NPD-WÄHLER Eigener Wert
So bleibt's vorerst dabei, daß die Deutschen mit der NPD leben müssen -- mit einem Stück ihrer selbst. Denn so abseitig rechts, so ausnehmend nationalistisch, so anomal deutsch ist die NPD nicht, daß sie in dieser Bundesrepublik fehl am Platze wäre.
Was die NPD verkündet, so schrieb die »Zeit«, »verkünden auch andere Parteien, fordern auch andere Politiker: nationale Besinnung, Antikommunismus, Paktieren mit Paris, Absage an Amerika, die europäische Bombe, den Schlußstrich unter die Vergangenheit, den Milchpfennig, die Kohlesubvention«.
Und: »Hitler lehnen sie gemeinsam ab, Auschwitz, die Nürnberger Gesetze -- Nationaldemokraten wie die übrige Bevölkerung; die deutschen Ostgebiete und das Sudetenland wollen viele zurückgewinnen, friedlich versteht sich, die Thadden und die Becher.«
Die Kluft zwischen der CSU des Sudeten-Funktionärs Walter Becher und der NPD des Adolf von Thadden schien denn auch dem Historiker Golo Mann »so höllenrachengleich unauslotbar« nicht,
Alte Nazis gibt es nicht nur in der NPD, und nicht nur Demokraten wählen die etablierten Parteien. Die NPD ist nur ein Teil der deutschen Rechten, die auch in CDU, CSU, FDP und SPD siedelt.
Daß sie allein -- zumal im Ausland -- Furcht erweckt, erklärt sich daraus, daß sie offen am Revers trägt, was in der Brust der anderen schlummert. Es stimmt manches, wenn der SPD-Abgeordnete Günther Müller konstatiert, die NPD-Wählerschaft unterscheide sich »in keiner Weise von den Anhängern der holländischen Bauernpartei, der französischen Poujadisten oder des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Wallace« -- nur weiß die Welt aus Erfahrung, wozu Rechtsradikalismus in Deutschland imstande war.
»Die NPD«, so schrieb die »New York Times« unlängst, »ist wahrscheinlich weitaus weniger gefährlich, wenn sie in der Öffentlichkeit arbeitet, als wenn sie In den Untergrund getrieben würde.« Denn ein Verbot der NPD »würde das Denken jener Deutschen nicht ändern, welche die NPD wählen«.
Es ist ein Denken, das auf Zucht statt Zivilisation gerichtet ist, auf Volksgemeinschaft ohne Volksvertretung. Es ist kaum verbrämtes Mißtrauen gegen »die Parteien, diese Brutstätten gewerbsmäßiger Streitsucht«, wie Anfang der zwanziger Jahre ein »Deutsches Manifest« schmähte. Es verrät die ewige Sehnsucht nach dem »Ganzen«, das keinen Pluralismus und nur noch Deutsche kennt. Und es enthüllt die Verachtung für das parlamentarische System, die Oswald Spengler einst vom »Biertisch höherer Ordnung« spotten ließ.
Solches Staatsverständnis läßt sich wieder hören und sehen -- im NPD-Organ »Deutsche Nachrichten«, für das »statt ... mehr Freiheit liberalistischer Prägung ... in Wahrheit ein ganz neues System von Ordnungen oder schlechthin eine neue Ordnung« vonnöten ist, oder beim Führer Adolf von Thadden, der eine »Schicksalsgemeinschaft« herbeifleht, die »in einer ungeheuren Kraftanstrengung unser Volk, Alte und Junge, alle Stände und Konfessionen, Männer und Frauen wieder zusammenführt«.
Wie ein Bundesbürger beschaffen sein muß, um für nationalistische Parolen Sympathie zu empfinden, hat bislang nur der Soziologe Klaus Liepelt, Leiter des Bad Godesberger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (Infas), in einer Arbeit über die »Anhänger der neuen Rechtspartei« umfassend dargestellt.
Liepelt versucht, Weltbild und Sozialstatus der bundesdeutschen Rechten zu deuten -- über die pure Statistik hinaus, die allein nicht viel besagt: Mehr Männer als Frauen wählen NPD; weder die Jungen noch die Alten, sondern die mittleren Jahrgänge zwischen 45 und 60, die im Dritten Reich In den besten Jahren waren, neigen am ehesten dazu, nationaldemokratisch zu stimmen.
