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WALFANG / ONASSIS Ei, ei, Peer Gynt!

aus DER SPIEGEL 7/1956

Der Welt kühnste und geschickteste Walfänger sind Norweger. Ein guter Harpunier aus der Nachkommenschaft der Wikinger fährt nach einer winterlichen Fangsaison oft mit mehr als 100 000 Mark Heuer nach Sandefjord zurück. Sandefjord ist ein kleiner Ort an der norwegischen Küste des Skagerrak, der für das Gewerbe des Walfangs eine Tradition und Bedeutung hat, wie Nürnberg für die Spielzeug-Industrie.

In ihre - oft luxuriös eingerichteten - Häuser am Strand von Sandefjord dürfen die Walschützen allerdings nur zurück, wenn sie für eine norwegische Walfang-Gesellschaft gearbeitet haben: Nach dem Kriege erließ die Regierung in Oslo ein Gesetz, das jedem norwegischen Harpunier bei Strafe der Ausbürgerung und Einziehung seines Vermögens verbietet, im Auftrag ausländischer Gesellschaften Wale zu schießen.

Das Gesetz, das Norwegens Walschützen vor der »Abwerbung« bewahren will, soll den norwegischen Walfang vor Konkurrenz schützen. Norwegen steht mit sieben schwimmenden Kochereien, 113 Fangbooten und fünf Landstationen vor den Ländern des britischen Commonwealth und Japan an der Spitze jener 17 Nationen, die im Jahre 1946 einer internationalen »Walfang-Konvention« beigetreten sind.

Konkurrenz erwarteten die Norweger vor allen Dingen von deutschen Fängern. Vor dem Kriege war Deutschland an der Walölgewinnung in der Welt mit etwa 15 Prozent beteiligt. England und Norwegen sorgten dafür, daß im Potsdamer Abkommen von 1945 den Deutschen der Walfang verboten wurde.

Mit dem Verbot der »Abwerbung« norwegischer Harpuniere tat Oslo noch ein übriges, um zu verhindern, daß deutsche Fangboote, auf denen vor dem Kriege viele Männer aus Sandefjord an der Harpune gestanden hatten, wieder auf den Weltmeeren erscheinen. Als 1949 deutsche Reeder planten, wieder eigene deutsche Walfang-Expeditionen auszurüsten, drohten norwegische Reeder und Seemannsgewerkschaften gemeinsam mit Boykott*.

Aber statt der deutschen Konkurrenz erschienen alsbald die unter panamesischer Flagge fahrenden Schiffe des griechischargentinischen Tankerkönigs und Milliardärs Aristoteles Sokrates Onassis in der Antarktis. An den meisten Harpunen-Kanonen standen - durch hohe Fang-prämien gelockt - norwegische Harpuniere, denen die Heuer, die Onassis zahlte, mehr wert war als die norwegische Staatsangehörigkeit.

Die Norweger erwarben wie ihr Reeder eine süd- oder mittelamerikanische oder auch die südafrikanische Staatsangehörigkeit und hatten dabei noch den Vorteil, weniger Steuern als in der Heimat zu zahlen. Offiziere und Mannschaften des Mutterschiffes der Onassis-Fangflotte, der »Olympic Challenger« (Olympischer Herausforderer), und der 16 Fangboote sind vorwiegend deutsche Seeleute.

Nachdem es bereits im November 1954 zu regelrechten Seeschlachten zwischen der Onassis-Flotte und peruanischen Kriegsschiffen gekommen war (SPIEGEL 48/1954)

- die Peruaner hatten einen 200 Seemeilen

breiten Wasserstreifen vor ihrer Küste zum Hoheitsgewässer erklärt und in dieser Zone einige Schiffe der Onassis-Reederei gekapert -, schossen nun die norwegische Regierung und der »Norwegische Walfang-Verband« (Norges Hvalfangstforbund) eine papierene Harpune gegen den »Olympischen Herausforderer« ab.

Mitte Januar reichten sie bei der »Internationalen Walfang-Kommission« in London eine umfangreiche vertrauliche Denkschrift ein, in der Onassis mit massiven Argumenten beschuldigt wird, die »Internationale Walfang-Konvention« von 1946 verletzt und dadurch illegale Gewinne von rund 62 Millionen Kronen (36,4 Millionen Mark) erzielt zu haben. Er habe sich mithin auf unfaire Weise bereichert.

