Zur Ausgabe
Artikel 14 / 93

Verkehr Drastische Verkürzung

Bund und Länder wollen den Ausbau der Verkehrswege im Osten beschleunigen. Gegner warnen vor einem »Ermächtigungsgesetz für Beton«.
aus DER SPIEGEL 10/1991

Als parteiloser Spitzenbeamter in vielerlei Funktion war Klaus Kinkel daran gewöhnt, im stillen zu arbeiten. Nun ist der frischeingeschriebene Freidemokrat Bundesjustizminister und muß lernen, mit öffentlicher Kritik zu leben.

Die erste Lektion nach fünfwöchiger Amtszeit fiel herb aus. In einer forsch formulierten Pressemitteilung hatte sein Haus verkündet, angesichts der desolaten Verkehrsverhältnisse in der Ex-DDR halte Kinkel eine »drastische Verkürzung« der im Westen üblichen Planungsabläufe für nötig. Anstelle der langwierigen Verwaltungsverfahren müsse der Bau einer Autobahn »von A nach B« künftig einfach per Gesetz ermöglicht werden.

Kaum war das verkündet, klang es dem Kabinettsneuling mächtig in den Ohren. »Generalangriff auf Umwelt und Bürgerrechte«, wetterte die SPD-Abgeordnete Liesel Hartenstein, »Ermächtigungsgesetz für mehr Beton und Asphalt« der Arbeitskreis Verkehr und Umwelt. Einen »Autobahn-Stalinisten« nannte der ökologische Verkehrsclub Deutschland den Minister, und die liberale Süddeutsche Zeitung rückte den Liberalen in die Nähe der »Autofetischisten«.

»Nicht ganz fair behandelt« fühlte sich Kinkel, war er doch nur dem Auftrag der Koalitionsrunde nachgekommen, zwecks »vorrangigen Ausbaues der Verkehrsinfrastruktur in allen neuen Bundesländern die Möglichkeiten vereinfachter und beschleunigter Planungsverfahren« eilends zu prüfen.

Eine dieser Möglichkeiten sind die sogenannten Maßnahmegesetze, mit denen das Parlament dringliche Vorhaben auf den Weg bringt.

Die Liste seiner dringendsten Bauvorhaben hatte Verkehrsminister Günther Krause Mitte Februar unter dem pompösen Titel »Verkehrspolitik Deutsche Einheit« präsentiert. Insgesamt 17 große Verbindungen zwischen den alten und den neuen Ländern will der Christdemokrat aus dem Osten ohne Zeitverzug ausbauen oder neu in die Landschaft setzen: neun Eisenbahnstrecken, sieben Autobahnen sowie den Mittelland- und Elbe-Havel-Kanal (siehe Grafik).

Für die schnelle Realisierung soll der Bundesgesetzgeber sorgen. Denn, so Krause, ohne diese Verkehrsmagistralen »ist der dringend benötigte wirtschaftliche Aufschwung in den neuen Bundesländern nicht erreichbar«.

Das große Werk der Einheit, befand auch Rechtsgutachter Kinkel, rechtfertige in der Tat »ungewöhnliche Maßnahmen«. Weil das katastrophale Verkehrswegenetz im Osten Investoren abschrecke, würden die deutschen »Disparitäten« zusätzlich verschärft. In einer solchen »Ausnahmesituation« könnten deshalb Maßnahmegesetze und »Legalenteignungen« die »behördliche Planungsentscheidung ersetzen«; der verkürzte Rechtsweg sei »vertretbar«. Statt allgemeine Rechtsregeln aufzustellen, zielt ein Maßnahmegesetz auf eine konkrete Situation. Klassisches Beispiel: das 1964, zwei Jahre nach der Flutkatastrophe, erlassene Hamburger Deichordnungsgesetz.

Ginge es nach geltendem Recht, würde manche Verkehrsader zwischen Ost- und Westdeutschland wohl erst nach der Jahrtausendwende baureif. Selbst bei unstrittigen Projekten, hatte im vergangenen Jahr der hessische Verkehrsminister Alfred Schmidt seinen Amtskollegen vorgerechnet, vergehen zwischen Projektierung und erstem Spatenstich siebeneinhalb Jahre.

