PRESSE Echt falsch
Das Sommerfest des Hamburger Buchverlags Hoffmann und Campe wurde zum Tribunal. Im Garten unterschrieben zwei Dutzend Mitarbeiter bei Bier und Wein spontan einen Protest gegen »politische Zensur« im Hause.
Im Nu hatte sich herumgesprochen, daß Verleger Thomas Ganske, 36, ein fast fertiges Buch aus dem Verlagsprogramm gekippt hatte - eine Streitschrift des Hausautors Erich Kuby zum Illustrierten-Skandal um die gefälschten Tagebücher Adolf Hitlers. Buchtitel: »Der Fall ''Stern'' und die Folgen.«
Drei Tage später erklärte ein Teil der Belegschaft die »bislang liberale Programmpolitik« des Verlags für »gefährdet«. Auch 52 Hausautoren, von den Professoren Hoimar von Ditfurth und Kurt Sontheimer, den Romanciers Leonie Ossowski und Erich Loest bis zu Evelyn Künneke, Günter Gaus und (Blödel-)Otto Waalkes, protestierten gegen »einschneidende Einschränkungen der geistigen und literarischen Liberalität«.
Manche wollen fortan nicht mehr für Hoffmann und Campe schreiben. Starautor Siegfried Lenz ("Deutschstunde") allerdings winkte ab: Er wolle erst mit Ganske reden, weil er sich mit der Verlegerfamilie persönlich verbunden fühle.
Unerwartet und mit fast viermonatigem Nachklapp zum großen Presseschwindel, auf den der »Stern« ("Hitlers Tagebücher entdeckt") im Frühjahr hereingefallen war, schlug das Gespenst des Tagebuch-Führers noch einmal zu. Zum Opfer fiel ihm, nach dem Flaggschiff des Bertelsmanns-Konzerns (SPIEGEL 19/ 1983), diesmal ein Familienverlag, der seine ruhmreiche Firmentradition vor allem auf die Herausgabe von Heinrich Heines Werken gründet.
Im aktuellen Sachbuchprogramm plante Verlagsleiter Hans-Helmut Röhring, der nun wie Cheflektor Wolfgang Schuler gekündigt hat, den »Schnellschuß« über den »Fall ''Stern''« und die »Hitler-Süchtigkeit, die nur in diesem Land hat entstehen können« - wie er es Ganske im Mai, unter Hinweis auf Kubys Ablieferungstermin Anfang Juli, schriftlich gab. Der Verlagsinhaber fragte erst am 20. Juli wieder nach und macht jetzt geltend, das Manuskript sei ihm absprachewidrig vorenthalten worden, was Röhring bestreitet.
Was Ganske schließlich zu lesen bekam, empfand er als »Diffamierung und Herabwürdigung einzelner Personen und ganzer Personengruppen«. Der Verleger wollte solche Lektüre »nicht verantworten«; doch Kuby war bei einem Treffen in seinem Wohnort Venedig nur zu stilistischen, nicht aber zu substantiellen Änderungen bereit.
Die beiden lösten ihren Vertrag auf, und der Verleger übereignete dem Autor kurzerhand die schon gedruckten Bogen für 10 000 Bände, die nun im »Konkret«-Verlag erscheinen. _(Erich Kuby: »Der Fall ''Stern'' und die ) _(Folgen«. Konkret Literatur Verlag, ) _(Hamburg; 208 Seiten; 16,80 Mark. )
Dekorativ ist auf dem Titelbild der Verlagsname Hoffmann und Campe mit roten Balkenstrichen durchkreuzt, auf der Rückseite annonciert »Konkret": »Dieses Buch durfte im Hoffmann und Campe Verlag nicht erscheinen.«
Es ist ein Pamphlet, eine satte Schmähschrift gegen den »Stern« und dessen Gründer Henri Nannen - prall gespickt mit Invektiven, voller Geringschätzung für den Illustrierten-Journalismus, den der Autor selber ausgiebig betrieben hat: Kuby war 16 Jahre lang beim »Stern«.
