DUELL MIT UNGLEICHEN WAFFEN
Der israelische Zerstörer »Elath« 2530 Tonnen groß, 1944 bei Cammell Laird Thornycroft in Birkenhead als »Zealouse« ("Die Eifrige") von Stapel gelaufen und 1956 von den Briten verkauft -- fuhr Patrouille vor der Sinai-Halbinsel.
Das Schiff war rund 22 Kilometer vom ägyptischen Hafen Port Said entfernt, als es von drei Raketen ägyptischer Schnellboote getroffen wurde und sank. Zum erstenmal In der Seekriegs-Geschichte waren von einem Schiff abgefeuerte Lenkraketen auf einem feindlichen Schiff eingeschlagen -- mit ungeheurer Präzision und verheerender Wirkung.
Die Lenkraketen -- Typ »Styx« -- stammten aus der Sowjet-Union. Mit je 500 Kilo Sprengstoff trafen sie ein veraltetes Schiff aus dem Zweiten Weltkrieg, das
> im Vertrauen auf die Waffenruhe zwischen Israel und den Arabern allein operierte,
> keine geeigneten Abwehrwaffen besaß und
> den Such-Köpfen der Projektile durch Kursänderung nicht entgehen konnte.
Die Stichflammen auf der sinkenden »Elath« schockten die Israelis und die Seestrategen der westlichen Welt -- nicht zuletzt die Marineplaner auf der Bonner Hardthöhe. Denn diese Stichflammen erhellten die Unterlegenheit des Westens auf dem Meer: Die klassischen Seemächte Amerika und England haben den sowjetischen Schiff-Schiff-Raketen derzeit kein vergleichbares Waffensystem entgegenzusetzen.
Die amerikanische »Tartar«-Rakete, die der Rüstungskonzern Convair entwickelte, war ursprünglich als Schiff-Luft-Rakete ausgelegt und ist als Schiff-Schiff- oder Schiff-Land-Flugkörper noch nicht verwendbar. Eine derartige »Tartar«-Version, genannt »Standard-Missle Ia«, wird gegenwärtig erst erprobt.
Die »maritime Raketenlücke« beunruhigt die Strategen der Nato seit 1957. Schon damals montierten die Sowjets Raketen ihrer Landstreitkräfte, die sie zu Schiff-Schiff-Flugkörpern abgewandelt hatten, auf vier ihrer Zerstörer der »Kildin«-Klasse. Die inzwischen weiterentwickelten Waffen können gegen Ziele eingesetzt werden, die mehr als 100 Seemeilen entfernt sind.
Jahrelang versuchten westliche Geheimagenten vergebens, ein Bild eines dieser Kriegsschiffe zu bekommen. Im Juli 1962 gelang es einem skandinavischen Handelsmatrosen, in der Meeresenge zwischen Gotland und den schwedischen Schären einen 4000 Tonnen großen Sowjet-Zerstörer zu photographieren. Er war mit drei Waffensystemen bestückt: mit
> konventionellen Rohrwaffen,
> Luftabwehrraketen und
> Flugkörpern gegen See- und Landziele.
Diese Armierung ließ einen wichtigen Grundsatz der sowjetischen Seerüstung erkennen: Die Zerstörer sollen auf sich allein gestellt vielseitig operieren können. Die westlichen Seestreitkräfte bevorzugten dagegen den Bau von Spezialeinheiten, die -- zu Kampfgruppen zusammengefaßt -- mit ihren verschiedenen Waffensystemen einander ergänzen.
1960 rüsteten die Sowjets auch kleine Seefahrzeuge mit Schiff-Schiff-Raketen aus. Derartige Flugkörper mit geringerer Reichweite -- 20 Seemeilen, so weit etwa schoß die schwere Artillerie der früheren Schlachtschiffe -- wurden auf U-Booten installiert und auf Schnellbooten der »Komar«- und »Osa«-Klasse.
Boote dieses Typs stellten die Russen auch den Seestreitkräften der Satellitenstaaten, ebenso aber ihren Schützlingen im Nahen Osten, den Ägyptern, zur Verfügung. Ein solches Raketenschnellboot bohrte -- wahrscheinlich aus dem Hafen von Port Said heraus -- die »Elath« in den Grund.
Die Nato steht vor der alarmierenden Tatsache, daß die Sowjets heute mindestens 17 Raketenzerstörer und 80 Schnellboote der »Komar«- und »Osa«-Klasse mit Schiff-Schiff-Raketen einsetzen können. Ihnen kann die Nato noch nicht mit gleichartigen Waffen begegnen.
Als besonders bedrohlich empfinden Nato-Strategen die rote Raketenstreitmacht in der Ostsee (ein Kreuzer, vier Zerstörer und etwa 80 Schnellboote). Sie könnte im Ernstfall amphibische Operationen der Ostblockarmeen gegen die Ostsee-Ausgänge unterstützen. Der sowjetischen Ostsee-Flotte stünde dann der Atlantik offen.
Die Folgen wären unabsehbar: Der Nachschub der Westmächte über den Atlantik würde gestört, der Nato-Partner Bundesrepublik durch eine zweite sowjetische Front im Norden gefährdet, Skandinavien bedroht.
Die Verteidigung der Ostsee-Zugänge ist die Hauptaufgabe der Bundesmarine. Deshalb verlangte sie Lenkraketen in Doppelversion (Schiff-Schiff und Schiff-Luft) für sechs Zerstörer und vier Korvetten. Drei Raketen-Zerstörer liegen zur Zeit für Bonner Rechnung auf amerikanischen Heiligen, drei weitere sollen später auf deutschen Werften gebaut werden. Mindestens zehn Schnellboote der verbesserten »Jaguar«-Klasse werden ebenfalls Raketen gegen Seeziele erhalten -- vorausgesetzt, den Amerikanern gelingt es, die »Tatar«-Rakete für das Seegefecht tauglich zu machen.
Um nicht das Schicksal der »Elath« zu erleiden, bleibt westlichen Schiffskommandanten derzeit nur die Schlußfolgerung, sich tunlichst nicht in Duelle mit sowjetischen Raketenträgern einzulassen.
Zwar können moderne, kampfbereite Schiffe anfliegende Raketen durch Rundsicht-Radar (das die »Elath« nicht hatte) früher orten und sie durch Jagdschutz (den die »Elath« ebenfalls nicht hatte) aussichtsreicher bekämpfen. Aber im Washingtoner Pentagon fürchtet man doch schon die Konsequenzen für den Fall, daß Moskau »Komar«-Boote an Nordvietnam liefert und »Styx«-Raketen gegen die 7. US-Flotte Im Golf von Tonking fliegen.