Zwar ist die Partei in allen Bevölkerungsgruppen vertreten, doch die Selbständigen, also vor allem Gewerbetreibende und freiberuflich Tätige, sind in der NPD überrepräsentiert; Akademiker, Stützen des Bürgertums, wie Ärzte, Apotheker oder Rechtsanwälte, stellen mit sechs Prozent einen -- im Vergleich zu anderen Parteien -- überdurchschnittlichen Anteil der nationaldemokratischen Anhängerschaft. Und das deutet auf ein besonderes Merkmal, das auch nationalistischen Gruppen der Vergangenheit zu eigen war: mittelständisches Bewußtsein.
»Die Neigung des Mittelstandes, seine Moralvorstellungen zur »Normalmoral« zu erheben, muß ihn in wirtschaftlichen Krisensituationen für nationalistische Parolen und die Ideologie der »Volksgemeinschaft' noch anfälliger machen, als er es ohnehin ist«, schrieb die »Zeit«. »Jede Bedrohung seiner wirtschaftlichen Lage erscheint ihm zugleich als Bedrohung der gesellschaftlichen Moral, und jeder Klassenkonflikt« in den er verwickelt ist, verlängert sich für ihn in einen nationalen Notstand, in einen Angriff auf die Moral der Gesellschaft.«
In dieser gutbürgerlichen Geisteswelt, in der das Wort »Mitbestimmung« Schauder auslöst, gewerkschaftliche Aktivität als »politischer Terror am Arbeitsplatz« ("Deutsche Nachrichten") gilt und in der liberale Kritiker zu »Pinschern« der »politischen Kampfpresse« geraten, lösten denn auch in den letzten Jahren die Ideologisierung von links und die wirtschaftliche Unsicherheit volles Rechtsverständnis aus.
»Wer glaubt«, so resümiert Klaus Liepelt, »daß es ihm heute wirtschaftlich besser geht als vor zwei Jahren, hat viel weniger übrig für die NPD als jemand, der seine heutige wirtschaftliche Lage für schlechter hält.«
Unter den rund bieben Millionen Wahlberechtigten der Bundesrepublik, deren Lage sich nach der eigenen, subjektiven Einschätzung verbessert hat, besaß die NPD zum Beispiel gegen Jahresende 1966 nur ein Potential von neun Prozent. Von denjenigen Bürgern hingegen, die das Gefühl hatten, wirtschaftlich benachteiligt zu sein, sympathisierten 19 Prozent mit den Nationaldemokraten.
Ähnlich sind die Differenzen bei den Stimmberechtigten, wenn sie ihre Zukunftserwartungen in staatsbürgerliche Gesinnung übersetzen: Nur zwölf Prozent der Bundesdeutschen, die eine Verbesserung ihrer Lage erwarten, aber 18 Prozent, die mit schlechteren Zeiten rechnen, würden NPD wählen.
Besonders anfällig für radikale Parolen erscheinen solche Wahlbürger, die ihre Verhältnisse sowohl in der Gegenwart als auch für die Zukunft pessimistisch betrachten. Aus dieser Gruppe neigt fast jeder vierte Deutsche (23 Prozent) zu Sympathien für die Nationaldemokraten.
