KRIMINALITÄT Eimer hinter der Tür
Niemand war zur Tatzeit im Haus.
Der oder die Einbrecher knackten ohne große Schwierigkeiten die Haustür, sammelten sorgfältig eine Uhrensammlung im Wert von 25 000 Mark ein und verschwanden schnell und ungesehen -- so geschehen Ende Juli in Hannovers Südstadt, einer von rund 70 Einbrüchen, die an jenem Tag in der Landeshauptstadt gemeldet wurden.
Sonst sind es pro Tag um die 60 »Brüche« (Ganovenjargon), doch im Sommer, zur Ferienzeit, wenn Hausbesitzer und Wohnungsinhaber ihre Unterkünfte unbewacht, meist ungenügend gesichert, manchmal gar unverschlossen zurücklassen, macht die Gelegenheit noch mehr Diebe als gewöhnlich.
In Bayern wird ein Drittel aller Wohnungseinbrüche in den Monaten Juli bis September begangen. Oft ist es »zum Verzweifeln«, meint Bayerns Ex-Innenminister Bruno Merk, wie sorglos Urlauber sich davonmachen. Merk berichtete von einer älteren Dame aus dem Fränkischen, die letztes Jahr einen Zettel an die Tür pappte: »Bin für acht Tage in Meran. Der Schlüssel zu meiner Wohnung hängt im Regal im Flur.« Als die Reisende heimkehrte, war die Wohnung ausgeräumt.
Nie haben Diebe es leichter als zur Urlaubszeit, wenn in Mietshäusern ganze Wohnungsfluchten verlassen liegen, wenn heruntergelassene Jalousien, ständig geschlossene Fenster, übervolle Hausbriefkästen die Abwesenheit der Bewohner signalisieren.
Daß immer mehr geklaut wird, führt der Münchner Einbruchsdezernats-Chef Ludwig Hauser auf die Sorglosigkeit zurück. mit der die Bundesbürger mit ihrer Habe umgehen; es herrsche »mehr Versicherungsdenken als Sicherungsdenken«. Der Hamburger Kriminalhauptkommissar Alfons Knoll sieht den Anreiz zum Bruch im gestiegenen Wohlstand:., Es ist einfach mehr da. Die Wahrscheinlichkeit, daß Wertsachen und Bargeld vorhanden sind, ist viel größer als vor zehn Jahren.«
Wie auch immer -- vor zehn Jahren wurden in der ganzen Republik rund 450 000 »Diebstähle unter erschwerenden Umständen«, so der juristische Terminus, von der Polizei registriert. Letztes Jahr ereignete sich, statistisch gesehen, alle 30 Sekunden ein Einbruch in Gebäuden oder Kraftfahrzeugen, insgesamt mehr als eine Million. Alle vier Minuten wird aus einem Einfamilienhaus, einer Wohnung, aus Keller
* In Hamburg-Blankenese.
oder Dachboden gewaltsam gestohlen; vier von fünf Brüchen bleiben unaufgeklärt.
Ungeklärt wird wohl auch dieser bleiben: Bevor der Chorsinger Les Humphries und seine damalige Ehefrau Dunja Rajter voriges Jahr Urlaub auf einer Karibik-Insel machten, schalteten sie die Alarmanlage in ihrem Haus an Hamburgs Elbehaussee ein. Gleichwohl stiegen Diebe ein, lösten den Alarm aus, behielten aber die Nerven und sammelten in aller Ruhe Pelze und Schmuck, darunter einen 40 000-Mark-Brillanten, im Gesamtwert von 150 000 Mark ein. Nachbarn, so erzählte die Schlagersängerin später, hätten zwar die Sirene gehört, doch sei diese kurz darauf ausgeschaltet worden. Da »vermuteten sie, wir wären schon wieder zurück und hätten nur die Alarmanlage überprüft«.
