltpolitischen Bedeutung der eigenen Person und der Wirtschaftsmacht Bundesrepublik, ließ sich leicht überzeugen, daß die Deutschen unabhängiger werden sollten von der Ostaufklärung der Amerikaner. Die Argumente: *___Die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn müßten ____schon um ihrer politischen Identität willen hochwertige ____Aufklärungsware produzieren können, auch zum Austausch ____etwa mit den USA. *___Die Aufklärungsziele der Amerikaner und der Deutschen ____unterschieden sich oft zu stark - die Supermacht sei ____mehr auf strategische Vorgänge im Warschauer Pakt ____konzentriert, die Deutschen interessiere mehr, was ____unterhalb dieser Topebene bei den Militärs drüben los ____sei. *___Die Amerikaner würden den Deutschen längst nicht alle ____Informationen überlassen. Vor allem bei der ____Satellitenaufklärung sei die westliche Vormacht nicht ____sehr mitteilungsfreudig. *___Amerikaner und Europäer hätten häufig Differenzen bei ____der Bewertung militärischer Vorgänge im Warschauer ____Pakt. In der Polenkrise etwa sei von den US-Behörden ____dreimal der Zeitpunkt einer sowjetischen Invasion ____vorausgesagt worden - dreimal falsch.
BND-Chef Kinkel verschaffte dem Dienst auch Zugang zu einer eigenen Aufklärung von oben. Er machte in Bonn eine Milliarde für die Beteiligung an einem Spionage-»Sonderprogramm« locker, das die Deutschen derzeit mit Amerikanern und Briten entwickeln und das Ende der achtziger Jahre einsatzbereit sein soll.
Dessen Besonderheit: Jede der beteiligten Nationen kann ihren Interessen gemäß nur für sie bestimmte Erkenntnisse abrufen. Das Abrufsystem sei nicht von den anderen beteiligten Nationen zu manipulieren, heißt es beim BND.
Was aber bringt es, wenn der BND dem Kanzler demnächst eigene Photos von der SS-20 oder anderen Sowjet-Raketen vorzeigen kann?
Für den täglichen Lagebericht im Verteidigungsministerium reicht auch das, was die Amerikaner über den Tisch schieben. Zur Gegenkontrolle wird dieses Material durch eigene Erkenntnisse und Zulieferungen anderer befreundeter Dienste angereichert.
Die Situation im Warschauer Pakt liest sich dann, an einem Tag im Dezember 1983, etwa so:
Die »Ausbildung von Führungstruppen« einer - näher gekennzeichneten - sowjetischen Luftlandedivision sei abgeschlossen, bestimmte sowjetische Oberbefehlshaber hätten sich auf eine Dienstreise begeben, die in einem näher beschriebenen Bereich der DDR zusammengezogenen Kampfhubschrauber dienten dem Training sowjetischer und deutscher Kampftruppen. Zahlen und Dauer der Übung sind aufgeschlüsselt.
Über den Stand der SS-20-Rüstung im Militärbezirk Sibirien heißt es in dem Lagebericht, im Bereich Kansk sei eine weitere Stellung einsatzbereit, eine andere noch im Bau, was die Gesamtzahl auf 41 einsatzbereite Stellungen für diese Mittelstreckenwaffen erhöhe - mit insgesamt 369 Flugkörpern und 1107 Sprengköpfen.
Nicht vergessen ist der Hinweis, man habe schon im März 1983 vorhergesagt, die Stellung in Kansk werde Ende 1983 fertig sein.
Mit ihrer Beteiligung an dem Satellitenprogramm möchten die Pullacher sich einen Traum erfüllen, den jeder Geheimdienstler, und ein deutscher allemal, schon immer träumte: besser zu sein als die Konkurrenz, eher als die einen Knüller zu melden, mehr Leute und mehr Geld einsetzen zu können.
Doch der Ehrgeiz des BND steht in keiner vernünftigen Relation zu den Steuergeldern, die er verschlingt. Denn heraus kommt dabei vor allem ein aufgeblähter bürokratischer Apparat, dermaßen auf Technik fixiert, daß Entscheidungsfreude und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter rapide abnehmen. Das räumt selbst die BND-Spitze ein. Die angeblichen Zwänge der Technik dienen dabei als bequeme Entschuldigung.
