MINISTER Dumpfes Schweigen
Seinem Chef Helmut Schmidt schrieb Rainer Offergeld einen Abschiedsbrief. Er könne es nicht länger hinnehmen, daß sein Aufgabengebiet so gering geachtet werde; wenn das so bleibe, monierte der Untergebene, habe ein Weiterwursteln keinen Zweck.
Schmidt nahm die Kündigung an. Offergeld aber hatte Selbstachtung gewonnen, indem er den Zweikampf in aller Stille für sich entschied.
Das war im Herbst 1972, als der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzressort, Rainer Offergeld, zuständig für die hinterher verkorkste Steuerreform, dem Finanzminister Helmut Schmidt die Gefolgschaft versagte. Offergeld, damals mit 34 Jahren Jüngster in der Bonner Staatssekretärsriege, hatte die Sache vor den Job gestellt. Er ging in die Fraktion zurück und wurde 1975 -- Schmidt war jetzt Kanzler -- unter Hans Apel Nachfolger seines Nachfolgers. Seit über einem Jahr wirkt er als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ).
Das merkt bloß keiner. Der schüchterne Schwabe wird jedesmal ganz verlegen, wenn er bei Fahrten im Ministerauto BD 26-1 in der deutschen Provinz für seinen eigenen Sicherheitsbeamten gehalten und gefragt wird, wo denn nun der Herr Minister sei.
Offergeld tut dann so, als sei er sich selbst ganz egal, als habe er seinen Ehrgeiz in der sozialdemokratischen Diaspora des südlichen Schwarzwalds abgegeben. Dort erinnert er alle vier Jahre die Eingeborenen daran, daß es nicht nur die Christenpartei gibt; und er kann das so erstaunlich gut, daß man ahnt, gelegentlich könne er vielleicht doch wissen, was er will: Dem damaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger nahm er 1969 und 1972 so viele Stimmen ab, daß der entnervt aus dem Wahlkreis ging.
Auch den Ministersessel, den er gegenwärtig so ausfüllt wie eine geheime Mission, hat er sich ganz bewußt ausgesucht. Er war 1978 zum Skifahren in Leutasch, als der Kanzler telephonierte und ihm das Bildungs- oder das Entwicklungshilferessort anbot. Die Bedenkzeit Offergelds, Fachanwalt für Steuerrecht, dem Außenpolitik damals so fremd war wie die englische Sprache jetzt, war nur kurz.
Seitdem handelt er nach der von Helmut Schmidt vorgegebenen Maxime, daß in seinem Ressort Ruhe die erste Ministerpflicht sei: »Man muß das Haus aus den Schlagzeilen bringen.«
Für diesen Teil der Arbeit hatte der Kanzler den richtigen Mann gefunden. Daß der rechte Schwabe seinem Vorgänger, dem linken Schwaben Erhard Eppler nacheifern würde, mußte der Regierungschef nicht befürchten; ebensowenig, daß er mit dem Vorgänger und außenpolitischen Chefstrategen Egon Bahr mithalten könne.
Und weil Vorgängerin Marie Schlei vor allem durch vorlaute Bemerkungen und peinliche Auslandsauftritte auffiel, ging der Nachfolger dankbar ins Kontrastprogramm: Im Ausland versteckte er sich meist hinter Helmut Schmidt und überließ ihm das Palavern, denn forsches Reden war dem bedächtigen Alemannen schon immer fremd.
Schmidts Stillhalte-Befehl kam ihm denn auch über Maßen entgegen. Doch vor lauter Konzentration auf Unauffälligkeit hat er noch nicht gemerkt, daß dies der einzige Pluspunkt auf dem Ministerkonto ist: Ein netter Mensch, der in sich selber ruht.
Nie fällt ein lautes Wort, auch dann nicht, wenn er sich damit profilieren könnte. Dem Auswärtigen Amt, das für das undurchsichtige Regime des Dom Mintoff auf Malta, dem »Flugzeugträger im Mittelmeer« (AA-Notiz), 40 Millionen Mark anforderte, schlug er ohne Aufhebens den Wunsch ab. Begründung: Für Flugzeugträger seien andere Ressorts zuständig.
Die rechte Hans-Seidel-Stiftung der CSU wollte in der chilenischen Militärdiktatur, wo freie Gewerkschaften verboten sind, mit Steuergeldern eine obskure regierungsfreundliche Pseudogewerkschaft finanzieren. Offergeld lehnte still ab. Dabei hätte ihm Lautstärke fast nur Freunde eingebracht.
Die einzigen Schlagzeilen, die der Ressortleiter produzierte, hatten mit Entwicklungspolitik nichts gemein. Er feuerte im Januar drei seiner vier Abteilungsleiter, die bis dato vornehmlich Anpassung an ständig wechselnde Ministertypen geübt hatten -- und ging selbst dabei noch milde vor.