Fehleinschätzung durch Nachbarn ist nicht selten. Leicht geben die Warneinrichtungen, unfachmännisch montiert, falschen Alarm. Wenn die akustischen Signale zu oft ausgelöst werden, sei es durch Ungeschicklichkeit, wegen überfein eingestellter Geräte oder einfach probehalber, so gewöhnen Nachbarn und Polizisten sich bald daran, reagieren im entscheidenden Augenblick womöglich nicht angemessen.
»Die Technik beherrschen wir«, versichert Leo Benz, Juniorchef der Münchner Sicherungsanlagen-Firma Alois Zettler, »jetzt sind das Planen von Anlagen und der richtige Einbau die Hauptsache geworden.« Inzwischen arbeiten Unternehmen wie Zettler oder die Frankfurter Telefon und Normalzeit, die vergangenes Jahr für rund 20 Millionen Mark Meldeanlagen installierte, mit ausgeklügelten technischen Mitteln, mit Restlichtverstärkern, Ultraschall und Infrarot, mit Fernseh-Bildvergleich und Lichtschranken.
Freilich, solche Raffinessen können »nichts verhindern, nur melden«, weiß der Hamburger Knoll. Der Einbruchverhütungs-Spezialist, der die Kosten für die einfache Sicherung eines »normalen« Einfamilienhauses auf 5000 bis 8000 Mark schätzt, hat auch schon Erfahrungen mit den Tücken hochgezüchteter Technik gesammelt. Beispielsweise sprach ein Ultraschallgerät, überfein eingestellt, bereits auf durch die Heizung erzeugte Luftturbulenzen im Raum an, und ein Infrarotmelder gab jedesmal Einbrecher-Alarm, wenn heißes Abwasser durch ein Rohr in der Wand rauschte.
Zu einfach wiederum tut auch nicht gut: Die Zeitschrift »Test« überprüfte »eine der meistangebotenen Anlagen zum Selbsteinbau« an Haustüren (88 Mark), die bei jedem Türöffnen, ob mit Gewalt oder nicht, Alarm schlägt, wenn die Tür nach sechs Sekunden nicht wieder geschlossen wird -- »das ist«, so die Tester, »auch für Einbrecher praktisch«.
Grotesk, aber gar nicht ohne Pfiff erscheint denn auch der Vorschlag des »Handelsblatts«, »mit einem Blecheimer«, der hinter die Tür gestellt wird, »unerfahrene Einbrecher abzuschrecken. So ein Primitiv-Hindernis kann wahrhaftig schon mal einen Gelegenheitsdieb in die Flucht jagen. Denn, das sind die Erkenntnisse des Hamburger Kriminellen-Kenners Knoll,
* Gelegenheitsdiebe und Amateure werden oft schon von geringen Hindernissen gebremst:
* Einbrecher stehen immer unter Zeitdruck.
Mit jeder Minute. so fürchten die meisten, wächst die Gefahr der Entdeckung. auch wenn das Objekt zeitweise unbewohnt ist. Solide Schlösser an festen Türen, abschließbare Kipphebel an Fenstern und Terrassen- oder Balkontüren, vergitterte Kellerfenster erzeugen nach Knolls Erfahrung einen »Verdrängungseffekt": Der Türenknacker versucht es anderswo.
Als 1971 der Malergeselle Lothar Prinz Hamburger Zivilfahndern ins Netz ging, hatten sie eine lokale Berühmtheit gefangen, den » Bohrer«. 735 Einbrüche in knapp fünf Jahren gestand der Einzelgänger, der mit immer gleicher Masche operierte: Fand er kein offenes Fenster, durchbohrte er den Rahmen und öffnete den Hebel mit Drahtschlingen oder anderem Werkzeug.
