VERBRECHEN Dreimal gestorben
Der Steckbrief lautet: Alter sieben
Jahre, Farbe braun: unveränderliche Kennzeichen: Stern auf der Stirn. weiße Oberlippenschnippe, Bißwunde am Hals; Geschlecht Wallach. Dei Name ist Carré d'As.
Carré d'As, ein Springpferd der Spitzenklasse, spielt in einem Mordfall, der in der Kriminalgeschichte nicht seinesgleichen hat, eine besondere Rolle: Es ist Mordwaffe oder Mordmotiv.
Es geschah am 21. Juni um 23.10 Uhr bei strömendem Regen auf der Autobahn Basel-Freiburg, unweit der Auffahrt Lörrach bei Kilometer 809. Zwei wild galoppierende Pferde rasten auf die Lichtkegel herannahender Autos zu, wurden von einem Ford Consul und einem Opel Admiral erfaßt, in die Luft geschleudert und landeten krachend auf den Dächern der Fahrzeuge. In dem Ford starb die 45jährige Gertrud Schlempp, ihr Mann, Uhrmacher aus Freiburg, erlitt einen Wirbeibruch, ihre beiden Kinder kamen mit leichten Verletzungen davon.
Wenige Sekunden später hielt an der Unfallstelle ein VW-Porsche, Kennzeichen LÖ-ZS 12. Der Fahrer wies sich als Hans Brändlin und Halter der Pferde aus. Er selbst gab den verletzten Tieren an Ort und Stelle den Gnadenschuß und identifizierte sie als »Esta und Carré d'As aus meinem Stall«.
Wie die Stute und der Wallach, die in ihren Boxen hinter Schloß und Riegel zusätzlich mit Karabinerhaken festgemacht waren, auf die Autobahn gerieten, konnte der Pferdehändler aus Lörrach sich nicht erklären. Er selbst hatte zusammen mit seiner ganzen Familie gegen 21.20 Uhr Haus und Stall verlassen und war zum Abendessen in den Gasthof »Blume« nach dem benachbarten Kleinkems gefahren. Lörrachs Oberstaatsanwalt Ernst Hilbert: »Das perfekte Alibi.«
Auf Brändlins Anwesen befanden sich zur Tatzeit nur zwei türkische Pferdeknechte mit Verwandten und Freunden, und die sagen einstweilen, sie hätten nicht bemerkt, wie die beiden Pferde aus dem Stall auf die Asphaltpiste entwichen waren.
Oberstaatsanwalt Hilbert erinnert sich allerdings, daß schon 1970 zwei Pferde aus Brändlins Besitz nach Karambolagen mit Fahrzeugen, bei denen mehrere Personen schwer verletzt wurden, auf der Autobahn notgeschlachtet werden mußten. Die Versicherungen hatten damals, wie in erstaunlich vielen anderen Fällen von Pferdeverlusten Brändlins, den Schaden ausgeglichen.
Dem Chef der Lörracher Staatsanwaltschaft war auch bekannt, daß der hochverschuldete Brändlin vor dem Schöffengericht wegen eines ganzen Katalogs von Versicherungsbetrügereien angeklagt ist. Manipulationen mit Pferden und Papieren sollen es dem schmächtigen Reitersmann beispielsweise ermöglicht haben, »das Pferd Orbiter dreimal sterben zu lassen und viermal zu verkaufen«, so ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft.
Als Oberstaatsanwalt Hilbert am Montag nach dem Autobahn-Unglück den Polizeibericht studierte, ließ er denn auch sofort sicherstellen, was von den toten Pferden in der Abdeckerei übrig war: Edle und Hufe der Rösser. Zugleich ermittelten Beamte Lebensweg und Besitzverhältnisse des 60 000-Mark-Pferdes Carré d'As. Der Wallach hatte drei Jahre lang einem engen Geschäftsfreund Brändlins, dem Elsässer Roßschlächter, Pferdehändler und Reilstallbesitzer Pierre Baldeck aus Morschwiller, gehört, ehe er im Januar durch Brändlins Vermittlung für 40 000 Mark an die schweizerische Unternehmertochter Annemarie Straumann in Waldenburg verkauft wurde.
