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»Dieser Staat ist nicht unversöhnlich...«

Gerhard Mauz zur Verurteilung von Abbas Ali Hamadi in Düsseldorf *
Von Gerhard Mauz
aus DER SPIEGEL 17/1988

An überzeugten und bewegenden Worten hat es nicht gefehlt. Denn dem Urteil gegen Abbas Ali Hamadi, 29, auf das der Fünfte Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf erkannt hatte, es lautete auf 13 Jahre Freiheitsstrafe, ließ der Vorsitzende Richter Klaus Arend, 54, nicht sofort die Begründung folgen. Er stellte ihr, der besonderen Umstände wegen, eine Vorbemerkung voran.

Eindringlich protestierte der Vorsitzende Richter gegen die Versuche, die Welt mit »neurotischer Gewalt« zu verändern. Er sprach von dem Wahn, »der Brudermord werde Brüderlichkeit bringen«; vom Mißbrauch der Berufung auf Gott und von der schändlichen Leichtfertigkeit, mit der man Opfer damit zu rechtfertigen sucht, daß nur durch sie die Freiheit, die Gleichheit und was auch immer zu erlangen seien.

Der Vorsitzende Richter erinnerte auch an die traditionelle Freundschaft zwischen der arabischen Welt und den Deutschen und warnte vor dem Sympathieverlust, der dieser Freundschaft drohe. Er appellierte an die Entführer von Rudolf Cordes, sie sollten ihre Geisel, diesen geschundenen Menschen in Todesangst, um ihrer eigenen Würde willen unverzüglich freigeben.

Der nackten Gewalt des Terrorismus könne allein die unbeeinflußte Anwendung des Rechts im Rechtsstaat entgegengesetzt werden, erklärte der Vorsitzende Richter. Nur so werde der Tod Hanns Martin Schleyers nicht sinnlos. Der Gedanke an Rudolf Cordes habe den Senat belastet, aber man habe sich nicht erpressen lassen.

Überzeugte und bewegende Worte, und man kann natürlich, wie Arnold Petersen in den »Lübecker Nachrichten«, sagen, daß dem »nichts hinzuzufügen ist« - und dann doch einen weiteren Satz folgen lassen; einen Satz, der zum Lobpreis unbeeinflußter Rechtlichkeit noch das Argument des Selbstverschuldens des Opfers fügt:

»Nur möchte man noch nachträglich den Kopf über die Unbedarftheit des Hoechst-Managers Cordes schütteln, der meinte, trotz der Verhaftung von Mohammed Hamadi in Frankfurt im gesetzlosen Libanon seinen Geschäften nachgehen zu müssen.«

Man kann aber auch wie Marcel Pott, der ARD-Korrespondent für den Nahen Osten im Beiruter Büro des WDR, in einem Kommentar zum Urteil über Abbas Hamadi auf der Hamburgwelle des NDR die Meinung vertreten, daß keines dieser überzeugten und bewegenden Worte jene zu Einkehr und Umkehr veranlassen wird, für die sie bestimmt waren.

Am 30. September 1985 wurden, so Marcel Pott, vier Angehörige der sowjetischen Botschaft in Beirut von moslemischen Fundamentalisten entführt. Einer von ihnen lag wenig später tot auf einer Straße. Die anderen drei kamen am 30. Oktober 1985 frei, ohne daß den Forderungen der Geiselnehmer entsprochen worden war.

Doch zuvor war ein General des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Beirut eingetroffen. Und der hatte einen Verwandten des Führers der Entführer greifen, kastrieren und erschießen lassen und die amputierten Teile den Entführern mit dem Hinweis zugeschickt, so werde man mit weiteren Verwandten ihres Anführers verfahren, wenn die drei Sowjet-Diplomaten nicht unverzüglich in Freiheit kämen.

Es versteht sich, daß Marcel Pott damit nicht einen Weg zur Bekämpfung des Terrorismus aufzeigen wollte; keiner will die GSG 9 mit dem Tranchierbesteck auf die Reise schicken.

