FRANKREICH Dunkle Geschäfte
»Die Mörder sind gefaßt«, triumphierte Innenminister Michel Prinz Poniatowski in einer eilig zusammengerufenen Pressekonferenz am 29. Dezember. Nur fünf Tage nach dem spektakulären Mord an dem Parlamentsabgeordneten Jean Marie Prinz de Broglie präsentierte Frankreichs oberster Polizist der Öffentlichkeit stolz den Täter und seine Hintermänner:
Im Auftrag der Geschäftsleute Pierre de Varga und Patrick Allenet de Ribemont habe der vorbestrafte Zuhälter Gérard Freche, 31, den Prinzen in der Pariser rue des Dardanelles erschossen; angeworben und bezahlt habe den Täter der Polizist Guy Simon& Alles war vorweisbar: die Täter, die Tatwaffe (sie fand sich in einem Gully) und sogar ein Tatmotiv.
Für den Innenminister war es ein Darlehen von vier Millionen Franc. das de Broglie seinen Geschäftspartnern de Varga und de Ribemont zum Kauf des Pariser Restaurants »Rotisserie de la Reine Pédauque« gewährt hatte. Um die Rückzahlungsraten von 72 000 Franc monatlich zu sparen, hätten de Varga und de Ribemont den Prinzen erschießen lassen. Beweis: das Geständnis des Polizisten Simoné, der de Varga und de Ribemont als seine Hintermänner preisgegeben hatte.
Geschickt nutzte Poniatowski die Publizität des Mordes an seinem Parteifreund de Broglie zu positiver Selbstdarstellung der unsicher gewordenen Fünften Republik des Staatschefs Giscard (l'Estaing. auch er ein politischer Freund der Prinzen de Broglie und Poniatowski.
Die Ordnung und Sicherheit des Bürgers. behauptete der Minister, seien in Frankreich besser aufgehoben als irgendwo sonst. Noch ehe die Gerichte sich mit dem Fall befassen konnten, sei der Mord an de Broglie restlos aufgeklärt worden. Ganz Frankreich, so schien es, mußte nun einstimmen in den sehr unfranzösischen Ruf: »Vive la police!«
Beim Judo.
Schon 36 Stunden danach war's mit Ordnung und Aufklärung schon wieder schlechter bestellt, war der »abgeschlossene Fall (Poniatowski) total undurchsichtig geworden und eine Polizei-Blamage nicht auszuschließen.
Die als Auftraggeber öffentlich gebrandmarkten de Varga und de Ribemont bestritten jede Tatbeteiligung. Selbst die Witwe des Prinzen glaubte nicht an das Motiv: » Das ist idiotisch, man kann sich nicht vorstellen, daß er deshalb ermordet worden ist.« Und schließlich bekam es der Innenminister auch noch mit seinem Kollegen von der Justiz 70 tun.
In einer offiziösen Stellungnahme drückte das Justizministerium sein »höchstes Erstaunen« über das Vorgehen des Innenministeriums aus. Dies sei »eine eindeutige Verletzung des Paragraphen 11 der Strafprozeßordnung«, der alle an einem Strafverfahren beteiligten Amtspersonen zu Verschwiegenheit verpflichtet. Strafe bei Verletzung: bis zu sechs Monate Haft und Geldstrafe bis 3000 Franc.
Jean Diemer, Vizepräsident des größten Richterverbandes, wurde noch deutlicher. Die Pressekonferenz des Innenministers sei »ein Übergriff in die Obliegenheiten der Justiz »Le Monde« daraufhin: »Aus dem Mord ist eine politische Affäre geworden.«
Was für eine Affäre der Fall de Broglie zuvor war und eigentlich ist, blieb bis Ende voriger Woche durchaus unklar. Ein »Verbrechen aus Leidenschaft« ("L'Aurore") wurde ebenso für möglich gehalten wie ein aus der politischen Vergangenheit
des Prinzen herrührender Racheakt.
Denn der Tote war Sproß einer der großen französischen Adelsfamilien (piemontesischen Ursprungs, daher die Aussprache »Broj"), die dem Land Marschälle, Diplomaten und Gelehrte gestellt hatte. Sein Onkel Louis Victor de Broglie erhielt den Nobelpreis für Physik, seine Urgroßmutter war die Schriftstellerin Germaine de Stael.
Prinz Jean de Broglie. 55, war in der Regierung Debré Staatssekretär für die überseeischen Gebiete und die Sahara gewesen und hatte den Vertrag von Evian mit ausgehandelt, der Algerien im März 1962 in die Unabhängigkeit entließ. Später, in den ersten drei Kabinetten Pompidou, war er Staatssekretär für den öffentlichen Dienst. dann für Algerien, dann für Äußeres und schließlich Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung.
Seinen politischen Einfluß wußte der Prinz auch geschäftlich zu nutzen. So deutete selbst der konservative »Figaro« an, de Broglie habe aus seinen Verbindungen zu den algerischen Revolutionären so erfolgreich Kapital geschlagen, daß er deshalb für das vierte Kabinett Pompidou, nicht mehr tragbar gewesen sei.
Fest steht: De Broglie saß nicht nur in der Nationalversammlung, sondern auch in Aufsichtsrat oder Geschäftsführung von 42 Gesellschaften und war an internationalen Finanztransaktionen beteiligt, die er über die Luxemburger Gesellschaft Sodetex S. A. abwickelte.
Doch auch vor »Geschäften der schlimmsten Sorte« soll er laut »L'Aurore« nicht zurückgeschreckt sein. Angeblich hat er Anteile an einer Firma besessen, die gegen exzessive Gebühren
Bei seiner Pressekonferenz am 29. Dezember
Schulden für Private eintrieb, und war mit internationalen Waffenhändlern gut bekannt. Die satirische Wochenschrift »Le Canard enchainé": »Ein solcher Einblick in die Sitten unserer Aristokratie wird nicht jeden Tag geboten.« Eine so romanhafte Kriminalszene mit großen Namen und dunklen Hintergründen wohl auch nicht: Balzac im 20. Jahrhundert.
Zwar hat inzwischen Schütze Freche den Mord gestanden, wurde de Varga wegen Beteiligung am Mordkomplott angeschuldigt. Doch im Verhör vor dem Untersuchungsrichter bekannte der Polizist Simomé, daß seiner Meinung nach »andere mit großem Einfluß« den Mordauftrag gegeben hätten. Die »anderen« freilich will auch er nicht gekannt haben.
Und die Rechtsanwältin Pascale de Varga, Tochter des angeschuldigten Broglie-Partners, bezweifelte die Schuld ihres Vaters: Bei 700 000 Franc Monatsumsatz im Restaurant »Rotissene de la Reine Pédauque« habe die Rückzahlung von 72 000 Franc an den Prinzen keine große Rolle spielen können. Ein Motiv für einen Mord sei diese Summe gewiß nicht, da die Schuld von vier Millionen Franc auch nach dem Ableben des Prinzen an dessen Erben gezahlt werden müsse.
Geschäftspartner de Ribemont schließlich blieb ebenso wie de Varga dabei, daß er unbeteiligt sei. Er saß Ende letzter Woche immer noch ein -- aber nicht wegen Mittäterschaft an der Ermordung de Broglies, sondern wegen unbefugten Waffenbesitzes: In seinem Haus hatte die Polizei drei alte Gewehre gefunden.
So fragte denn »Le Monde": »Wer also hat wirklich von dem Mord profitiert?« und vermutete: »Die Affäre hat gerade erst begonnen.«