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BERLIN-VERKEHR Dolchstoß aus der Luft

aus DER SPIEGEL 7/1963

Schulter an Schulter kämpfen der Westberliner Senat und das Bonner Verkehrsministerium in der Luftschlacht um Berlin.

Einer übermächtigen Feind-Armada von amerikanischen Propellermaschinen, britischen Turboprop-Flugapparaten und französischen Düsen-Caravellen hat die deutsche Verteidigung nur schwache Kräfte entgegenzustellen.

Anfang letzter Woche zeichnete sich die deutsche Niederlage ab. In drei Wochen, spätestens aber mit Inkrafttreten des Sommerflugplans am 1. April, werden die westalliierten Aviatiker ihren Siegespreis kassieren: bis zu 15 Prozent höhere Tarife im Luftverkehr von und nach Berlin.

Die Preisoffensive der drei Berlin anfliegenden ausländischen Gesellschaften, Pan American World Airways (PAA), British European Airways (BEA) und Air France begann im Herbst 1962 mit einem Schreiben an die Luftfahrtattaches ihrer Länder in Bonn.

Steigende Lohn- und Wartungskosten, so entnahmen die Empfänger dem Schriftsatz, würden die PAA, die BEA und die Air France zwingen, das Tarifgefüge im Berlin-Verkehr auf eine neue Basis zu stellen. Zartfühlend hatten die Antragsteller das verpönte Wort Preiserhöhung durch den neutralen Begriff Tarifbegradigung ersetzt.

Nun läßt sich nicht bestreiten, daß im Berlin-Luftverkehr seit Jahren ein Preisdurcheinander herrscht, das die Abrechnung der Fluggesellschaften untereinander und die Verrechnung der vom Bund seit März vorigen Jahres gewährten Preissubventionen erschwert.

Im Gegensatz zum Bundesgebiet, wo die Deutsche Lufthansa seit Abschaffung ermäßigter Hin- und Rückflugpreise nach einem Einheitstarif kassiert, gibt es für Berlin vier verschiedene Flugpreise.

So stellen die Gesellschaften für den einfachen Flug Berlin-Hannover 66 Mark, für den Hin- und Rückflug bei Tage 108, für Hin- und Rückflug bei Nacht 68 sowie für den kombinierten Tag- und Nachtflug 88 Mark in Rechnung.

Für den Fluggast sind diese Preisunterschiede seit Beginn der Berlin -Subventionen praktisch bedeutungslos. Weil die Zuschüsse aus der Bundeskasse gestaffelt sind, zahlt der Fluggast heute für die Reise Hannover-Berlin -Hannover den Einheitspreis von 62 Mark.

Die Forderung der Gesellschaften, die komplizierte Berliner Tarifstruktur zu einem Einheitstarif zu begradigen, löste bei ihren Bonner Botschaften keinen nennenswerten Widerstand aus. Auch ihr Argument, die Tarife im Berlin -Verkehr müßten dem von Bundesregierung und Lufthansa gemeinsam festgesetzten Preisniveau für den innerbundesdeutschen Luftverkehr angeglichen werden, erschien den westlichen Luftfahrtattaches einleuchtend.

Doch die Deutschen begehrten auf: In Bonn wie Berlin wird die vorgeschlagene Tarifänderung als Sabotage an der westlichen Einheitsfront zur Unterstützung der vorgeschobenen Spree -Festung gewertet. Die Berliner befürchten, daß die vom Bund zur Verbilligung der Berliner Flugpreise jährlich zugeschossenen 30 Millionen Mark durch den neuen Tarifplan ihrer Wirkung weitgehend beraubt würden.

Gutachter des Westberliner Senats behaupten, daß die Gesellschaften nach Einführung des vorgesehenen Tarifplans jährlich fünf bis sieben Millionen Mark mehr kassieren würden als bisher. Da weder der Bund noch das Land Berlin in der Lage sind, die Subventionen für das laufende Haushaltsjahr um diesen Betrag zu erhöhen, müßten die Berlin-Reisenden die Millionen aus eigener Tasche zahlen.

Die Berliner Behörden parierten den Dolchstoß aus der Luft mit dem Rechenstift. Eine Tarifbegradigung und -anhebung nach dem Lufthansa-Modell - so Berlins Senatsdirektor Dr. Hans -Georg Urban von der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe - sei nicht gerechtfertigt, weil sich die Berlin -Flüge, gemessen an den bundesinneren Luftlinien, als wahre Goldgrube erwiesen hätten.

