USA / KENNEDY-CLAN Eddie und Teddy
Mit einem Ruck fuhr die Fernsehkamera auf das Gesicht des Kandidaten zu. Erbarmungslos hielt sie jede Regung im Antlitz des jungen Mannes fest, während sein Rivale zu einem giftigen Angriff ausholte.
»Was können Sie denn eigentlich vorweisen«, stichelte der Rivale. »Sie haben niemals gearbeitet, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie haben nie ein Amt bekleidet, in das man gewählt werden muß. Sie kandidieren nicht etwa, weil Sie sich qualifiziert haben.«
»Sie stellen sich zur Wahl«, höhnte der Angreifer um eine Oktave höher, »weil Sie ein einziges Schlagwort haben: 'Er kann für Massachusetts mehr erreichen.' Das ist der beleidigendste Wahlschlager, den ich jemals gehört habe. Denn er besagt: 'Wählt diesen Mann, weil er Einfluß, Beziehungen und Verwandte hat.'«
Zweimal öffnete der Kandidat den Mund zu einer heftigen Replik, doch zweimal bezwang er sich wieder: »Wir wollen hier nicht über Persönlichkeiten oder Verwandte reden.«
Schnaubte der Angreifer zurück: »Wenn Sie nur Edward Moore hießen, dann würde ich Ihre Kandidatur bei den Voraussetzungen für einen Witz halten. Aber Sie heißen ja Edward Moore Kennedy!«
Das wütende Rededuell in der Aula der South Boston High School verriet Ende August die Leidenschaft, mit der Edward ("Eddie") McCormack, der 38 jährige Generalstaatsanwalt von Massachusetts, die eingeschriebenen Wähler der Demokratischen Partei dieses US-Staates dazu aufputschen will, den von der Partei bereits zum Senatskandidaten nominierten Präsidenten-Bruder Edward ("Teddy") Kennedy, 30, in den Vorwahlen am Dienstag dieser Woche wieder abzuwählen.
Demokrat McCormack, der selber den Washingtoner Senatsposten erstrebt, hat der republikanischen Oppositionspartei mit seiner Kampagne einen willkommenen Wahlschlager geliefert, der eine besondere Schwäche der demokratischen Regierung widerspiegelt: den Ämterhunger der Familie Kennedy.
Angesichts der Brüder John Fitzgerald Kennedy (im Weißen Haus) und Robert Francis Kennedy (im Washingtoner Justizministerium) muß in der Tat der politische Aufstieg des dritten Kennedy-Bruders Edward den Verdacht nähren, die irische Geldfamilie aus Boston habe den Ehrgeiz, eine politische Dynastie zu begründen, die das Weiße Haus unausgesetzt okkupieren soll.
Die drei Brüder sind für die amerikanische Öffentlichkeit bereits zu einem solchen Team zusammengewachsen, daß jeder Erfolg oder Mißerfolg des Jung-Politikers Teddy die Kennedy-Administration empfindlich berühren muß:
- Setzt sich Bruder Edward in Massachusetts durch, so sind die Republikaner eines zugkräftigen Wahlschlagers ("Nepotismus") sicher.
- Scheitert Edward, so wird seine Niederlage zugleich das Prestige der beiden regierenden Brüder John und Robert lädieren.
Diese Zwangslage hatten viele Berater des Präsidenten vorausgesehen und daher John F. Kennedy geraten, er möge seinem politisch wenig erfahrenen Bruder von dem Sprung in das ehrwürdigste Gremium amerikanischer Politik, den Senat, abraten.
»Teddys Kandidatur ist eine Herausforderung des Senats«, klagte ein Komitee demokratischer Honoratioren, während der demokratische Harvard -Professor Howe an 4000 Kollegen schrieb: »Edward Kennedys akademische Karriere ist mittelmäßig. Seine politische Laufbahn ist so gut wie nicht existent, seine Kandidatur unsinnig.«
Nahezu jedes Gebot politischer Klugheit sprach gegen die Kandidatur:
- Teddy-Gegner Eddie McCormack ist
der Lieblingsneffe des kinderlosen Demokratenführers John W. McCormack, Sprecher des Repräsentantenhauses - eine Niederlage Eddies aber würde den wichtigsten parlamentarischen Helfer des Präsidenten gegen die Regierung aufbringen;
- das Hickhack der Demokratenfamilien Kennedy und McCormack könnte die Demokratische Partei von Massachusetts spalten und den Verdacht erhärten, der Präsident wolle mit seinen Machtmitteln einem politisch dilettierenden Verwandten das Tor zum Senat aufsprengen.