Nur selten schlägt ein Dieb die ganze Scheibe ein, um hindurchzusteigen. wenn er zuvor ein Loch hineingeschnitten und vergeblich versucht hat, den gesicherten Fensterhebel zu öffnen. Oft sind Gelegenheitseinbrecher nur mit starken Schraubenziehern ausgerüstet, denen festgefügte Türen widerstehen -- doch noch immer erfolgt fast jeder zweite Bruch (45 Prozent) durch die Haus- oder Wohnungstür.
Der Hamburger Kommissar kann es »nicht begreifen, (daß Bauherren immer noch so was machen«, nämlich: sogenannte Sicherheitsschlösser einbauen zu lassen, die mehrere Zentimeter aus dem Türblatt herausragen -- für »jeden, der nicht zwei linke Hände hat« meint Knoll, »kein Problem": Er dreht oder bricht das Schloß mittels Zange mit einem Ruck heraus.
Oder: Tür oder Türrahmen sind so schwach und sparsam gebaut, daß sie hei energischem Angriff zersplittern, wenn auch das Schloß korrekt eingesetzt ist. Moderne Wohnungstüren, manchmal auch Haustüren. bestehen vielfach nur aus zwei dünnen Sperrholzblättern, und dazwischen liegt eine gewaffelte Pappfüllung -- wenn es nicht zuviel Krach machen würde, genügte schon ein Tritt, um hindurchzukommen.
Andererseits: »Die totale Sicherheit gibt es nicht«, so Kommissar Knoll. Der Chef des Hamburger Einbruchsdezernats, Götz Sitte, hat es den Kollegen bei einer Routinekonferenz einmal drastisch beweisen lassen.
Eine Hamburger Geldschrankfirma lieferte einen neuen Stahlschrank für das Experiment, »15 Zentner schwer, 1,80 Meter hoch, 80 Zentimeter breit. 60 tief, mit sechs Millimeter dicken Stahlwänden, innen feuerfest mit Kieselgur und Pottasche gefüllt« (Sitte). Der Chef des Einbruchsdezernats besorgte Kurt, im Milieu »König der Schränker« genannt, der gerade in Hamburg einsaß.
»Keine Sorge, Chef, den krieg« ich auf«, beruhigte der Fachmann den Polizisten, als dem angesichts des stählernen Ungetüms Zweifel kamen, ob das Experiment gelingen würde. Als die 150 Gäste, die Sitte zu dem Spektakel geladen hatte, sich im Hof des Polizeipräsidiums versammelt hatten, legte Kurt los, mit einer Trennscheibe, einem Gerät, das wie eine große Bohrmaschine aussieht und wie eine Kreissäge funktioniert.
»Es ertönte lautes, kreischendes Geräusch«, beschreibt Sitte das Ereignis. und »innerhalb von drei Minuten und 54 Sekunden hatte Kurt das Schloß sauber herausgesägt und die Tür geöffnet«.
Selbst der Panzerschrank im Haus. wie ihn die Versicherungen zur Aufbewahrung von hochversichertem Schmuck. von Gold. Münzen oder Briefmarken vorschreiben. hat gegen solche Tätertypen offenbar wenig Chancen. Aber es ist nie sicher, wer kommt, schwere Jungen oder leichtgewichtige Anfänger, fingerfertige Schlitzohren oder brutale Gangster wie jene, die vor einigen Wochen den »Stern«-Redakteur Ulrich Schippke in seinem Hamburger Haus erschlugen.
Oft nehmen die Einbrecher scheinbar wahllos an sich, was ihnen in die Finger kommt, der »Bohrer« aber stahl nur Bargeld. Und jene Diebe, die das Haus des Krimi-Regisseurs Jürgen Roland in Hamburg-Bergstedt heimsuchten, arbeiteten gar nach dem Geschmack des Hausherrn. Sie klauten nur, so Roland, »was ich auch mitgenommen hätte«.
Da die Täter die vermeintlich einbruchgesicherte Kellertür aufgebrochen hatten, besann sich der Filmemacher auf ein altes Hilfsmittel: »Ich werde mir einen Hund anschaffen.«