Die Konvention verpflichtet die am Walfang beteiligten Nationen, die Grenzen bestimmter Jagdgebiete und festgelegte Schonzeiten einzuhalten, beschränkt die Jagd auf Tiere bestimmter Größe und verbietet den Abschuß gewisser seltener Walarten.

Die norwegische Regierung beschuldigt nun den Onassis, alle diese internationalen Vereinbarungen mißachtet zu haben, und belegt ihre Behauptungen mit statistischen Tabellen und mit Photokopien von Fang-Meldungen, die in der Zahlmeisterei des Mutterschiffes der Onassis-Fangflotte zusammengestellt wurden und vom 1. Ingenieur W. Wegner und dem Chemiker Dr. Bühr unterzeichnet sind.

In der norwegischen Denkschrift heißt es etwa: »Die Olympic Challenger' hat im Raum von Peru in der Zeit vom 29. August bis 15. November 1954 Walfang betrieben... Laut den Berichten, die von den panamesischen Inspektoren der Statistischen Abteilung der Internationalen Walfang-Kommission* erstattet worden sind, wurden im Raum von Peru 2348 Spermwale gefangen... Demgegenüber ergibt sich..., daß die ,Olympic Challenger' tatsächlich in der genannten Zeit 4648 Wale erbeutet hat, darunter 580 von der verbotenen Gattung der Bartenwale«, die nur in der Antarktis gejagt werden dürfen. »Von den erbeuteten 4068 Spermwalen waren nicht weniger als 3922, das sind 96,4 Prozent, unter der vorgeschriebenen Größe.«

In der Antarktis habe die Onassis-Flotte, so behaupten die Norweger, in der Fangsaison 1954/55 folgende Bestimmungen der internationalen Konvention übertreten:

* Die Jagdsaison begann am 7. Januar 1955

und endete am 19. März - die Norweger behaupten: »Die Olympic Challenger' begann mit der Jagd bereits am 5. Januar und setzte sie bis zum 29. März, also noch zehn Tage nach Ablauf der Frist, fort.«

* »Obgleich die Jagd auf Blauwale in der

Zeit vom 7. bis 21. Januar verboten war, wurden von der ,Olympic Challenger' in der ganzen genannten Periode Blauwale eingebracht.«

* »Der Fang von Buckelwalen war nur

vom 1. bis 4. Februar gestattet; außerhalb dieser Periode fing die Onassis-Flotte 759 Buckelwale.«

* »Insgesamt wurden außerhalb der erlaubten Jagdzeiten 366 Blauwal-Einheiten aufgebracht.«

Während die panamesischen Inspektoren der Internationalen Walfang-Kommission in ihren Berichten nur 30 erlegte Tiere unter Mindestgröße aufzählten, weist der Bericht der Norweger nach, daß die Onassis-Flotte 276 solcher Tiere erlegt und verarbeitet hat. »Es kommt zwar auch sonst vor, daß Tiere unter der vorgeschriebenen Größe infolge falscher Berechnungen der Fangmannschaft erlegt werden«, heißt es in der norwegischen Klageschrift, »aber es läßt sich wirklich nicht behaupten, daß der hohe Prozentsatz von Walen unter Mindestgröße, die in der letzten Saison von der ,Olympic Challenger' (bei den im Raum Peru erlegten Spermwalen 96,4 Prozent) gefangen wurden, nur auf Fehlberechnungen beruht... Bei den 18 anderen Flotten, die an der Saison teilnahmen, betrug der Prozentsatz der gefangenen Tiere unter den vorgeschriebenen Größen im Durchschnitt 3,7 Prozent bei den Blauwalen, 1,9 Prozent bei den Finnwalen und 1,2 Prozent bei den Buckelwalen.«