Und speziell »Selbständige und Arbeitnehmer in kleinen Betrieben«, die ein Mittelstandsbewußtsein entwickelt haben, erhoffen sich in solcher Seelenlage Rettung von rechts. Sie sind, wie Infas-Chef Liepelt feststellt, »mit ca. zwei Fünfteln mehr als doppelt so anfällig für NPD-Parolen« wie jene Wahlberechtigten dieser Gruppe, die optimistisch in die Zukunft blicken.«
Das Phänomen erläutert der Vorstand des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen, Professor Kurt Lenk, so: »In Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs ... steht die Allianz von industriellem Groß- und mittelständischem Kleinbürgertum gegen einen wirklichen oder vermeintlichen Feind von »unten' nicht in Frage. Aber die scheinbare Interessenhomogenität beider beginnt sich in ökonomischen Krisensituationen zu spalten, das Kleinbürgertum sieht sich nicht mehr nur von »unten«, sondern nun auch von »oben« bedroht. Aus dieser doppelt bedrängten Lage resultiert eine Radikalisierung, die jedoch niemals nach links drängen kann, da sich die Mentalität dieser kleinbürgerlichen Mittelschichten in ihren gesellschaftlichen Wert- und Ordnungsvorstellungen, schon aus Gründen kollektiver Selbstbestätigung, stets nach »oben' orientiert.«
Als besonders widerstandsfähig in tatsächlichen oder nur eingebildeten Krisenzeiten erweisen sich hingegen die Bürgerschrecks: gewerkschaftlich organisierte Deutsche.« Offenbar ist der gewerkschaftliche Einfluß«, so Liepelt, »tatsächlich stark genug, um auch bei Krisenangst radikale politische Verhaltensweisen zu hemmen.« Allenfalls aus Protest -- wie etwa unter Ruhrkumpels, bei denen freilich
* Beim NPD-Parteitag 1966 in Karlsruhe.
mittelständische Wertvorstellungen traditionell verbreitet sind -- drohen organisierte Arbeiter mit einem NPD-Votum.
Nur ein Sechstel der potentiellen Rechtswähler hat Bindungen an eine Arbeitnehmerorganisation. »Der Anteil«, folgert Klaus Liepelt, »ist nur etwa halb so groß wie beim Bevölkerungsdurchschnitt.« Und daher »haben sich bei den vergangenen Landtagswahlen außer katholischen Gebieten auch jene Regionen gegenüber der NPD als besonders widerstandsfähig erwiesen, in denen alte Arbeitnehmertraditionen ungebrochen fortbestehen«.
Freilich: Das ist kein Phänomen von Kirche und Klasse. Vielmehr resultiert der Umstand, daß Organisierte und Fromme gegen Nationales immun sind, aus den engen Bindungen, die Gewerkschafter zur SPD und Katholiken zur CDU haben.
Unter den 38,5 Millionen westdeutschen Wahlberechtigten sind etwa 10,5 Millionen Frauen und Männer gewerkschaftlich organisiert -- und etwa zwei Drittel davon tendieren zur SPD. Von den wahlberechtigten katholischen Kirchgängern fühlen sich ebenfalls um 60 Prozent zu den Unionsparteien hingezogen.
So sind denn auch in der kleinen Gruppe jener 2,5 Millionen Stimmberechtigten, die gleichermaßen katholisch und gewerkschaftlich fixiert sind, für die NPD die wenigsten Wähler zu haben. Dort, wo sich die sozialen Kreise überschneiden, wählen 45 Prozent SPD, 44 Prozent CDU oder CSU -- aber nur sieben Prozent nationaldemokratisch.
Auch unter den Stimmbürgern, die weder katholisch noch gewerkschaftlich gebunden sind, neigen Arbeitnehmer weniger als Freiberufliche oder Selbständige zur NPD. Von den vier Millionen gewerblich Selbständigen und Landwirten, so ermittelte Infas, sympathisiert nahezu ein Fünftel (19 Prozent) mit dem Rechtsextremismus.
Offenkundig wird die Entscheidung, nationaldemokratisch zu wählen, auch von der Arbeitsumwelt stimuliert -- ob Großstadt oder Provinz, Großbetrieb oder Kotten,
Einerseits verfügt die NPD bei den rund zwei Millionen Arbeitnehmern, die weder von der Kirche noch von den Gewerkschaften erreicht werden und in kleinen Unternehmen beschäftigt sind, über ein beträchtliches Stimmenreservoir von 25 Prozent. »In diesen Familien«, so Liepelt, »scheinen sich fehlende Bindungen zur Arbeitnehmer-Arbeitswelt und ein mittelständisches Bewußtsein in besonderem Maße zu überschneiden.«
Andererseits tendieren von den etwa zehn Millionen wahlberechtigten Arbeitnehmern ohne Bindung, die durchweg in größeren Betrieben beschäftigt sind, nur etwa 14 Prozent zur NPD -- aber 40 Prozent zur SPD und gut ein Viertel zur Union.
