KÖLN Du schönes Städtchen
Zu Beginn der Reisesaison bieten sich in Köln, der Touristenstadt des Rheinlands, den Besuchern aus aller Welt in diesem Jahr einige architektonische Überraschungen dar. Sie sind so einmalig, daß sie ernsthaft das Primat des Doms gefährden: das meistphotographierte Bauwerk der Stadt zu sein.
Die Kölner Baumeister haben in der jüngsten Zeit eine Anzahl Bauten errichtet, die klar erkennen lassen, daß die Stadtväter zumindest beim Wiederaufbau aus dem Ringen mit den Forderungen der sonst so gern bemühten zweitausendjährigen Historie nicht als Sieger hervorgegangen sind. Die Monumente einer stilbrüchigen Bauweise haben Architekten, Heimatvereine und sogar den prominentesten ehemaligen Kölner Oberbürgermeister, den Bundeskanzler Konrad Adenauer, zu heftiger Kritik, ja zu giftigen Kommentaren veranlaßt.
Nicht länger bestimmen im »hiliigen Kölle« die schlanken Türme der Kirchen die Silhouette der Stadt. Außer dem Hochhaus am Hansaring, einem Vorkriegsbau, und dem Hochhaus in der City, dessen Bau der Gerling-Konzern durchsetzte, ragt jetzt der Rohbau einer vierzehngeschossigen Zigarrenkiste in die Höhe, der schon vom Drachenfels aus anzusehen ist, daß in ihr das Polizeipräsidium residieren wird. Daß sich ausgerechnet die Polizei so in den Vordergrund des Rheinpanoramas drängeln darf, entschuldigen die Kölner Baugewaltigen mit dem Argument, es habe an eben jenem Platze eine städtebauliche Dominante gefehlt, die freilich an dieser Stelle bislang noch niemand vermißt hat.
Aber nicht nur die Reißbrettarchitektur des Polizeistützpunktes ist bemerkenswert. Befremdlich ist auch der Kontrast zwischen dem fünfzig Meter hohen, Stein gewordenen Zeigefinger der Polizei und der niedrigen Kirche St. Georg - einem der bedeutendsten Werke ottonischer Baukunst -, die sich gegenüber auf der anderen Straßenseite im Schatten des Polizei -Profanbaus duckt.
An einer anderen Stelle Kölns wurde dagegen von den Verantwortlichen ein prinzipiell ähnlicher Gegensatz nicht geduldet: Am Neumarkt mußte das fünfte Obergeschoß eines Neubaus auf Betreiben der städtischen Konservatorin Dr. Hanna Adenauer, einer Nichte des Kanzlers, mit einem Kostenaufwand von 1700 Mark wieder abgetragen werden, weil es von einer bestimmten Stelle des Platzes aus den Blick auf die Apostelnkirche beeinträchtigte.
Denn im Bezirk des Neumarkts glauben die Kölner Stadtväter andere städtebauliche Maßstäbe anlegen zu müssen. Selbst der Kölner Pressechef, Dr. Hans Schmitt -Rost, wird in seinem amüsanten Büchlein »Köln am Rhein, du schönes Städtchen« bierernst: »Der Neumarkt hat ein Gesetz.
Das ist die Apostelnkirche. Sie gibt der Fläche und den Wänden das Maß. Man darf nicht ungestraft darüber hinaus in die Höhe gehen.«
Nun ist es freilich nur noch eine Frage des Prestiges, wann das fünfte Obergeschoß ein zweites Mal auf den Neubau am Neumarkt gesetzt wird. Der Prozeß, den die Kölner Zweigniederlassung der Berliner »Union und Rhein Versicherungs-AG« als Bauherrin gegen die Abbruch-Verfügung der Bauaufsichtsbehörde angestrengt hat, ist aus dem Anfangsstadium nie herausgekommen. Die Versicherung rechnet nicht ohne guten Grund damit, daß sie auf gütlichem Wege das fünfte Stockwerk durchsetzen wird: Das im Krieg zerstörte Haus der Versicherung, das an derselben Stelle stand, war höher als der projektierte Neubau. Außerdem ist die umstrittene Etage nur die Fortsetzung des fünften Geschosses des noch näher der Kirche zugewandten Nachbarhauses (Bild).
