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ENTSPANNUNG Durch den Keller

aus DER SPIEGEL 43/1966

Als US-Diplomaten den Sowjet -Außenminister Gromyko (der offiziell zu Besuch bei der Uno in den Vereinigten Staaten weilte) am Montag letzter Woche durch Hintertüren und Kellergänge erst ins Weiße Haus und dann ins Außenministerium schleusten, wurde klar: Gast und Gastgeber scheuten die Presse. Sie wollten verhindern, daß Ost und West neue Vermutungen über komplicenhafte Geschäfte der beiden Supermächte anstellten und (dies wollten allerdings nur die Gastgeber) den Anschein vermeiden, daß eine Welt vorzeitig zusammenbreche: die außenpolitische Ideenwelt der deutschen Bundesrepublik.

Seit seiner Geburt im Jahre 1949 gedieh der westdeutsche Nachkriegsstaat im wärmenden Einverständnis, seiner westlichen Bündnispartner, vor allem der USA. Würde Washington die Bundesrepublik jetzt zwingen, sich einem ost-westlichen Abkommen über die Nichtweiterverbreitung Nonproliferation) von Atomwaffen zu unterwerfen, wäre Deutschlands Rechtsstellung und seine Sicherheit vor aller Welt gemindert - mit Hilfe des bisherigen Dauerfreundes USA.

Amerikaner und Russen marschieren seit dem atomaren Patt der beiden Mächte in Richtung Ausgleich, aber das Tempo ist in diesem Herbst flotter geworden, jedenfalls auf seiten Washingtons.

US-Präsident Johnson muß unter Zeitdruck innen- und außenpolitisches Eis tauen. Er will - vor den Kongreßwahlen im November - als Friedensfürst erscheinen und die meinungsbildenden liberalen Intelligenzler für sich gewinnen, deren Lieblingsprojekt das Nonproliferations-Abkommen ist. Er erstrebt gleichzeitig einen neuen Akkord mit Moskau - in der Hoffnung, die Kreml-Herren könnten die störrischen Nordvietnamesen an den Verhandlungstisch drängen.

Johnsons Grand Design: durch Annäherung in Europa den Krieg in Asien zu beenden.

Die Sowjet-Union, der Nonproliferation vor allem wegen einer Aussperrung Bonns zugetan, muß in Vietnam jedoch vorsichtig vorgehen, da die Chinesen ihr ins Gesicht schreien, was die Deutschen gegenüber Washington bislang nur heimlich fürchten: Verrat.

Um die Gefühle der US-gebombten Genossen in Nordvietnam zu schonen, scheute Moskau vor spektakulärer Einmütigkeit mit Washington noch zurück. Zudem hielt der Kreml Verhandlungen für aussichtslos, weil Johnson seinem treuesten europäischen Verbündeten, der Bundesrepublik, keinen absoluten Atomverzicht auferlegen wollte.

Statt dessen ersannen die Plänemacher des Präsidenten kollektive A -Waffen-Systeme, die deutschen Mitbesitz und deutsche Mitbestimmung garantieren sollten. Erst bevor er Gromyko zu sich bat, gab Johnson - so die »New York Times« - »wenigstens indirekt« zu erkennen, daß er den Sowjets »ein ganzes Stück entgegenkommen werde, um deren Ängste vor dem deutschen Finger am Atom-Drücker zu besänftigen«.

Unmittelbar vor seinem Tête-à-tête mit dem eingeschmuggelten Gromyko schickte Präsident Johnson einen überzeugenden Liebesgruß nach -Moskau. Er ernannte den im Kreml gutgelittenen Diplomaten Llewellyn ("Tommy") Thompson, 62, zum neuen Botschafter in der sowjetischen Hauptstadt.

Thompson, einer von Amerikas intimsten Kreml-Kennern, hatte den Moskauer Posten bereits von 1957 bis 1962 gehalten - länger als jeder andere USMissionschef seit der diplomatischen Anerkennung des Sowjet-Regimes durch Roosevelt (1933). Botschafter Thompson verbrachte viele Wochenenden auf den Landhäusern der Kreml-Prominenz.

Thompsons Nachfolger, der jetzt zum stellvertretenden Staatssekretär aufgerückte Foy Kohler, kam den Sowjetmenschen nie so nahe. Angesichts des »unerbittlich feindlichen Systems ... das seine Ideologie und seine Macht in alle Teile der Welt ausbreiten will«, lehnte Kohler viele Einladungen in Moskau ab.

Bei einem unumgänglichen großen Empfang im Kreml passierte ihm ein Malheur. Gerade hatte Kohler dem Parteichef Breschnew zugeprostet, da drängte sich DDR-Ulbricht dazwischen und stieß beherzt mit dem härtesten Vertreter der Vereinigten Staaten an.

Der kontaktfreudigere Thompson macht sich keine Illusionen. Für ihn heißt Diplomatie im Atomzeitalter: mit dem Gegner reden, da dieser grundsätzlich ein gleiches Interesse an einem Ausgleich haben muß.