Insgesamt, resümiert Klaus Liepelt, sind alle Wahlberechtigten, die mit katholischer Kirche oder Gewerkschaften nichts im Sinn haben, extrem anfällig für nationalistisches Getöse: Die Selbständigen und Arbeitnehmer in Kleinbetrieben aus dieser Gruppe stellen 28,5 Prozent des gesamten NPD-Reservoirs. CDU und CSU mobilisieren in diesem Bereich nur 17 Prozent der Bürger, die Sozialdemokraten gar nur 11,5 Prozent ihrer Anhänger.
Grund zum Frohlocken gibt dieser statistische Wert den Etablierten jedoch nicht. Denn der Nationaldemokratismus ist in allen Parteien des Bundestages virulent, und alle Parteien haben bei den vergangenen Wahlen Wähler an die Nationaldemokraten abgeben müssen.
Woher die meisten kamen, ist bislang nicht exakt ermittelt worden, aber es gibt Indizien: Im Bundesdurchschnitt gaben 21 Prozent der FDP-Anhänger an, sie würden eventuell einmal NPD wählen. Die Freidemokraten verfügen damit über den verhältnismäßig stärksten Anteil an NPD-Sympathisanten unter ihren Wählern.
Die zweite Position Jedoch halten nicht etwa die Unionsparteien, die sich so ganz schnell von niemandem rechts überholen lassen und in der es, wie ihr Bonner Fraktionschef Rainer Barzel vermerkte, »keinen Nachholbedarf an vaterländischer Gesinnung« gibt: CDU- und CSU-Anhänger bekennen nur zu neun Prozent, sie würden eine Stimmabgabe für die Nationaldemokraten nicht ausschließen. Unter den SPD-Anhängern hingegen neigen zwölf Prozent zur NPD.
Diese verblüffend anmutende Tatsache erklärt sich aus einem gemeinsamen Merkmal aller Wähler, die aus den klassischen Parteien zur NPD abgewandert sind: Sie haben nirgends bislang Wurzeln geschlagen, mal diese, mal eine andere Partei gewählt, bevor sie die rechte fanden oder wiederfanden. »Die Wählerfluktuation«, registrierte Infas-Analytiker Liepelt, sei »in der NPD-Anhängerschaft deutlich größer als bei den Anhängern anderer Parteien«.
Rund zwei Fünftel dieses mobileren Teils der deutschen Wählerschaft haben früher einmal eine der kleinen, meist
rechtsorientierten Parteien wie BHE, DP oder DRP gewählt. Und die meisten dieser Bürger, die Im Zuge der Zweiparteien-Entwicklung von den Großen aufgesogen wurden, zog es zu den Christdemokraten.
Jene Wähler aber, die sich vom bürgerlichen Gehabe der Sozialdemokraten verlocken ließen und es mit der SPD versuchten, entwickelten keine enge Bindung an die alten Genossen: 31 Prozent dieser SPD-Zuwanderer aus kleinen Parteien gaben in Umfragen zu erkennen, daß sie einem Votum für die NPD nicht abgeneigt seien.
Anders bei den Christlichen Demokraten. In der rechten Volkspartei, in der nach dem Kriege Globke und andere Nischensteher unterkamen, in der Seebohm und andere Sonntagsredner Sprüche machen durften, in der Symbolthemen wie Kriegsschuldfrage oder Münchner Abkommen kaum anders als In der NPD behandelt werden, fühlen sich Rechtsversprengte entschieden heimischer: Nur 19 Prozent der Zugewanderten sind anfällig dafür, von der mittleren Rechten zur äußeren Rechten auszuscheren.
Diese Heimatlosen, denen nun nach langer Irrfahrt doch wieder Zuflucht winkt, prägt starke Sinnesverwandtschaft zu einem weiteren Reservoir, aus dem die Nationaldemokraten schöpfen können: den Nichtwählern. 16 Prozent dieser Gruppe bezeichnen sich als potentielle Wähler der NPD.
Es sind Jene Bürger, die weder mit dieser Demokratie noch mit sonst irgendeiner etwas anfangen können, denen öffentliche Auseinandersetzung wie Unordnung vorkommt und Pluralismus als politische Wirrnis erscheint.
