SPIONAGE Dinner for two
Der Beamte Klaus Dieter von Horn, 60, ist schon von Amts wegen vor Spionen auf der Hut - der Ministerialrat ist im Bundeswirtschaftsministerium zuständig für den arabischen Raum. Kundschafter aus Nahost, aber auch Späher anderer Regionen, weiß der Leiter des Referats VB7, Schwerpunkt Iran, interessiert brennend, welche Akten auf seinem Schreibtisch landen.
Dennoch schenkte der Bonner Beamte den Bemühungen von Geoffrey Plant zunächst keine große Beachtung, stand der doch im diplomatischen Dienst des großen Bruders USA. Horn und Plant hatten sich Ende 1994 kennengelernt, und alle drei, vier Wochen bat der Amerikaner den Deutschen zum Dinner for two. Der II. Secretary der US-Botschaft plauschte dabei gern über seinen Arbeitgeber und stellte noch mehr Fragen über Horns Ministerium.
Den politischen Hintergrund des Berliner Mykonos-Prozesses ließ er sich erklären, auch die Hermes-Kredite für Iran-Exporte interessierten ihn. Als Bonn im August 1995 den Iran bat, zwei als Spione entlarvte Mitarbeiter der Bonner Residentur ohne Rückfahrkarte in den Urlaub zu schicken, wollte Plant alle Details hören.
Ein anderes Mal bat er ganz höflich um eine Liste jener Firmen, die Waren aller Art, vor allem High-Tech, in den Mullah-Staat lieferten. Der Ministerialrat blieb zuvorkommend, lehnte aber ab. Solche Papiere dürfe er nicht herausgeben, das müsse Plant doch wissen. Der Amerikaner verstand, ließ sich aber nicht abschütteln.
Im Mai vorigen Jahres lud er Horn wieder zum Abendessen ein. Er verlasse die Botschaft, teilte er mit, und überreichte dem zum Abschied noch einen Montblanc-Kugelschreiber im Wert von fast 300 Mark. Außerdem stellte er seinen Nachfolger vor: Peyton K. Humphries, einen Diplomaten mit dem Arbeitsfeld Iran. Plant bat, den Namen nicht zu vergessen.
Das war garantiert. Andere Behörden erwarteten den neuen zweiten Sekretär der US-Botschaft schon mit großem Interesse: Die deutschen Geheimdienste wollten prüfen, ob die Amerikaner das Agentenspiel mit diplomatischem Undercover weitertreiben wollten.
Denn schon im Sommer 1995, nach den ersten Gesprächen mit Plant, hatte sich der mißtrauische Horn mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Verbindung gesetzt. Offenbar seien, berichtete er, amerikanische Spione auf ihn angesetzt.
Korrekt unterrichtete er das BfV über die diversen Treffen und lieferte auch Präsente wie Kugelschreiber und Champagner ab. Als ihn dann Humphries nach seiner Rückkehr von einer Teheranreise über den geplanten Weiterbau des Kernkraftwerks Busher ausforschte, schilderte Horn das US-Interesse bis ins letzte Detail.
Was da ablief, war für die Agentenjäger des BfV ein Fall aus dem Lehrbuch: Späher einer fremden Macht wollten einen deutschen Spitzenbeamten anwerben. Zum kleinen Einmaleins der Agentenschule gehört - wie im Fall Horn - der Quelle zunächst Probeaufträge wie die Beschaffung offenen Materials zu stellen. Und es paßte auch, daß der Deutsche mit niemandem, auch nicht mit anderen Angehörigen der US-Botschaft, über die Begegnungen reden sollte. Humphries: »Da gibt es zwei konkurrierende Lager.« Der Geheimdienst CIA und die Wirtschaftsabteilung der Botschaft sind sich nicht grün.
