KRIEGSBESCHÄDIGTE Draußen vor der Tür
Der cand. theol. Johannes Theodor Hollweg, 43, kann seiner Kirche nicht dienen: Seit neun Jahren strebt der Theologe ins kirchliche Amt, doch ebenso beharrlich weisen ihm die evangelischen Landeskirchen die Tür. Er ist schwerkriegsbeschädigt.
Das Verhalten der Kirche hat den Referenten für Schwerbeschädigte in der Frankfurter Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, Friedrich Flecke, so empört, daß er jüngst den Kriegsopferausschuß des Bundestags über den Fall Hollweg unterrichtete. Flecke: »Das lasse ich mir nicht bieten. Auch nicht von der Kirche!«
Mit verschleppter Rippenfellvereiterung war Hollweg im Herbst 1945 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Im Berliner Marienkrankenhaus schnitt man ihm zehn Rippen weg und legte den rechten Lungenflügel still. Hollweg bekam die rote Karte der Schwerkriegsbeschädigten. Versehrtenstufe: 70 Prozent.
Erst 1947, nach zwei Rückfällen, konnte er das Studium der Theologie beginnen. Nach elf Semestern meldete sich Hollweg beim Konsistorium seiner berlin-brandenburgischen Heimatkirche zum ersten theologischen Examen.
Doch die Berliner mauerten: Sie verlangten von dem schwerbeschädigten Prüfling ein vertrauensärztliches Gesundheitszeugnis, »das die Fragen der körperlichen Eignung für den Pfarrberuf uneingeschränkt bejaht«. Ein solches Zeugnis konnte Hollweg nicht beibringen.
Die Berliner Blockade ärgerte den Dekan der Heidelberger Evangelisch-Theologischen Fakultät, an der Hollweg studiert hatte. Der Kriegsversehrte durfte im Frühjahr 1956 ersatzweise das sogenannte Fakultätsexamen ablegen.
Der Weg in den Dienst der Kirche war damit nicht frei. Der nunmehrige Kandidat mußte noch das zweite theologische Examen bei der Landeskirche ablegen, die ihn in ihren Dienst nehmen würde. Hollweg bewarb sich wieder, diesmal in Karlsruhe bei der badischen und in Speyer bei der pfälzischen Landeskirche.
Weder die Badenser noch die Pfälzer wollten ihn haben. Der Karlsruher Oberkirchenrat (und heutige Bischof) Heidland winkte ab: »Ich bin überzeugt, daß ein Student, der nicht voll körperlich leistungsfähig ist, nicht in den kirchlichen Dienst treten sollte. Es gibt ja noch genügend andere Wege, wie er seinem Herrn dienen kann.«
Auch der Oberkirchenrat (und heutige Bischof) Schaller in Speyer wies dem Glaubensbruder die Tür. Sein Rat: »Möchten Sie nicht einmal bei der hessischen Kirche in Darmstadt oder der rheinischen Kirche in Düsseldorf anfragen?«
Hollweg schickte Bittbriefe nach Darmstadt und Düsseldorf und handelte sich zwei neue Absagen ein. Hollweg über eine Sitzung mit dem Darmstädter Oberkirchenrat Heß: »Das Presse-Referat der hessischen Kirche, so meinte er, sei sicher nicht das Geeignete für mich, da es in den Händen eines 88jährigen liege, der keine neuen Mitarbeiter suche...«
Der Düsseldorfer - Oberkirchenrat Schlingensiepen schrieb dem geistlichen Bittsteller: »Wenn unsere Kirche auch größer ist als manche andere, so ist auch die Zahl der an der Ausübung eines vollen Pfarramtes durch Geburts-Krankheits- und Gefangenschaftsfolgen Behinderten entsprechend größer.«
Hannovers Landesbischof Lilje, an den sich der zum fünftenmal Abgewiesene nun wandte, wies immerhin den Diakoniepastor Maltusch an, sich um den lädierten Glaubensbruder Hollweg zu kümmern.
Pastor Maltusch stellte »eine Beschäftigung im Rahmen der Inneren Mission« in Aussicht und begrüßte den Plan des examinierten Theologen, seine Chancen durch ein Studium der Rechte aufzubessern.
Cand. theol. Hollweg, inzwischen 36, setzte sich im Sommer 1958 wieder in den Hörsaal - als stud. jur. im ersten Semester.
Zwar nicht seine Glaubensbrüder, wohl aber seine Leidensgefährten verhalfen dann Hollweg zu einem Arbeitsplatz. Der Verband der Kriegsbeschädigten (VdK) stellte ihn als Referenten für Sozialrecht im Büro Mannheim ein - auf Probe und mit 610 Mark Gehalt.
Eine bezahlte Arbeit hatte Hollweg jetzt, aber den Kampf gegen die Einheitsfront der Kirchenräte gab er nicht auf. Sein Mitstreiter wurde nun der Schwerbeschädigten-Helfer Flecke von der Frankfurter Zentralstelle für Arbeitsvermittlung.
Flecke empörte sich in Briefen an alle evangelisch-lutherischen Kirchenleitungen darüber, »daß das Schicksal des Herrn Hollweg zwar bedauert wird, eine Möglichkeit, sinnvoll zu helfen, aber angeblich nicht besteht«.
Wenig später rührte sich die Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Kanzleichef Brunotte versprach Flecke schriftlich, nunmehr werde sich die EKD um Hollwegs Verwendung im kirchlichen Dienst bemühen. Bedingung: ein amtsärztliches Gutachten.
Das Staatliche Gesundheitsamt Heidelberg stellte ein Attest aus. Flecke schrieb Hollweg, es sei so positiv, »daß die Einrichtungen der Evangelischen Kirche Sie nicht mehr mit dem Hinweis auf Ihre Kriegsbeschädigung ablehnen können«.
Doch die Kirche kniff wieder. Sie ließ zwar ihre medizinischen Bedenken fallen, meldete aber sogleich andere an: Brunottes EKD-Kanzlei befand, für Hollweg sei noch immer kein Kirchenamt frei, weil »er weder die theologische noch die juristische Ausbildung mit den vorgeschriebenen Prüfungen abgeschlossen hat«.
Denn: »Für den höheren Dienst beider Fachrichtungen ist nun einmal der Abschluß mit den üblichen beiden Prüfungen vorgeschrieben. Herr Hollweg hat aber nur das erste theologische Examen und überhaupt keine juristischen Prüfungen abgelegt.«
Resümiert cand. theol. Hollweg: »Erst verhindern sie, daß ich mich qualifiziere, dann nehmen sie mich nicht, weil ich mich nicht qualifiziert habe.«
Theologe Hollweg
Die Kirche kniff