HAMBURG Düsen-WahIen
Der Beifall, der dem Hamburger Senat für seinen Entschluß gezollt wurde, den hansestädtischen Flugplatz Fuhlsbüttel in einen Düsenflughafen von Weltgeltung umzuwandeln, ist in den letzten Wochen dumpfer Resignation gewichen. Bekümmert mußte die SPD -FDP-Senats-Koalition beobachten, wie die 1957 aus der Regierungsbank gedrängten Christdemokraten mit viel Geschick darangegangen sind, den vom Senat beschlossenen Ausbau des Flughafens als ein Fiasko sozialdemokratischer Politik hinzustellen.
Offensichtlich ist die Hamburger CDU entschlossen, die Flugplatzfrage zum Hauptthema ihres Buhlens um die Gunst der Wähler hochzuspielen, die im Herbst kommenden Jahres das Hamburger Parlament, die Bürgerschaft, neu zu besetzen haben. Der CDU-Parteizentrale ist nämlich klargeworden, daß sich ihre Kandidaten, wenn überhaupt, dann allenfalls mit dem Lärm der Düsenflugzeuge wieder auf die Regierungsbank manövrieren können.
In der Tat bietet sich den Christdemokraten in der Hansestadt kein besserer Konfliktstoff, um ihre eigenen Intentionen wirkungsvoll von denen der Sozialdemokraten abzuheben. Noch Ende 1959 mußte beim traditionellen »Halbzeitgespräch« zwischen dem Ersten Bürgermeister Brauer (SPD) und dem Oppositionsführer, Bürgermeister a. D. Sieveking (CDU), schierer Tratsch als Argument der Opposition gegen den SPD-Senat herhalten.
Entrüstete sich der Dr. Sieveking damals: »Vor allem aber bekamen die Kleingärtner zu spüren, was von den Wahlversprechen der SPD zu halten ist: In einer ganz unbegreiflichen Kaltschnäuzigkeit versuchte man sich über ihre Interessen hinwegzusetzen, und es bedurfte erst des sehr nachdrücklichen Eingreifens der Opposition, um ihnen zu ihrem Recht lu verhelfen.«
Selbst die »dürftige Aufklärung der Bevölkerung« im Fall des Sittenstrolches Bruno Pupecka, der sich in Hamburg an Minderjährigen vergangen hatte, und die »uns an schönen Tagen noch immer belästigenden Eidelstedter Düfte« - Abgase von Fischmehlfabriken - mußten herhalten, die Kritik des Oppositionsführers an den Leistungen der SPD anzureichern.
Da sich der Zündstoff bislang zum Leidwesen der Opposition nicht vermehrt hat und die wesentlichen Probleme der Hansestadt-Hafenwirtschaft, Wohnungs- und U-Bahn-Bau - nach wie vor keine Angriffspunkte bieten, griff die CDU dankbar nach dem rettenden Strohhalm:
»Die sehr eigensinnige und unkluge Haltung des Senats in der Flughafenfrage wird den Hamburger Staat zig Millionen kosten«, unkte Hamburgs CDU-Vorsitzender Erik Blumenfeld und malte gleich die apokalyptische Vision einer lärmgefolterten Bevölkerung in den Ortsteilen rund um den Flughafen aus: »Was soll erst werden, wenn hier fünfzig und mehr Düsenflugzeuge täglich starten und landen?«
Diese Frage ist die lokale Variante des Problems, das alle Luftfahrtnationen seit Beginn der Düsenflug-Epoche beschäftigt. Wo immer ein Flugplatz in der Nähe von Wohnsiedlungen lag, hatten die Luftverkehrsexperten zu entscheiden, ob sie die Anlage ausbauen sollten - wobei die Lärmeffekte in Kauf genommen werden mußten - oder ob es besser sei, den stärker und lauter werdenden Flugverkehr von den Städten abzuziehen.
Die Schweden beispielsweise entschieden sich dafür, den gesamten Transatlantik-Düsenverkehr von und nach ihrem Land über einen neuen Großflughafen abzuwickeln, der nicht weniger als 60 Kilometer von Stockholm entfernt ist. Aus ökonomischen Motiven beschränkten sich auch Frankreich, England und Dänemark auf jeweils einen großen, zentralen und außerhalb der dichten Wohngebiete liegenden Düsenflughafen.