Marcel Pott wollte damit nur deutlich machen, welche Sprache die Geiselnehmer des Nahen Ostens verstehen - und warum auch überzeugte und bewegende Worte nur uns selbst in der Finsternis der Bedrohung durch den Terrorismus Mut machen...

Um anderthalb Jahre ging der Fünfte Strafsenat in Düsseldorf über den Strafantrag der Bundesanwaltschaft hinaus. Er hat damit kein besonders hartes Urteil gefällt. Er hat nur auf das Strafmaß erkannt, das der Überzeugung entsprach, zu der er in seiner Würdigung der Beweisaufnahme gelangt war.

Die Verteidigung ist allerdings der Meinung, der Senat habe für bewiesen angesehen, was keineswegs erwiesen ist. Die Rechtsanwälte Eckart C. Hild, Frankfurt, und Ludwig Hoeller, Saarlouis, hatten für ihren Mandanten Freispruch beantragt. Jetzt haben sie Revision eingelegt, und das ist nicht einfach eine Geste.

Am 13. Januar 1987 wurde Mohammed Ali Hamadi bei der Einreise auf dem Flughafen Frankfurt festgenommen. Er kam aus Beirut, hatte falsche Papiere und führte in Weinflaschen Methylnitrat, einen Flüssigsprengstoff, mit. Seine Identität konnte durch Fingerabdrücke geklärt werden. Denn die Vereinigten Staaten fahndeten nach ihm.

Sie halten Mohammed Hamadi für einen der Entführer der TWA-Maschine, die am 14. Juni 1985 auf dem Flug von Athen über Rom nach Boston vor der Zwischenlandung in Rom in die Hände von Geiselnehmern fiel. Bei dieser Flugzeugentführung ist in Beirut ein Passagier, der US-Marinetaucher Robert Stethem, erschossen worden.

Abbas Hamadi, der zusammen mit seinem Bruder Mohammed in Frankfurt angekommen war, entging der Kontrolle. Und schon am 16. Januar 1987 flog er

in den Libanon zurück. Der Fünfte Strafsenat geht davon aus, daß Abbas Hamadi zurückgerufen worden ist, um bei den Aktionen zu helfen, mit denen man die Freilassung von Mohammed Hamadi erzwingen und seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten verhindern wollte.

Am 17. Januar 1987 wurde in Beirut der Hoechst-Vertreter Rudolf Cordes, 53, auf dem Weg vom Flughafen zur Stadt als Geisel genommen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1987 fiel mit dem Siemens-Mitarbeiter Alfred Schmidt, 47, eine weitere Geisel in die Hände derer, die Rudolf Cordes entführt hatten.

Abgehörte Telephongespräche standen dem Fünften Strafsenat in Düsseldorf zur Verfügung, um sich ein Bild von dem Grad und der Art der Mitwirkung des Abbas Hamadi bei den Geiselnahmen in Beirut zu machen. Vor allem aber lagen ihm Fingerabdrücke des Angeklagten auf einem Brief vor, den Alfred Schmidt hatte schreiben dürfen.

Diese Fingerabdrücke sind in der Bundesrepublik festgestellt und gesichert worden, bevor Abbas Hamadi am 26. Januar 1987 aus Beirut zurückkehrte und bei der Einreise festgenommen wurde. Die Behauptung des Angeklagten, man habe ihm den Brief von Alfred Schmidt während eines Verhörs in die Hand gespielt und dadurch sei es zu seinen Fingerabdrücken gekommen, ist also falsch.

Überraschend hat jedoch der Fünfte Strafsenat als bewiesen angesehen, daß Abbas Hamadi in Beirut als Dolmetscher zwischen den Geiselnehmern und den Geiseln fungiert hat, als der Dolmetscher, der Alfred Schmidt ins Gesicht geschlagen und dadurch bedroht hat, daß er ihm einen metallischen Gegenstand an die Schläfe hielt. Alfred Schmidt, am 7. September 1987 von den Geiselnehmern entlassen, hat als Zeuge in der Hauptverhandlung in Düsseldorf Abbas Hamadi jedoch nicht identifiziert.