In ihnen rumort noch immer oder schon wieder der Haß auf jenes »liberale Chamäleon«, der in den zwanziger Jahren den Konservativen Arthur Moeller van den Bruck ("Das Dritte Reich") verzehrte: »Demokratie, dieser Moloch, der Massen und Klassen und Stände und alle Unterschiede des Menschlichen frißt, dieser Leviathan in seiner schillernden Ungeheuerlichkeit.«
Ein Teil dieser Deutschen, an denen zwei Jahrzehnte Demokratie spurlos vorübergegangen sind, hat sich im vorpolitischen Raum formiert -- in den rund 1000 Soldaten- und Traditionsverbänden, in Kyffhäuserbund oder Stahlheim, dem Frauenbund Königin Luise oder dem Freundeskreis der Nationalen Jugend, meist mitgliederschwachen und eher grotesken denn gefährlichen Vereinsmeiereien.
Doch unzweifelhaft ist das Ordnungssystem, das dort karnevaleske Züge trägt, in Millionen Bürgern lebendig, die »diese Residuen aus der Mottenkiste der Honoratiorengesellschaft und der spätwilhelminischen Bürgerlichkeit«, wie der Historiker Professor Hans Mommsen formuliert, mit sich herumtragen: »Die Ablehnung des demokratischen Kompromisses als Prinzipienverrat, die Verwendung des Begriffes der »Gemeinschaft« anstelle des Begriffes der »Gesellschaft«, elitäre Vorstellungen, die einer parlamentarischen Führungsauslese widersprechen ... sowie das Schlagwort von der »Parteipolitik' im Unterschied zur »nationalen' Politik.«
Was da hochtreibt aus dem Schutt der Geschichte, bewegt nicht nur eine Partei, die kaum 30 000 Mitglieder zählt. EL bedrängt die Gemüter von Millionen Deutschen, die wieder, wie Friedrich Schiller schrieb, »abgesondert von dem Politischen ... sich einen eigenen Wert gegründet« haben.
Und daß nicht nur eingeschriebene NPD-Bekenner auf der Suche nach der verlorenen Zeit sind, erkannte zu seinen Amtszeiten sogar Bonns christdemokratischer Innenminister Paul Lücke, für den die »weitaus überwiegende Zahl der NPD-Mitglieder auch in den vier Parteien des Bundestages ihre politische Heimat haben« könnte.
»Die jetzige Krise der Bonner Demokratie«, so findet der Politologie-Professor Kurt Sontheimer, »ist gekennzeichnet durch die Unterwanderung des demokratischen Systems mit antidemokratischen Tendenzen und Bewußtseinsinhalten.« Und es fügt sich ins Bild, wenn zwar bei demoskopischen Erhebungen nur 15 bis 18 Prozent potentieller NPD-Wähler ermittelt wurden, aber fast 40 Prozent aller Stimmbürger Zustimmung zeigen, wenn sie sich zu bestimmten Agitationsthemen der Nationaldemokraten äußern sollen.
Ähnlich lauten Ergebnisse verschiedener Institute, die sich mit typischen irrationalen und autoritären Verhaltensdispositionen beschäftigten. So stimmten der Behauptung »Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten. Da herrschten wenigstens Ordnung und Sauberkeit« zwar 75 Prozent der potentiellen NPD-Wähler zu -- aber auch 59 Prozent der CDU/CSU-Anhänger, 58 Prozent der SPD-Sympathisanten und gar 74 Prozent potentieller FDP-Wähler sowie der Wähler anderer kleiner Parteien.
Für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädierten FDP- und CDU/CSU-Anhänger mit je 69 Prozent sogar einhelliger als die NPD-Wähler (68 Prozent), und die SPD-Anhänger bleiben mit 67 Prozent nur um einen Punkt dahinter zurück.