Obschon sogar die Amerikaner es für richtig hielten, nur wenige verkehrsreiche Knotenpunkte in ihr Langstrecken-Düsenflugnetz einzubeziehen, wollte Hamburgs SPD-Regierung nicht davon ablassen, »unter allen Umständen den Anschluß der Hansestadt an den Weltluftverkehr sicherzustellen«.
Kurzerhand verwarf der Senat alle Pläne der Christdemokraten, die darauf hinausliefen, fernab von den Wohngebieten einen gemeinsamen Düsenflughafen für die vier deutschen Küstenländer anzulegen. Brauer: »Unhaltbar und utopisch.«
Die hochfliegenden SPD-Pläne wurden sogar noch vorangetrieben, als schon sicher war, daß ihrer Verwirklichung auch rechtliche Schwierigkeiten entgegenstanden. Voraussetzung für die Abfertigung interkontinentaler Düsengiganten auf dem Flughafen Fuhlsbüttel ist nämlich eine Startbahnlänge von mindestens 3600 Metern; in Fuhlsbüttel müßte eine der vorhandenen Bahnen über die Landesgrenze hinaus verlängert werden.
Dies wiederum kann nicht geschehen, solange Garstedt, eine zu Schleswig-Holstein gehörende 12 000-Seelen-Gemeinde am Rande des Flughafens, nicht bereit ist, das erforderliche Gelände abzugeben. Garstedts resistenter Bürgermeister Embacher hat sich der Unterstützung des Kieler Regierungschefs versichert. Kai -Uwe von Hassel: »Den Düsenlärm können die Hamburger für sich behalten.«
Nach der Methode »Erst investieren, dann argumentieren« verbaute Max Brauers Regierung unverdrossen weitere Millionenbeträge in die alte Fuhlsbütteler Anlage. Indes: Was weder das Beispiel kontinentaler und überseeischer Staaten noch die Bauplatz-Problematik bewirkt hatte, nämlich den regierungsgewohnten Brauer-Senat zu neuen Überlegungen zu inspirieren, das scheint nun: der Hamburger CDU zu glücken - durch Wahl-Akustik.
Erregte sich der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Witten: »Es darf nicht sein, daß viele Tausend Menschen durch den Lärm der Düsenmaschinen gesundheitlich geschädigt werden.«
Solche Argumente fruchten in den Stadtbezirken rings um den Flughafen, deren Bewohner sich während der sommerlichen Hitze nicht mehr Abkühlung mittels geöffneter Fenster verschaffen können. In der Tat hat der Höllenlärm der viermotorigen Düsenmaschinen die Wahlchancen der CDU erheblich verbessert. Neben dem Bezirk Fuhlsbüttel, der schon bei der letzten Bürgerschaftswahl 1957 für die CDU stimmte, erweisen sich vor allem die nicht minder dichtbevölkerten Flughafen-Bezirke Niendorf, Groß-Borstel und Langenhorn für die neuen CDU -Thesen anfällig: Dort erzielte die SPD 1957 nur eine schwache Mehrheit.
Alsbald zog das »Hamburger Echo« aus der Geräuschempfindlichkeit des Hamburger Wahlvolks Konsequenzen. Schrieb das bislang auf die Weltflughafen-These eingeschworene SPD-Blatt: »Der Senat täte ... gut daran, zu erkennen zu geben, daß er schon jetzt bereit ist, die Notwendigkeiten von übermorgen einzuplanen.«
Hamburgs zweiter Bürgermeister, Edgar Engelhard (FDP), der zunächst barsch alle Pläne für einen zentralen; außerhalb der Wohngebiete liegenden norddeutschen Düsenflughafen verworfen hatte, wechselte die Front: »Ich beabsichtige ... in absehbarer Zeit den drei anderen norddeutschen Küstenländern ... die Bildung eines gemeinsamen Arbeitskreises mit Hamburg vorzuschlagen, der sich mit der ständigen Beobachtung des Flugverkehrs und der sich daraus zwingend ergebenden Maßnahmen beschäftigen soll.«
Gemeinde-Bürgermeister Embacher
Für die Weltstadt keine Piste