So sehr Hanna Adenauer von den Kölnern wegen ihrer Abbruch-Empfehlung attackiert wurde, so sehr lobten die Kölner Konrad Adenauer wegen eines anderen Ratschlages zum Abbruch. Am 9. Januar dieses Jahres, bei einem Essen zu Ehren seines 80. Geburtstages, hatte der einstige Kölner Oberbürgermeister die Kommunalpolitiker der Stadt brüskiert. Ohne Rücksicht auf die Huldigungen, die ihm an diesem Tage gerade von der Kölner Stadtvertretung überschwenglich zuteil geworden waren, hatte der Kanzler den Festgästen über das Dessert hinweg zugerufen: »Ich habe schon früher immer gefordert, daß die Kölner darauf achten, daß Köln Köln bleibt. Ich schlage Ihnen deshalb vor, das neue Wallraf-Richartz -Museum wieder abzubrechen. Tun Sie es
- je eher, desto besser! Denn mit diesem
Museum machen Sie sich lächerlich in der ganzen Welt. Das Innere habe ich nicht gesehen. Das Äußere ist eine Fabrik.«
Kaum war dieses Kanzler-Wort in Köln bekanntgeworden, da setzte ein Regen von Leserbriefen ein, wie ihn die Kölner Lokalzeitungen noch nicht erlebt hatten. Der Groll über die Experimente mit dem Bild ihrer Stadt, der sich seit langem in den Kölnern gestaut hatte, entlud sich auf den schmucklosen dunkelroten Ziegelbau, dessen Äußeres nicht vermuten läßt, daß er ein Museum beherbergt: Die langgestreckten, ineinander übergehenden Baukörper haben unregelmäßig angeordnete Fenster; Glasdächer sind wie die Zacken eines Sägeblattes aufgesetzt und vermitteln in der Tat den Eindruck, es handele sich um eine gut belüftete, gut beleuchtete Werkhalle der feinmechanischen Industrie.
Die Eigenwilligkeit des Architekten ging so weit, daß er die Fabrik-Fassade des Museums an die Minoritenkirche anlehnte, eines der frühesten und bedeutendsten Werke der Bettelorden-Architektur.
Mußte zugunsten der Apostelnkirche auf dem Neumarkt ein fünftes Stockwerk weichen, so wurde hier umgekehrt ein Kreuzgang des kirchlichen Bauwerks dem Museum geopfert.
Dieser Kreuzgang des einstigen Minoritenklosters war zwar im Kriege angeschlagen worden, aber auch nicht mehr als die Minoritenkirche, die bis zum »Deutschen Katholikentag« - der Ende August / Anfang September in Köln stattfindet -
restauriert sein soll. Es war der letzte im Zusammenhang erhaltene Kreuzgang in Köln. Er wurde beim Bau des Museums abmontiert; die Fenster des einen Flügels bastelte man dann wieder zusammen.
Der Rat der Stadt Köln, der den Satteldächern des Museums zweitausend Quadratmeter Glas zubilligte, sparte dieses Material wieder ein, als er etwa zur gleichen Zeit über das neue Opernhaus entschied. Wie ein ungeschlachter Flakbunker wächst der vierunddreißig Meter hohe Bau nahe dem Dom in den Himmel, hoch über die Dächer der Altstadt. Das Theater mit 1380 Plätzen verschlingt weit über zwölf Millionen Mark, aber die Kölner scheinen dieser Investition nicht recht froh zu werden. Im Rosenmontagszug verulkte ein Festwagen »Lache, Bajazzo!« den Theaterbunker. Während das Museum mit seinem Fabrikcharakter die Bezeichnung »Wallraf-Richartz-Werke« provozierte, inspirierte das klobige Opernhaus die Kölner zu einer Anzahl von Spitznamen, wie »Trockendock«, »Kulturmeiler«, »Grabmal des unbekannten Intendanten« oder »Prälatenbunker«.
