Spiegel des 20. Jahrhunderts »Dieses schändliche Benehmen«
Von Barbara Supp
Frauenfeindlich« vermerkt ein Aufkleber in lila Großbuchstaben auf der ersten Seite eines schmalen Bändchens, das um die Jahrhundertwende gedruckt wurde und der Hamburger Staatsbibliothek gehört.
Der Leipziger Nervenarzt Paul Julius Möbius hat es geschrieben, es kam 1900 auf den Markt und verkaufte sich hervorragend. Es heißt »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes«, und das Wesen dieses Weibes beschrieb Möbius so: Es ist unfähig, »Gutes von Bösem zu unterscheiden«. Ihr »Instinkt« macht die Frau »tierähnlich, unselbständig, sicher, heiter«. Das Lernen ist schon dem jungen Mädchen »widerwärtig«, und die Ehe führt dann vollends zur Verblödung: »Der Verfall beginnt oft nach einigen Wochenbetten, die Geistesfähigkeiten gehen zurück, die Frauen ,versimpeln''.«
Hedwig Dohm war 69, hatte fünf Kinder geboren und etliche Bücher geschrieben, als sie sich Möbius'' Werk vornahm. Ihre 1902 gedruckte Antwort ist ein wenig ausführlicher als der Siebziger-Jahre-Aufkleber der Hamburger Akademikerinnen, aber nicht weniger scharf. Von »Antifeministen« schrieb sie, und sie kannte vier Arten: »1. Die Altgläubigen. 2. Die Herrenrechtler, zu denen ich die Charakterschwachen und Geistesdürftigen zähle. 3. Die praktischen Egoisten. 4. Die Ritter der Mater dolorosa (Unterabteilung: die Jeremiasse, die auf dem Grabe der Weiblichkeit schluchzen).«
Das klingt frech, spöttisch, ziemlich überlegen; so als ob damals eigentlich alles schon gesagt worden sei. Als ob man sich wundern müsse, daß es immer noch etwas gibt, das sich »Frauenbewegung« nennt und über Benachteiligungen klagt. Doch das leise Klagen und laute Streiten geht weiter, und mit vielem, das heute debattiert wird, haben sich schon Hedwig Dohm und ihre Mitstreiterinnen befaßt.
Hat sie versagt, diese Frauenbewegung? Hat sie Hedwig Dohm enttäuscht, die davon träumte, daß »die Zahl der Gegner des Frauenrechts von Jahr zu Jahr zusammenschmelzen« werde, bis »ein letzter, einsamer Don Quichotte unter dem Gelächter der Zeitgenossen seine Lanze für den Kochlöffel der Frau einlegen wird«?
In jedem Jahrzehnt hat es Frauen gegeben, die für ihre Rechte fochten als Einzelkämpferin, als Karrieristin oder als Politikerin mit großen Ideen. Sie haben die gesamte westliche Welt verändert und weite Teile der übrigen auch - die Politik, den Alltag, die Liebe, die Ökonomie. Sie haben den Aufbruch in die Moderne betrieben und neue, rebellische Fragen gestellt: ob Biologie Schicksal sein muß und ob Frauen größeren Unfug als Männer anstellen, wenn man sie teilhaben läßt an der Macht.
Als Hedwig Dohm ihre Abhandlung über die »Antifeministen« verfaßte, da gehörte es sich nicht, daß eine Dame wütend wurde und schon gar nicht, daß sie sich lustig machte über einen Mann. Sie galt nicht als selbständig handelndes Wesen. Das Bürgerliche Gesetzbuch, 1900 war es in Kraft getreten, bestellte den Ehemann zum Vormund seiner Frau, und das hieß: Geld verdienen durfte sie nur, wenn er es erlaubte. Sie durfte nicht wählen, im Normalfall nicht studieren, und das preußische Versammlungsrecht verbot »Frauenspersonen, Schülern und Lehrlingen« jede erkennbare Betätigung in der Politik.
Sie taten es trotzdem, in den ersten Jahren der Dekade eben vor allem in »Frauenvereinen« hinter verschlossenen Türen. Imposante Damen mit Rüschenbluse und Kapotthut trafen sich auf Kongressen, um über Abtreibung, Bildung, Berufstätigkeit und vor allem über das Wahlrecht zu debattieren; Namen wie Helene Stöcker, Anita Augspurg, Helene Lange und Lily Braun tauchten in den Zeitungen auf und immer wieder Hedwig Dohm, das Frauenzimmer mit dem besonders scharfen Witz.
1908 hatten sie das Recht zum Frauenstudium erkämpft, im selben Jahr wurde das preußische Versammlungsrecht liberalisiert - jetzt marschierten sie auch noch auf den Straßen wie die englischen Suffragetten. Ein Philologiestudent namens Alfred Jaffe schrieb erbittert an den Berliner Polizeipräsidenten: Er fürchte die »giftigen Einflüsse der Mannweiber«, denn die »schwächen das Selbstbewußtsein und die Energie der Männer, kränken ihren gesunden männlichen Stolz«. Man müsse diesem »schändlichen Benehmen« schnell ein Ende machen, forderte er.
Es sollte Schule machen, dieses schändliche Benehmen. Es ging nicht um materielle Not im Lager dieser bürgerlichen Frauen; es ging um Macht und Unterwerfung, um den Zwang zur Borniertheit, um die Nicht-Existenz der Frau im öffentlichen Raum. Und um die miserable Mädchenbildung: Noch in hohem Alter klagte Hedwig Dohm, eine Tochter aus betuchter Fabrikantenfamilie, über ihre Jugend, in der »alle Felder meines Geistes unbeackert« blieben - in der Schule genauso wie später im Lehrerinnenseminar.
