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PROZESSE / GEMÄLDE Dunkle Wolke

aus DER SPIEGEL 14/1971

Der Prozeß betraf die deutsche Vergangenheit; anhand vergilbter Dokumente hatten die drei Landrichter der Ersten Bonner Zivilkammer den Niedergang kleindeutscher Fürstenherrlichkeit auszuleuchten.

Im Urteil berührten die Richter das gesamtdeutsche Trauma von heute: sie bescheinigten der Bonner Regierung, wovon sie selber nicht sprechen will: Vertretungsmacht für Gesamtdeutschland.

Das Großherzogtum von Sachsen-Weimar-Eisenach gibt es seit dem 9. November 1918 nicht mehr, wohl aber einige Gemälde, die damals noch an den Wänden des Museums in Weimar hingen, 1921 in den Nachkriegswirren gestohlen wurden und nunmehr, seit fünf Jahren, in den Kellern des Kölner Wallraf-Richartz-Museums deponiert sind: ein Selbstbildnis von Rembrandt, das Bildnis eines Knaben von Tischbein und das Bildnis eines Patriziers von Terborch. Wert: rund drei Millionen Mark.

Erbgroßherzogin Elisabeth, 59, Schwiegertochter des letzten Throninhabers von Sachsen-Weimar-Eisenach, betrachtet die Kunstschätze, die 1947 in den USA wiederentdeckt und 1966 aufgrund eines amerikanischen Spezialgesetzes der Bundesregierung übergeben wurden, noch heute als ihr Eigentum. Für die Bundesregierung wiederum leitet Rechtsanwalt Alfons Kugelmeier aus dem amerikanischen Gesetz den Anspruch ab, die Gemälde bis zur »letztlichen Übergabe an das Weimarer Museum zu verwahren.

Die »letztliche Übergabe«, vorzunehmen von der Bundesregierung nach einer Wiedervereinigung -- so interpretiert Kugelmeier die US-Gesetzesvokabel »eventual transfer«. Die Anwälte der Erbgroßherzogin wiederum, Kurt Freiherr von Stackelberg und Constantin Privat, übersetzten den nach Auskunft eines anglo-amerikanischen Rechtslexikons zweideutigen Begriff »eventual transfer« anders: »etwaige Übergabe«. Stackelberg: »Die USA haben die Bundesregierung ermächtigt, das Eigentum an den zu übertragen, der einen Anspruch nach -- weist.«

Der Anwalt meint, der US-Regierung sei die wirkliche Eigentumslage durch »eine dunkle Wolke« verdeckt gewesen. Verdunkelt sind die herzoglichen Vermögensverhältnisse vor allem durch einen Vertrag, den die »Gebietsregierung« Weimar nach der Revolution von 1918 mit dem ehemaligen Landesherrn abgeschlossen hatte.

Darin verzichtete der letzte regierende Landesfürst, Nachkomme des Goethe-Gönners Karl August, nicht nur auf den größten Teil seines Vermögens samt eingetopften Gewächsen. Er verpflichtete sich auch, die ihm und seinem Hause gehörigen Kunstgegenstände ... der öffentlichen Besichtigung wie bisher weiter zugänglich zu lassen«.

Als Gegenleistung erhielt er eine jährliche Apanage von 300 000 Goldmark zugesprochen. Sei ne Familie durfte weiter eine Laube im Deutschen Nationaltheater benutzen, und seinen Kindern wurde gestattet, in Goethes Garten und Gartenhaus zu spielen.

Für Anwalt Kugelmeier bat der abgedankte Großherzog durch die Verpflichtung zur Dauerausleihe praktisch sein Eigentum an den Gemälden aufgegeben. Nur noch ein »nacktes Recht« sei ihm verblieben.

Die Anwälte des Herzoghauses können hingegen auf ein unbestrittenes Faktum verweisen: Die wiederentdeckten Bilder waren beim Abschluß jenes Vertrages schon gestohlen. Mithin, so folgerte Privat, könnten sie auch nicht Gegenstand einer enteignungsgleichen Abrede gewesen sein: An diese Bilder hat doch niemand gedacht, nur Juristen sind imstande, so was unter den Vertrag zu bringen.«

Vorsorglich hatte die Klägerin von einem renommierten Zivilrechtskenner, dem Münchner Professor Karl Lorenz, ein Gutachten einholen lassen. Ergebnis: Der Vertrag sei hinfällig. Seine Basis sei nach 1945 von den derzeitigen Machthabern in der DDR durch die völlige Enteignung und Vertreibung des königlichen Hauses »brüsk zerstört« worden.

Der Bundesregierung, die sich für ihre Treuhandschaft auf den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik beruft, hält Lorenz vor, wer Rechte aus dem Vertrag beanspruche, müsse auch Pflichten übernehmen

»wie die zur Erfüllung der schon seit 22 Jahren rückständigen Rentenzahlungen«.

Die Bonner Richter, die jetzt ihr 36-Seiten-Urteil fertigstellten, bestätigten der Bundesregierung die Treuhandschaft für ein gesamtdeutsches kulturelles Erbe, Sie soll bestimmen, »wann die Verhältnisse für die Übergabe an das Museum in Weimar geeignet sind«. Erst dann -- nach Rückkehr in das DDR-Museum -, so befanden sie, könne entschieden werden, ob das Kulturgut vielleicht doch nicht dem deutschen Volk, sondern den Erben der Erbgroßherzogin gehöre.

Die Anwälte der Herzogin wollen den Fall bis vor den Bundesgerichtshof bringen. Constantin Privat ironisch über die Bonner Spruchweisheit: »Eine ungemein lebensnahe Lösung.«

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