JUNGSOZIALISTEN »Dieser Konflikt ist unausweichlich«
SPIEGEL: Zwischen den Jungsozialisten und dem Deutschen Gewerkschaftsbund ist offener Streit ausgebrochen. Ihr Kollege im Juso-Vorstand Johano Strasser hat angekündigt, die Jungsozialisten würden im Fall von wilden Streiks für die Arbeiter Partei ergreifen -- notfalls auch gegen den Willen der Gewerkschaften. Der bayrische DGB-Chef Rothe fürchtet seither um den Bestand des Rechtsstaates. Wollen sich die Jungsozialisten mit den Gewerkschaften anlegen?
MERNIZKA: Das ist nicht unsere Absicht. Wir wollen nur unseren Beitrag zu einer kritischen Diskussion leisten und mithelfen, die Basis an den Entscheidungen zu beteiligen, also zu mobilisieren. Deshalb arbeiten die Jusos in der Gewerkschaft, die wir ja stärken wollen.
SPIEGEL: Das bedeutet aber, daß Sie einen Konflikt mit den Gewerkschaftsvorständen riskieren.
MERNIZKA: Das ist richtig -- aber in einer demokratischen Organisation wie den Gewerkschaften hat die Diskussion zwischen Basis und Vorstand längst eingesetzt, ob man das nun wahrhaben will oder nicht.
SPIEGEL: Ihr Kollege Strasser hält Lohnforderungen von 20 Prozent für das angemessene Gewerkschaftsziel. Wollen die Jusos die Gewerkschaften zu härterer Gangart veranlassen?
MERNIZKA: Ich kann hier nur als aktiver Gewerkschafter und als Vorsitzender eines gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers in einem Betrieb mit über 4200 organisierten IG-Metall-Arbeitern sagen, daß diese Forderung zwischen 15 und 20 Prozent liegen muß, um auch den Inflationsverlust hereinzuholen. Wir wollen uns nicht einmischen, denn die Basis der Gewerkschaft mobilisiert sich im Moment selbst. Doch die breite Mitgliedschaft muß stärker in die Tarifdiskussion einbezogen werden als bisher.
SPIEGEL: Wenn Ihre Organisation Lohnerhöhungen in der Größenordnung von 20 Prozent unterstützt, kommt sie zwangsläufig in Konflikt mit der SPD-geführten Regierung, insbesondere mit Helmut Schmidt, der versucht, die Inflationsrate von derzeit über sieben Prozent durch konjunkturpolitisches Gegensteuern zu reduzieren.
MERNIZKA: Selbstverständlich ist dieser Konflikt unausweichlich. Nur: Diesen Konflikt gibt es nicht erst seit gestern, er besteht seit mindestens vier Jahren und ist auf die unterschiedlichen Auffassungen von Jungsozialisten und Regierungsmitgliedern über die Wirtschaftspolitik zurückzuführen.
SPIEGEL: Welches sind die wichtigsten Unterschiede?
MERNIZKA: Wir wollen unsere antikapitalistische Strukturreform durchsetzen und das kapitalistische Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten erschüttern, damit nicht länger eine kleine Gruppe von Privilegierten bestimmen kann, was bei uns in der Wirtschaft passiert.
SPIEGEL: Und die Sozialdemokraten in der Bundesregierung?
MERNIZKA: Die machen immer neue Stabilitätsprogramme, ohne der Lösung des Hauptproblems näherzukommen, nämlich, wie die Arbeitgeber daran gehindert werden können, einseitig und zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung ihre Macht auszuüben.
SPIEGEL: Was heißt das konkret?
MERNIZKA: Wir müssen die Machtausübung der Unternehmer einschränken. Das heißt, die Mitbestimmung muß unbedingt erweitert werden. Wir können es uns nicht leisten, diese Frage länger aufzuschieben. Dann müssen wir in wichtigen Sektoren, etwa dem Wohnungsmarkt oder bei Nahrungsmitteln, Kontrollen einführen. Und schließlich müssen wir uns über eine Investitionssteuerung einigen.
SPIEGEL: Erwarten Sie, daß es in den kommenden Tarifauseinandersetzungen auch um die Mitbestimmung geht?
MERNIZKA: In der nächsten Zeit werden wir eine Eskalation der Konflikte erleben, die sich aus den Widersprüchen des Gesellschaftssystems ableiten. Wenn bis zum Herbst beispielsweise die Bundesregierung nicht einmal in der Mitbestimmungsfrage weitergekommen ist, kann ich mir sehr gut eine Kampagne vorstellen, in der es nicht nur um Lohnforderungen, sondern auch um Mitbestimmung oder Investitionslenkung geht.
SPIEGEL: Halten Sie einen politischen Streik zur Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung für sinnvoll?
MERNIZKA: Selbstverständlich. Wenn die SPD-Mehrheit in der Bundesregierung diese Mitbestimmung wegen der FDP nicht durchsetzt, sollten die Gewerkschaften ganz klar für diese Forderung in den Ausstand treten.
SPIEGEL: Zunächst einmal wird es den Gewerkschaften um Lohnerhöhungen gehen. Und ebenso wahrscheinlich ist es, daß die Unternehmer Lohnerhöhungen -- insbesondere von der Größenordnung, wie Sie Ihnen vorschwebt -- als Anlaß oder als Begründung für Preiserhöhungen benutzen werden.
MERNIZKA: Ja, das ist vorauszusehen. Nur ist dann die Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, dem einen Riegel vorzuschieben.
SPIEGEL: Was sollte die Regierung tun?
MERNIZKA: Sie muß unbedingt der Preistreiberei der Unternehmer einen Riegel vorschieben. Konkret: öffentliche Preiskontrolle für Grundnahrungsmittel, Mieten und Boden. Das gilt auch für die öffentliche Hand. Die Preise der Post, der Bahn und der öffentlichen Versorgungsunternehmen müssen eingefroren werden. Längerfristig werden wir aber nicht daran vorbeikommen, die Grundsatzforderungen des DGB zu erfüllen und Banken und Konzerne zu vergesellschaften -- national und international.