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BERLIN Dumme Jungs

aus DER SPIEGEL 48/1961

Mitte vergangener Woche rüstete sich Präsident Kennedys persönlicher Berlin-Beauftragter Lucius D. Clay - von seinem Staatschef nach Washington gerufen - zu einer entscheidenden Audienz im Weißen Haus: Der Exgeneral will durch eine Aussprache mit Kennedy einen Intrigenkampf beenden, der die westliche Zusammenarbeit in Berlin zu durchlöchern droht.

Der ehemalige Blockadebrecher Clay sieht sich, wie die »Neue Zürcher Zeitung« verzeichnete, »im Mittelpunkt eines Knäuels von Gerüchten, Falschmeldungen, gezielten Indiskretionen, indirekten Angriffen und Intrigen«, in dem sich das Vertrauen der Berliner zu ihren US-Schützern verheddern könnte. Geknüpft wurde das Intrigen-Knäuel vor allem von Englands Diplomatie, die mit einigen Gesten eine angebliche Vertrauenskrise zwischen Präsident und General wegen »Clays kriegslüsterner Haltung« (so die »Times") andeutete.

Wie mißtrauisch die auf allzu geschmeidige Verhandlungstaktik eingeschworenen Briten die Manöver Clays an der Ulbricht-Mauer beobachten, offenbarte das Schicksal der amerikanischen Militär-Scharade am US-Kontrollpunkt »Charlie« in der Friedrichstraße.

Als die Vopo am Abend des 22. Oktober dem stellvertretenden US-Missionschef Leightner die Fahrt nach Ostberlin verweigerte, weil er die Vorlage eines Ausweises ablehnte, die das DDR -Regime neuerdings von US-Zivilisten in US-Fahrzeugen verlangt, startete Clay eine Aktion, die er schon früher mit Washington abgesprochen hatte: Gedeckt von Panzern, erzwangen US -Militärpolizisten siebenmal die unkontrollierte Durchfahrt amerikanischer Zivilisten in den Ostsektor.

Der Aufmarsch der GIs war freilich nur als Teil eines größeren diplomatischen Manövers gedacht, mit dem Sowjetrußland gehindert werden sollte, die letzten Trümmer der Vier-Mächte -Verwaltung Berlins niederzureißen. Würden die Sowjets ihrerseits - so war es zwischen Clay und dem State Department verabredet - mit Panzern anrücken, so müsse der US-Botschafter in Moskau seine diplomatischen Vorbesprechungen über westöstliche Berlin -Verhandlungen abbrechen.

Auf diese Weise hoffte Washington die Sowjets zum Rückzug zu zwingen, denn das State Department hält Sowjetrußlands Interesse an Berlin-Verhandlungen für größer als die Freude am Ausbau der Ulbricht-Mauer.

Kaum waren daher dem General Clay in den späten Nachtstunden des 26. Oktober die ersten Sowjetpanzer an der Sektorengrenze gemeldet worden, da ließ er sich mit Außenminister Dean Rusk in Washington verbinden. Rusk versprach, das State Department werde am nächsten Tag in einer öffentlichen Erklärung Botschafter Thompson zum Abbruch seiner Moskauer Diskussionen auffordern. Begründung: Unter dem Druck sowjetischer Panzer könne Amerika nicht verhandeln.

Indes, Lucius D. Clay wartete vergebens auf die offizielle Erklärung aus Washington. Noch ehe der Morgen dämmerte, hatte die britische Regierung interveniert und Präsident Kennedy überredet, die Aktion wegen ihrer offenkundigen Risiken abzublasen.

Der Londoner »Sunday Express« formulierte, was alle Briten dachten: »Eine einzige Granate, die irgendein dummer Junge aus Texas oder aus der Ukraine versehentlich in Berlin abfeuert, könnte die Menschheit ebenso zerstören, wie es eine 50-Megatonnen-Bombe täte.«

Da die in Berlin stationierten Briten ihre Ausweise von jeher der Vopo vorgezeigt, wenn auch nie ausgehändigt hatten, distanzierte sich London sofort von Clays martialischem Passport-Spiel:

- Am 26. Oktober riet Englands Bevollmächtigter im westlichen Lenkungsausschuß in Washington, die Aktion abzubrechen.

- Am 27. Oktober lehnte England die

Forderung Washingtons ab, sich der Clayschen Operation anzuschließen.

- Kurz darauf warnte England als Wortführer »einer Mehrheit der Nato -Verbündeten« - so die »New York Times« - den amerikanischen Nato -Botschafter Finletter in Paris vor den Folgen des Panzerspiels.

Der britische Widerstand wäre freilich ohne Erfolg geblieben, hätten sich ihm nicht auch jene amerikanischen Außenamts-Beamten angeschlossen, denen die Berliner Sonderstellung des Generals Clay - er ist nur dem Präsidenten unterstellt - nicht behagt. Berichtete Kennedy-Freund Joseph Alsop vom Tatort-Berlin: »Das Foreign Office genießt in einflußreichen amerikanischen Kreisen Unterstützung, offenbar auch in der US-Botschaft in Moskau. So erlosch denn das Drama in der Friedrichstraße.« Briten und amerikanische Clay -Gegner verbreiteten gemeinsam das Gerücht, Clay habe ohne Genehmigung Kennedys gehandelt und sei daher in Washington in Ungnade gefallen.

Clay aber will sich nun während seines Besuches in Washington von Kennedy erneut das Vertrauen aussprechen lassen, Dabei wissen auch informierte Briten, daß der General keineswegs der eisenfressende Kreuzritter ist, als den ihn britische Zeitungen abmalen.

Der britische Unterhausabgeordnete Austen Albu, der Clay aus Blockadezeiten kennt, fand den General kürzlich bei einem Wiedersehen alt und müde geworden. Lucius Clay, 64, zu Albu: »Jetzt verstehe ich allmählich, wie schwer es ist, den Polizisten zu spielen.«

Amerikanischer Berlin-Protektor Clay, Schützling: Intrige am »Checkpoint Charlie«

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