Die Illustrierte ist für ihn nicht nur Hort von Opportunismus und Gesinnungslosigkeit, _(Heft 18/1983 mit den gefälschten ) _(Hitler-Tagebüchern. )
sondern auch Abbild einer braun gesprenkelten Republik: »Das ist das Land, das ist das große Magazin, wo die Nazi-Freunde blühen! Das ist auch das Land, wo sie in den Fernsehanstalten herumsitzen.« Laut Kuby gibt es »in der BRD einen nazistischen Sumpf": »Der Sauerteig Nazismus aktiviert die Gesamtbevölkerung in einem reaktionären Sinn.«
Solche Deutungen überwölbten ein Konglomerat von Verlags- und Blattinterna, »Stern«-Episoden und Kollegenklatsch - alles effektvoll zusammengefügt; so hätte es, ginge es nur um ein anderes Blatt, von Kuby fast auch im »Stern« stehen können.
Den Schlüssel für den »Stern-Hitler-Skandal« sieht Kuby in der politischen Orientierungslosigkeit des Blattes, die einer »aus den geschichtlichen Zusammenhängen herausgefallenen« Geschäftemacherei den geeigneten Boden für ihre großangelegte Hitler-Spekulation verschafft habe. Und die Schlüsselfigur? Henri Nannen, laut Kuby »Zwitterwesen zwischen Geld und Journalismus«.
Von solchen Herabsetzungen wimmelt es. Er, der Gründervater und langjährige Chefredakteur, ist für Kuby der »perfekte«, der »radikale Opportunist«, »ein ''Schwein''« - da er doch selbst gesagt habe, er müsse »das Schwein spielen, um den ''Stern'' zu retten« (weshalb Nannen ihn, Kuby, »kaum für diesen Ausdruck vor den Kadi zitieren« könne).
Gründer Nannen habe das Blatt, heute die größte deutsche Illustrierte mit fast acht Millionen Lesern, zu einer »Müllkippe für journalistische Belanglosigkeiten« gemacht, auf der er je nach Leserwünschen und Publikumsklima zunehmend auch politische Themen ausgestreut habe - ohne »gedankliche Klärung«, nur mit Hilfe seines »Geruchssinnes, oder wie man diese Sensibilität eines so vierschrötigen Mannes für gesellschaftspolitische Klimaschwankungen nennen will«.
Dieser »Hans Albers des Journalismus«, beseelt von »Ichbesessenheit«, »Erfolgsbesessenheit«, habe zwar politische Köpfe für den »Stern« geheuert, darunter etliche »Welt«-Redakteure auf der Flucht vor Axel Springer, dem »nationalistischen, an seiner Berlin-Meise schwer erkrankten Pressezaren«. Doch daraus habe sich dann lediglich eine »meinungsbildende liberale bis linksliberale Gruppe im Wildwuchs« geformt, ohne daß Nannen je »einem Leitgedanken, einem Konzept, einem Programm, irgendeiner durch Nachdenken vor sich selbst eingegangenen Verpflichtung zum Handeln in einer bestimmten Richtung« zugeneigt hätte. »Ach ja, der große Liberale Nannen, der Vorkämpfer für Recht und Freiheit«, meuchelt Kuby, »es gibt ihn nicht.«
Wohl gibt es für Kuby den Nannen mit dem »Bauch«, dem »antiintellektuellen Instinkt«, durch und durch ichbezogen. Seine Redaktion sei sowenig wie er selbst fähig gewesen, ihren »Kopf aufzuräumen«. Kuby: Ist »die Innenstruktur des SPIEGEL ... aus Beton«, so die des »Stern« aus »Schaumgummi«.
Dem Charakter Nannens schreibt es Kuby zu, daß die Motivationsgeschichte des Nationalsozialismus im »Stern« nie »ernsthaft angefaßt« worden sei - wie Nannen selbst es einmal gefordert habe. Statt dessen habe es Nannen in seinen Kolumnen immer wie Nannen gehalten: Ich und der Nationalsozialismus, ich und der Holocaust - »als sei es nicht wahrhaft scheißegal, wie Nannen, Müller, Huber« dazu gestanden haben, so Kuby: »Dieses ''Ich'' dem Versagen eines ganzen Volkes, dem verbrecherischen Verhalten der meisten seiner Wirtschaftsbonzen entgegenzustellen, dazu gehört allerhand.«
Und: »Mit diesem ''Ich''-Bewußtseinsstand beugten sich die Beteiligten, beugte sich auch Nannen ... später über ein Machwerk, das ihnen als die unbekannten Tagebücher Hitlers vorgelegt worden war« - eine Version, die zu den originelleren Deutungen der Redaktionspanne zählt, aber den Kern nicht trifft.
Nicht Nannens Egozentrik hat den »Stern« in den Schlamassel gebracht, sondern die konspirative Kumpanei zwischen Verlagsspitze und den »Hitler«-Fahndern in der Redaktion. Die unzulängliche Prüfung der falschen Führer-Kladden machte später auch Aufsichtsratschef Reinhard Mohn »fassungslos«.
