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ENGLAND / BUDGET Dornen für die City

aus DER SPIEGEL 16/1965

Schatzkanzler James Callaghan, 53, distanzierte sich schon äußerlich von der konservativen Vergangenheit. Anstelle des traditionellen roten Budget -Koffers benutzte er vergangene Woche im Unterhaus ein neues, braunes Ledergehäuse. Ihm entnahm der Labour -Minister einen Haushaltsplan, dessen harte Austerity-Maßnahmen er mit den Versäumnissen seiner Vorgänger begründete:

»In den letzten zehn Jahren haben wir im Außenhandel einen jährlichen Überschuß von 25 Millionen Pfund (280 Millionen Mark) erzielt. Investiert haben wir aber im Ausland pro Jahr 170 Millionen Pfund (1,9 Milliarden Mark). Das kann sich auf die Dauer kein Staat leisten.«

Deshalb, so verkündete der ehemalige Fregattenkapitän, der vor seinem Amtsantritt in Oxford Nachhilfestunden in Wirtschaftsfragen genommen hatte, müsse jeder Brite sich einschränken.

Callaghan schonte auch das Labour -Wahlvolk nicht. So kostet seit letzten Mittwoch eine Flasche Bier fünf Pfennig mehr. 20 Zigaretten sind um 30 Pfennig, eine Flasche Whisky oder Gin um 2,20 Mark teurer geworden.

Die Hauptlast des Spar-Budgets müssen jedoch Englands Geschäftsleute tragen:

- Um den Kapitalexport zu bremsen, wurden die Auslandsinvestitionen um jährlich 1,1 Milliarden Mark verringert;

- die Einkommensteuer wurde von 38,75 auf 41,25 Prozent und die jährliche Kraftfahrzeugsteuer von 168 auf 196 Mark erhöht;

- Privatpersonen und Unternehmen, die Grundstücke oder Aktien verkaufen, müssen ab sofort eine Kapitalgewinnsteuer von 30 beziehungsweise 35 Prozent abführen;

- der Ankauf von Grundstücken und Villen im Ausland - viele Millionen Pfund wurden dafür bisher in Spanien und an der Côte d'Azur ausgegeben - wird künftig streng reglementiert.

Darüber hinaus dürfen Englands Kaufleute ihre Geschäftsfreunde aus Glasgow oder Birmingham nicht mehr auf Kosten des Finanzamtes bewirten. Lediglich für Gäste aus dem Ausland sind Bewirtungsspesen fortan noch steuerlich absetzbar. Britischen Aktiengesellschaften wird vom 1. April 1966 an außerdem zum erstenmal eine Körperschaftsteuer - bis zu 40 Prozent - auferlegt.

Callaghan will dadurch der Staatskasse im laufenden Haushaltsjahr zusätzliche Einnahmen in Höhe von 2,8 Milliarden Mark verschaffen. Gleichzeitig soll das Sparprogramm dazu beitragen, Großbritanniens Zahlungsbilanzdefizit - Ende 1964 erreichte es die Rekordhöhe von 8,3 Milliarden Mark abzubauen. Dem Maßhaltekurs fiel auch der Wunderbomber TSR - 2 zum Opfer.

Die Londoner City, gegen deren Widerstand Labours Kampf um das Pfund auf die Dauer kaum Erfolg haben kann, reagierte unwirsch.

Edward Heath, Tory-Schattenkanzler und Aufsichtsratsmitglied des Londoner Bankhauses Brown Shipley: »Das Budget ist widerwärtig, gemein und lang. Callaghans einzige Absicht war es, Vermögen umzuverteilen, statt neues zu schaffen.«

Edward du Cann, Generaldirektor des Unicorn-Investmentfonds, grollte: »Es scheint lediglich ein Anti-Business -Budget zu sein.«

Was die Labour-Regierung für Englands Wirtschaft bereithielt, hatte sich schon gezeigt, als Wilson am 26. Oktober - elf Tage nach seinem knappen Wahlsieg - ohne Rücksicht auf internationale Abkommen den größten Teil der britischen Einfuhren mit einem Sonderzoll von 15 Prozent belegte. Daß dadurch englische Kaufleute kontraktbrüchig werden mußten, verzieh ihm die City nie.

Einen Monat später setzte Wilson die Renten für pensionierte Arbeitnehmer herauf. Die Mittel dafür verschaffte er sich, indem sein Schatzkanzler die Benzinsteuer erhöhte. Überdies schnallte Wilson mit einer Erhöhung des amtlichen Diskontsatzes von fünf auf sieben Prozent der Wirtschaft den Kredit -Riemen enger.

Die Londoner Bankiers und Manager formierten sich zum Gegenschlag, um Labour auszuhungern. Sie lancierten Gerüchte, daß der Gouverneur der Bank von England zurücktreten wolle und daß eine Londoner Privatbank beabsichtige, zu liquidieren. »Die City begann über die neue Regierung zu reden«, so berichtete der liberale Publizist Anthony Sampson, »als wäre sie eine ausländische Besatzungsarmee, die nur durch Sabotage vertrieben werden kann.«

Englands Bankiers und Bosse spekulierten sogar heftig gegen die eigene Währung. Statt ihre Pfundguthaben zu halten, deckten sie sich mit Dollar oder Mark ein, was den internationalen Kurs des Pfundes weiter schwächte.

Die Labour-Regierung mußte das Pfund stützen. Ergebnis: Die britischen Devisenreserven schrumpften im März auf 9,3 Milliarden Mark. Diese Summe reicht noch nicht einmal aus, den Einfuhrbedarf Großbritanniens für zwei Monate zu finanzieren.

Nur mit Hilfe eines Vier-Milliarden -Mark-Kredits des Weltwährungsfonds und einer Zwölf-Milliarden-Mark-Anleihe europäischer und amerikanischer Notenbanken konnte die Labour-Regierung das Pfund halten. Die Mitarbeit der City gewann sie nicht.

Im Januar versuchte Wilsons Handelsminister Douglas Jay, den Widerstand moralisch zu brechen. Er erklärte auf einer Bankierversammlung: »Sie sind es dem Staat schuldig, Ihre Verantwortung zu erfüllen.«

Wilsons Ankündigung, er werde die Stahlindustrie noch in dieser Legislaturperiode verstaatlichen, machte solche Bekehrungsversuche zunichte. Ob Callaghans dorniges Deflationsbudget und die feierliche Erklärung, das Pfund werde nicht abgewertet, die Wende bringen, bleibt zweifelhaft.

Der Pfund-Kurs an der Londoner Devisenbörse stieg einen Tag nach Callaghans Unterhaus-Auftritt nur geringfügig von 2,7932 auf 2,7940 Dollar an. Die City erinnerte sich noch allzugut des 19. September 1949. Damals hatte der frühere Labour-Schatzkanzler Sir Stafford Cripps das Pfund um 30 Prozent abgewertet, obwohl er vorher nicht weniger als neunmal öffentlich versichert hatte, eine Abwertung sei völlig ausgeschlossen.

Schatzkanzler Callaghan

Sabotage an der Börse

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