Wenigstens mit ihrer Ehe hatte sie Glück. Ernst Dohm war Chefredakteur des Satireblatts »Kladderadatsch«, im Salon der beiden verkehrten intelligente Leute wie Ferdinand Lassalle, Alexander von Humboldt, Bettina von Arnim. Durch Zuhören habe sie gelernt, schrieb sie später. So wurde sie Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, und zwar eine der radikalsten in jener bürgerlichen Frauenbewegung, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts formierte.
In der Bildung verlangt sie Koedukation. Das Recht auf Arbeit fordert sie nicht nur für ledige, sondern auch für verheiratete Frauen. Die Abtreibung müsse endlich freigegeben werden, die Politik müsse für alle Männer und alle Frauen offen sein. In der Familie will sie, daß die Frau wirtschaftlich unabhängig sei und - ein kühner Gedanke damals - daß auch die Väter sich um die Erziehung ihrer Kinder bemühen.
Sie glaubt an die Zukunft. »Es weht ein Wind!« schreibt sie voll Enthusiasmus. »Es weht ein Wind! Selbst in dunkle Kulturprovinzen weht er hinein.«
Am 22. August 1913 spricht Clara Zetkin in Berlin vor rund 4000 Menschen, darunter 2500 Frauen. Sie tritt an, um gegen neumodische Kampfmethoden zu mobilisieren: »Gegen den Gebärstreik!«
Aus Frankreich war der Slogan vom »Streik der Bäuche« nach Deutschland gelangt, zwei Ärzte hatten ihn verbreitet, zusammen mit Informationen über Verhütungsmethoden - um deutlich und dramatisch gegen Ausbeutung, soziales Elend und unerträgliche Lebensbedingungen der proletarischen Frauen zu protestieren.
Die SPD-Prominenz war dagegen, auch Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Die Partei brauche die Masse der Arbeiterklasse, sie brauche »Soldaten für die Revolution«, sagte Zetkin vor den 4000. Überliefert ist ein Zwischenruf aus der Menge: »Ich möchte die Lux mal reden hören, wenn sie zehn Kinder zu ernähren hätte!«
Zetkin war die unbestrittene Führerin des proletarischen Flügels der Frauenbewegung, die erste Frauensekretärin der Sozialdemokratie. Eine begabte Agitatorin, die auf dem sozialistischen Frauenkongreß von 1910 den »Internationalen Frauentag« erfand und den Kampf ums Wahlrecht mindestens so energisch betrieb wie ihre bürgerlichen Schwestern. Und doch sah sie schon 1894 keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung; sie war es, die auf einer »reinlichen Scheidung« bestand.
Sie verachtete viele dieser engagierten Bourgeoisen. Deren Kampf um die höhere Bildung beispielsweise sei eine »Damenfrage«, keine allgemeine Frauenfrage. Sie verfluchte den »Byzantinismus« dieser Bewegung und schrieb 1913 in ihrer Zeitschrift »Die Gleichheit": »Die bürgerlichen Frauen - viele Frauenrechtlerinnen voran - haben es in Deutschland in den letzten 20 Jahren fast bei jeder Gelegenheit vorgezogen, vor Fürstenthronen devotest in die Knie zu sinken, statt für die volle Demokratie, ja auch nur für ihr eigenes Recht zu kämpfen.«
Clara Zetkin stammte selbst aus der Bourgeoisie, der Vater war Dorfschullehrer, die Mutter eine frühe Anhängerin der bürgerlichen Frauenbewegung; die Tochter Clara, 1857 geboren, hatte wie Hedwig Dohm das Lehrerinnenseminar besucht. Aber sie kannte das Elend der proletarischen Klasse, sie war in einem sächsischen Weberdorf geboren und ging früh auf sozialistischen Kurs.
Sie glaubte fest an Emanzipation durch Arbeit: »Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, solange sie nicht wirtschaftlich unabhängig dasteht.« Das war eine umstrittene Position im Lager der Sozialisten, wo viele glaubten, daß die Abschaffung der Frauenarbeit ein Fortschritt der Menschheit sei.
Zetkin war sich der unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen ihrer Zeit wohlbewußt, sie kannte die 20-Stunden-Tage und den miserablen Frauenlohn, der dazu diente, den Verdienst der Männer zu drücken. Doch das Ziel, meinte sie, könne ja nicht der Kampf der Geschlechter sein, sondern der gemeinsame Kampf gegen die Besitzenden - »um die Gesellschaft gründlich umzugestalten«.
Später, nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wandte sich Clara Zetkin enttäuscht ab von den Sozialdemokraten, als die sich, wie die Gewerkschaften und große Teile der Frauenbewegung, auf die Seite des kaiserlichen Staats stellten. Bürgerliche Frauenrechtlerinnen organisierten die »Heimatfront« und hofften, endlich in die Gesellschaft integriert zu werden. Sie verfielen dem nationalen Taumel wie die Männer; jubelnd schickten sie ihre Gatten, Söhne und Brüder in den Krieg.