Helmut Kohl indes ist kaum der Mann, diese Entwicklung zu kontrollieren, ließ er schon bei der Neuwahl Blums, des Bilderbuchtyps vom distinguierten Diplomaten mit scharf gezogenem Scheitel und der Zigarettenmarke »Embassy«, wenig Weitblick erkennen.
CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann hatte sich bei Kohl für Blum mit dem Hinweis verwendet, dem Vorsitzenden Strauß solle man mit Blums Berufung zeigen, daß auch CSU-genehme Leute beim Regierungswechsel zum Zuge kämen.
Blum nahm sich vor, durch Nettigkeit zu führen, Feindschaften und Intrigen im Dienst einzudämmen.
Allzuweit jedoch ist der BND-Präsident in knapp eineinhalb Jahren mit seinen Vorsätzen nicht gekommen. Das Betriebsklima hat sich nicht gebessert. Vizepräsident Norbert Klusak mochte sich nicht dareinfinden, daß ihm sein früherer Untergebener Blum nun vor die Nase gesetzt worden war, ein Mann, der eigentlich nach seinem Rückzug aus
Washington im Auftrag und auf Kosten des BND weiter in der Weltgeschichte hatte herumreisen wollen.
Blum hatte mit Präsident Kinkel einen Beratervertrag geschlossen. Zweimal pro Jahr, sagt Blum, drei- bis viermal im Jahr, sagen andere, sollte der Pensionär nach Amerika fliegen und seine alten Kontakte pflegen dürfen. »Ich war zwölf Jahre in den USA«, rechtfertigt Blum in aller Bescheidenheit die Sonderregelung, »es hatte keiner so gute Verbindungen wie ich.«
Tatsächlich unterhielt Party-Löwe Blum beste Beziehungen bis in den US-Führungsapparat hinein; US-Vize-Präsident George Bush, früher CIA-Chef, sei ein »persönlicher Freund«, sagt er.
Die Kollegen Agenten in Pullach warfen ihm damals vor, er wolle sich nur auf BND-Kosten Freiflüge zu seinem Ferienhaus in Florida sichern.
Und plötzlich, nach der Bonner Wende, wurde der potentielle Frührentner neuer Chef beim BND. Die alten Gegner stänkerten, Blum stänkerte zurück: »Viele von Ihnen hier sind milieugeschädigt.« In Kurierkreisen des BND lief das Gerücht um, er habe bei Rückkehr aus Nordafrika einen Berberteppich im Dienstflugzeug geschmuggelt. Blum dagegen: »Das war ein Staatsgeschenk.«
Mehr noch schadete der Reputation Blums seine Personalpolitik. Neuer Leiter der für die Beschaffung zuständigen Abteilung I wurde ein Mann, von dem Blum zugibt: »Ich habe ihn gar nicht gekannt.«
Den Riesensatz in seiner Karriere machte der BND-Beamte Rudolf Werner, bis dato nach A 15 (monatliches Grundgehalt: 4000 Mark) bezahlter Referent für die Polenaufklärung. Werner erhielt den B-6-Posten des Abteilungsleiters (monatliches Grundgehalt: 7830 Mark), weil es seinen alten Freunden unter den engen Vertrauten des Kanzlers so gefiel - dem außenpolitischen Abteilungsleiter Horst Teltschik, »mit dem ich seit Studienzeiten befreundet bin« (Werner), und dem Kanzleramtschef Schreckenberger, den Werner auch schon »seit langem kennt«.
Das Personalproblem an der BND-Spitze hat inzwischen auch Helmut Kohl erkannt. Doch der Kanzler geht es auf seine Art an: Er schiebt auf.
Vize Klusak wird aller Voraussicht nach im Laufe dieses Jahres als neuer Chef zum Militärischen Abschirmdienst (MAD) wechseln; neuer Vize in Pullach soll dann der bisherige Gruppenleiter in der zuständilgen Abteilung des Kanzleramts, der Sozialdemokrat Wolfgang Koch, werden.
Obwohl Blums Ablösung beschlossene Sache ist, soll seine Amtszeit erst einmal verlängert werden - um ein halbes Jahr. Dann hätte der BND-Chef die gesetzliche Mindestzeit für einen Pensionsanspruch nach der Präsidenten-Besoldungsgruppe B 9 (monatlich: 10 337 Mark) erfüllt.
Zur Feier des - offiziell - 25jährigen BND-Bestehens 1981 inPullach.Mit sowjetischem Offizier im Oktober 1949.