Denn wie nötig der Personalwechsel war, hatte er selbst schon Monate zuvor herausgefunden (SPIEGEL 23/1978). Aber ehe er dann endlich zur Tat schritt, sollten die Beamten doch noch »ruhig Weihnachten leiern können« (Offergeld).
Die einjährige Sendepause des sonst so unruhigen Hauses machte jetzt selbst den Kanzler unruhig. Über seine Vertrauten Klaus Bölling und Klaus Dieter Leister, der kürzlich vom Kanzlerbüro zu Offergeld wechselte, ließ er ausrichten, der Kollege möge sich doch gefälligst auch mal zur Sache äußern -- nicht nur wie bisher und auch am Kabinettstisch zu Problemen der Lohnsummen- und sonstiger Steuern.
Brav parierte der Minister und gewährte dem Bonner »General-Anzeiger« ein Interview, aus dem die Langeweile lugte und das angestrengte Bemühen, nur ja nirgendwo anzuecken -- weder bei den Entwicklungsexperten im Parlament, die endlich Taten sehen wollen, noch beim Regierungschef, der Entwicklungshilfe am liebsten allein den Kirchen und anderen wohltätigen Anstalten überlassen würde, noch beim Außenminister, der sich jede Konkurrenz in seinem Revier verbittet.
Tatsächlich hatte Offergeld den Kanzler-Rat, Präsenz zu zeigen, gründlich mißverstanden. Schmidt ging es nicht um Ministerphotos und -antworten im »General-Anzeiger«, sondern um die überfällige Darstellung seiner politischen Ziele. Denn ihm war zu Ohren gekommen, daß die eigenen Genossen sieh mittlerweile zum Kampf sammeln, den Parteifreund zu Fall zu bringen.
Sprecher der Fronde ist der SPD-Entwicklungsexperte Helmut Esters, der sein Urteil über den Minister kurz macht: »Der ist einfach zu faul.«
In Wahrheit ist Offergeld, selten genug für einen politischen Akteur, einfach zu schüchtern. Er ist kein Kämpfer und kein Rhetoriker, noch nicht einmal einer, der sich auf Smalltalk versteht.
Genüßlich tratschen die Parlamentarier über Offergeld-Auftritte, etwa die Begegnung des Ministers mit dem jordanischen König Hussein. Als der Monarch nach den üblichen Wetterfloskeln von seinem Gast Näheres über die deutsche Nord-Süd-Politik hören wollte, verfiel Offergeld in dumpfes Schweigen. Erst die Dolmetscherin rettete die Situation, indem sie ein eigenes Gespräch mit der Majestät begann.
Besonders erregt die Abgeordneten, daß der Minister sie in Arbeitskreisen und Ausschüssen allein läßt. Und weil sie hinter mangelnden Informationen Heimlichkeit wittern, droht Esters schon offen mit Konsequenzen: »Dem schicken wir den Rechnungshof.«
Doch die Rachsüchtigen irren. Im BMZ des Rainer Offergeld passiert nichts Heimliches, es passiert überhaupt nichts. Wenn er so weiter macht, schimpft der Entwicklungsfachmann der FDP, Manfred Vohrer. »gibt es für die Existenz des Entwicklungshilfeministeriums keine Notwendigkeit mehr«.
Als Finanzstaatssekretär unter Hans Apel wußte Offergeld genau, wie trickreich der Kassenverwalter damals seine Vorgängerin Schlei hereingelegt hatte. Auf Druck aller Entwicklungspolitiker im Parlament hatte Apel großzügig ihren Etat um die Rekordsumme von 900 Millionen aufgestockt wohl wissend, daß vernünftige Hilfsprojekte nicht in einem Haushaltsjahr aus dem Hut gezaubert, finanziert und abgerechnet werden können.
Offergeld ging trotzdem wissentlich in diese Falle. Im letzten Jahr blieb er auf mehr als zehn Prozent seines bewilligten Budgets sitzen; 475 Millionen konnten nicht abfließen, weil der Minister vergaß, sich rechtzeitig um Verwendungsmöglichkeiten zu kümmern.
Als ihm am Jahresende das Versäumnis klar wurde, war es zu spät. Immerhin gab er da seinen Beamten Weisung, künftig selbst auf die Suche nach vernünftigen Projekten zu gehen; denn in der Vergangenheit war der Strom der Entwicklungshilfegelder häufig dadurch gestoppt worden, daß deutsche Fachleute erst umständlich Sinn, Zweck und Rentabilität nachprüfen mußten, wenn ausländische Regierungen ihre Bittgesuche vorbrachten.