Dennoch gab es Pazifistinnen, reichlich sogar: 1126 Delegierte des Internationalen Frauenfriedenskongresses empörten sich 1915 in Den Haag über »das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind«. Je länger der Krieg sich hinzog, desto mehr Frauen waren zum Protest bereit. Sie schufteten in Munitionsfabriken und im Maschinenbau, die Zahl der registrierten Arbeiterinnen hatte sich innerhalb eines Jahres, 1915, um anderthalb Millionen erhöht. Als in Rußland 1917 die Bolschewiki siegten, blickten viele wie die Zetkin neidisch ins Land der Oktoberrevolution. Dort erklärte die Sowjetregierung: »Alle Gesetze, die die Frau benachteiligen oder diskriminieren, sind aufgehoben, Männer und Frauen sind gleichberechtigt.«
Das Ende des Kriegs, genauer: die Novemberrevolution brachte das Wahlrecht für die deutschen Frauen, brachte Clara Zetkin, die Kommunistin geworden war, in den Reichstag, dem sie bis 1933 angehörte. Auch Hedwig Dohm hat diesen Triumph noch erlebt. Sie war 85, als das Frauenstimmrecht beschlossen wurde, eine »zierliche kleine Gestalt«, hieß es im Nachruf in der »Vossischen Zeitung« am 5. Juni 1919, »deren Geist hell geblieben, doch der Körper müde geworden war«. Acht Tage vor ihrem Tod noch hatte sie gegen Krieg, Militarismus und Männlichkeitswahn angeschrieben, über »hohle Phrasen, bewußte Lügen« gewettert. Und geträumt: »Könnte man sich doch zu Tode lachen!«
Kaum jemand durfte es wissen, als die Britin Dorothy Sayers 1924 ihren Sohn zur Welt brachte, ihre Eltern nicht und nur wenige Freunde. Der Junge selbst erfuhr erst 1957, kurz vor ihrem Tod, daß »Tante Dorothy« seine Mutter war. Sayers gab den Kleinen zu einer Cousine, als er ein paar Monate alt war, und schrieb: »Mach Dir keine Sorgen um mich - denk nicht daran, schließ einfach den kleinen Burschen ins Herz.«
Ein Kind paßte nicht in ihr Leben. Sie war damals 30, unverheiratet, ein früher Typ von Karrierefrau: Ihr Geld verdiente sie mit Kopfarbeit. Die Kriminalromane, die sie verfaßte, waren intellektuelle Rätselspiele, denen man deutlich anmerkte, wer die Autorin war - ein »Blaustrumpf«, wie es damals hieß, eine akademisch gebildete Frau. Sayers hatte mittelalterliche Literatur studiert und bekam 1920 den Magister Artium verliehen, als erste Frau in Oxford überhaupt.
Jetzt, in den zwanziger Jahren, war plötzlich vieles möglich für einzelne, besonders fähige Frauen. An der Hochschule Hohenheim lehrte seit 1923 die Botanikerin Margarethe von Wrangell, die erste deutsche Professorin. Die Lenin-Freundin Alexandra Kollontai wurde 1924 in Norwegen als weltweit erste Botschafterin akkreditiert. Die Amerikanerin Margaret Sanger richtete eine Klinik für Geburtenkontrolle ein, die US-Pilotin Amelia Earhart flog über den Atlantik, die Engländerin Virginia Woolf ("Ein Zimmer für sich allein") diskutierte literarisch die Frauenfrage im eigenen Verlag. Anita Berber tanzte nackt und lasterhaft in Berlin.
Weibliche Berufstätigkeit wurde normal, im Jahr 1925 verdienten 11,6 Millionen Frauen in Deutschland ihren Lohn im Büro, in der Landwirtschaft oder der Industrie. Gleichzeitig ging die Zahl der Geburten drastisch zurück. Mittlerweile kämpfte auch Clara Zetkin für das Recht auf Geburtenkontrolle und Abtreibung und bekam von ganz oben einen Rüffel dafür: »Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen«, sagte Genosse Lenin empört zur Genossin Zetkin. »Die Lage in Deutschland fordert die größte Konzentration aller proletarischen, revolutionären Kräfte. Die tätigen Genossinnen aber erörtern die sexuelle Frage.«
Auch in Dorothy Sayers England wurde über die Geschlechterfrage gestritten, aber Sayers war keine Suffragette, keine Kämpferin. Sie suchte die individuelle Lösung ihrer Probleme, wäre niemals für irgend etwas auf die Straße gegangen, schon gar nicht für das Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen - dazu war sie, die Pfarrerstochter aus Oxford, viel zu religiös. Eine Botschaft hatte sie allerdings schon: Frauen können denken.
1923 kam ihr erster Krimi auf den Markt, mit Lord Peter Wimsey als Helden, einem hochintelligenten, feinfühligen, blaublütigen Detektiv. Der Traummann eines Blaustrumpfs flanierte da durch ihre Bücher - sensibel, aufrichtig, treu. Einer, der selbst seinen Heiratsantrag in geschliffenem Latein formuliert: »Placetne, magistra?« Beliebt es Euch, Meisterin?
Im wirklichen Leben liefen die Beziehungen zwischen Männern und Frauen ein wenig anders ab, das war auch Dorothy Sayers klar. Der erste Liebste wollte nicht heiraten und machte sich nach Amerika davon. Der zweite zeugte mit ihr ein Kind. Der dritte wurde ihr Ehemann - ein intoleranter Mensch, der geistig immer verschrobener wurde und nicht duldete, daß sie ihren unehelichen Sohn nach Hause holte. Sie fand sich damit ab.
Sie war keines der frühen emanzipierten Wesen der Charleston-Jahre, jener »Flapper« mit Bubikopf, kurzem Kleid und Zigarettenspitze, die in Tanzlokalen verkehrten, unmoralische Kinofilme liebten, vielleicht sogar Drogen nahmen. Sayers rauchte zwar, sie trank Alkohol und liebte grelle Kleider, aber sie lebte letztlich ihr Leben, als müsse sie beweisen, daß Frauenbildung allein nicht die Welt verändern würde; daß Frauen zwar denken konnten, daß dabei jedoch nicht zwangsläufig Fortschrittliches herauskam.
