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SÜDAFRIKA Dr. Rote Bete

Es schien eine neue Posse um die Einstellung zu Aids zu sein. Doch aus den Kapriolen einer Gesundheitsministerin entsteht ein Konflikt zwischen Schwarz und Weiß.
aus DER SPIEGEL 35/2007

Manto Tshabalala-Msimang, 66, ist Hohn, Spott und Widerstand gewohnt. Seit sie gegen Aids den Verzehr von Knollengemüse empfahl, muss sie sich »Dr. Rote Bete« nennen lassen. Ihre öffentlichen Auftritte gehen regelmäßig in Pfeifkonzerten unter. Weil sie die Pandemie nicht ernst nimmt, werfen ihr andere Kritiker, die Ironie für unangebracht halten, Beteiligung an einem Genozid vor.

Im Land am Kap mit seinen 44 Millionen Menschen sind 5,4 Millionen mit dem HI-Virus infiziert; jeden Tag sterben 900 von ihnen. In kaum einem anderen afrikanischen Land wütet das Virus so sehr wie im Wirkungsbereich von Dr. Rote Bete, die Gesundheitsministerin in der Regierung von Präsident Thabo Mbeki ist.

Das darf sie auch bleiben, denn der Präsident will es so. Er gilt selbst als ein Aids-Ignorant, regelmäßig äußert er Zweifel daran, dass es einen Zusammenhang zwischen der HIV-Infektion und Aids überhaupt gibt, oder verteufelt antiretrovirale Therapien. In der vorvergangenen Woche demonstrierten Aids-Aktivisten, darunter viele Weiße, in Kapstadt gegen den Präsidenten und forderten den Rücktritt seiner Ministerin.

Anstatt Tshabalala-Msimang nach Hause zu schicken, hatte Mbeki es vorgezogen, deren Stellvertreterin Nozizwe Madlala-Routledge, 55, zu entlassen. Sie erregte sein Missfallen, denn sie gehört zu den wenigen Politikern des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), die Aids für ein gravierendes Problem erachten. Deshalb nahm sie gemeinsam mit ihrem Sohn und einem Mitarbeiter an einer Konferenz in Spanien teil, wobei sie den Fehler beging, die Reise nicht genehmigen zu lassen. Kostenpunkt: umgerechnet rund 16 000 Euro aus der Staatskasse.

Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass Mbeki die Chance nutzte, sie loszuwerden, zumal sie öffentlich sagte, »unglücklicherweise« sei »der Eindruck entstanden, dass wir guter Ernährung eine ebenso wichtige Rolle im Kampf gegen HIV/Aids beimessen wie antiretroviralen Medikamenten«. Als ihre Vorgesetzte krankheitsbedingt pausieren musste, sprach sie nach einer Visite im staatlichen Frere-Krankenhaus in East London von einer »nationalen Katastrophe«.

Die Stellvertreterin ist weg, die genesene Ministerin ist mittlerweile wieder im Dienst. Sie hatte sich im März in Johannesburg einer Lebertransplantation unterziehen müssen, eine Hepatitis habe das Organ zerstört, sagte sie. Der Spender war ein jugendlicher Selbstmörder. Jetzt aber läuft das Gerücht um, die Leber der Ministerin sei zerstört gewesen, weil sie Alkoholikerin sei. Als Trinkerin aber dürfte sie unter normalen Umständen kaum als Empfängerin für ein Spenderorgan in Frage kommen.

»Wenn die Meldungen stimmen«, verkündete umgehend Oppositionsführerin Helen Zille, die Bürgermeisterin von Kapstadt, »dann ist die Ministerin nicht nur politisch und moralisch eine Bürde, sondern auch juristisch.« Präsident Mbeki und der ANC nennen das »geschmacklos«.

Woher aber kommt Mbekis Nibelungentreue zu seiner seltsamen Gesundheitsministerin?

Wie er gehört sie zur alten Garde des ANC, sie studierte in den sechziger Jahren am Medizinischen Institut in Leningrad und betreute später verwundete ANC-Milizionäre in Tansania und Sambia. Als der ANC 1994 in Südafrika die Macht vom weißen Apartheid-Regime übernahm, fand Tshabalala-Msimang Aufnahme ins Kabinett.

Wie viele afrikanische Führer reagiert Mbeki immer dann überaus dünnhäutig auf Kritik, wenn sie von Weißen vorgetragen wird. Dann glaubt er sich von Rassisten umstellt. »Mbekis Projekt«, schreibt die südafrikanische Tageszeitung »Business Day«, »besteht darin zu beweisen, dass auch schwarze Menschen einen modernen Staat regieren können.« Im gegenwärtigen »Gesundheitsfuror« wittert das Blatt deshalb auch eine ethnische Dimension: »Aids ist eine schwarze Krankheit geworden, das Gesicht des Kampfs dagegen aber ist weiß.«

Mit ihrer Kritik an der Haltung der ANC-Regierung zur Aidsseuche hat sich die stellvertretende Ministerin zu weit auf die Seite der weißen Aktivisten innerhalb und außerhalb Südafrikas geschlagen, um Mitglied der schwarzen Regierung Mbeki bleiben zu können. 13 Jahre nach den ersten freien Wahlen hätte die »Regenbogennation« also die Apartheid wieder - nur diesmal andersherum.

Für Mbeki, der von einer »afrikanischen Renaissance« träumt, ist Aids kein sonderliches Problem. Ernster nimmt er die Zahl von 18 500 Südafrikanern, die jährlich zu Opfern von Mördern werden, und ins Gewicht fällt für ihn auch, dass die Landreform zu scheitern scheint.

Deshalb ist das Monopol des ANC, der mit rund 70 Prozent aller Stimmen regieren kann, allmählich gefährdet. Die Veteranen aus dem Kampf gegen die weiße Apartheid werden mittlerweile von ihren Verächtern »fette Katzen« genannt.

Das historische Erbe der alten Garde und ihr Herrschaftsanspruch stehen auf dem Spiel - und Mbekis Geringschätzung für Aids wird zum Symbol dafür. Nur dürfte eine verdiente alte Kämpferin wie Dr. Rote Bete im Kampf um Selbstbehauptung wenig hilfreich sein. THILO THIELKE

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