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PARTEIEN /CDU-FINANZEN Ein Bettelorden

aus DER SPIEGEL 14/1971

Deutschlands große Unternehmer-Partei Ist pleite. Die Finanzlage der Christlich Demokratischen Union ist »äußerst prekär« (Bundesschatzmeister Kurt Schmücker) bis »beschissen« (Vorstandsmitglied Norbert Blüm).

Am letzten Montag, einen Tag nach dem Wahlerfolg der CDU in Rheinland-Pfalz, kam bei den Herren des Bundesvorstandes keine rechte Stimmung auf. Denn der Führungszirkel, zusammengekommen in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz an der Bonner Schedestraße, machte Kassensturz und fand vor:

* rund zehn Millionen Mark Schulden,

* eine jährliche Zinslast von 700 000 Mark,

* einen nicht ausgeglichenen Parteihaushalt für das Jahr 1971,

* einen nahezu ausgeschöpften Kreditplafond (von zwölf Millionen Mark) und

* 24 Millionen Mark Baukosten für die neue Parteizentrale an der Friedrich-Ebert-Allee; Bauherr: die CDU-eigene »Union-Betriebs GmbH«.

Der Hauptverantwortliche für die Schuldenlast war anwesend: Parteichef Kurt Georg Kiesinger. »Der hat doch im letzten Bundestagswahlkampf die Nerven verloren« -- so ein Vorstandsmitglied -- »und gleich zurückgeklotzt, als die gut betuchten Sozis frühzeitig mit Anzeigenserien losschlugen.« Allein wegen des Kiesinger-Wahlkampfs ("Auf den Kanzler kommt es an") stehe die CDU bei ihren Gläubigern mit »sieben bis acht Millionen« in der Kreide. Potente Förderer, vom christdemokratischen Ex-Kanzler als Finanziers seiner teuren Wahlschlacht genannt, »konnten sich nach der Wahl an keine Versprechen mehr erinnern.

Das Desinteresse der bis dahin stets spendablen Industriefreunde hält an. Denn die Unternehmerpartei hat, obgleich sie sich auf ihrem letzten Parteitag in Düsseldorf in Sachen Mitbestimmung noch einmal als Anwalt des Kapitals empfahl, für zahlungskräftige Wirtschaftsbosse einen entscheidenden Makel: Sie ist in Bonn nicht an der Macht.

Gebremst wird die Freude am Schenken auch durch das Verfassungsgerichtsurteil von 1968, nach dem Spenden über 20 000 Mark namentlich auszuweisen sind. Seither müssen Förderer, die gern im dunkeln bleiben möchten und der CDU deshalb über Strohmänner Geld zustecken, diese Beträge in ihren Bilanzen mühsam auf der Kostenseite verstecken, um sie dennoch steuerlich absetzen zu können.

Schatzmeister Schmücker lamentiert: »Was reinkommt, reicht nicht.« Der frühere Wirtschaftsminister, der 1970 für die verarmte CDU »in Bund und Ländern noch über vier Millionen, an milden Gaben zusammengebracht haben will, beschönigt aber den zunehmenden Zahlungsunwillen: »Es wird im Vergleich zu früher nicht weniger gegeben, aber das Spendenaufkommen bleibt hinter den Kostensteigerungen zurück.«

Philipp von Bismarck, Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates, ärgert sich, daß einstige Geldgeber der CDU ihre Gunst jetzt zwar nicht gerade den regierenden Sozialdemokraten, wohl aber einer anderen Unternehmerpartei, der FDP, zukommen lassen. Bismarck: »Daß die Unternehmer nun als Alibi die Freien Demokraten unterstützen, werden sie sicher noch bereuen, denn sie unterstützen die falsche Partei.«

Dem CDU-Linksaußen Blüm, Hauptgeschäftsführer der Sozialausschüsse, ist freilich die ganze Spenderei suspekt: »Die Unternehmer geben ihr Geld doch nicht für ein »Vergelt"s Gott. Wir müssen im Interesse der Demokratie zu einer stärkeren Hilfe des Staates für die Parteien als politische Mandatsträger kommen, auch wenn es bei den Steuerzahlern ein großes Geschrei gibt.«

Die Oppositionsrolle kommt der Union nicht allein wegen des spärlicher fließenden Spendenstroms teuer zu stehen. Ein eigener Parteiapparat als karger Ersatz für den Regierungsapparat muß aufgebaut, Wahlkämpfe müssen ganz aus eigener Kraft und ohne die früher übliche Unterstützung durch das Bundespresseamt geführt werden.

Die Geldnot zwingt die CDU inzwischen sogar, sich des Propagandamaterials der Regierungskoalition zu bedienen. So tauchten im rheinlandpfälzischen Wahlkampf Nachdrucke der vom SPD-geführten Presseamt zusammengestellten Wohngeldfibel auf -- in ihnen war lediglich das Bild von SPD-Wohnungsbauminister Lauritz Lauritzen gegen ein Konterfei des CDU-Ministerpräsidenten Helmut Kohl ausgetauscht.

Kurt Schmücker fand die gedrückte Stimmung am letzten Montag »ganz natürlich. Bei uns waren die Herren ja gewohnt, daß sie an Geld nicht zu denken brauchten«. Der aufgeschreckte Vorstand gab sich Mühe, die drohende Bankrott-Erklärung abzuwenden. Zum Ausgleich des Parteihaushalts 1971 wurden mühsam zwei Millionen »zusammengekratzt« (Helmut Kohl) -- auf Kosten der Landesverbände, deren 800 000-Mark-Anteil an der Wahlkampf-Kostenerstattung aus der Bundeskasse für 1971 gestrichen wurde. Kassenwart Schmücker ist dennoch der Haushaltsausgleich nicht ganz geheuer: »Ich weiß nicht« ob all das Geld auch wirklich reinkommt, ich habe für die Zahlen, vor allem das Spendenaufkommen« keine letzte Sicherheit.«

Um noch mehr Geld zu sparen, verlegten die CDU-Oberen ihren Herbstparteitag von Hamburg in die 150 000 Mark billigere Saarland-Halle von Saarbrücken, verzichteten auf den geplanten Ausbau ihrer Publikationsorgane und riefen die Unterorganisationen zu verstärkter Sammelbüchsen-Aktivität auf. Ihr neues Bonner Parteihaus wollen sie zum größten Teil vermieten.

Die rund 330 000 CDU-Mitglieder sollen zu mehr Beitragsehrlichkeit (CDU-MdB Fritz Burgbacher: »Es gab CDU-Staatssekretäre, die zahlten nur drei Mark im Monat") ermahnt werden. Vor drastischen Beitragserhöhungen -- die Bundespartei erhält derzeit monatlich 50 pfennig pro Mitglied -- und strenger Staffelung der Sätze nach der Einkommenshöhe schreckt die Unionsspitze zurück -- aus Furcht vor Parteiaustritten.

Eine längerfristige Konsolidierung der CDU-Finanzen steht noch aus. Schmücker: »Das werden noch harte Jahre.« Und sein Hamburger Kollege, Landesschatzmeister Ove Franz, ist sich nicht einmal »im klaren, wie es kurzfristig weitergehen soll«.

Geldverweser Schmücker, der im letzten Jahr nach eigenem Bekunden 60 000 Kilometer im Land umherreiste und Klinken putzte, um Geld für seine Partei zu erschnorren, findet heute: »Wir sind keine Mitgliedspartei, sondern ein Bettelorden.«

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