In den späten Jahren wurde sie immer religiöser, schrieb theologische Abhandlungen und wünschte sich eine Rückkehr zur alten christlichen Moral: »Die Leute«, heißt es vorwurfsvoll in einem ihrer Briefe, »haben heutzutage kein Gefühl mehr für die Sünde.«
Als Mae West am 20. Juni 1932 im kalifornischen Pasadena aus dem Zug stieg, hatte sie sich ihren ersten Spruch für Hollywood längst zurechtgelegt: »Ich bin kein kleines Mädchen auf Glückssuche in der großen Stadt. Ich bin ein großes Mädchen, das eine kleine Stadt beglückt.«
Das tat sie dann auch. Ein gutes halbes Jahr später kam ein Film heraus, der sämtliche Vorstellungen von Sex, Stars, Frauen, Kino und Massenkultur auf den Kopf stellte, ein Sensationserfolg, der die Paramount-Studios vor dem Bankrott rettete. Das kam so, weil Mae West ihren Kopf durchgesetzt hatte. »She Done Him Wrong« hieß der Film, sie spielte einen Vamp namens Lady Lou, trug Glitzerboas zu Perlen- und Paillettenroben, die so eng auf ihren üppigen Körper genäht waren, daß sie darin weder sitzen noch sich bücken oder hinlegen konnte. In weniger als drei Monaten spielte der Film mehr als zwei Millionen Dollar ein, der Export lief prächtig, die Kinos rissen sich darum, diese Sexbombe vorzuführen - eine neue Art von Sexbombe. Eine, die selbst bestimmte, wann sie explodieren wollte und wie.
»He Done Her Wrong« hätte der Film ursprünglich heißen sollen, aber sie duldete das nicht. Sie hatte nie eine Opferrolle gespielt und würde es auch jetzt nicht tun. Mae West war ein Profi. Sie war 1893 geboren, im selben Jahr wie Dorothy Sayers, und stammte aus dem schäbigen Ende von New York. Die Mutter war bayerische Emigrantin, der Vater ein irischamerikanischer Boxer, der sein Geld auf schlechte Pferde setzte und den Rest versoff.
Das Mädchen selbst stand mit fünf auf der Bühne, spielte später jahrelang am Broadway, in eigenen Produktionen, und war für amouröse Skandale auf der Bühne und im Privatleben berühmt. Ihre anzüglichen Sprüche gingen um die Welt: »Ist das eine Kanone in deiner Hosentasche, oder freust du dich so, mich zu sehen?«
Die selbstbewußte, starke, sexuell aggressive Frau - das war die Glanzrolle von Mae West. Niemals trat sie als Hausfrau oder Mutter auf, weil sie das nicht sexy fand. Sie war 40, als sie ihre Kinokarriere begann, und brachte es fertig, die Vorstellung zu widerlegen, daß Sex nur etwas für junge, dünne Dinger sei. Sozialhistoriker haben später ihren »befreienden Einfluß auf das Sexualleben der Frau« gerühmt, sie bot ein Rollenmodell, wie es bis dahin nicht zu finden war in der Massenkultur - und Amerika, das Anfang der dreißiger Jahre ein bißchen weniger prüde war als sonst, zeigte sich fasziniert.
Nicht sehr lange allerdings: Es gab ja auch Zensur, den »Hays Code«, der speziell die Moral der Kinofilme überwachte, und der erklärte so ziemlich alles für verboten, was Mae West lustig fand. Sie liebte Anspielungen auf Prostitution, Ehebruch und Drogen, all das war nicht zulässig in den Augen der Zensoren, die es schon anstößig fanden, wenn in einem ehelichen Schlafzimmer ein Doppelbett zu sehen war. Es mußten zwei einzelne Betten sein.
Die 1933 gegründete »National Legion of Decency« warf der Künstlerin Verrat an Amerikas heiligsten Werten vor. Mae West berief sich auf die Freiheitsstatue und machte weiter, doch 1938 war für die Paramount Schluß mit der Kooperation. Die Zeit der Liberalität war vorbei.
Schon in »She Done Him Wrong« hatten die amerikanischen Sittenwächter herumgeschnitten. In Großbritannien schlug die Zensur noch schärfer zu. In Lettland und Australien war der Film ganz verboten. In Deutschland wurde er erst viel später, 1969, gezeigt. Man schrieb ja das Jahr 1933. Da bestimmte die »Reichskulturkammer« der Nationalsozialisten darüber, was ins Kino kam.
Im Frühling 1944, am 30. März, war Leni Riefenstahl zu Besuch auf dem Berghof über Berchtesgaden. »Hitler küßte mir die Hand«, berichtet sie später. »Mir fiel seine zusammengesunkene Gestalt auf, das Zittern seiner Hand und das Flackern seiner Augen - Hitler war seit unserer letzten Begegnung um Jahre gealtert. Aber trotz dieser Verfallserscheinungen ging noch immer die gleiche magische Wirkung von ihm aus, die er seit jeher besessen hatte.«
Genauso hatte sie ihn früher selbst inszeniert. »Sieg des Glaubens« hieß ihr erster NS-Propagandafilm, 1934 folgte »Triumph des Willens«, der mit suggestiven Massenbildern Hitler und den Reichsparteitag von Nürnberg feierte. Die damals 31jährige Riefenstahl erhielt den »Nationalen Filmpreis« dafür, und der »Völkische Beobachter« schrieb, ihr Film sei »eine nationalsozialistische Fanfare, die das deutsche Volk noch aufpeitschen wird, wenn die Generation von heute längst der Rasen deckt«.
