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Affären Eigene Kappe

Zu Unrecht geriet ein ehemaliger Kanzleramtsreferent in Verdacht, ein Stasi-Topagent gewesen zu sein.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Juliane Weber, Wachhabende im Vorzimmer des Kanzlers, sprach von »Schweinerei übelster Sorte«. Wenn es denn überhaupt nach Günter Guillaume einen zweiten Kanzlerspion gegeben habe, befand Helmut Kohls engste Vertraute, »dann war es der nicht«. Thomas Gundelach half dieser Freispruch allerdings wenig. Der engste Mitarbeiter des früheren Staatsministers im Kanzleramt und späteren Bundestagspräsidenten, Philipp Jenninger, mußte an den Pranger.

Wichtigtuerisch hatte die Zeit vorvergangene Woche einen »Topinformanten« des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Kanzleramt ausgemacht - in Jenningers Büro. Die Springer-Presse stieß nach, offenbarte erst die klassischen Agenten-Merkmale »Alkohol- und andere Probleme« des Verdächtigen (Welt) und schließlich seinen Namen samt Konterfei (Bild am Sonntag).

Am vorigen Dienstag wurde Gundelach von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) in seiner Bonner Wohnung abgeholt und fünf Stunden lang bei Kaffee und Zigaretten in der Meckenheimer Staatsschutz-Stelle »angehört«. Die Ermittler fanden zwar keine Belege für einen Spionageverdacht, erhielten aber interessante Einblicke in die Bonner Regierungszentrale des Jahres 1984.

Offenherzig schilderte Gundelach, welche Rolle er damals in der Deutschlandpolitik spielte: Der zuständige, allerdings nicht für übermäßigen Arbeitseifer bekannte Staatsminister Jenninger (Spitzname: »Don Philippo") gab ihm großen Spielraum. Deutsch-deutsche Politik wurde in diesen Tagen im Kanzleramt von Gundelach betrieben. So erklärte sich auch, daß er plötzlich nach Jahr und Tag als Agent verdächtigt wurde.

Ausgelöst hatte den Verdacht ein als »streng geheim« deklariertes 14-Seiten-Papier des Stasi-Ministers Erich Mielke vom 6. August 1984 zur Vorbereitung des Bonn-Besuchs von Erich Honecker, das der frühere DDR-Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski mit in den Westen brachte. Es gibt detailliert Aufschluß über die zu erwartende Verhandlungslinie der Bonner Regierung. Die Zeit schloß daraus, daß ein Stasi-Spion bei Jenninger gesessen haben müsse, und stellte die rhetorische Frage: »Sollte es nur ein Zufall sein, daß nach dem Wechsel Jenningers ins Bundestagspräsidium der Topinformant der DDR nichts mehr zu berichten hatte?«

Gundelach wehrte sich gegen den Zeit-Kurzschluß und schilderte dem BKA ausführlich seine Kontakte zu Schalck, über den damals »die wirkliche Politik« gelaufen sei. Jenninger und er hätten Schalck im April 1984 in Niederschönhausen kennengelernt; man habe auch telefonisch engste Verbindung gehalten, mal wegen der Überfüllung der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin mit Republikmüden, mal wegen des zweiten Milliardenkredits für die DDR.

Der Jenninger-Referent, damals 34 Jahre alt, gestand den staunenden Ermittlern, er habe schon mal auf eigenes Risiko gehandelt.

An einem Freitagnachmittag im Juli 1984, als sein Chef schon ins Wochenende gefahren war und nicht mehr zu erreichen gewesen sei, habe sich Schalck von Jugoslawien aus bei ihm gemeldet und eine schriftliche Bestätigung der bis dahin nur mündlich gegebenen Garantiezusage für den zweiten Milliardenkredit verlangt. Der Devisenbeschaffer habe gedroht, aus den im Gegenzug verabredeten humanitären Erleichterungen würde nichts, falls er nicht sogleich eine verbindliche Erklärung erhalte. »Das geht dann«, so Schalck damals laut Gundelach, »alles über den Jordan.«

Doch für den Devisentransfer in das Ostblockland mußte die Bundesbank ihr Plazet geben. »Die haben mir«, so Gundelach, »an einem Freitagnachmittag was gehustet.« Also handelte der Referent »auf eigene Kappe« und sandte ein Telex an das Ost-Berliner Ministerium für Außenhandel: Mit dem Kredit gehe alles klar. Schalck dankte verbindlichst aus Jugoslawien. Die fünfseitige Erklärung, die Jenninger am 25. Juli 1984 zum Deal abgab, hatte Gundelach für ihn aufgeschrieben.

Drei Monate später war es vorbei mit der Deutschlandpolitik des Persönlichen Referenten: Jenninger wurde zu Höherem, zum Präsidenten des Bundestages, berufen. Gundelach blieb an seiner Seite, nicht ohne Schalck vorher eine Nachricht zukommen zu lassen: Am 27. Oktober übergab der Jenninger-Gehilfe der Ehefrau Schalcks in Berlin ein sogenanntes Nonpaper, in dem er die DDR-Seite zu beruhigen trachtete, daß auch nach seinem Weggang die Kontinuität in der Politik des Kanzleramtes gewahrt bleibe.

Heute lebt Gundelach von der Arbeitslosenunterstützung. Sein Chef Jenninger ist mittlerweile Botschafter in Wien. Als Bundestagspräsident stürzte er 1988 über eine Rede zur 50. Wiederkehr der Reichskristallnacht, die ihm sein Referent aufgesetzt hatte.

Die Ermittler sprachen Gundelach am Donnerstag voriger Woche vom Anfangsverdacht frei. Ihnen liegen inzwischen Dokumente zur Bonner Deutschlandpolitik vor, die Mielke zugespielt wurden, aber niemals über Gundelachs Tisch gegangen sind.

Auch wenn es die Kohl-Regierung heute am liebsten gar nicht mehr so genau wissen will: Im Kanzleramt oder im Innerdeutschen Ministerium »hat es«, so Gundelach, »einen Spion gegeben, aber ich war es nicht«. o

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