Aber wie Kuby auf Namen fixiert ist, so ist er auch fixiert auf die nach seiner Meinung faschistoide Entwicklung in der Bundesrepublik. Dabei hält er dem Illustrierten-Gründer nicht einmal die Vergangenheit vor: Henri Nannen hat, das ist bekannt, in NS-Blättern einst die »Erneuerung des deutschen Menschen« als »das Werk des Führers« bejubelt. Doch es sei »unstatthaft und kindisch, ihn heute mit der Elle« dieser Artikel zu messen.
Der Fall der falschen Hitler-Tagebücher liege komplizierter, er beruhe im Grunde auf einer kollektiven »politischen Ignoranz in der Bundesrepublik«. Denn nicht einmal der »Sympathien für Hitler verdächtige Figuren« gebe es unter den Verantwortlichen für den »Stern«-Skandal, mal abgesehen von Reporter Gerd Heidemann, der als Beschaffer der Annalen »im Mythos des Nationalsozialismus gewissermaßen ertrunken« sei.
Den aber treffe mit dem Verdacht, ein paar Millionen vom Kaufgeld für die Tagebücher in die eigene Tasche gesteckt zu haben, ein eigentlich viel harmloserer Vorwurf als die Strategen der Vermarktung in Chefredaktion und Verlag. Ihr »politisches Delikt« nämlich, Hitler »dem Volk wie eine Delikatesse«
zu servieren, »Rezepte für die Umschreibung der NS-Geschichte« mit Hilfe des »sich selbst rechtfertigenden Hitler« zu liefern, sei auf eine aktive Förderung »pronazistischer Tendenzen« hinausgelaufen.
Auch die Redaktion im ganzen, »ein Mikrokosmos der gehobenen Gesellschaft«, habe nichts dagegen gehabt, zwecks Auflagensteigerung »dem braunen Affen Zucker zu geben«, solange die Tagebücher für echt gehalten wurden. Sie akklamierte ihren Chefs - beispielsweise »für eine unter Bundesbürgern weitverbreitete Blindheit«.
Nicht anders bewertet Kuby die Verlagsmanager: Der eine, Manfred Fischer, seinerzeit Vorstandsvorsitzender im »Stern«-Verlag Gruner + Jahr, empfand es - da zitiert Kuby die »Bild«-Zeitung - beim Durchblättern der vermeintlichen Hitler-Tagebücher als »ein geradezu sinnliches Erlebnis, so ein Ding in der Hand zu haben ... Diese Gewißheit - das Tagebuch hat DER geschrieben ... schon der Glaube daran war ein Teil der Faszination ... Es war doch wie eine Gruppenpsychose«.
Dem anderen, Fischer-Nachfolger Gerd Schulte-Hillen, sei es dagegen »völlig gleichgültig ... womit er Geschäfte macht, mit Autoreifen, mit Fernsehgeräten oder mit Hitler«.
»Schwer zu sagen«, sinniert Kuby, »ob der Schulte-Hillen-Typ, der angeblich unpolitische, die gefährlichste Schwach- und Bruchstelle in bundesdeutscher Wirklichkeit ist oder der Typ Dr. Manfred Fischer, der seinen Autor Hitler verinnerlicht hat«, obwohl der heute Fünfzigjährige noch ein Kind gewesen sei, als das Dritte Reich zerschlagen wurde.
Immerhin habe Fischer das »verlegerische und journalistische Komplott« mit dem Faszinosum Hitler als damaliger Vertrauensmann von Bertelsmann-Inhaber Mohn geschmiedet. So kam denn die Nation in die Lage, die »Herren Mohn, Fischer, Schulte-Hillen, Nannen ... in solcher Kameraderie mit ''unserem Bruder Hitler'' werkeln zu sehen«.
An diesen Passagen des Kuby-Buches übrigens hatte Verleger Ganske Anstoß genommen, nicht etwa an der Beurteilung Nannens. Es sei ihm »um die Unterlassung einiger weniger diffamierender Sätze« gegangen, schrieb Hoffmannund-Campe-Autor Manfred Bieler ("Der Bär") am Freitag letzter Woche in der »FAZ«. Der Romancier distanzierte sich vom Zensur-Vorwurf seiner Autoren-Kollegen: »Man hüte sich, politische Verantwortung als Zensur-Maßnahme zu denunzieren.«
Kuby hingegen behauptet, Ganske habe »keine einzige Stelle genannt, die geändert werden müßte«, so daß »man der Sache nicht auf den Grund kam": Für das schnell geschriebene Buch - Kuby hatte dafür nur drei Wochen gebraucht - fand sich auch schnell ein neuer Verlag.