Ihr Erfolg war die Verherrlichung des NS-Regimes und seines Führers; sie hat perfekte Bilder produziert und damit Karriere gemacht, wie es bis dahin keiner Künstlerin in Deutschland gelungen war - kühl und erfolgshungrig wie männliche Sympathisanten auch. Sie sei »100 Prozent Mann und 100 Prozent Frau«, hat sie später gesagt - ein Sonderwesen also, mit Sonderrechten, die sie abhoben von dem, was der Nationalsozialismus unter Weiblichkeit verstand.
Die Emanzipationsvereine gab es nicht mehr, oder sie waren aufgegangen in der NS-Frauenschaft. Es sei Schluß mit den »liberalen intellektualistischen Frauenbewegungen«, verkündete Hitler im September 1934. Das künftige Programm für die Frauen enthalte »nur einen einzigen Punkt, und dieser Punkt heißt Kind«.
Als hätten sie wahrhaftig das Denken verlernt, so wollten viele Frauen später nichts gewußt haben von den Verbrechen, die um sie herum geschahen. Als wäre das weibliche das bessere, das unschuldige, das friedlichere Geschlecht, so las sich das häufig nach dem Krieg in engagierten Frauenblättern wie dem »Regenbogen«, wo die Autorin Maria Pfeffer 1946 schrieb: »Sie, die das Leben trägt und weitergibt, muß ihn, den Töter, hassen als ihren furchtbarsten Feind.«
Nur: So war das ja nicht. Die Schicksale der Frauen im Faschismus waren so unterschiedlich wie die der Männer auch. Sie wurden interniert in Konzentrationslagern wie Ravensbrück; sie wurden bewacht, gefoltert, ermordet auch von Aufseherinnen. Frauen kämpften als Flakhelferinnen - und Frauen leisteten Widerstand, so wie Sophie Scholl oder Liselotte Herrmann, die 1938 als erste Frau unter dem Fallbeil der NS-Henker starb.
Riefenstahl will von diesen Schrecken nichts gewußt haben. Sie war Hitler dankbar, weil er sie »vor meinen Feinden wie Goebbels und anderen beschützt hatte«. Als sie von Hitlers Tod erfuhr, tobte in ihr »ein Chaos von Gefühlen«, schreibt sie 1987 in ihren Memoiren. »Ich warf mich auf mein Bett und weinte die ganze Nacht.«
Heute lebt die 96jährige Leni Riefenstahl am Starnberger See, ist kürzlich erst in Hollywood von einer privaten Cineastengruppe für ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden und wartet darauf, daß die Welt aufhört, ihr die Propaganda für die NS-Politik vorzuwerfen.
Eine zumindest steht auf ihrer Seite: Alice Schwarzer, Deutschlands führende Frauenrechtlerin. Sie hat Riefenstahl Ende 1998 besucht und in ihrer Zeitschrift »Emma« darüber geschrieben. Sie beklagt die »Verfolgung« dieser Frau, die in Deutschland zu einer regelrechten »Hexenjagd« geworden sei. Sie sieht »Selbstgerechtigkeit und Gehässigkeit«, hinter der in Wirklichkeit etwas anderes stehe - nämlich Frauenfeindlichkeit.
Elfriede Eilers hatte geglaubt, daß sie keine Chance habe - trotzdem wurde sie 1957 für die SPD in den Bundestag gewählt. Es gab nicht viele Frauen dort, bei der SPD zwölf Prozent, bei den anderen Parteien noch viel weniger. Am Ende der Legislaturperiode waren es immer ein paar mehr als zu Beginn. »Über die Leichen der Männer«, so pflegten die Genossinnen zu sagen, kamen die Frauen ins Parlament.
Es war nichts geworden mit dem weiblichen Griff zur Macht, von dem enthusiastische Politikerinnen geträumt hatten, gleich nach dem Krieg. »Wir Frauen werden es machen«, schrieb die Stuttgarterin Anna Haag von der »Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit«. Sie gründeten Frauenausschüsse und schufteten wie Kerle, sie klopften Steine und schafften die Trümmer weg, und sie waren in der Mehrheit - in Berlin zum Beispiel zwei Drittel der Bevölkerung.
Doch nach ein paar kurzen, wilden Jahren war die Aufbruchstimmung vorbei. Die Frauen ließen sich wieder nach Hause schicken, es begann der Marsch ins Wirtschaftswunder, in die Restauration. Mühsam nur, gegen den erbitterten Widerstand der CDU, gelang es zwei Frauen unter den »Vätern des Grundgesetzes«, wie es hieß, die Gleichberechtigung in der Verfassung zu verankern. Erst 1958 trat das »Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau« in Kraft. Endlich verschwanden das »Alleinvertretungsrecht« und der »Stichentscheid« des Mannes in der Ehe. Aber in den Köpfen wirkte das noch lange nach.
Frauenpolitik war nicht besonders angesehen, die Bielefelder Abgeordnete Eilers, von Beruf Jugendfürsorgerin, wußte das genau. Der CDU-Familienminister Franz-Josef Wuermeling pries die Frau als »Herz der Familie« und verdammte die Berufstätigkeit von Müttern; die SPD hielt nur zaghaft dagegen. Es dauerte bis in die siebziger Jahre, daß die SPD-Frauen sich und ihren Ärger selbst organisierten. 1973 wurde Elfriede Eilers zur ersten Bundesvorsitzenden der »Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen« gewählt - bis dahin hatten die Herren im Präsidium über die Zuständigkeit in Frauenfragen bestimmt.