Nachdem die Spezialisten der deutschen Spionageabwehr alle Pläne verworfen hatten, die wie eine Festung am Rhein liegende US-Botschaft an der Deichmanns Aue 29 zu knacken oder Humphries Telefon abzuhören, lud im Februar dieses Jahres BfV-Chef Peter Frisch den Bonner CIA-Chef Floyd L. Paseman zum Gespräch. Humphries, forderte Frisch, solle das Land verlassen, auch das Kanzleramt und das Auswärtige Amt seien verärgert.
Paseman bestritt zwar die Spionageversion, sicherte aber Anfang März den Abzug des CIA-Agenten bis zum 30. Mai zu. Eindringlich bat er, den Fall äußerst diskret zu behandeln.
Daraus wurde nichts. Seit der SPIEGEL vorige Woche erste Einzelheiten der Ausspähaktion berichtete, sind die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und Washington nicht frei von Irritationen.
In den USA wurden Vergleiche zu dem Rauswurf von vier CIA-Agenten im Jahre 1995 in Frankreich angestellt. »Warum spionieren die Vereinigten Staaten ihre Freunde aus?« fragte das wallstreetjournal. »Schande«, leitartikelte die chicago tribune. Washington behandele Deutschland immer noch als Agentenzentrale wie »zu Zeiten des Kalten Krieges«.
In Bonn fürchten die Zaghaften nun Ärger mit dem großen Bruder. Aber es macht sich auch Erleichterung breit. Der Rauswurf des CIA-Mannes bietet die Chance, das Spionieren unter Freunden nicht länger als Tabu behandeln zu müssen.
Sechseinhalb Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Ende der Sonderrechte alliierter Streitkräfte sind die Deutschen auf konspirativem Gebiet immer noch nicht Herren im eigenen Haus. Nach wie vor agiert manch westlicher Dienst - die Amerikaner vornweg - hier ungehemmt wie auf dem eigenen Hinterhof.
Hortensie I, so das Synonym des BND für die CIA, und Hortensie III, wie der unheimlichste amerikanische Geheimdienst, die Lauscher von der National Security Agency (NSA), genannt werden, sind wie die gleichnamige Blume: ein strauchiges Gewächs mit starken Wurzeln.
Die »befreundeten Dienste« würden zunehmend in der deutschen Hauptstadt tätig, berichtete im Februar der Berliner Innen-Staatssekretär Kuno Böse (CDU). Mitte vergangenen Monats trafen sich in Bad Neuenahr die Chefs der Verfassungsschutzbehörden, um die »Abwehrarbeit neu zu strukturieren«. Eine »Ostfixierung der Blickrichtung«, notierten sie unter Punkt 4, »würde nicht mehr der politischen Realität entsprechen«. Es dürfe »keine Verengung des Blickfeldes nach Osten geben«.
Der Blick gen Westen zeigt erstaunliche Aktivitäten: Über 1000 Lauschtechniker und 100 gelernte US-Agenten tummeln sich nach Schätzungen von Sicherheitsexperten noch auf deutschem Boden. Allein in der amerikanischen Residenz am Rhein werden 20 Nachrichtendienstler vermutet.
Die Späher der befreundeten Macht sitzen in Konsulaten, alliierten Oberkommandos und Kasernen. Sie versuchen, Agenten in Deutschland anzuwerben, sie zapfen ohne Rücksprache neue Quellen an, und wer immer zwischen Alpen und Ostsee zum Telefonhörer greift, muß gewärtig sein, daß auch die NSA aufgeschaltet ist - Vorsicht, Freund hört mit.
Allgegenwärtig waren die amerikanischen Lauscher vor der Wende. Sie unterhielten einen Horchposten auf dem Berliner Teufelsberg, um Ost-Berlin in der Leitung zu haben, und den Westen wohl auch. In Frankfurt am Main, gleich an der Zeil, war auch eine imposante Lauschstation untergebracht.
In der Lech-Ebene bei Gablingen errichteten die Amerikaner ein mächtiges, kreisförmiges Antennengitter - etwa 300 Meter im Durchmesser und 100 Meter hoch. Oben hörten sie auf Kurzwelle die Marschbefehle der östlichen Generalität und der Kriegsherren auf dem Balkan ab. Was sie unter der Erde taten, ist ihr Geheimnis geblieben.