Die Innengestaltung des Wallraf-Richartz -Museums wie auch des Opernhauses ist an Zweckmäßigkeit schwerlich zu übertreffen. Die Kölner Kritiker indessen fragen, ob diese Vorzüge es gestatten, das Prinzip des funktionsgerechten Bauens dadurch ad absurdum zu führen, daß ästhetische Gesichtspunkte weitgehend ignoriert werden. Die gleiche Frage erhebt sich auch angesichts der Umgestaltung des berühmten Hahnentors:
Kölns Baumeister ließen die Ostseite des Tores aufreißen, um über drei Geschosse hinweg Licht in die Ausstellungsräume des Kölnischen Kunstvereins zu bringen. Die riesigen Schaufensterscheiben, die gut in einen modernen Stahlskelettbau passen würden, wirken grotesk in dem wuchtigen Gemäuer aus dem 13. Jahrhundert.
Aber nicht nur bei der Gestaltung des Museums, des Opernhauses und des Hahnentores haben sich die Kölner Architekten zu ungewöhnlichen Lösungen inspirieren lassen. Auch beim Wiederaufbau des berühmten »Gürzenich«, des Tanz-, Fest- und Konzertsaals, der 1447 auf dem Grund derer von Gürzenich errichtet und 1943 zerstört worden war, hatten die Baumeister eine verblüffende Begabung bewiesen, mit sicherem Griff das Bizarre zu tun. Wie der Gürzenich-Architekt dachte, der Professor Dr.-Ing. Rudolf Schwarz, der auch für das Wallraf-Richartz-Museum verantwortlich zeichnet, geht aus einer vom Städtischen Nachrichtenamt hektographierten, später auch gedruckten Würdigung »Der neue Gürzenich« hervor. Darin bescheinigt er den Kölnern ein besonderes Raumempfinden ("der Raum ist klingendes Gefüge, das ohne Unterlaß schwingt, nach oben, nach
den Seiten und voraus und in sich selber zurückläuft") und doziert: »Man hat uns gesagt, solches Raumempfinden sei den germanischen Völkern eigen, die sich im endgültig Begrenzten nicht wohlfühlten, da sie in der eigenen Seele das unendliche Fließen hätten und bauend ihre Seele abbildeten, das lange Erlebnis des Waldes und der Wanderung habe ihre Seele gebildet.«
Nun haben die Kölner lange staunend am Quatermarkt gestanden und die germanische Architekten-Intuition bewundert, die mit einem lustigen Tapetenmuster die Fassaden der zerstörten Kirche St. Alban und des Gürzenich verband. Viele haben sich noch immer nicht an die »Visitenkarte« des neuen Gürzenich gewöhnt:
Umrahmt von Klinkermauern leuchten dort Scherben von Gebrauchsgläsern, alte Glasmalereien, Deckel von Einmachgläsern und Fahrrad-Katzenaugen, in Blei gefaßt, auf graugrünlichem Kunststein.
Auch die andere Längsseite des neuen Gürzenich mit dem Haupteingang ist eine etwas abrupte Verbindung zwischen Altem und Neuem. Dabei ist das »Neue« - ein Stahlbetonskelett aus Quarzkies mit weißen Horizontalen und Vertikalen - so neu nicht: Niederländische Architekten haben um 1910 Arbeitersiedlungen in dieser Manier errichtet. Freilich hielt sich das Weiß der Waagerechten und der Senkrechten in Hollands Seeluft länger als im Braunkohlenstaub-Klima Kölns.
Kritiker des stattlichen Registers Kölner Bausünden zitieren gern in ironischem Tonfall die stolzen Worte, die Kölns Star -Architekt Professor Schwarz über den Gürzenich schrieb: »Unser Bau konnte -
so wie er wurde - nur in Köln gebaut werden, und man kann ihn nicht exportieren, in Berlin oder Rom wäre er undenkbar.«
Kölns Hahnentor: Schaufensterscheiben im Gemäuer
Kölner Kirche St. Georg mit Polizeihochhaus, Geschaftshaus mit Apostelnkirche: Das Prinzip funktionsgerechten Bauens ...
»Gürzenich«-Architekt Schwarz
»Der Raum ist ein klingendes Gefüge«
...wurde ad absurdum geführt: Kölner Opernhaus, Wallraf-Richartz-Museum
Fassade zwischen Kirche St. Alban und »Gürzenich": »... konnte nur in Köln gebaut werden«