So saß sie da als späte Nachfolgerin von Clara Zetkin und wünschte sich, daß die Partei sich ein bißchen mehr bekannt hätte zu ihrer Tradition - zum Internationalen Frauentag beispielsweise, den Zetkin 1910 erfunden hatte. »Wir haben den nicht gefeiert. Den haben wir uns vom Osten stehlen lassen«, sagt sie heute, mit 78. »Das hat mir als junge Frau sehr leid getan.«
Hausfrau ist sie und kommt sich vor wie »in einen Käfig gesperrt«. Es gehe ihr nicht besser als ihrer Großmutter, »die sich in ihrem Salon voller Gold und Plüsch über den Stickrahmen beugte und zornig etwas von Frauenrechten murmelte«. Frauen wie diese gab es reichlich in Amerika, so berichtete Betty Friedan im Jahr 1963. »Der Weiblichkeitswahn« hieß ihr Buch, es befaßte sich mit dem Elend der Mittelklasse-Vorstadt-Hausfrau und wurde der Zündfunke für die feministische Revolution.
Die bürgerliche Frauenbewegung war wieder da, und ganz vorne dran Betty Friedan, damals 42, Journalistin und Vorstadt-Hausfrau.
Es dauerte allerdings noch ein wenig, bis der Feminismus richtig in Schwung kam. Die sexuelle Revolution war schneller; 1960 kam in Amerika, 1962 auch in der Bundesrepublik die Pille auf den Markt. Die Studentenbewegung verkündete den Aufbruch - im Privatleben (schafft zwei, drei, viele Orgasmen) und in der Politik (schafft zwei, drei, viele Vietnams). Die Frauen durften mitmarschieren, aber die dreckigen Demonstrantensocken und Babywindeln wuschen sie weiterhin allein.
Der Ärger wuchs. Mit dem Schlachtruf »Das Persönliche ist politisch« verabschiedeten sich in Italien die ersten Feministinnen von der gemischtgeschlechtlichen Studentenbewegung. In Holland zwickten die »Dollen Minas« öffentlich Männer in den Hintern. Im amerikanischen SNCC ("Students Non-Violent Coordinating Comittee") wollte 1964 eine Bürgerrechtlerin namens Ruby Robinson über die »Lage der Frauen im SNCC« debattieren und konnte nicht fassen, was sie daraufhin vom Schwarzen-Führer Stokeley Carmichael zu hören bekam: »Die einzige Lage der Frauen im SNCC ist die horizontale.«
In Deutschland begann die weibliche Revolution 1968, mit jener berühmten Tomate, die die Romanistikstudentin Sigrid Rüger beim Frankfurter SDS-Bundeskongreß dem Theoretiker Hans-Jürgen Krahl ins Gesicht schmiß, weil die SDS-Männer nicht über Kinderbetreuung diskutieren wollten.
Es ging um alles, um die Herrschaft im Staat und um jene über den eigenen Körper; um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um Sexismus jeglicher Art. Betty Friedan, die heute 78 ist, schaut mit Befriedigung auf jene Jahre zurück. Damals schien alles so einfach. Damals wußte man noch, wer Freundin war und wer Feind.
Heute ist das anders, da Clinton regiert, der Babyboomer, der sich benimmt wie ein pubertärer Frauenheld - und trotzdem unterstützt werden müsse, findet Friedan. Wegen seiner Politik. Weil er »der frauenfreundlichste Präsident ist, den es in Amerika je gab«.
Ihr Leben lang wird sie es bedauern, sagt die Schriftstellerin Benoîte Groult, daß sie nicht zu den »343 Schlampen« gehört. Schlampen: So wurden sie genannt, die Frauen, deren Namen am 5. April 1971 im »Nouvel Observateur« erschienen - mit der Schlagzeile »Ich habe abgetrieben«.
Sie kannte das Problem. Sie kannte es gut. Sie selbst war damals in den Nachkriegsjahren verzweifelt von Abtreibungsarzt zu Engelmacherin gelaufen, hatte dann zu Hause am Küchentisch mit Metallnadel und Angelschnur an sich selbst hantiert - obwohl sie all diese Geschichten von heimlichen Abtreibungen kannte, von Perforationen, schweren Blutvergiftungen, bis hin zum plötzlichen Tod.
Heute findet sie das »unglaublich«, aber damals war das so: »Ich dachte, die armen Männer. Ich dachte, es ist meine Schuld. Ich war ja schwanger, nicht er.« Er war normal, dieser Horror: »Man wollte ja weiter mit den Männern zusammenleben. Wollte sie weiter lieben. Was sollte man tun?«
Eine Dame sprach nicht über solche Dinge wie Verhütungsmittel mit ihrem Mann, und sie war eine Dame, definitiv. Sie stammte aus großbürgerlichem Haus, hatte studiert und als Lateinlehrerin unterrichtet. Aber sie empfand es nicht als empörend, daß sie, als erwachsene Frau, nicht wählen und nicht mitbestimmen durfte über die Gesetze in ihrem Land - erst 1944 waren Frankreichs Frauen an der Reihe.
Die Französinnen seien immer »entsetzlich nett« gewesen, sagt sie heute, viel zu sehr abgerichtet auf das Spiel mit Verführung, mit Koketterie. Natürlich hat sie früh »Das andere Geschlecht« von Simone de Beauvoir gelesen, das ja schon 1949 erschienen war, aber auf sich selbst bezogen hat sie es nicht. Erst als Frauen weltweit zu Feministinnen werden, wacht sie auf, schreibt feministische Abhandlungen ("Ödipus'' Schwester"), erotische Frauenliteratur ("Salz auf unserer Haut") und beginnt, die Männersprache ("Madame le Ministre") zu attackieren.