Besonders aggressiv wendet sich der Bericht gegen die beiden amtlichen Inspektoren, die an Bord des Mutterschiffes die Fangergebnisse überwachten. Die Norweger behaupten, daß die panamesischen Beamten den Fang von Tieren amtlich bestätigten, die überhaupt nie erlegt worden waren, um so jene Walölmengen statistisch zu verstecken, die durch illegale Jagd gewonnen wurden. Der Bericht schließt mit der Feststellung: »Fast die Hälfte... von der Gesamtmenge an Wal- und Spermöl, die von der Onassis-Flotte 1954 vor Peru und 1954/55 in der Antarktis erzeugt wurde, entfällt auf Wale, die unter Verletzung geltender Bestimmungen erbeutet wurden.«

Die norwegische Regierung fordert in ihrer Denkschrift die Unterzeichner-Mächte der internationalen Walfang-Konvention von 1946 auf, gegen die Onassis-Flotte vorzugehen. Großbritannien und Japan haben sich der norwegischen Auffassung bereits angeschlossen.

Schon Ende vergangenen Jahres legte der norwegische Botschafter in Washington, Morgenstierne, auch dem amerikanischen Außenminister John Foster Dulles das Gutachten seiner Regierung vor, um auch die Vereinigten Staaten zu einem Schritt gegen Onassis zu veranlassen.

Die USA haben zwar die Walfang-Konvention unterschrieben, jedoch nach dem

Kriege keine eigenen Expeditionen mehr ausgerüstet. Trotzdem erwägt das State Department, sich dem norwegischen Protest anzuschließen, vielleicht, weil Onassis auf anderen Gebieten - der Tankschifffahrt - den Amerikanern Konkurrenz bietet.

Am Ende bleibt die Frage, wie es den Norwegern gelungen ist, die belastenden Dokumente aus der Zahlmeisterei der »Olympic Challenger« zu beschaffen, deren Photokopien ihrem Bericht beigelegt sind. Und an diesem Punkt der Geschichte werden nun auch die Geschäftspraktiken der Norweger äußerst fragwürdig.

Für eine westliche Demokratie - zu denen sich Norwegen rechnet - ist es bereits ein zumindest sonderbares Unterfangen, ein Gesetz zu erlassen, das die Freizügigkeit einer bestimmten Berufsgruppe - in diesem Fall der Harpuniere - einschränkt. Noch fragwürdiger müssen

die Praktiken der norwegischen Regierung bei der Zulassung von Ausnahmefällen anmuten.

Als Onassis 1950 in das internationale Walfanggeschäft einstieg, heuerte er etwa zehn Norweger als Schützen seiner Walfangboote an, darunter den in ganz Norwegen und auf allen Weltmeeren bekannten Lars Andersen, der zum Fangleiter der ersten Onassis-Expedition ernannt wurde. Andersen nahm die argentinische Staatsbürgerschaft an.

Wie weiland seinen Vetter Peer Gynt packte den Lars Andersen jedoch, nachdem er mehrmals auf Onassis-Schiffen die Erde umsegelt und dabei schönes Geld verdient hatte, das Heimweh nach Solveig und den nordischen Gestaden. Seit

einiger Zeit lebt Andersen nun wieder in seiner alten Heimat, und zwar völlig ungeschoren. Er hat die norwegische Staatsangehörigkeit noch nicht wiedererlangt, aber die Regierung hat ihm ein Aufenthaltsvisum gegeben. Eine Strafverfolgung gegen ihn ist nicht eingeleitet worden, obgleich das Gesetz mit der Beschlagnahme des Besitzes droht, wenn sich ein norwegischer Harpunier von ausländischen Walfanggesellschaften anheuern läßt.

Auch der eine oder andere der norwegischen Harpuniere, die bei Onassis illegal Wale geschossen haben und deshalb aus ihrer Heimat verstoßen wurden, ist inzwischen nach Sandefjord zurückgekehrt oder hat zu erkennen gegeben, daß er heimkehren möchte. Die Regierung zeigte sich in allen Fällen gern bereit, den Landesgesetzen nicht Genüge zu tun.

Der Sachverhalt erlaubt den Schluß, daß sich die Harpuniere von der ihnen nach dem norwegischen Gesetz zustehenden Strafe freigekauft haben, indem sie sich Geschäftsdokumente ihres Reeders illegal aneigneten und darüber hinaus der norwegischen Regierung über ihre eigenen illegalen Fangmethoden berichteten, die jetzt dem großen Walfang-Konkurrenten Norwegens, Onassis, zur Last gelegt werden.

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