Ohne Zollschein mit einem Freipaß für sechs Monate versehen, bezog Carré d'As Quartier in Brändlins Stall. Der Lörracher trainierte das hochtalentierte Spitzenpferd und ritt es auf diversen schweizerischen Springveranstaltungen von Sieg zu Sieg.
Wenige Tage bevor das hochdotierte Tier verzollt und nach Waldenburg weitergereicht werden sollte, erlitt Carré d'As den Autobahntod -- es sei denn, Hans Brändlin habe es in Wirklichkeit zuvor unter anderem Namen verschachert und einen billigen Doppelgänger an dessen Stelle sterben lassen. Und diese Theorie wird immerhin durch eine Kette von Indizien gestützt.
So sagte der Hufschmied Karl Kaufmann aus Rheinfelden aus, er habe Carré d'As noch am 14. Mai beschlagen; die bei dem toten Gaul gefundenen Eisen aber zeigten weder seine unverkennbare Handschrift noch entsprächen sie der Hufgröße des Springstars: »Das ist, wie wenn einer mit Schuhgröße 38 plötzlich Schuhe Größe 41 tragen würde.«
Annemarie Straumann bezeugt, daß der weiße Stern auf der Stirn ihres Pferdes und die Schnippe zwischen den Nüstern den Zeichnungen auf dem abgezogenen Fell des toten Tieres in Größe und Form nicht voll entsprechen Und Tierärzte vermuten, daß die Bißwunde auf dem Hals des verendeten Tieres möglicherweise »künstlich angelegt worden ist.
»Wenn nun«, so Oberstaatsanwalt Hilbert, »Carré d'As lebt, war es zwingend notwendig, das Ersatzpferd so schnell wie möglich in die Abdeckerei zu bringen, und das wird durch einen solchen Unfall am ehesten gewährleistet.« Wer aber einen solchen Uni alt herbeiführe, der müsse schon »aus dem Schulmaterial der ersten Unfälle« vor fünf Jahren wissen. daß »nicht nur das Pferd. sondern auch die am Unfall beteiligten Menschen zu Tode kommen können.
Wenn aber der »Tod eines Menschen billigend in Kaut genommen wird, gilt das juristisch als »dotus eventualis«, bedingter Vorsatz. Wer mithin das Verbrechen ausgeheckt hätte und dabei »notfalls über Leichen geht« (so der ermittelnde Lörracher Staatsanwalt Detlef Engel) sei es, um die Unterschlagung des Pferdes zu vertitschen, oder um die Versicherung zu betrugen
wäre nicht Totschläger. sondern Mörder. Die Lörracher Staatsanwaltschaft ließ denn auch Hans Brändlin nach dreimonatigen Ermittlungen am 26, September verhaften
Brändlin freilich beteuerte noch letzten Montag bei einem Haftprüfungstermin: »Carré d'As kann gar nicht mehr gefunden werden, denn ich habe ihn auf der Autobahn auf Weisung des Regierungsveterinärs eigenhändig erschossen. Ich werde noch beweisen, daß es Carré d'As war, der dort tot auf der Autobahn lag.«
In Beweisnot ist freilich zunächst die Lörracher Staatsanwaltschaft. Ihr muß es gelingen, den lebenden Wallach aufzutreiben, jedenfalls aber den Täter zu finden, der die Tiere auf die Autobahn getrieben hat. Zwar zeigt sich bereits. so Staatsanwalt Engel, »die eine öder andere Spur«. So will die Polizei ermittelt haben, daß einer der türkischen Mitarbeiter Brändlins »beim Ausgeben unverhältnismäßig hoher Geldbeträge« aufgefallen sei. Aber ob das Komplott zu beweisen ist, scheint fraglich.
Brändlins Anwalt Trudpert Meder hat für alle Fälle noch die These des dritten Mannes in der Hinterhand: »Wenn jemand dem Brändlin einen bösen Streich gespielt hat, findet man Carré d'As eines Tages in Frankreich. und der Brändlin war gar nicht der Verkäufer.«