Der Teufelsberg ist geräumt, da die Amerikaner weiter gen Osten gezogen sind. Auch die Frankfurter Filiale ist geschlossen, Gablingen soll im kommenden Jahr aufgegeben werden.
Aber der Stolz der Amis, »ihr Riesenohr« in Deutschland, wird bleiben, und es läßt den gewöhnlichen Lauschangriff ziemlich gewöhnlich erscheinen: Die Anlage steht im oberbayerischen Bad Aibling. In einer Landschaftsidylle breitet sich unübersehbar das Reich von Hortensie III aus. Gigantische Antennenanlagen, die unter ihren geriffelten Schutzhauben wie riesenhafte Golfbälle die Ebene überragen, horchen das russische Militär aus. Russische Satelliten werden angepeilt, der Telefonverkehr der Führung der früheren Sowjetarmee mitgeschnitten.
Gleich nebenan, in der deutschen Mangfall-Kaserne, residiert die sogenannte Fernmeldeweitverkehrsstelle des BND. Die Pullacher Tarneinrichtung (Objekt »Orion") darf die amerikanischen Antennen nutzen, knapp hundert Horcher werten das kyrillische Sprachgewirr aus.
Aber der Friede täuscht. Das Nachrichtenimperium NSA (geschätzter Etat: dreieinhalb Milliarden Dollar, rund 100 000 Mitarbeiter) unterhält in Bad Aibling einen weitläufigen Komplex, der für deutsche Geheimdienstler Terra incognita ist. Und da geht es längst nicht mehr um das legitime Sicherheitsbedürfnis der Amerikaner.
Mitten in Deutschland sitzt eine Steuerzentrale für die vielen amerikanischen Spionagesatelliten, die, so ein Bonner Sicherheitsexperte, »längst nicht mehr nur den Osten ausspähen«. Die im nahen Orbit kreisenden Himmelskörper amerikanischer Provenienz saugen sich über Deutschland, einem riesigen Staubsauger gleich, mit elektronischen Signalen voll. Über codierte Signale ruft Bad Aibling die Speicher der Satelliten ab und durchforstet die aufgestauten Telefonate, Faxe und den Computerverkehr nach aufregendem Stoff.
Bis 1995 firmierte die Station offiziell als Einrichtung der NSA. Um den Schein zu wahren, übernahm dann ein Oberstleutnant der U. S. Air Force das Kommando, die Fahne der Militärs flattert demonstrativ im Wind. Aber immer noch arbeiten auf dem riesigen Komplex nach BND-Schätzungen über 1000 Abhörer. Schätzungsweise 150 kommen direkt von der NSA, die das Controlling leitet und die Aufgaben stellt.
Trotz vieler Anfragen hat Hortensie III einen Austausch aller Informationen aus der »nichtmilitärischen Aufklärung« in Bad Aibling strikt abgelehnt. Der BND, so die Begründung, habe nichts Gleichwertiges zu bieten.
Es geht aber wohl eher darum, den Deutschen nicht zu verraten, was man wirklich tut. Wenn amerikanische und deutsche Sicherheitsexperten recht haben, werden von Bad Aibling aus europäische Konzerne systematisch ausgespäht.
Schon vor Jahren hatte US-Präsident Bill Clinton den amerikanischen Geheimdiensten ein größeres Engagement bei der Wirtschaftsspionage verordnet. Als der europäische Flugzeugriese Airbus Industrie, an dem Deutschland zu 37,9 Prozent beteiligt ist, mit zwei US-Konzernen um einen Großauftrag für Saudi-Arabien konkurrierte, mischte die NSA mit. Sie fischte alle Faxe und Telefonate zwischen Airbus und den Saudis ab. Die Amerikaner kannten so den Gegner und waren bei ihren Angeboten nicht mehr zu schlagen - immerhin ging es um Bestellungen im Wert von sechs Milliarden Dollar.
