Esoterik Draculas Ufo
Das zweibändige Werk mit dem Titel »Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert« verspricht Großes. Als »Resultat jahrelanger Recherchen« biete es »eine völlig neue Sicht der Welt«, heißt es im Klappentext. »Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie erschüttert und zugleich wachgerüttelt sein!«
So ist es. Wer sich durch die beiden Wälzer gequält hat, weiß alles über »die Verstrickungen von Logentum mit Hochfinanz und Politik«, die wahren Schuldigen an beiden Weltkriegen und am Kennedy-Attentat. Nebenbei entlarvt der Autor Jan van Helsing, 29, auch noch den Papst als Aids-Kranken.
Das ist der Stoff, aus dem ein deutscher Bestseller sein kann. Binnen weniger Monate fand das Helsing-Buch über 100 000 Käufer. Dabei hat der in Lathen bei Meppen ansässige Ewertverlag, in dem das rund 700 Seiten starke Ouvre erschienen ist, das Pamphlet fast ausschließlich auf Esoterikmessen und über einschlägige Buchläden angeboten.
Jetzt interessiert sich auch die Justiz für den Hit: Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat wegen Volksverhetzung Anklage gegen Verleger Klaus-Dieter Ewert und Autor Jan Udo Holey erhoben.
Sein Pseudonym van Helsing hat der im württembergischen Fichtenau lebende Vegetarier Holey aus Bram Stokers Roman »Dracula« entliehen, in dem die Hauptfigur des Vampirjägers Abraham van Helsing heißt.
Holeys Verschwörungstheorien lesen sich wie eine Mixtur aus »Mein Kampf«, wilder Science-fiction und Schwarzer Magie. Träger alles Bösen sind die »Illuminati«, eine Art supranationaler Geheimbund von Politikern und, natürlich, »jüdischen Bankiers«, vornehmlich aus dem Hause Rothschild.
Diese angebliche Internationale der Zionisten strebt nach der Weltherrschaft und will Jerusalem zur Zentrale ihrer Diktatur machen. Wer mag es den Deutschen da verübeln, daß sie sich aus reinem Selbstschutz »von ihren Juden befreien« wollen?
Geht es nach Holey, müßte zunächst das Dritte Reich ganz anders gesehen werden als bisher: Der Führer war in Wahrheit nur die Marionette eines »tibetanischen Schwarzmagierordens«, seine Instruktionen erhielt Adolf Hitler von einem lamaistischen Mönch, Kennzeichen: grüne Handschuhe.
Auch ein anderer großer Deutscher, Helmut Kohl, wäre nicht der, für den ihn seine Untertanen halten: Tatsächlich regiere, heißt es, in Bonn, der Jude Henoch Kohn, Nachfahre galizischer Einwanderer.
Die Rettung naht aus dem Nahen Osten. Auf einer verborgenen »Flugscheibenbasis« tief im Irak stehen »reichsdeutsche Ufos« aus SS-Werkstätten bereit, die den Krieg unbeschadet überstanden haben. Um deren Zerstörung ging es in Wahrheit den Amerikanern auch im Golfkrieg anno 1991. Noch Fragen?
Bei Autor Holey alias Helsing stapeln sich die Fanbriefe zu Hunderten. Apotheker und Heilpraktiker vor allem scheinen für die antisemitische Botschaft aus dem Reich des Okkulten empfänglich.
Der Erfolg des spinnerten Machwerks irritiert die Softies der Esoterikbranche. Gert Geisler, Chefredakteur des Monatsmagazins Esotera, sieht in Holeys Buch »ein erschreckendes Beispiel dafür, in welche Abstrusität sich eine Vernunft und Objektivität verachtende Okkultgläubigkeit versteigen kann«.
Auf rechten Kameradschaftsabenden aber kommt der trübe Sud an. In Neonazi-Zirkeln kursieren seit längerem Videos mit Titeln wie »Ufos - Das Dritte Reich schlägt zurück« ebenso wie Bücher über fortwirkende Nazi-Geheimstrukturen.
In dem Szene-Epos »Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo« des Journalisten Russell McCloud spürt ein Journalist einen nach Tibet geflüchteten SS-Offizier auf, der okkulte Verbindungen zwischen dem NS-Regime und buddhistischen Mönchen hält.
Das vom Buchdienst der Jungen Freiheit vertriebene Werk, in dem Hitlers Asche zum »Samen für einen neuen Phönix« verklärt wird, wurde in der rechtsextremen Monatszeitschrift Nation und Europa zum »Buch des Monats« gekürt.
Die okkulten Braunen stört es nicht, daß sie sich auf den verewigten Führer kaum berufen können. Zwar benutzte Hitler in der NSDAP auch frühere Mitglieder der völkisch-esoterischen »Thule-Gesellschaft« wie den Parteiideologen Alfred Rosenberg. Doch auf dem Reichsparteitag 1938 wetterte der Diktator gegen die okkulten Neigungen von Parteigenossen wie Rosenberg und SS-Chef Heinrich Himmler.
»Das Einschleichen mystisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher«, so Hitler kategorisch, könne »in der Bewegung nicht geduldet werden«. Die Okkultisten seien »nicht Nationalsozialisten, sondern irgend etwas anderes, auf jeden Fall aber etwas, was mit uns nichts zu tun hat«.