Bei der Geiselnahme sei er nicht dabeigewesen, »von der Größe her zu groß«. Und als den Dolmetscher erkannte der Zeuge Alfred Schmidt den Angeklagten gleichfalls nicht wieder. Sehen hatte er ihn ohnehin nicht können. Die Entführer hatten den Geiseln befohlen, auf den Boden zu schauen.

Doch auch die Stimme von Abbas Hamadi erkannte der Zeuge nicht. Der Zeuge Alfred Schmidt hat sich in diesem Punkt sehr entschieden geäußert. Immerhin hat er auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob der »östliche, vielleicht Thüringer Akzent« des Dolmetschers, von dem er gesprochen hatte, auch ein saarländischer Akzent gewesen sein könne, mit »So ähnlich« geantwortet.

»Haben Sie schon mal den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Herrn Honecker,

gehört?« fragte der Vorsitzende Richter Arend den Zeugen daraufhin. Und der Zeuge sagte: »Ja, ja, so ähnlich.« Abbas Hamadi hat sein Deutsch im Saarland gelernt, wo er in einer inzwischen geschiedenen Ehe mit einer Deutschen lebte.

Für den Fünften Strafsenat ist Abbas Hamadi in Beirut der höchst aktive Dolmetscher gewesen. Dafür sprach für den Senat auch, daß die Geiseln dem Dolmetscher nicht mehr ausgesetzt waren, nachdem sich dieser am 24. Januar 1987 mit der Bemerkung von ihnen verabschiedet hatte, sie würden ihm nun nicht mehr begegnen, seine Mission sei erfüllt. Zwei Tage später, am 26. Januar, wurde Abbas Hamadi in Frankfurt festgenommen, und danach ist, bis Alfred Schmidt freigelassen wurde, niemand mehr zu den beiden Geiseln gekommen und hat deutsch mit ihnen gesprochen.

Es soll allerdings in der Gruppe der Geiselnehmer im Januar 1987 in Beirut auch einen Mann gegeben haben, der in der DDR Zahnmedizin studiert hatte und deutsch sprach. Für die Vorgänge in Beirut in diesen Tagen hat der Fünfte Strafsenat dem Zeugen Raschid Mahroum überraschend erhebliche Bedeutung zugemessen. Der lebte damals in Fürth, und die Bundesregierung hat zeitweise versucht, ihn als Vermittler zu benutzen.

In öffentlicher Sitzung in Düsseldorf hat Raschid Mahroum - als Zeuge mit freiem Geleit! - ein, vorsichtig ausgedrückt, farbiges Bild geboten. Und in der mündlichen Urteilsbegründung räumte der Vorsitzende Richter Arend auch ein, der Zeuge sei »fraglos eine schillernde Erscheinung«. Der Vorsitzende Richter gestand sogar zu, damit zu Betrachtungen darüber anstiftend, was man in der Bundesrepublik verlernen kann: »Trotz seines langen Aufenthalts in Deutschland ist er Levantiner geblieben...«

In nichtöffentlicher Sitzung indessen soll der Zeuge Raschid Mahroum sich zur Wahrheit bekannt oder doch wenigstens so ausgesagt haben, daß seine Aussage anhand anderer, gesicherter Beweise überprüft werden konnte. Raschid Mahroum hat, ein Beispiel, auch bestritten, daß der Zahnmediziner deutsch spricht. Der habe in der Sowjet-Union Zahnmedizin studiert. Läßt sich ein Phänomen wie Raschid Mahroum kontrollieren?