In Wien quälte sich Thompson - zuletzt als Hochkommissar für Österreich

- neun Jahre lang durch 379 erfolglose

Verhandlungen über den Abzug der Roten Armee aus dem Alpenland und handelte dann 1955 in elf hektischen Tagen den Staatsvertrag aus.

1961 riet Thompson dem Präsidenten Kennedy zu einer Begegnung mit Chruschtschow, Nach dem Wiener Treffen fragte Kennedy, von der dogmatischen Enge und brutalen Offenheit des roten Zaren deprimiert: »Ist das immer so?« Thompson: »Das war völlig normal.«

Auf dem Höhepunkt der Berlin-Krise im August 1961 plädierte Thompson mit Erfolg dafür, daß sich die USA wohl auf militärische Gegenzüge, aber auch auf Verhandlungen vorbereiten sollten. Foy Kohler wollte von Verhandlungen nichts wissen.

Auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise im Oktober 1962 gehörte Tommy Thompson zu Kennedys Exekutiv -Ausschuß. Nach Kuba tüftelte Thompson mit am Teststopp-Abkommen und befürwortete Weizenlieferungen in die Sowjet-Union.

Als sich wegen des Vietnam-Krieges rauher Frost über die sowjetisch amerikanischen Beziehungen gelegt hatte, Präsident Johnson aber einen Friedenserfolg brauchte, beauftragte der Präsident den Botschafter, die diplomatischen Archive nach Annäherungsprojekten zu durchforsten und Vorschläge zu machen, wie man den Kreml aus der Reserve locken könne. Thompson erarbeitete einen ganzen Katalog. Washington sollte

- Moskau einen Teilabzug amerikanischer und sowjetischer Truppen aus Mitteleuropa vorschlagen;

- neue Verhandlungen über den Nonproliferations-Vertrag, die friedliche Nutzung des Weltalls und eine Nonstop-Fluglinie Moskau - New York beginnen;

- amerikanische Kredite für das geplante sowjetisch-italienische Fiat-Werk in der Sowjet-Union'anbieten und

- aus der amerikanischen Embargo-Liste für den Osthandel Hunderte von Industriegütern streichen.

Dies alles offerierte Präsident Johnson in den letzten Wochen den Sowjets. Er trieb zur Eile - wegen Vietnam. Denn Hanoi glaubt offenbar unbeirrt, die Ausdauer der Amerikaner durch größere Ausdauer erschöpfen zu können.

Als US-Verteidigungsminister McNamara letzte Woche zum achtenmal Südvietnam inspizierte, forderten die Militärs eine Verstärkung der Truppen von 320 000 auf 400 000 Mann. Daheim in Washington ließ sich Ex-Präsident Eisenhower vernehmen, er würde, um Hanoi weich zu machen, »nichts automatisch ausschließen« - nicht den Einsatz von Atomwaffen und nicht die Ausweitung des Krieges nach Rotchina.

Johnson schnappte: »Es ist das leichteste Ding der Welt, sich in einen größeren Krieg mit anderen Nationen hineinzumanövrieren«, und traf sich mit Gromyko.

Der Sowjet-Außenminister, der Johnson zum erstenmal seit zwei Jahren besuchte, wollte aber über Vietnam nicht sprechen. An der Atom-Offerte zeigte er sich jedoch interessiert. Johnsons Abrüstungsexperte William C. Foster, ein Befürworter deutschen Atomverzichts, hatte einen Kompromißplan ausgearbeitet: Die USA wollen mit ihren Verbündeten nur noch, »ein genieinsames Management atomarer Angelegenheiten« vereinbaren, ihnen also nicht den von Bonn ursprünglich gewünschten physischen Mitbesitz an Atomwaffen gewähren.

Nach seiner Visite bei Rusk verließ Gromyko das State Department wieder durch den Keller. Diesmal konnte er den Reportern nicht entkommen. Seine Zwei-Minuten-Erklärung nach fünfstündigem Gesamt-Gespräch genügte, um Bonn zu alarmieren. Gromyko, entspannt und mit seltenem Lächeln im gramen Gesicht: »Es sieht so aus, als ob unsere beiden Länder ernsthaft um eine Übereinkunft (in der Frage der Nonproliferation) bemüht sind.«

Auch Kollege Rusk verbreitete vorsichtigen Optimismus: Die Unterzeichnung eines Abkommens sei zwar noch »in einiger Entfernung«. Jedoch: »Das Unterholz ist gelichtet.«

In dieser Woche nun wollen US-Abrüster Foster und sein sowjetischer Kollege in New York darangehen, Details für einen solchen Vertrag auszuarbeiten. Die Aussichten sind nicht mehr so schlecht wie bisher: Am vorletzten Montag machte die Moskauer »Prawda« einen eventuellen Frieden mit Vietnam erstmals nicht mehr vom vorherigen Abzug der amerikanischen Truppen abhängig.

Neuer amerikanischer Moskau-Botschafter Thompson: »Das Unterholz ist gelichtet«

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