ÖSTERREICH / NOVAK-PROZESS Dritter Versuch
Ich hätte meinen Auftrag nie erfüllen können«, vertraute Endlöser Adolf Eichmann 1960 seinen israelischen Inquisitoren an, »wenn es mir nicht gelungen wäre, die täglich schwieriger werdenden Transportprobleme zu lösen. Das war hauptsächlich Verdienst meines Sachbearbeiters Franz Novak.«
Der so gerühmte Kärntner Novak arbeitete damals ungeschoren als Druckereileiter in Wien. Das Zeugnis seines einstigen Chefs brachte den Fahrdienstleiter des Todes 1964 vor Gericht.
Die Anklage warf ihm vor, zwischen April und Juli 1944 den Transport von mehr als 400 000 ungarischen Juden in die Gaskammern von Auschwitz organisiert zu haben. Außerdem habe er den berüchtigten »Todesmarsch von Hegyeshalom« persönlich organisiert und kontrolliert, bei dem Juden zum Ostwall-Schanzen getrieben wurden - was nur wenige überlebten.
Doch die Anklagebehörde fand kaum Zeugen. Die wichtigsten Augenzeugen und das wesentlichste Belastungsmaterial waren in Ungarn, aber außer ein paar kümmerlichen Protokollen kam aus Budapest nichts. Ein Antrag der Wiener Staatsanwaltschaft auf Einvernahme entscheidender Zeugen durch ein Budapester Gericht blieb unbeantwortet. Eichmann-Jäger Simon Wiesenthal und der Jüdische Weltkongreß intervenierten vergebens.
Folge: Die Anklage auf »Beihilfe zum bestellten Mord in zahllosen Fällen« wurde während des Prozesses auf zwei Fälle reduziert - und in diesen beiden sprachen die Laienrichter den Novak frei. Sie verurteilten den einstigen SS -Hauptsturmführer, der bei Kriegsende Eichmanns engster Mitarbeiter war, zu acht Jahren Kerker, weil er »eine Gemeingefahr für das Leben, die Gesundheit und körperliche Sicherheit einer großen Anzahl von Menschen« herbeigeführt habe.
Anklage wie Verteidigung legten Berufung ein. Und vor dem zweiten Novak-Prozeß verbreitete die Budapester »Kommission der Verfolgten des Nazismus« einen Zeugenaufruf. Dutzende Augenzeugen des Novak-Wütens in Ungarn meldeten sich. Kommissions -Mitglied und Historiker Jenö Lévai, der vor Novak den deutsch-ungarischen Botschaftssekretär in Tel Aviv, Alexander Török, unter Feuer genommen hatte, protokollierte die Aussagen, ließ, sie übersetzen und notariell beglaubigen.
Unter anderem beeideten
- die Zeugen Deszöne Vágo und Joszef Kun Greueltaten Novaks in Debreczen - er habe dort mit seinem Revolver ein jüdisches Mädchen erschossen, das eine goldene Uhr versteckt hatte;
- Frau Andrasne Ung und ihre Mutter Istvanne Kolonits, sie seien im Szolnoker Hotel »Majestic« von Novak schwer mißhandelt worden;
- die Ärzte Dr. Sándor Turi und Dr. Miklos Pálosi, Hauptsturmführer Novak habe im Krankenhaus von Szolnok jüdische Patienten, die nach Selbstmordversuchen dort lagen, in die Totenkammer schleppen und umbringen lassen.
Dennoch verließ Franz Novak ("Ich erfuhr erst nach dem Krieg, daß die Juden vernichtet wurden") am 6. Oktober 1966 den Gerichtssaal als freier Mann. Die Geschworenen hatten ihm Befehlsnotstand zugebilligt.
Aber die »internationale Blamage« der österreichischen Justiz (so Lévai) ging diesmal nicht allein zu Lasten der gegen Nazi-Kriegsverbrecher traditionell milde gestimmten alpenländischen Richter und Geschworenen, die in 15 einschlägigen Prozessen seit 1960 acht Freisprüche gefällt hatten. Denn: Die Magyaren-Dokumente, die Novak sb schwer belasteten, waren zwischen Wien und Budapest wochenlang verschollen gewesen.
»Die Kommission hat sie an die Wiener Staatsanwaltschaft weitergeleitet«, behauptet Sammler Lévai. Aber Novak -Ankläger Staatsanwalt Dr. Schmieger erhielt die Protokolle, wie er jetzt dem SPIEGEL mitteilte, erst am 27. September, genau einen Tag nach Prozeßbeginn. Schmieger: »Viel zu spät. Um diese schweren Beschuldigungen zu überprüfen, brauchen wir mindestens ein halbes Jahr.«
Nach dem Mysterium befragt, wo die Papiere unterdessen gewesen seien, nennen die magyarischen Nazi-Verfolgten noch andere Adressen: Simon Wiesenthal ("Ich habe keine Zeile bekommen"), den Sekretär des österreichischen KZ-Verbandes, Erich Fein ("Nie gesehen"), sowie den Rechtsanwalt Dr. Machacek ("Jawohl, aber erst zu Prozeßbeginn").
Ein roter Rechtsanwalt aus Wien, Dr. Eduard Rabofsky, der im Mai privat in Budapest nach den Belastungspapieren geforscht hatte, war von der ungarischen Staatspolizei verhaftet und stundenlang verhört worden.
Die Wiener Rechtspfleger wollen die ihnen von Budapest angehängte Blamage nicht auf sich sitzen lassen. Ein Beamter der Staatsanwaltschaft ist zur offiziellen Vernehmung der Novak-Zeugen nach Ungarn gereist.
»Wenn das Material hält, gibt es einen dritten Novak-Prozeß«, verhieß Staatsanwalt Schmieger, »einen handfesten Mordprozeß.«
Angeklagter Novak
Belastungs-Dokumente verschollen
Angeklagter Subandrio
Großen Bung nachts aufgeheitert