Selbst der Präsident teilte anfangs solche Bedenken, aber sie verflogen vor der eigensinnigen Kampfeslust des Clan-Ältesten: Exbotschafter Joseph P. Kennedy, Vater der drei Brüder, hatte schon vor Jahren festgelegt, ein Kennedy müsse stets Senator von Massachusetts sein.
Diesem Ehrgeiz hatte er alle politische Energie gewidmet, seit sein Schwiegervater, der Bostoner Bürgermeister John ("Honey Fitz") Fitzgerald, 1916 bei einer Senatswahl dem Republikaner Henry Cabot Lodge unterlegen war. Von Stunde an gab es keine Ruhe im Kampf der Sippen Kennedy und Cabot Lodge.
1952 erlebte Daddy seinen großen Triumph: Sein zweitältester Sohn John F. Kennedy schlug den Sohn des republikanischen Siegers von 1916 und zog als Senator für Massachusetts in den Washingtoner Senat ein.
Als der Senator schließlich 1961 sein Amt mit der Präsidentenwürde vertauschte, hielt Daddy einen neuen Nachfolger nach seinem Geschmack bereit. Familienfreund Benjamin Smith wurde Johns Ersatzmann bis zur nächsten Wahl im November 1962, in der wiederum ein Kennedy kandidieren sollte. Daddy hatte dafür zunächst Bobby ausersehen; als der aber ins Justizministerium zog, blieb nur noch Sohn Edward übrig.
Vater drängelte so lange, bis die beiden regierenden Söhne in Washington ihren Widerstand gegen Teddys Kandidatur aufgaben. Wohl beteuerte der Präsident in der Öffentlichkeit, er werde seinem Bruder im Kampf um den Senatsposten nicht beistehen, aber bald sammelte sich in Massachusetts der alte Wahlkampf-Stab, der schon John Fitzgerald Kennedy zum Sieg geführt hatte.
Je eifriger aber die Wahlhelfer Teddys in Massachusetts ausschwärmten, um die Delegierten für den bevorstehenden Parteitag der Demokraten zu bearbeiten, desto fleißiger sammelte Kennedy-Rivale Edward McCormack eidesstattliche Angaben, mit denen er beweisen will, daß die Kennedys in Washington mit fragwürdigen Mitteln die Gegner Teddys in Massachusetts einzuschüchtern versuchten.
So hielt Eddie in seinen Akten fest, daß besonders einflußreiche McCormack -Anhänger einer auffällig strengen Steuerprüfung durch Bundesorgane unterzogen und 52 freie Postmeisterstellen in Massachusetts, die nur der Präsident vergeben kann, widerspenstigen McCormack-Freunden für den Fall eines Gesinnungswandels versprochen wurden.
Dieses Material schien Eddie wirkungsvoll genug, sich auf eine Rolle zu präparieren, die bisher in der amerikanischen Politik fast immer Erfolg verhieß: die Rolle des »underdog«, des armen Mannes, der ohne jede Hoffnung auf Erfolg seinen Kampf gegen die Großen dieser Welt führt.
Zur gleichen Zeit, da McCormack öffentlich Onkel John in Washington vor jeder Einmischung in den Wahlkampf warnte, forderte Eddie seinen Rivalen Kennedy zu Fernsehgesprächen heraus, in denen er seine größere politische Erfahrung - er wurde dreimal zum Generalstaatsanwalt gewählt, Edward Kennedy aber hat noch nie ein politisches Amt bekleidet - gegen den reichen Polit -Eleven rücksichtslos ausspielte und die in vielen Amerikanern schlummernden Ressentiments gegen die allzu reichen und allzu vielen Kennedys aufputschte.
Zwar konnte er nicht verhindern, daß die demokratischen Parteihonoratioren Ende Juni den Bruder des Präsidenten zum Senatskandidaten nominierten, dennoch darf McCormack hoffen, daß ihm viele Demokraten in der Vorwahl am 18. September den Vorzug geben werden.
Spottete Eddie McCormack: »Ich versuche ja nur, den Präsidenten vor dem größten Wahlschlager zu schützen, den die Republikaner in die Hand bekommen können. Und das ist doch wohl ein patriotischer Dienst.«
Senatskandidat Kennedy
Vom Vater gefördert
Rivale McCormack
Vom Onkel gestützt