Während Briten und Franzosen die Souveränität Deutschlands einigermaßen respektieren, gebärden sich die Amerikaner, deren Ziehkind der BND war, wie eine Siegermacht. Sie pochen auf Zusatzabkommen zur nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit »den alliierten Entsendestreitkräften«. Danach müssen die Deutschen »die Erfordernisse der militärischen Sicherheit« bei den hiesigen Nato-Kontingenten berücksichtigen. Da bleibt reichlich Spielraum für die Heimlichtuerei auf deutschem Boden.
In ihrer Dienststelle »Westport« im Münchner Osten unterhält die CIA bis heute eine sogenannte Befragungsstelle. Die Amerikaner bitten Asylbewerber oder Aussiedler, von denen sie sich Material versprechen, aus der gesamten Bundesrepublik nach München. Pro forma wird der BND um Zustimmung gebeten, aber die Gespräche finden zumeist ohne deutsche Beteiligung statt, von möglichen Rekrutierungen für die CIA erfährt der BND nichts.
So quetschten die Amerikaner übergelaufene russische Soldaten, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien oder Asylbewerber aus der Nahostregion aus. Den VIPs unter den Befragten wird Asyl in den USA angeboten. Selbst Antragsteller, die sich in Übersee melden, werden zum Verhör zu den Münchner Spezialisten gebracht.
Lange Zeit hat die deutsche Politik vorwiegend mit Verdrängung auf das Treiben des außer Kontrolle befindlichen Dienstes reagiert. Im Herbst 1994 richtete das Kanzleramt, natürlich streng vertraulich, eine Arbeitsgruppe ein, um die Amerikaner und andere befreundete Dienste in den Griff zu bekommen.
Drei Ministerien und drei Geheimdienste saßen an den Tischen, den Vorsitz hatte der damalige Abteilungsleiter im Kanzleramt, Rudolf Dolzer, ein Professor für Völkerrecht. »Das geht nicht, was die hier treiben«, erregte sich Dolzer, »die sollen sich an Recht und Gesetz halten.«
Den Amerikanern, so plante die forsche Männerrunde, sollte verboten werden, ohne deutsche Beteiligung Asylbewerber auszuhorchen, in Bad Aibling sollten BND-Spezialisten den Amerikanern über die Schulter schauen, die Werbung von Quellen untersagt werden. Schließlich unterlägen auch Spionageaktivitäten befreundeter Staaten - so das Fazit - keinem politischen Schutz.
1995 erlahmte der Abwehrwille plötzlich. Die Abstände zwischen den Sitzungen wurden immer länger, schließlich kam überhaupt keine Einladung mehr aus dem Kanzleramt. Vor allem das BfV, das schon Listen mit den Namen verdächtiger Agenten angelegt hatte, war enttäuscht. »Da muß«, so ein Geheimdienstler, »jemand ganz oben den Stecker gezogen haben.«
Ob der Fall des CIA-Spions Humphries jetzt die Amerikaner zur Umkehr bewegen wird, erscheint zweifelhaft. Helmut Kohl jedenfalls, der das Agentengewerbe nicht für sonderlich bedeutend hält, liegt viel an der Freundschaft mit den Amerikanern.
Den Kanzler kann auch die unheimliche NSA nicht schrecken. Zwar hat er Telefone, die garantiert abhörsicher sind. Selbst wenn er in Urlaub an den Wolfgangsee fährt, baut ihm der BND jedesmal eine Anlage auf, die auch von der NSA nicht zu knacken ist. Doch die abhörsicheren Apparate haben einen entscheidenden Nachteil: Der Partner muß erst einmal aussprechen, bevor man selbst reden kann.
Deshalb greift der Kanzler zum Verdruß der Sicherheitsleute lieber zum alten Telefon - ein Freund traut eben dem Freund.