Daß die ausländischen Truppen aus Deutschland abziehen, wollen 56 Prozent der potentiellen NPD-Wähler und ebenso viele Anhänger der FDP; CDU/CSU-Sympathisanten (40 Prozent) und SPD-Anhänger (43 Prozent) sind darauf nicht so erpicht, Und immerhin ein Viertel der SPD-Anhänger wünscht sich eine Pressezensur -- mit 33 Prozent freilich weit übertroffen von Anhängern der FDP und anderer kleiner Parteien, den CDU/CSU-Wählern mit 34 und den NPD-Anhängern mit 42 Prozent.
Aggressives Verhalten, so schließt Klaus Liepelt, sei »also nicht auf die Anhänger der radikalen Rechten beschränkt«. Es sei »in allen Bevölkerungsgruppen latent vorhanden«, und es lasse sich »offenbar rasch mobilisieren
Längst tragen die Repräsentanten dieses Volkes das Vaterland nicht mehr nur im Herzen, sondern auf der Zunge -- wie der Christdemokrat und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaler, der »das von innen her kommende freie tatkräftige Engagement für das Vaterland« beschwor, oder wie der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß, der sich die »dauernde Fürsorge-Erziehung und ausländische Zurechtweisung« verbat.
Und wie ein Nachklang dieser rechtsverbindlichen Suada nimmt sich die Harmonie zwischen NPD-Vokabeln und Volkes Stimme aus. In den »Deutschen Nachrichten« steht, Gastarbeiter betrieben »systematische Unterwanderung des deutschen Volkstums«, sie gefährdeten die »deutsche Volksgesundheit«. Und 67 von 100 Bundesbürgern sind, laut Divo-Umfrage, überzeugt, daß zu viele Gastarbeiter ins Land gekommen sind.
Demonstrierende Studenten sind für die NPD »ganz einfach Kriminelle«, die Erziehung einer »pflichtbewußten Jugend« ist für die Partei Programm. Und 44 Prozent aller Westdeutschen sind der Meinung, was der Jugend fehle, seien »Zucht und Ordnung«.
Die Nationaldemokraten fordern die »Freigabe des europäischen Raumes von fremden Mächten« -- einschließlich westlicher Mächte. Und 45 von hundert Bundesbürgern möchten das deutsche Kulturleben von ausländischen Einflüssen frei wissen,
Zwar finden sich im Psychogramm des typischen NPD-Wählers, das der Gießener Medizin-Professor Horst-Eberhard Richter nach einer neuentwickelten Methode ermittelt hat, »hinreichende Anzeichen« von »Größenideen«, die dem typischen Anhänger anderer Parteien fehlen (siehe Seite 32) -- doch eben nur dem typischen, Die Attribute, die der rechte Deutsche seinem Wesen zurechnet und die Mediziner Richter unter Stichworten wie »stark, unbeirrbar, durchhaltefähig, tüchtig, mutig« eingeordnet hat, finden sich, wie es scheint, bei Deutschen jeder Richtung.
Daß »jene große Masse der Wahlberechtigten, die mit autoritären und aggressiven Verhaltensdispositionen aufgewachsen sind (und weiter aufwachsen), ihre Vorstellungen von der Umwelt als privat und politisch unverbindlich empfinden«, ist für den Infas-Chef Liepelt »keine Sicherung dafür, daß es so bleibt«. Und es bleibe gewiß nicht so, wenn diese noch nicht für die NPD votierenden Wähler eines Tages wahrnehmen sollten, »daß Nachbarn, Freunde und Kollegen mit einem der Meinung sind, daß wir
uns nicht immer nach dem Ausland richten, energische Männer an die Stelle der Parlamente setzen, den Jungen kürzere Haare, den Mädchen längere Röcke vorschreiben sollten«.
Wissenschaftler Sontheimer resigniert: »Die demokratische »Substanz des deutschen Volkes ist im Gegensatz zu den Erwartungen der Zeit zwischen 1945 und 1949 nur geringfügig angereichert worden.«
Und im Lichte dieser Tatsache würde ein Verbot der NPD -- die nach dem Befund des Bonner Innenministeriums »bewußt das Ordnungs- und Autoritätsbedürfnis vieler Bürger« ausnutzt und damit bereits einen »festen Platz im Bewußtsein der politisch interessierten Öffentlichkeit« errungen hat -- kaum Garantie dafür gewähren, daß diesem Defizit an Demokratie in der Bonner Republik abgeholfen wird.