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ÖSTERREICH / MITBESTIMMUNG Durch die Hintertür

aus DER SPIEGEL 12/1971

Österreichs Industriebosse bangen um ihre Macht. Sie wittern einen »Anschlag auf die freie Marktwirtschaft« und -- schlimmer noch -- fürchten, die westliche Gesellschaft sei dabei, »sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen« -- so »Die Industrie«, das offizielle Organ der Vereinigung Österreichischer Industrieller.

Der Grund für die Kassandra-Rufe: Wiens Sozialministerium hat einen Entwurf für die Neufassung des Betriebsrätegesetzes vorgelegt, der sich in den Augen österreichischer Industrieller als »Versuch der sozialistischen Minderheitsregierung« entpuppte, »die perfekte Mitbestimmung durch eine Hintertür in die Betriebe einzuschmuggeln«.

Schon gleich nach Amtsantritt des sozialdemokratischen Regierungschefs Bruno Kreisky hatte der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Anton Benya verkündet, die Westdeutschen hätten viel zuviel über die Mitbestimmung palavert. »In Österreich geht's ohne breite Diskussion«, versprach der Gewerkschaftsboß. »Wir nützen einfach das Betriebsrätegesetz.«

Tatsächlich sieht der Gesetzentwurf -- seine Autoren sitzen im Gewerkschaftsbund -- vor, den Betriebsräten weitgehende Mitbestimmungsrechte einzuräumen,

Denn das Mitspracherecht der Betriebsräte soll sich nicht mehr auf Fragen wie Überstunden, Arbeitspausen« Umschulung und Entlassungen beschranken. Vielmehr sollen die Unternehmer gegenüber dem Betriebsrat künftig verpflichtet werden,

* in monatlichen Konferenzen über alle Angelegenheiten zu informieren, die die Interessen der Arbeitnehmer unmittelbar berühren;

* laufend Auskunft über die wirtschaftliche Lage des Betriebes zu geben sowie über die Art und den Umfang der Produktion, des Auftragsbestandes und des Absatzes;

* regelmäßig Investitionsvorhaben, Rationalisierungspläne und beabsichtigte Betriebsveränderungen offenzulegen.

Diese vorherige Informationspflicht umfaßt auch Zusammenschlüsse mit anderen Firmen, Änderung der Betriebsorganisation und der Arbeitsmethoden im Unternehmen. Außerdem soll das Management dem Betriebsrat die notwendigen Erläuterungen für die Feststellung des Betriebsgewinns geben.

Besonders bedroht aber fühlen sich Österreichs Firmenchefs in ihrer unternehmerischen Freiheit durch Paragraph 14 des vorgeschlagenen Betriebsrätegesetzes. Danach soll dem Betriebsrat ausdrücklich das Recht zuerkannt werden, »dem Betriebsinhaber Anregungen und Vorschläge zu erstatten«, vor allem »bei der Erstellung von Wirtschaftsplänen (Erzeugungs-, Investitions-, Absatz- und anderen Plänen)«.

Bei Unstimmigkeiten mit der Unternehmensleitung kann der Betriebsrat (in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten) die Staatliche Wirtschaftskommission -- eine Schlichtungsstelle unter Vorsitz des Bundeskanzlers oder des Handelsministers -- anrufen. Diese Kommission ist dann berechtigt, »Maßnahmen gegen Unternehmen zu ergreifen, um eine den gesamtwirtschaftlichen Interessen entsprechende Wirtschaftsführung sicherzustellen«.

Durch die Gefahr einer derartigen »Sozialisierung der Verantwortung« (so die Vereinigung Österreichischer Industrieller) aufgeschreckt, suchten die rotweißroten Unternehmer sogleich Hilfe bei den Juristen. Ein Gutachten der österreichischen Rechtsanwaltskammer brandmarkt denn auch den Gesetzentwurf als verfassungswidrigen Eingriff in die Eigentums- und Erwerbsfreiheit.

Unerwartet sekundierten auch die Manager der verstaatlichten Industrien des Landes. Sie wollen ebenfalls auf die mitbestimmenden Betriebsräte verzichten.

Ein Privatunternehmer, der ungenannt bleiben wollte, resümierte: »Soll ich ein Objekt permanenter Erpressung werden?« Und weiter: »Soll ich etwa meinen 300 Arbeitern im Detail erzählen, wie ich das Finanzamt hintergehen möchte?«

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