Frauensprache, Frauenforschung: plötzlich ist das alles wichtig. Frauengruppen, Frauenkneipen, Frauenläden, Frauengesundheitszentren entstehen, Frauenhäuser bilden Schutzräume gegen männliche Gewalt. Frauengeschichte wird entdeckt, Frauenliebe gepflegt, Frauenromane werden verfaßt. Eine eigene Welt wird erschaffen in diesen enthusiastischen siebziger Jahren, eine Frauenszene, die sich benimmt, als ob Schluß sei mit der Forderung nach weiblicher Integration. So als ob der Ausweg die Abkapselung sei, ein Eigenleben in einer besseren, weiblichen Existenz.
Wann, wenn nicht jetzt: Plötzlich schien alles möglich. Frauen forderten »die Hälfte des Him-
* 1989 beim EG-Gipfel in Straßburg.
mels« und »die Hälfte der Welt«. Nicht nur die feministischen Nischen, die Gesellschaft als Ganzes hatte sich bewegt, und die neue sozial-liberale Regierung trug dazu bei. 1977 fiel das überholte Scheidungsrecht: Das Schuldprinzip wurde abgeschafft, der Versorgungsausgleich eingeführt. Der Paragraph 218 wurde neu verhandelt, der »Stern« hatte mit einer Bekenntnisaktion nach französischem Muster für Aufregung gesorgt. Die Koalition führte 1974 die Fristenlösung ein - doch das Verfassungsgericht kassierte sie wieder. So dauerte der Streit über die Abtreibung bis in die neunziger Jahre an.
Quietschen, Stöhnen, Kreischen, Haare wie ein Mop und eine Botschaft, die unmißverständlich war: »Ich war schwanger, mir ging''s zum Kotzen. Ich wollt''s nich haben, brauchste gar nicht erst zu fragen« - das war Nina Hagen, als sie ihre ersten Konzerte im Westen gab. Wenig später, 1981, bekam sie dann doch ein Kind und war hoch zufrieden damit, aber sie hatte ja noch einiges mehr auf Lager, um die Öffentlichkeit zu verstören.
Seit jener legendären ORF-Talkshow im August 1979 war die Sängerin aus dem Osten länderübergreifend als Skandal bekannt: Da hatte sie mit deutlichen Handbewegungen vorgeführt, wie Selbstbefriedigung bei Frauen funktioniert.
Krach gab es und reichlich Verwirrung über dieses wilde Wesen von drüben; schwer vorstellbar, daß der real existierende Sozialismus so etwas produzierte. Aber das hatte er getan. Mit 21 war Nina Hagen aus der DDR ausgereist, gemeinsam mit ihrer Mutter Eva-Maria, ihrem ausgebürgerten Ziehvater Wolf Biermann hinterher. Eine Kultfigur der DDR-Jugend war sie vorher schon gewesen; allerdings nicht etwa, weil man sie als Feministin verstand. Das Problem der Emanzipation galt ja im Sozialismus offiziell als gelöst.
1949 hatte die DDR wie der Westen die Gleichberechtigung ins Gesetz geschrieben, und, mehr noch: Frauenarbeit wurde als ökonomisch notwendig betrachtet und deswegen gefördert. Das wichtigste Hindernis existierte in der späteren DDR nicht mehr: Der Bedarf an Kindergärten und -tagesstätten war gedeckt. Und für die Abtreibung mußte nicht mehr gekämpft werden, die war längst legalisiert.
Sicher, die Spitzenjobs im Land hatten wie im Westen fast nur Männer inne, und auch in den Familien war die alte Rollenaufteilung unverändert geblieben; die Frauen gingen zur Arbeit und organisierten anschließend den Haushalt, und zwar weitgehend allein. Trotzdem : Ausgebeutet wurde die Frau ja nur im Kapitalismus, so hieß es, und wer daran nicht glaubte, rief noch lange nicht zur Gründung von Frauengruppen auf. Der Bedarf schien gering.
Ein seltsames Zusammentreffen ergab sich also nach dem Fall der Mauer 1989. Die Mehrzahl der Ostfrauen konnte nicht viel anfangen mit den westlichen Schwestern, die dauernd stritten über Fragen wie Abtreibung, Karriere, Kinderbetreuung und Männergewalt. Die spitzfindig über »das Geschlecht als soziales Konstrukt« und die Postfeministin Madonna diskutierten, die unglücklich auf ihre politischen Parteien blickten und hofften, daß endlich, den Grünen sei Dank, die Quote siegen würde.
Die Euphorie der Siebziger war ja längst vorbei. Einzelne hatten es geschafft, Margaret Thatcher oder Indira Gandhi beispielsweise, die bewiesen, daß Frauen genauso eisern und unerbittlich regieren können wie Männer. Aber die Mehrheit sah sich im Beruf noch immer ausgegrenzt - gerade hatten Feministinnen in den USA das Prinzip der »Glasdecke« entdeckt, jener unsichtbaren Wand, die verhindert, daß Frauen im Beruf nach ganz oben gelangen.
Schwer verständlich für viele Ostlerinnen auch diese Obsession mit der Sprache, daß Frauen sich darüber aufregten, wenn politische Referenten in Bonn formulierten: »Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird ...« DDR-Frauen fanden nichts dabei, Kranführer oder Maschinist zu sein. So war das halt.