Für den Fünften Strafsenat hat sich Abbas Hamadi im Lauf des Jahres 1986 in einen gläubigen und gehorsamen arabischen Kämpfer zurückverwandelt, nachdem er in der Bundesrepublik mit Wein, Spiel, Gesang und anderen Genüssen schon ziemlich eingewöhnt war. Seine Trennung von seiner deutschen Frau, der Einfluß seiner Familie im Libanon und die Beziehung zu einer jungen Libanesin hätten ihn dazu gebracht.

Die Verteidigung sieht in ihrem Mandanten einen Bruder Leichtfuß, der widerwillig nur dort mitgetan hat, wo er gar nicht anders konnte, und der obendrein dazu neigt, aufzuschneiden und sich wichtig zu machen. Der Mandant hat sie darin zu Beginn der Hauptverhandlung, als er zur Person aussagte - später schwieg er -, nach Kräften unterstützt. Von seinem Schlußwort an, in dem er in böse Beschuldigungen ausbrach, zeigte er dann allerdings ein anderes Gesicht.

»Dieser Staat ist nicht unversöhnlich ...«, sagte der Vorsitzende Richter Arend zum Schluß. Er wies den Verurteilten darauf hin, daß er nach Freilassung von Rudolf Cordes, bei guter Führung, bei Anwendung geltenden Rechts und natürlich auch erst dann, wenn er »ohne jede Frömmelei« das Unrecht seines Tuns einsehe, mit Verkürzung der Strafe rechnen könne.

Der Fünfte Strafsenat hat dem Terrorismus die unbeeinflußte Anwendung des Rechts im Rechtsstaat entgegengesetzt - und was danach bleibt, ist Sache der Politik. Auch war der Prozeß gegen Abbas Hamadi nur ein Vorspiel.

Irgendwann in diesem Jahr wird in Frankfurt gegen Mohammed Hamadi verhandelt werden, und die Anklage lautet auf Mord. Die Bundesregierung hat in Sorge um Rudolf Cordes und den damals noch nicht freien Alfred Schmidt auf die Auslieferung Mohammed Hamadis an die Vereinigten Staaten verzichtet. Der Druck, unter dem sie steht, wurde deutlich, als die zuständige Frankfurter Große Strafkammer die Strafsache an eine Jugendkammer abgab und damit amerikanische Bekundungen äußerster Besorgnis auslöste.

Man weiß nicht, wie alt Mohammed Hamadi ist. Die Anklage nimmt an, sein Geburtsdatum sei der 13. Juni 1964. Er behauptete jedoch als die Aussage verweigernder Zeuge in Düsseldorf, er sei im Juli 1968 geboren, wonach vor einer Jugendkammer zu verhandeln wäre. Die Jugendkammer kann aber auch nach Prüfung von über 20 Aktenbänden zu dem Ergebnis kommen, sie sei nicht zuständig, und vor der Großen Strafkammer eröffnen, die an sie abgab - es ist noch alles zeitraubend offen.

In Düsseldorf ist an das Schicksal Hanns Martin Schleyers erinnert worden, das nicht sinnlos werden dürfe. Gerade über dieses Schicksal hat man im nachhinein manche Betrachtung gehört und gelesen ... Rudolf Cordes, so hoffen wir inständig, lebt noch. In Algier hat sich gezeigt, daß es kein Entweder-Oder gibt.

1985, gerade im Zusammenhang mit der Entführung der TWA-Maschine, an der Mohammed Hamadi beteiligt gewesen sein soll, »zeigte sich sogar der Gigant USA hilflos, da er dem Leben seiner Bürger einen höheren Wert beimaß als einer kalt kalkulierenden Staatsräson«. Marianne Quoirin erinnerte in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit Algier und den Hamadis im »Kölner Stadt-Anzeiger« daran.

Damals sind über 600 Schiiten in Israel freigekommen, auch wenn das selbstverständlich nicht auf Erpressung zurückzuführen war. Die Kollegin Quoirin bemerkte zu diesem Nachgeben: »Im Duell mit barbarischen Terroristen ist dies die größte Schwäche der westlichen Welt - aber zugleich auch ihre große Stärke.«

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