Urbans Luftfahrtreferent Dr. Lepke hält dafür die Beweise parat: Die angebotenen Plätze im Berlin-Verkehr seien durchschnittlich zu rund 70 Prozent belegt, das Platzangebot auf westdeutschen Linien dagegen werde nur zu knapp 45 Prozent genutzt.

Diese höhere Nutzungsfrequenz führen die Berliner und Bonner Experten direkt auf die Bonner Subventionszahlungen zurück.

Ihr Beweis: Allein in den ersten sieben Monaten nach Beginn der Bonner Flugverkehrs-Subventionen am 1. März vorigen Jahres stieg die Belegungsquote der amerikanischen, britischen und französischen Zivilmaschinen gegenüber der gleichen Zeit des Jahres 1961 von 61 auf 71 Prozent.

Die Berliner Schlußfolgerung: Die drei Gesellschaften, die nach wie vor zum selben Preis fliegen, partizipieren bereits heute indirekt, aber doch so kräftig an der Subvention, daß die Rentabilität des Berlin-Luftverkehrs auch ohne Preiserhöhung gesichert ist.

Den Hinweis der Gesellschaften auf die gestiegenen Betriebskosten kontern die Berliner mit dem Argument, daß nur die Air France (Anteil am Berlinverkehr: zehn Prozent) neue, steuerlich noch nicht abgeschriebene Flugzeuge einsetzt. Die Hauptträger des Berliner Luftgeschäftes - PAA und BEA - dagegen verwenden Maschinen, die ihren Anschaffungspreis längst eingeflogen haben.

So wurde die Produktion der DC 6, mit der die Pan American (Anteil am Berlin-Verkehr: 63 Prozent) die Berlin -Strecken befliegt, und auch der britischen Viscount bereits eingestellt.

Weder die Gesellschaften noch die alliierten Luftfahrtattaches zeigten sich allerdings von der deutschen Gegenattacke beeindruckt, denn in ihrem Kampf um billige Berlin-Tarife verfügen die Bonner und Berliner Unterhändler über keinerlei Druckmittel.

Im Gegensatz zur Lufthansa, die Tarifänderungen nur im Einvernehmen mit dem Bundesverkehrsministerium beschließen kann, sind die drei westalliierten Gesellschaften gegenüber Bonn souverän:

Da sich die drei Westberliner Schutzmächte im Deutschlandvertrag hinsichtlich des Berlin-Flugverkehrs sämtliche Rechte vorbehalten haben, bedürfen Preisänderungen lediglich der Zustimmung jener drei West-Botschafter in Bonn, die für Berlin noch das antiquierte Amt Alliierter Hoher Kommissare versehen.

So blieb der deutsche Widerstand gegen die westalliierte Luftoffensive praktisch wirkungslos. Nur den am 17. Februar anstehenden Berliner Landeswahlen verdanken es die Kunden der drei westlichen Monopolgesellschaften, daß sie über Einzelheiten noch im unklaren sind. Bonns Unterhändler, Ministerialdirektor Kreipe, und die drei Luftfahrtattaches haben einander strengste Verschwiegenheit bis zum 18. Februar gelobt.

Diese Galgenfrist, meint Berlins Wirtschaftssenator Schiller, sollte genutzt werden, um einen letzten Gegenstoß zu führen. Schillers Vorschlag: »Der Service auf den Berlin-Strecken ist so gering, daß man auch gleich zum Shuttle -Service, zum Pendelverkehr, auf den wichtigsten Berlin-Strecken übergehen kann.«

Ein solcher - billigerer - Pendelverkehr, wie er nach dem Vorbild der amerikanischen Eastern Air Lines unter Verzicht auf Vorausbuchungen und jedweden Service von der Lufthansa auf der Strecke Hamburg-Frankfurt eingerichtet werden soll (SPIEGEL 5/1963), wäre den kurzen Flugstrecken Hannover-Berlin und Hannover-Hamburg durchaus angemessen.

Sagt Schiller: »Vielleicht ließen sich damit wenigstens die Preise auf den Hauptlinien halten.«

Berliner Senatsdirektor Urban

Die Alliierten kassieren

DC 6 in Tempelhof: Flug in die Goldgrube

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