Kein Feminismus also? Doch, ein bißchen davon hatte Nina Hagen auch im Osten verkörpert. Ihr Lied »Rangehn« hatte sie schon zu DDR-Zeiten gesungen. Nur hieß es damals nicht »Rangehn, rangehn. Wenn du scharf bist, mußte rangehn!« Sondern, viel braver: »Rangehn, wenn dir''n Typ gefällt: rangehn!«
Sie war fünf, als sie den blutigen, fürchterlichen Tag ihrer Beschneidung erlebte, ohne Betäubung, mit einer blutbefleckten Rasierklinge, so wie es eben üblich war in Somalia. Waris Dirie ist jetzt Anfang 30, und sie zwingt sich, immer wieder darüber zu reden, über diese Schmerzen, über das Intimste, was es gibt.
Im Herbst 1998 ist ihr Buch erschienen, seitdem wird sie dauernd darüber ausgefragt, und weil sie glaubt, daß es wichtig ist, hat sie sich selbst befohlen: »Es muß sein, daß du darüber sprichst.« Es sieht so aus, als ob das etwas nützt.
Weil sie nicht irgendein mißhandeltes Mädchen ist, sondern ein Model, eine sehr schöne Frau; weil sich in ihrem Fall Glamour mit dem traurigen Anliegen verbindet, hört man ihr zu. Waris Dirie kämpft jetzt als Sonderbotschafterin der Uno gegen die sexuelle Verstümmelung von Frauen, und ihr Buch »Wüstenblume« ist ein Bestseller geworden. In Deutschland allein wurden schon fast 150 000 Exemplare verkauft.
Jetzt, in den neunziger Jahren, herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß es Bräuche gibt, die keine schützenswerten Kulturgüter sind, sondern pure Barbarei. Es ist nicht mehr so einfach wie früher, das Elend am anderen Ende der Welt zu ignorieren. Die Fakten sind bekannt: In Afghanistan haben die Taliban das ganze weibliche Geschlecht zu Gefangenen gemacht. In Indien werden weiterhin Frauen ihrer Mitgift wegen ermordet. Tausende kleiner Mädchen erleiden täglich die grausame Verletzung, die Waris Dirie erlebt hat. Frauenhandel, Vergewaltigungen, Kinderprostitution: Es gibt vieles, das nach Veränderung schreit, nicht zuletzt die Ökonomie. Frauen leisten schätzungsweise zwei Drittel der unbezahlten Arbeit, produzieren mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel - und besitzen ein Prozent des Bodens auf der Welt. Von den 1, 3 Milliarden Menschen, die weltweit in Armut leben, sind 70 Prozent weiblich.
Manche, wie das US-Magazin »Newsweek«, versprechen große Zeiten. Die Globalisierung werde neue Chancen schaffen für flexible, serviceorientierte Frauen - »It''s a woman''s world«, schreibt das Blatt. Gerade die Frauen in den neuen Ländern haben erfahren müssen, daß diese Zukunft, falls es sie gibt, in weiter Ferne liegt. Massenweise wurden sie im neuen Deutschland nach Hause geschickt, und bei den Top-Jobs erreicht der Frauenanteil im Osten gerade mal vier, im Westen drei Prozent. Die Macht ist immer noch männlich - auch in der Politik, wo seit der Bundestagswahl 1998 so viele Frauen im Parlament und der Regierung sitzen wie noch nie. Aber eben nicht dort, wo die ganz wichtigen Entscheidungen fallen.
Weil Männer gut darin sind, sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten, sagen die Frauen, die sich weigern, das normal zu finden. Weil Männerbünde und Frauenverachtung weiterbestehen; weil es nicht genug Kindergartenplätze gibt und die hartnäckige Weigerung von Männern, den Haushalt auch als ihre Sache zu betrachten. Weil Frauen vor allem eines fehlt, um ganz nach oben zu kommen: eine Ehefrau.
Gertrud Höhler sieht das anders. Mit ihrem Koautor Michael Koch hat die konservative Unternehmensberaterin ein Buch geschrieben ("Der veruntreute Sündenfall"), das diese Diskrepanzen erklären soll. Die Frau, heißt es da, habe »einen spektakulären Fehler gemacht«, als sie sich in den harten Konkurrenzkampf um Spitzenjobs begab: »Sie gibt sich hin für Aktivitäten in Feldern, auf denen sie zum Teil gar nicht erfolgreich sein kann.« Denn dort im Konzern »steht ein Leitwolf auf dem Hügel« und »fixiert ein Ziel in der Ferne«, und das könne von Natur aus nur ein Mann.
Natur? »Ist der Mann von heute etwa ein natürliches Produkt der Schöpfung? Von ursprünglicher Natur kann etwa bei dem Wilden die Rede sein, der seinen Mitmenschen auffrißt und der das Weib vergewaltigt, wenn ihn die Lust dazu anwandelt. Gott schütze uns vor der ursprünglichen Natur.« Hedwig Dohm schrieb das in ihrem Buch über Möbius und andere Antifeministen, vor 97 Jahren. Der Kampf geht weiter. Möbius lebt.
Supp, 40, ist SPIEGEL-Reporterin. Sie wurde 1995 mit einem Kisch-Preis ausgezeichnet.
»Die jungen Mädchen glauben, den Feminismus brauche man nicht mehr, die Zeit der Diskriminierung sei vorbei. Das glauben sie so lange, bis sie anfangen zu arbeiten.«
BENOîTE GROULT, 1998
* 1989 beim EG-Gipfel in Straßburg.