Doch auch diese Ministerweisung ließ zu lange auf sich warten: Der von Offergeld gleich darauf entlassene Abteilungsleiter Winfried Böll hatte den Ukas selbst herausgegeben, nur der Minister hatte davon nichts gemerkt.
Durch Absenz in Kabinett und Parlament bat der Ressortchef aus seinem Haus ein Amt für die Verwaltung von Straßenbauten, Brunnenbohrungen und Bildungsstätten in Übersee gemacht; eine Behörde, deren Leiter keine politischen Vorgaben formuliert. Eine Bonner Entwicklungspolitik findet derzeit nicht statt, weil der zuständige Lenker ("Ein Himmelfahrts-Kommando") lieber andächtig allen zuhört, statt selbst die Marschroute auszugeben.
Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt etwa arbeitet in der Nord-Süd-Kommission an der Idee, die Völker der Industrieländer sollten für die Armen der Welt eine eigene Steuer aufbringen; nur so könnten künftige Generationen den drohenden Nord-Süd-Konflikt vermeiden. Offergeld schweigt dazu.
Finanzminister Hans Matthöfer verkündete wolkig, Steuererleichterungen und das nötige Mehr an Entwicklungshilfe seien nicht zu vereinbaren. Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff siebt Entwicklungspolitik vorwiegend als Instrument der Exportförderung und Rohstoffsicherung.
Außenminister Hans-Dietrich Genscher meint, wer der Dritten Welt finanziell entgegenkomme, ernte deren
* Mit Sambias Staatspräsident Kaunda (Vordergrund).
Fürsprache und verschaffe sich Einfluß und Ansehen. Der Kanzler will all jenen Staaten die Hilfe streichen, die. etwa vor der Uno, den Deutschen statt Dankadressen Anklageschriften übermitteln, in denen sie die deutschen Gaben als mangelhaft oder die Bonner Wirtschaftsbeziehungen zu ihrem Feind Südafrika als zu gut beklagen der zuständige Minister hält sich auch in dieser Diskussion diskret zurück.
Für welche Sorte Politik er sich zuständig fühlt, hat er bislang nicht mitgeteilt: für Entwicklungshilfe als karitativen Akt, als Wiedergutmachung für koloniale Ausbeutung, als Faustpfand für Rohstoffkäufe, als Finanzhilfe für Exporte, als Gegenleistung für außenpolitisches Wohlverhalten oder als Hilfe zur Selbsthilfe.
Seine Vorgänger hat er zu »Weltmeistern in Konzeptionen« ernannt -- so ist von ihm Konzeptionelles nicht zu erwarten. Es ficht ihn nicht an, daß die reichen Deutschen vor allem deswegen in der Dritten Welt scheel angesehen werden, weil sie beharrlich den, auch von Bonn rhetorisch gebilligten. Uno-Beschluß ignorieren, 0,7 Prozent des Volkseinkommens für die Entwicklungshilfe abzuzweigen.
Bis zu einer Klausurtagung des Kabinetts Ende April, hei der ein Handlungsrahmen für die diesjährigen Nord-Süd-Verhandlungen in Manila festgelegt werden soll, will Offergeld mit gewohnter Vorsicht statt zu kämpfen »alle finanzpolitischen Möglichkeiten ausloten, um dem 0,7-Ziel schrittweise näherzukommen«.
Er kann sich die Mühe sparen: Helmut Schmidt ist schon festgelegt. Eine überproportionale Steigerung der Mittel, ließ der Kanzler mitteilen, »ist nicht drin«. In Wahljahren seien innenpolitische Vorhaben wichtiger als Humanitäres draußen.
Vor über sechs Jahren zog Offergeld aus ähnlichem Verhalten Schmidts die Konsequenzen, weil er vermutete, er solle für den Chef als Strohmann für ein Alibi sorgen. Bei der Kabinettsklausur wird er zu spüren bekommen, daß ihn inzwischen die Kollegen nur noch für den Strohmann halten.
Als zuständiger Weißmacher, der erklären soll, warum Wohltaten nicht zustande kommen, hat er schon bei der Steuerreform nicht getaugt. Schon warten Sozialdemokraten, daß er Schmidt wieder mal einen Brief schreibt. Tut er's bis zum Wahltag 1980 nicht, könnte er einen Brief kriegen -- vom Kanzler, der im kleinen Kreis immer öfter Enttäuschung über Offergeld zeigt.
Doch für Schmidt wird es schwer werden, einen Nachfolger zu finden. Einer, der mal wollte, Forschungsminister Volker Hauff, bat es sich mittlerweile überlegt. Als strahlender Neuling der Kabinettsmannschaft spekuliert er inzwischen auf höhere Aufgaben. ·