So können »Stern«-Leute nun im »Konkret«-Buch lesen, was Kuby ihrem Blatt nachruft: »Das Image des ''Stern'' ist zerbrochen.« Und manche von ihnen werden in dem Urteil des Ex-Kollegen wohl nur die verschärfte Bewertung von Vorwürfen sehen, die es noch immer aus den eigenen Reihen hagelt - obwohl beim »Stern« längst eine neue Redaktionsleitung unter Führung von Peter Scholl-Latour amtiert, der »kleineren Kröte« (Kuby) aus dem verhinderten Duo mit Johannes Gross.
In Kürze will der »Stern« mit dem Abschlußbericht einer hausinternen Untersuchungskommission unter Federführung des Kölner Rechtsprofessors Ulrich Klug herauskommen. Akribisch, auf 300 Seiten, wurden die Abläufe des Tagebuch-Skandals noch einmal nachgezeichnet, eine geraffte Fassung soll veröffentlicht werden.
Festgehalten ist, wie Ex-Vorstandschef Fischer und sein Stellvertreter Jan Hensmann die Beschaffung der Hitler-Bände an der Redaktion vorbei eingefädelt und finanziert hatten. Und in der Redaktion, so das Ergebnis, war Ressortleiter Thomas Walde von Anfang an über Heidemanns Kontakte zu dem Stuttgarter Tagebuch-Lieferanten »Fischer« informiert, dessen wahre Identität als Konrad Kujau ihm allerdings - wie angeblich auch Heidemann selbst - bis zuletzt verborgen blieb.
Sind die »Stern«-Recherchen in eigener Sache damit beendet, so schwillt derweil die Ermittlungsakte der Hamburger Staatsanwaltschaft im »Adolf-Skandal« ("Zeit") immer weiter an - auf jetzt schon 2000 Blatt. Neue Peinlichkeiten für den »Stern« und seinen Verlag Gruner + Jahr sind bereits absehbar.
Wirft Kuby beispielsweise dem »Märchenerzähler« Heidemann die Erfindung einer Geldübergabe an Kujau in der DDR, nachts auf der Transitautobahn, vor, so behauptet die Heidemann-Verteidigung, der Reporter sei zu dieser DDR-Version aus Verlagskreisen inspiriert worden.
Weniger strittig als diese Episode ist die gemeinsame Absprache in der Hausspitze, die Tagebuch-Beschaffung durch eine erfundene Heidemann-Recherche zu tarnen: die Suche nach dem angeblich noch lebenden NS-Reichsleiter Martin Bormann. Der Reporter trieb die Groteske dann soweit, daß er bei der Seitengestaltung für die erste »Tagebuch«-Veröffentlichung zum Telephon ging, eine Nummer wählte und hörbar für Anwesende in die Muschel sprach: »Martin, wir haben zwölf Doppelseiten.«
Kuby kann eine gewisse Wertschätzung für Heidemann, der ihm etliche seiner »Stern«-Beiträge recherchierte, nicht leugnen. Bis heute ist er von der Echtheit angeblicher Bormann-Photos aus jüngerer Zeit überzeugt, die Heidemann aus Südamerika beschaffte.
Daß der »Stern«-Kritiker so gut über Heidemanns emsigen Umgang mit alten Nazis Bescheid weiß, spricht für die Doppelbödigkeit der Affäre samt ihrer Aufarbeitung durch Kuby. Der Autor war nämlich selber mit Heidemanns Hilfe noch 1979/80 einer »Sensation« (Kuby) auf der Spur: einer angeblichen Geheimkorrespondenz, die Winston Churchill und Benito Mussolini während des Krieges geführt hätten.
Es war ein echter Heidemann: Die beschafften Dokumente erwiesen sich als Fälschungen. _(Auf seiner Jacht »Carin II« ) _((Vorbesitzer: Reichsmarschall Göring). )
Erich Kuby: »Der Fall ''Stern'' und die Folgen«. Konkret LiteraturVerlag, Hamburg; 208 Seiten; 16,80 Mark.Heft 18/1983 mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern.Auf seiner Jacht »Carin II« (Vorbesitzer: Reichsmarschall Göring).