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LEBENSMITTELPREISE Diffuser Schaden

Entgegen den Katastrophenrufen der Bauern dürften die Preise der meisten Nahrungsmittel als Folge des Dürre-Sommers kaum steigen: Die EG-Silos quellen über von Weizen, Milchpulver und Zucker.
aus DER SPIEGEL 29/1976

Über Hunderte von Kilometern tuckern Lastwagen der Bundeswehr mit ungewohnter Fracht: Sie transportieren Heu und Stroh, etwa vom Niederrhein in den Hunsrück-Landkreis Birkenfeld, um Viehbauern in besonders betroffenen Dürre-Gebieten aus der ärgsten Not zu helfen.

Westdeutsche Landwirte trieben bereits rund 4000 Rindviecher vorzeitig in die Schlachthäuser: sie fürchten, daß die Tiere bei anhaltender Trockenheit vom Fleisch fallen. In München und Stuttgart war das Angebot an Rindern so groß, daß rund 500 Tiere mangels Nachfrage von den Schlachthöfen nicht angenommen wurden. Die (un)glücklichen Kühe mußten zurück auf die ausgepowerten Weiden gebracht werden.

Szenen aus deutschen Landen im Dürre-Rekordjahr 1976.

Nach einer Trockenperiode, die in manchen Regionen nun schon Monate anhält, schlagen die Landwirte allenthalben Alarm. In der Eifel und im Hunsrück. wo sonst um diese Jahreszeit die Wiesen in sattem Grün stehen, haben sich die sonnenverbrannten Weiden hellbraun verfärbt. In Unterfranken verkümmern die Kartoffelknollen in der Erde, am Niederrhein fürchten die Zuckerrübenbauern um ihre Ernte.

Doch im Bonner Kabinett mochten sich die Regierenden am vergangenen Mittwoch noch nicht zu einer Soforthilfe für die Dürre-Opfer entschließen. Nur Verteidigungsminister Georg Leber erklärte sich bereit, seine Bundeswehr-Lkw umsonst rollen zu lassen. Kanzler Helmut Schmidt, der fürchtet. Landwirtschaftsminister Josef Ertl könne im Alleingang großzügige Zusagen an seine Klienten machen, mahnte vor versammelter Mannschaft: »Über Einkommenshilfen für die Bauern wird nur und ausschließlich im Kabinett geredet.«

Dem Kanzler schwant. daß die schlagkräftige Bauernlobby den Regenmangel flugs in fette Staats-Zulagen ummünzen will: Während sich die Beamten des Ertl-Ministeriums noch nicht in der Lage sehen, die Schäden der Trockenheit in Zahlen zu fassen, streuen regionale Bauernverbände und Landwirtschaftskammern schon Ausfallziffern von 50 bis 90 Prozent.

Selbst dem Bauernpatron Ertl, ansonsten allzeit bereit, den Seinen etwas Gutes zu tun, dünkt solches Lamento zu voreilig: »Für Panik und Katastrophen«, so der Minister zum SPIEGEL, »besteht kein Grund.« Und »Bruder Josef« (Schmidt) bemüht eine alte Bauernregel: »Ober die Ernte kann man erst reden, wenn sie in der Scheuer ist.«

Anlaß zur Eile besteht wahrhaftig nicht. Denn 1975 konnte der Nährstand einige Reserven bilden: Die landwirtschaftlichen Erlöse stiegen nach Schätzungen des Ertl-Ministeriums um stattliche 19 Prozent. Nothilfen wären, sofern die Trockenheit nicht noch einige Wochen anhält, ohnedies nur für einige Regionen und Branchen der Landwirtschaft angebracht.

Ausgetrocknet ist vor allem die Mitte der Republik -- von der Eifel im Westen bis nach Franken im Osten. In Schleswig-Holstein hingegen finden dank eines hohen Grundwasserspiegels die Kühe auf den Weiden noch Futter, und das Getreide steht hier noch ordentlich auf dem Halm. Bei einer Fahrt durch seine oberbayrische Heimat konnte sich Josef Ertl vorletzte Woche davon überzeugen, daß etwa auch im Erdinger Moos »Kartoffeln und Weizen hervorragend wachsen«.

Das diffuse Schadensbild veranlaßte sogar die Bonner Bauernverbands-Zentrale, ihre Untergliederungen zu verbaler Mäßigung aufzufordern. Die Spitzenmanager der Agronomen mögen am Ende nicht als Panikmacher dastehen. Ein Verbandssprecher: »Wir wollen nicht, daß man von Katastrophe redet.«

Das hinderte die Vertreter der grünen Front freilich nicht, am vergangenen Donnerstag an Ertl einen Brief zu schicken, in dem sie einen Katalog von Forderungen auflisten -- von »Prämien für Schlachtrinder« bis zu »Beihilfen zum Ankauf von Futtermitteln«.

Doch die Bonner lassen vorerst nur Brüssel zahlen. Um vorzubeugen, daß der Rinderpreis infolge des hohen Angebots allzu tief absackt, werden aus der EG-Kasse zusätzlich Rinderhälften aufgekauft und eingefroren. Das verhindert zwar im Augenblick Sommerschlußverkaufspreise für Steaks und Koteletts, kann aber gewährleisten, daß im Winter, wenn infolge des Massenabstichs im Sommer weniger Vieh in die Schlachthöfe getrieben wird, die Fleischpreise nicht in inflatorische Höhen klettern.

Zahlreiche Lebensmittel sind von der Dürre ohnehin kaum betroffen -- etwa Schweinefleisch, Geflügel und Eier, die einen beachtlichen Teil der westdeutschen Agrarproduktion ausmachen. Weizen lagert ebenso wie Zucker noch genug in den EG-Silos. Der Brotpreis wird überdies nur zu rund zehn Prozent durch die Kosten für Korn bestimmt.

Und auch die Milch floß im trockenen Jahr überreichlich: Aus den Eutern der deutschen Kühe holten die Bauern im Juni noch rund vier Prozent mehr als im Vorjahr.

Weniger wäre sogar erwünscht: Weil Brüssel den Milchpreis garantiert, ist der Milchpulverberg in den Depots der Gemeinschaft kaum noch unterzubringen. In diesem Jahr kalkulieren die Eurokraten für ihren subventionierten Milchmarkt rund sieben Milliarden Mark ein. Ein Prozent Produktionsrückgang würde nach Bonner Schätzungen schon eine halbe Milliarde Mark an Zuschüssen einsparen helfen.

Teurer könnte allenfalls manches Gemüse und Frischobst werden, vor allem Apfel. Und kaum eine Chance besteht mehr, daß der Kartoffelpreis endlich wieder sinkt.

Gerade dies aber ist den Regierenden in Bonn besonders unangenehm. Sie hatten gehofft, daß des Deutschen liebste Knolle, die in diesem Frühjahr um 160 Prozent teurer war als vor einem Jahr, endlich wieder billiger würde. Eine drastische Senkung des populären Kartoffelpreises wäre den Regierenden im Vorwahlmonat September gerade recht gekommen.

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