Mit den Unstimmigkeiten in seinen Behörden, mit Einsprüchen und Klagen kommt Rheinland-Pfalz laut Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sogar auf durchschnittliche Planungszeiten von 21 Jahren. Und für Bayerns Edmund Stoiber gilt der Erfahrungssatz: »Unter 15 Jahren kriegt man keine Straße.«

Die komplizierte Prozedur beim Bau etwa einer Bundesfernstraße beginnt mit dem *___Raumordnungsverfahren, bei dem, unter Beteiligung der ____Öffentlichkeit, auch schon mal die großräumigen ____Umweltfolgen des Projekts geprüft werden; dem folgt die *___Linienbestimmung durch den Bundesverkehrsminister; ____danach beginnt das *___Planfeststellungsverfahren mit der Anhörung der Träger ____öffentlicher Belange und betroffener Bürger und der ____Detailprüfung des Projekts auf Umweltverträglichkeit; ____das Verfahren endet mit dem *___Planfeststellungsbeschluß, der auch Grundlage für die ____erforderlichen Enteignungen ist, aber schließlich ____angefochten werden kann vor dem *___Oberverwaltungsgericht mit Möglichkeit zur Revision ____beim Bundesverwaltungsgericht; unter bestimmten ____Voraussetzungen ist auch die Verfassungsbeschwerde in ____Karlsruhe möglich.

CSU-Stoiber drängt schon lange auf Remedur. Das Raumordnungsverfahren möchte er durch ein Landesgesetz ablösen - »das hätte stärkere Bindewirkung für das Planfeststellungsverfahren« -, den Feststellungsbeschluß grundsätzlich sofort vollziehbar machen und den Rechtsweg auf eine Instanz verkürzen.

Zu großer Vorsicht rät, wie immer, FDP-MdB Burkhard Hirsch. Der mit der Thematik wohlvertraute frühere Düsseldorfer Innenminister findet, extrem lang dauerten die Verfahren »doch meistens dann, wenn Trassen falsch gewählt und Bürgerinteressen massiv verletzt werden«. Für Großprojekte müsse es beim Grundsatz bleiben: »so offen und öffentlich wie nur möglich«.

Maßnahmegesetze hält der Rechtsexperte auch deshalb für gefährlich, weil »Einsprüche und Proteste sich dann nicht mehr gegen die Verwaltung richten, dann steht im Konfliktfall immer gleich die Autorität des Staates auf dem Spiel«. Daß mit diesem Instrument der Ex-DDR gleichwohl wirkungsvoll geholfen werden könnte, mag Hirsch immerhin nicht ausschließen: »Ich bin skeptisch, aber nicht zugenagelt.«

Manche Sozialdemokraten stimmen der Regierung zumindest im Ziel zu. »Die jetzigen Planungszeiten«, so NRW-Verkehrsminister Franz-Josef Kniola, »sind nicht mehr akzeptabel.« Verkürzte Verfahren, sekundiert der Bonner Fraktionsexperte Klaus Daubertshäuser, beträfen »ja nicht nur Betonorgien, da kann auch ein Anwohner mit unzähligen Einsprüchen den Bau einer Lärmschutzwand hinauszögern, die hundert andere dringend wünschen«.

Unter Kniolas Vorsitz brachte die erste gesamtdeutsche Verkehrsminister-Konferenz die Sache am vergangenen Donnerstag in Duisburg auf den Weg. Einstimmig begrüßten die Landespolitiker »die Absicht des Bundes, mit Hilfe von Maßnahmegesetzen Verkehrsvorhaben in den sechs neuen Ländern und zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen Ost und West zu beschleunigen«.

Parallel dazu unterstützen sie die Bonner Überlegungen, durch ein für ganz Deutschland geltendes »Beschleunigungsgesetz« die »planungsrechtlichen Abläufe zu vereinfachen und zu straffen«. Eine Arbeitsgruppe der Verkehrsminister-Konferenz soll jetzt rasch Vorschläge »für die notwendigen Rechtsänderungen« erarbeiten.

Die Federführung sicherte sich ein besonders hartnäckiger Verfahrensverkürzer: Bayerns Edmund Stoiber. o

Zur Ausgabe
Artikel 14 / 93
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren