Spiegel Gespräch »Drei Verteidiger reichen aus«
SPIEGEL: Herr Generalbundesanwalt, in deutschen Gerichtssälen, namentlich in politischen Prozessen, in denen Ihre Behörde die Anklage vertritt, herrscht mittlerweile totale Konfrontation zwischen Strafverfolgern und Verteidigern. Die sachlich gebotene Gegnerschaft zwischen den beiden Organen der Rechtspflege ist in offene Feindseligkeit umgeschlagen. Inwieweit hat die Wahrheitsfindung bereits gelitten?
REBMANN: Die Wahrheitsfindung wird durch die -- zuweilen sicherlich scharfe -- Konfrontation zwischen Anklagevertretung und Verteidigung nicht berührt. Die gerichtlichen Entscheidungen in den von mir geführten Verfahren können deshalb aus meiner Sicht unter dem Aspekt der Wahrheitsfindung nicht beanstandet werden.
SPIEGEL: Uns interessiert auch die Art und Weise der Rechtsfindung.
REBMANN: Gelitten hat unübersehbar die Prozeßatmosphäre, leider des öfteren auch die Abwicklung der Verfahren in angemessener Zeit. Aber die Rechte irgendeines Prozeßbeteiligten werden durch die von mir sehr bedauerte Konfrontation nicht beeinträchtigt. Die Richter lassen sich dadurch in ihrer Objektivität nicht beirren.
SPIEGEL: Wer hat zu vertreten, daß die Strafjustiz durch Polarisierung in der Verhandlung an Glaubwürdigkeit verloren hat?
REBMANN: Die Gerichtsbarkeit als solche hat an Glaubwürdigkeit überhaupt nicht verloren. Unsere gerichtlichen Urteile sind doch durchweg für das Publikum überzeugend, vielleicht nicht immer für die Beschuldigten. Aber wann ist ein Beschuldigter schon einmal vom Urteil überzeugt?
SPIEGEL: Wenn er freigesprochen wird.
REBMANN: Das kommt freilich vor, allerdings nur selten in Verfahren, die der Generalbundesanwalt führt.
SPIEGEL: Wer hat überzogen im Gerichtssaal?
REBMANN: Es war das Verhalten von Beschuldigten und Verteidigern, das zu dieser Konfrontation und zu einer gelegentlich angeheizten Prozeßatmosphäre geführt hat.
SPIEGEL: Welche Schranken sind denn einem Rechtsanwalt gesetzt bei der Strafverteidigung?
REBMANN: Schranken für den Verteidiger sind alle einschlägigen Rechtsnormen, insbesondere die Verbote der Strafvereitelung und der Begünstigung. Gustav Radbruch hat eine strafbare Begünstigung noch nicht schon darin gesehen, daß ein Verteidiger, der von der Schuld seines Mandanten überzeugt ist, auf Freispruch plädiert. Soweit möchte ich nicht gehen. Man muß einem Verteidiger aber natürlich die Ausschöpfung aller rechtlich zulässigen Möglichkeiten konzedieren. Nicht hingenommen werden kann, daß ein Verteidiger die Richter oder andere Prozeßbeteiligte beleidigt, daß er bewußt Prozeßverschleppung betreibt, daß er Anordnungen des Vorsitzenden nicht nachkommt oder gerichtliche Entscheidungen ignoriert.
SPIEGEL: Wieweit darf der Staatsanwalt gehen bei der Strafverfolgung?
REBMANN: Er hat nach der Strafprozeßordnung nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln. Er ist also -- im Gegensatz zum Verteidiger -- zur Objektivität verpflichtet.
SPIEGEL: Akzeptieren Sie das Prinzip des fair trial, der Waffengleichheit zwischen Beschuldigtem samt Verteidigung einerseits und dem Ankläger andererseits, als unabdingbar im Rechtsstaat?
REBMANN: Ohne Einschränkung, wobei ich die Waffengleichheit sowohl auf das Vorverfahren als auch auf die Hauptverhandlung beziehe.
SPIEGEL: Auf dem Gerichtskorridor ist der Verteidiger wohl doch ein bißchen ungleicher, er muß sich im Gegensatz zum Staatsanwalt in die Hosen gucken lassen.
REBMANN: Durchsuchung von Verteidigern hat mit der Waffengleichheit von Verteidigung und Anklagevertretung nichts zu tun. Waffengleichheit muß bezüglich der Rechte beider Seiten im Verfahren selbst gegeben sein. Und diese Waffengleichheit besteht.
SPIEGEL: Warum sind denn Ihre Bundesanwälte trotzdem so darauf erpicht, die Gegenseite zu schwächen?
REBMANN: Wie kommen Sie denn darauf? Die Bundesanwaltschaft hat nicht dazu beigetragen, die Verteidigerbank zu reduzieren.
SPIEGEL: Im Lorenz-Drenkmann-Verfahren vor dem Berliner Kammer-
gericht sah das anders aus. Da beantragte doch Bundesanwalt Völz lange vor Eröffnung des Hauptverfahrens ausdrücklich, jedem der sechs Angeklagten nur »je einen Pflichtverteidiger aus dem Kreise ihrer Wahlverteidiger«, aber jeweils zwei Pflichtverteidiger zur schieren Verfahrenssicherung beizuordnen.
REBMANN: Ich muß mit Nachdruck bestreiten, daß es eine Minderung des Verteidigungspotentials bedeutet, wenn jeder Beschuldigte drei Verteidiger hat. Das reicht doch aus.
SPIEGEL: Auch wenn von dreien nur einer wirklich verteidigt?
REBMANN: Das halte ich für eine außerordentlich gewagte Behauptung. Ich bin davon überzeugt, daß sich jeder Pflichtverteidiger um eine wirksame Verteidigung des ihm anvertrauten Beschuldigten bemüht.
SPIEGEL: Selbst dann, wenn sie sich selber als »Hilfssheriff« verstehen?
REBMANN: Ein solches Verständnis von der Stellung des Pflichtverteidigers würde freilich den Intentionen der Strafprozeßordnung nicht entsprechen.
SPIEGEL: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß ein Verteidiger seiner Aufgabe »nur gerecht« werden kann, wenn er »darüber unterrichtet ist, wie sich der Angeklagte zur Anklage verhält«. Kann davon bei schierer Zwangsverteidigung noch die Rede sein?
REBMANN: Das Wort Zwangsverteidiger existiert in meiner Terminologie nicht. Ich kenne nur Wahl- und Pflichtverteidiger. Und auch jene Pflichtverteidiger, die Sie Zwangsverteidiger nennen, wissen zumindest über den Schuldvorwurf, die Beweismittel und die Rechtslage Bescheid. Damit sind sie in der Lage, ordnungsgemäß zu verteidigen.
SPIEGEL: Ganz offensichtlich nicht. In Berlin sind doch immerhin fünf Pflichtverteidiger ostentativ aus dem Gerichtssaal gegangen, weil sie sich nicht mehr imstande sahen, ordnungsgemäß zu verteidigen.
REBMANN: Der Grund hierfür liegt darin, daß Pflichtverteidiger von Angeklagten in Vorführzellen körperlich verletzt und in der Hauptverhandlung beleidigt wurden. Das ist unbestritten eine Ausnahmesituation. Hier ging es nicht mehr um die Möglichkeit der ordnungsgemäßen Verteidigung, sondern um Fragen der Zumutbarkeit und der Menschenwürde.
SPIEGEL: Wir brauchen ja wohl nicht eigens zu betonen, daß wir derartige Auswüchse auch nicht billigen. Andererseits hatten diese Pflichtverteidiger teils schon Monate vor Verhandlungsbeginn vergeblich ihre Entpflichtung beantragt. Nun mußte der Vorsitzende die von der Bundesanwaltschaft vorgezeichnete Marschroute -~ Verfahrenssicherung vor effektiver Verteidigung -- doch noch aufgeben und zuvor abgelehnte Vertrauensanwälte der Angeklagten zu Pflichtverteidigern bestellen.
REBMANN: Das ist die Folge der Taktik der Beschuldigten, die ganz offensichtlich nur noch ihnen genehme und für ihre prozessualen Wünsche aufgeschlossene Verteidiger haben wollen. Demgegenüber ist es ein legitimes Interesse des Gerichts und der Anklagevertretung, dafür Sorge zu tragen,
* Im Berliner Kriminalgericht Moabit.
daß das Verfahren reibungslos durchgeführt werden kann. Dadurch wird eine effektive Verteidigung nicht beeinträchtigt.
SPIEGEL: Die blamable Prozedur -- Anwälte rein, Anwälte raus -- hat die Grundsatzfrage aufgeworfen: Darf unser Rechtsstaat Angeklagten, die den Staat bekämpfen und seine Rechtsordnung ablehnen, die Verteidigung beschneiden nach einem neuen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit etwa, je empörender die Tat, um so geringer der Rechtsschutz?
REBMANN. Diese Frage stellen, heißt sie verneinen. Ich kann nur wiederholen: In Berlin hat unser Rechtsstaat jedem Beschuldigten drei Pflichtverteidiger bestellt, darunter je einen seiner Wahl. Ist das eine Beschneidung der Verteidigung?
SPIEGEL: Ja, ganz sicher dann, wenn die Verteidiger wider Willen, wie im Falle der Anwälte Rüssmann, Lignitz, Hingst und so weiter, erklären, sie sähen keine Basis für ein Mitwirken im Prozeß, das noch als »Verteidigung« bezeichnet werden könnte.
REBMANN: Solches hat allenfalls ein Teil der Pflichtverteidiger erklärt. Im übrigen unterstelle ich bei dem Berufsethos der deutschen Rechtsanwälte jedem Verteidiger soviel Pflichtgefühl, daß er in jedem Falle seine Verteidigungsaufgabe zu erfüllen bestrebt ist. Nur: Bei den Beschuldigten fehlt jede Bereitschaft, dieses Verteidigungsangebot anzunehmen.
SPIEGEL: Auf die Angeklagten kann die Offerte doch allenfalls scheinheilig wirken, weil gar kein Hehl daraus gemacht wird, daß diese Zwangsverteidiger nicht zu ihrem Nutzen, sondern im Interesse des Staates und der Strafverfolgung bestellt werden. Genauso sehen es ja mittlerweise auch Anwälte, die in Pflicht genommen werden.
REBMANN: Kein Zweifel, daß diesen Rechtsanwälten angesichts des Verhaltens der Beschuldigten eine schwierige Aufgabe übertragen wurde. Man muß aber von einem Rechtsanwalt ein bestimmtes Maß an staatsbürgerlicher Mitverantwortung erwarten können.
SPIEGEL: Und wenn der Anwalt aus psychologischen Gründen geradezu Abscheu gegenüber seinem Mandanten empfindet?
REBMANN: Solche Situationen mag es schon einmal geben. Denken Sie zum Beispiel daran, daß jemand, dessen Eltern im KZ umgekommen sind, einen NS-Gewaltverbrecher verteidigen müßte. Deshalb soll nach unserem Recht grundsätzlich ein Anwalt des Vertrauens beigeordnet werden.
SPIEGEL: Wieviel Vertrauen kann ein Beschuldigter in einen Verteidiger setzen, der -- wie in Berlin vorgekommen -- sein Pflichtmandat übernommen hat, ohne zu wissen, für welchen Mandanten aus der Reihe der Angeklagten?
REBMANN: Das ist zumindest ungewöhnlich. Aber ich würde den Verteidiger deshalb nicht für ungeeignet halten.
SPIEGEL: Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: »Das Recht der freien Verteidigerwahl und der seit einem Jahrhundert anerkannte Grundsatz der »freien Advokatur« sind wesentliche Voraussetzungen eines Strafverfahrens, in dem der Beschuldigte nicht zum Objekt staatlichen Handelns wird, sondern seine Stellung als Prozeßsubjekt behauptet.« Es geht also in erster Linie um das elementare Recht eines jeden Beschuldigten auf angemessene Verteidigung gegen staatliche Verfolgungs-Allmacht. Kann es sich ein Rechtsstaat leisten, an diesem Prinzip zu deuteln?
REBMANN: Nein, das kann sich der Rechtsstaat nicht leisten. An diesem Prinzip wird auch nicht gerührt. Deshalb hat jeder Angeklagte drei Pflichtverteidiger bekommen, und jeder kann sich daneben noch bis zu drei Wahlverteidiger nehmen ...
SPIEGEL: ... falls er das bezahlen kann. Und das Verfassungsgericht hat ja nicht nur die freie Wahl des Verteidigers garantiert, sondern »die freie Advokatur« schlechthin.
REBMANN: Selbstverständlich ist es problematisch, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, der zu seinem Mandanten kein Vertrauensverhältnis gewinnen kann. Aber das Gesetz schreibt nun einmal die »notwendige« Verteidigung vor und legt den Rechtsanwälten die Verpflichtung auf, notfalls als Pflichtverteidiger zu agieren.
SPIEGEL: Die Vorschriften über die von Ihnen zitierte notwendige Verteidigung, also über die Bestellung von Pflichtverteidigern bei schwerem Deliktsvorwurf, beruhen doch auf einem ganz anderen Rechtsgedanken: Arme Bürger, die sich keinen Wahlverteidiger leisten können, sollen nicht ohne Rechtsschutz dastehen.
REBMANN: Der Gesetzgeber will durch diese Vorschriften einmal sicherstellen, daß ein Angeklagter auf jeden Fall einen Verteidiger hat. Er will aber auch gewährleisten, daß das Verfahren sicher durchgeführt werden kann. Dies wird mit der Rechtsfigur des Pflichtverteidigers erreicht, der im Gegensatz zum Wahlverteidiger nicht einfach aus dem Prozeß ausscheiden kann.
SPIEGEL: Das kann der zum Pflichtverteidiger bestellte Vertrauensanwalt auch nicht, ohne zu riskieren, daß er die gesamten Kosten des geplatzten Prozesses aufgebürdet bekommt.
REBMANN: In Stammheim trat zum Ende des Prozesses nur noch ein kleiner Teil der sogenannten Vertrauens-Pflichtverteidiger auf.
SPIEGEL: Stammheim ist nun gewiß in keiner Hinsicht beispielhaft -- das geheime Abhören von Verteidigergesprächen gehörte bis dahin auch nicht zum fairen Prozeß. Gerade der Ablauf dieses Verfahrens hat der gesamten Prozeß-Umwelt geschadet.
REBMANN: Das kann man in dieser Allgemeinheit nicht sagen. Denken Sie zum Beispiel an die vielen Revisionsverfahren, die die Bundesanwaltschaft führt und die alle in guter und sachlicher Atmosphäre verlaufen.
SPIEGEL: Da oben vielleicht noch, aber in den niederen Instanzen kann die erkennbare Abwertung des Verteidigers durch Terroristenprozesse zweifellos für eine Vielzahl von Bürgern verheerend wirken.
REBMANN: Wie soll ich das verstehen?
SPIEGEL: Jeweils bis zu achtzig von hundert Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft reichen nicht für eine Anklage, zehn von hundert Angeklagten werden -- durchweg dank der Hilfe ihres Verteidigers -- freigesprochen, das sind immerhin 40 000 bis 50 000 Bürger jährlich. Die könnten leicht unter allgemeiner Verteidigerschelte leiden.
REBMANN: Das darf natürlich nicht sein und ist meines Ermessens auch nicht so. Wenn die von Ihnen behauptete Verteidigerschelte wirklich ein rechtspolitisches Problem von so großem Gewicht wäre, dann stünde es längst im SPIEGEL.
SPIEGEL: Da hätten Sie es bereits lesen können, und in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« stand es auch schon. Dort schrieb unlängst der Bonner Rechtsanwalt Hans Dahs, der das »Handbuch des Strafverteidigers« herausgibt, über generelle »Veränderung des Klimas« in deutschen Gerichtssälen: »Dabei wird schon in der konsequenten Ausnutzung gegebener prozessualer Möglichkeiten bis an die Grenze des Zulässigen eine »Kampfansage« des Verteidigers an das Gericht gesehen.«
REBMANN: Die oft gespannte Atmosphäre in den Terroristenprozessen ist in andere Bereiche noch nicht übergeschwappt. Es gibt zwar immer wieder da und dort einmal einen Konfliktsfall, aber es gibt keine generelle Klimaverschlechterung zwischen den Organen der Rechtspflege.
SPIEGEL: Die ist doch unvermeidbar, wenn die eine Seite, der Anwaltsstand, dauernd in den Ruch der Konspiration und der Prozeßsabotage gebracht wird. Wieviel ist dran, genau besehen, an diesen Vorwürfen« mit denen der Abbau von Verteidigerrechten landläufig begründet wird?
REBMANN: Ein Abbau von wesentlichen Verteidigerrechten hat aus meiner Sicht nicht stattgefunden. Der Gesetzgeber mußte dort etwas gegensteuern, wo sich Mißstände ergeben hatten. Deshalb wurde die Möglichkeit zum Ausschluß von Verteidigern und zur Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs geschaffen.
SPIEGEL: Außerdem wurde beispielsweise das Verbot der Mehrfachverteidigung eingeführt.
REBMANN: Das ist kein Abbau von Verteidigerrechten, sondern eine Schutzvorschrift für den Beschuldigten, die Interessenkollisionen vermeiden will.
SPIEGEL: Nach Paragraph 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung ist der Anwalt ein »unabhängiges Organ der Rechtspflege«. In seiner Funktion als Verteidiger ist er andererseits unbestritten zu »strenger Einseitigkeit« verpflichtet und befindet sich -- laut Dahs -- »ständig in der Nähe strafbarer Begünstigung« oder »Strafvereitelung«. Läßt sieb das überhaupt vereinbaren?
REBMANN: Der Anwalt ist unabhängig gegenüber dem Gericht und gegenüber dem Staatsanwalt. Er ist auch unabhängig gegenüber seinem Mandanten. Das heißt, er hat nicht das zu tun, was der Mandant will, sondern er hat das zu tun, was er als Organ der Rechtspflege im Interesse seines Mandanten als dienlich erachtet. Dabei muß er freilich versuchen, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen. Insofern hat der Verteidiger das Recht auf Einseitigkeit.
SPIEGEL: Wird nicht die Einordnung des Anwalts als Organ der Rechtspflege geradezu sinnverkehrt« wenn sie dazu herhalten muß, den Verteidiger in staatliche Zucht zu nehmen -- etwa als Angehörigen eines »staatlich gebundenen Vertrauensberufs«, dem eine »amtsähnliche Stellung« zugewiesen sei, wie höchstrichterlich bereits umschrieben worden ist?
REBMANN: Freie Advokatur und amtsähnliche Stellung vertragen sich nicht. Der Notar hat ein öffentliches Amt« aber nicht der Rechtsanwalt.
SPIEGEL: Trotzdem wird er praktisch zwecks Amtshandlung einberufen, als Zwangsverteidiger, und dies, obwohl beispielsweise das Oberlandesgericht München erkannt hat: Für den Verteidiger sei überhaupt »nur eine »höchst persönliche« Verbundenheit« mit dem Beschuldigten denkbar. Aus dieser Position habe er »ganz einseitig« den »Anklageangriff abzuwehren«.
REBMANN: Angeklagte in Terroristenprozessen unternehmen regelmäßig schon gar nicht den Versuch, die Frage der persönlichen Verbundenheit, des persönlichen Vertrauens mit einem Pflichtverteidiger, den sie nicht selbst vorgeschlagen haben, abzuklären. Es geht deshalb nicht an, solche Pflichtverteidiger generell als »Zwangsverteidiger ohne Vertrauen« zu bezeichnen.
SPIEGEL: Laut Artikel 103 des Grundgesetzes hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör und damit das Recht, »sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten«. So ist es in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt, und so sieht es auch in der Strafprozeßordnung. Nach welchem Gesetz eigentlich ist ein Beschuldigter gezwungen, sich einen oktroyierten Verteidiger gefallen zu lassen?
REBMANN: Grundsätzlich muß ein Anwalt des Vertrauens zum Pflichtverteidiger bestellt werden, es sei denn, daß gravierende Umstände dem entgegenstehen.
SPIEGEL: Welche?
REBMANN. Etwa die auf bestimmte Tatsachen begründete Sorge, daß der in Frage stehende Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nachhaltig sabotieren würde.
SPIEGEL: Warum sind zu Pflichtverteidigern bestellte Vertrauensanwälte keine Garanten des Verfahrensablaufs -- nachdem ohnehin schon alle aussortiert werden, auf die der Anschein eines Verdachts gefallen ist? Macht Vertrauen des Angeklagten bereits verdächtig?
REBMANN: Keineswegs. Aber wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung machen müssen, daß mit Pflichtverteidigern des Vertrauens allein die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nicht gewährleistet werden kann.
SPIEGEL: Vorbeugehaftung? Sollten nicht wenigstens die Anwälte, die nicht unter die verschärften Ausschluß-Vorschriften fallen, als integer gelten? REBMANN: Ein Rechtsanwalt, der versucht, die Durchführung eines Prozesses zu sabotieren oder zu erschweren, fällt allein aus diesem Grunde noch nicht unter die Ausschließungsvorschrift des Paragraphen 138 a StPO. Freilich hat die Vorschrift des Paragraphen 138 a Absatz 2 StPO in ihrer Neufassung eine Auswahl bewirkt, und zwar schon vor ihrem Inkrafttreten. Verteidiger, die damit rechnen mußten, daß sie nach neuem Recht ausgeschlossen würden, haben Mandate schon gar nicht übernommen. Und auch die Gerichte prüfen schon seit einiger Zeit, und zwar in Vorwirkung des neuen Paragraphen 138 a Absatz 2 StPO, ob der zum Verteidiger zu bestellende Rechtsanwalt möglicherweise später auszuschließen sei. Insofern hat diese Neuregelung mit ihrer Absenkung der Verdachtsschwelle eine generalpräventive Wirkung erzielt.
SPIEGEL: Die Strafprozeßordnung ein abschreckendes Gesetz?
REBMANN: Aus der Sicht der Anklagebehörde können bestimmte Verteidiger, auch wenn keine Ausschließungsgrün de vorliegen, ein erhebliches Risiko für die ordnungsgemäße Durchführung eines Verfahrens sein.
SPIEGEL: Warum ist das Risiko bei bestimmten Verteidigern größer als bei anderen?
REBMANN: Die Erfahrung in zurückliegenden Prozessen zeigt, daß die Einstellung bestimmter Verteidiger zum Prozeßablauf nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers und auch nicht der Berufsauffassung des ganz weit überwiegenden Teiles der Rechtsanwälte entspricht.
* Durchsuchung des Gepäcks von Rechtsanwalt Heinrich Hannover (l.) beim Roth/Otto-Prozeß.
SPIEGEL: Könnte es sein, daß Sie Formales rügen, weil Ihnen die ganze Verteidigungsrichtung nicht paßt? Vor fünfzehn Jahren plädierte ein Verteidiger in öffentlicher Verhandlung für den größten deutschen Terroristen, Adolf Hitler, der sei kein Mörder gewesen, weil er über dem Gesetz gestanden habe. Selbst diese Äußerung, schrieb dazu Adolf Arndt, dürfe »die unerbittliche Grunderkenntnis nicht verschleiern, daß uns die kulturelle Leistung aufgebürdet ist, auf der Suche nach dem Recht uns nicht von Stimmungen leiten zu lassen«. Die »Freiheit der Verteidigung« müsse »radikal sein« und »notfalls das Unerhörte zu Gehör bringen«.
REBMANN: Völlig einverstanden. Wenn ein Verteidiger heute ernsthaft versuchen würde, Terrorismus in bezug auf einen bestimmten Angeklagten aus der Szene verstehbar zu machen, dann müßte ihm das abgenommen werden.
SPIEGEL: Und wenn der Verteidiger nicht nur Entschuldigungsgründe vortrüge, sondern die politischen Motive seines Mandanten darlegte und damit womöglich den Weg zum Terrorismus verständlich zu machen versuchte?
REBMANN: Wenn der Verteidiger die Auffassung seines Mandanten zu dessen Verteidigung vorträgt, ist nichts dagegen zu sagen.
SPIEGEL: Dann läuft er aber bereits Gefahr, in öffentlicher Verhandlung verketzert zu werden.
REBMANN: Es wäre bedenklich, wenn aus dem rechtmäßigen Einsatz eines Verteidigers für seinen Mandanten negative Konsequenzen gegen ihn gezogen würden.
SPIEGEL: Vielleicht sagen Sie das mal Ihrem Herrn Bundesanwalt Völz: Der erfand doch in Berlin die Kategorie nachrangiger Verteidiger -- jene, die »üblicherweise Angeklagte aus der Terrorszene zu verteidigen pflegen«. Soll die Anwaltschaft künftig in dubiose und integre Gruppen gespalten werden?
REBMANN: Nun übertreiben Sie aber, das kann man aus dieser Bemerkung schlechterdings nicht herauslesen. Dort ging es nur darum, als Nachfolge-Pflichtverteidiger solche Rechtsanwälte zu finden, die auch die Gewähr für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens bieten.
SPIEGEL: Warum, abermals gefragt, ist ein Anwalt von der Art, von der Herr Völz sprach, eher dubios als einer, der durchweg Wirtschaftskriminelle vertritt, oder einer, der durchweg Naziverbrecher verteidigt hat, oder als jener, der es stets mit Zuhältern hält?
REBMANN: Das belegt die Erfahrung. Man kann doch die Augen nicht davor verschließen, daß das prozessuale Verhalten von bestimmten Rechtsanwälten, »die üblicherweise Angeklagte aus der Terrorszene zu verteidigen pflegen«, sich von den allgemeinen Gepflogenheiten der Verteidigung, die sich auch der Prozeßforderung verpflichtet fühlt, stark unterscheidet.
SPIEGEL: Reicht das, um unbestimmte Verteidiger so abzuqualifizieren, wie das Herr Völz getan hat?
REBMANN: Ich sehe in der Bemerkung von Herrn Bundesanwalt Völz keine Abqualifizierung.
SPIEGEL: Weniger verfänglich: Nach Paragraph 48 Absatz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung kann ein Rechtsanwalt Entbindung von der Pflichtverteidigung beantragen, falls dafür »wichtige Gründe« vorliegen. Wenn Anwälte, wie in Berlin entschieden, nicht einmal entpflichtet werden, nachdem sie von ihren Mandanten geschlagen worden sind -- was bleibt denn als wichtiger Grund noch übrig?
REBMANN: Ich sehe natürlich auch, daß dieses Problem nach geltendem Recht kaum befriedigend lösbar ist. Man sollte vielleicht doch eine gesetzliche Neuregelung erwägen. SPIEGEL: An welche denken Sie? REBMANN: Der Gedanke, gegen jemand, der sich selbst verteidigungsunfähig macht, ohne Verteidiger zu verhandeln, muß aus rechtsstaatlichen Gründen aufgegeben werden. Eher sehe ich die Lösung im Rechtsinstitut des Ersatzverteidigers.
SPIEGEL: Die säßen völlig offenkundig nur noch zum Zwecke der Verfahrenssicherung herum. Ersatzverteidiger hätten unausweichlich jene amtsähnliche Stellung, gegen die auch Sie sich vorhin gewendet haben.
REBMANN: Nein, auch sie wären unabhängige Organe der Rechtspflege.
SPIEGEL: Eher wohl Amtsverteidiger, staatliche »Justizkommissare« wie vor 200 Jahren unter Friedrich dem Großen.
REBMANN: Die freie Advokatur sollte man nicht aufgeben. Den beamteten Verteidiger befürwortete ich nicht.
SPIEGEL: Herr Generalbundesanwalt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
* Rolf Lamprecht. Axel Jeschke.