RHEINLAND-PFALZ Dolch im Gewande
Gustav Ulrich, Amtsgerichtsrat in Neuwied, hatte große Gestalten der Geschichte im Sinn, als er 1926 seinen Zwillingssöhnen die Vornamen gab. Den einen nannte er nach dem schwedischen König Gustav Adolf, den anderen nach dem preußischen Reitergeneral von Zieten Hans-Joachim.
Gustav-Adolf Ulrich wirkt heute in der Spielbank in Konstanz als Chef-Croupier. Hans-Joachim Ulrich dient in Koblenz dem Lande Rheinland-Pfalz als Generalstaatsanwalt. Beiden sagen Freunde wie Gegner ausgeprägte preußische Tugenden nach. Vor allem der Strafverfolger wird wegen seiner Gradlinigkeit und Unbeugsamkeit gerühmt.
Das wissen nicht nur Sozialdemokraten zu würdigen, die den Chef-Ermittler als »hochachtenswerten Mann« (SPD-Rechtsexperte Karl Heinz Weyrich) schätzen. Auch Landtagspräsident Heinz Peter Volkert (CDU) zählt Ulrich zur »Elite der deutschen Juristen«. Der Ankläger, lobt Volkert seinen Parteifreund, sei eine »untadelige Persönlichkeit von höchster Qualifikation«, die »einzig und allein aufgrund besonders herausragender beruflicher Fähigkeiten« in dieses hohe Amt gekommen sei.
Doch die preußische Prinzipientreue, mit der Ulrich standfest und unnachsichtig
Korruptionsaffären auch von CDU-Politikern verfolgen läßt, paßt der Union schon lange nicht.
Zwar wurde Ulrich 1973, damals 47, auch von Ministerpräsident Helmut Kohl ausgesucht. Doch jetzt möchte die Landes-CDU den General wieder loswerden, weil er, wie CDU-Fraktionssprecher Heinz-Peter Labonte beklagt, »immer wieder Schlagzeilen gegen uns produziert«.
Schon in den sechziger Jahren hatte Ulrich, der Mauscheleien beim Koblenzer Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung aufdeckte, politische Einflußversuche abgewehrt. Er setzte eine Betrugsanklage gegen den Panzerhersteller und Henschel-Chef Fritz-Aurel Goergen durch. Eine Intervention des CDU-Spitzenfunktionärs Josef Hermann Dufhues, der aus Bonn anreiste und »dieses oder jenes Zugeständnis« (Ulrich) verlangte, blieb erfolglos.
Nicht besser erging es Managern von Daimler-Benz, als die Koblenzer Strafverfolger 1978 gegen den Autokonzern und Tausende von Kunden wegen Subventionsbetrugs ermittelten. Weil eine bundesweite Durchsuchung von Firmenfilialen vereitelt werden sollte, machten die Staatsanwälte, von Ulrich ermuntert, ihre Vorwürfe publik.
Als der Mainzer Justizminister und CDU-Schatzmeister Otto Theisen einem Staatsanwalt einen Ermittlungsfall wegnahm und damit dem Flick-Manager und Großspender Eberhard von Brauchitsch gefällig war, beschwerte sich Ulrich bei Theisen gegen den »bedeutungsvollen Eingriff in die Behördenleitung«.
Weder in Untersuchungsausschüssen, wo er bisweilen die CDU-Regierung der Rechtsmanipulation überführt, noch im Alltagsgeschäft, bei der Verfolgung von Weinpanschern und Subventionsschwindlern, ist Ulrich bereit, sich Weisungen seines Dienstherrn, des Justizministers Heribert Bickel, zu beugen.
Unionsabgeordnete, die sich in Fraktion und Rechtsausschuß über Ulrichs Eigenmächtigkeiten erregen, haben »erhebliche Zweifel daran, daß er den gesetzlichen Auftrag seines Amtes begriffen hat« (CDU-MdL Joachim Hörster). Sie werfen ihm vor, er spiele sich »zur vierten Gewalt im Staate« auf und verletze »die Loyalitätspflicht gegenüber seinen Vorgesetzten in gröblichster Weise« (CDU-MdL Theo Zwanziger). Lautstark faßte der Abgeordnete Werner Langen vor Parteifreunden zusammen, was viele in der CDU-Fraktion denken: »Der muß weg, und zwar bald.«
Ministerpräsident Bernhard Vogel ließ seine Parteifreunde gewähren. »Ich kam mir tagelang vor wie ein Hinzurichtender«, sagt Ulrich, »den das Schwert nicht in einem Zuge trifft, sondern in Etappen.«
Den jüngsten Versuch, den unbequemen Ermittler zu schassen, unternahm Justizminister Bickel. Weil die Staatsanwälte der Mainzer Zentralstelle für Weinstrafsachen, die Ulrich unterstehen, bei Weinpanschereien anscheinend zu streng gegen Winzer ermittelten, warnte Bickel die Strafverfolger, »bei den Öchsle-Graden zu pingelig zu sein«.
Noch bevor die Streitfrage, ob die Winzer gegen das Weingesetz verstoßen haben, von einem Gericht geklärt werden konnte, hatte Bickel der Staatsanwaltschaft strikte Weisung erteilt, sich der winzerfreundlichen Rechtsansicht zu beugen.
Fünf Staatsanwälte baten empört um Entbindung von ihrer Tätigkeit. Ulrich stellte sich hinter sie und wurde prompt von Vogel zum Rapport bestellt: »Wenn ich auch mein Amt verliere«, gab der Generalstaatsanwalt trotzig zu Protokoll, »so steigt doch meine Berufsehre.«
Zum Drei-Stunden-Verhör beim Ministerpräsidenten kam Ulrich mit der Vollmacht vieler Staatsanwälte, sich auch in ihrem Namen gegen die Eingriffe des Ministers zu verwahren. Einen Antrag der SPD-Opposition, Justizminister Bickel wegen »völliger Unfähigkeit« abzulösen, lehnte der Landtag letzten Freitag mit CDU-Mehrheit ab.
Regierungschef Vogel begnügte sich am Ende mit dem Hinweis auf das »grundsätzliche Weisungsrecht des Ministers«. Vor dem Landtag ermahnte er die Strafverfolger, »in der Öffentlichkeit die gebührende Zurückhaltung zu üben«, die sie »zweifellos in der Vergangenheit nicht immer im notwendigen Umfang geübt« hätten.
Soll heißen: ein Maulkorb für den General. Ulrich hat den Eindruck, er habe »den Kopf jetzt gerettet«, aber »der Dolch« sei »noch im Gewande«.
Zumal der CDU neues Ungemach droht. Der frühere Justizminister und CDU-Landesschatzmeister Otto Theisen hat bei seiner Vernehmung im Parteispenden-Untersuchungsausschuß nicht immer die Wahrheit gesagt. Und auch Bundeskanzler Helmut Kohl hat dem Ausschuß nach »Durchsicht des Protokolls« mitgeteilt, daß seine Aussagen »zu Mißdeutungen Anlaß geben« könnten - uneidliche Falschaussagen?
Generalstaatsanwalt Hans-Joachim Ulrich liest schon die Protokolle.