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AFFÄREN »Ein einziger Sumpf«

Der Hauptbelastungszeuge im bayerischen Blutspendeskandal packt aus - über Schmiergeldzahlungen an das Rote Kreuz und den Club der internationalen Bluthändler.
Von Georg Mascolo
aus DER SPIEGEL 28/1999

Die Schmiergeldaffäre beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) beschäftigt die Justiz seit rund neun Monaten. Am 19. Oktober vergangenen Jahres durchsuchten Beamte der Staatsanwaltschaft München I und des Landeskriminalamts die Zentralen des BRK sowie des BRK-eigenen Blutspendedienstes (BSD) in München. Ebenfalls durchsucht wurden die Privatwohnungen der langjährigen BSD-Geschäftsführer Heinrich Hiedl, 67, und Adolf Vogt, 65.

Beide sitzen seit Monaten in Untersuchungshaft und sollen den Ermittlungen zufolge von Zulieferfirmen Schmiergeld in Millionenhöhe angenommen haben (SPIEGEL 11/1999). Im Gegenzug hätten Hiedl und Vogt den Unternehmen Aufträge zu »weit überhöhten Konditionen« zugeschanzt. Noch im Sommer will die Staatsanwaltschaft gegen die früheren BSD-Geschäftsführer Anklage wegen Untreue, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung erheben. Hiedl und Vogt wollen sich nach Aussage ihrer Anwälte Axel Heublein und Walther Geissler erst in Kenntnis aller Ermittlungsakten zu den Vorwürfen äußern.

Einer der wichtigsten Geschäftspartner des BSD war die Diag Human AG mit Sitz in Bachenbülach bei Zürich. 1981 von dem gebürtigen Tschechen Josef Stava, 49, und dem Schweizer Markus Gnädinger, 51, gegründet, vertreibt die Diag Blutprodukte und Medizinbedarfsartikel. Dem BSD lieferte sie Blutbeutel und Testseren. Außerdem kaufte die Diag von ihm Plasma.

Stava, der dem Diag-Verwaltungsrat vorsteht, gilt als einer der schillerndsten und erfolgreichsten Händler im weltweiten Blutgeschäft. Er und Diag-Geschäftsführer Gnädinger werden von der Münchner Justiz wegen Bestechung verfolgt, dienen ihr aber zugleich als Hauptbelastungszeugen in Sachen Hiedl und Vogt. Bei einer Einreise nach Deutschland müßte Stava mit sofortiger Verhaftung rechnen. Der SPIEGEL traf ihn auf seinem Schloß Bechyne in Böhmen. Neben der tschechischen hat Stava die schweizerische und kanadische Staatsangehörigkeit. Diese Länder liefern ihn nicht nach Deutschland aus.

SPIEGEL: Herr Stava, Ihr Vermögen wird auf weit über 100 Millionen Mark geschätzt. Um wieviel könnte es noch höher sein, wenn Sie an den Blutspendedienst (BSD) des Bayerischen Roten Kreuzes keine Schmiergelder hätten zahlen müssen?

Stava: Das läßt sich so nicht sagen. Ohne Schmiergelder hätten wir ja nichts liefern können, also hätte es für uns auch keinen Umsatz gegeben und damit keinen Gewinn. Tatsache freilich ist, daß die BSD-Geschäftsführer Hiedl und Vogt allein von uns, der Diag Human AG, zwischen 1983 und 1997 zusammen mindestens sechs Millionen Mark erhalten haben.

SPIEGEL: Wie begann das mit den Schmiergeldern?

Stava: Ich hatte 1981 gemeinsam mit Markus Gnädinger in der Schweiz die Diag gegründet, die sich mit dem Handel von Blut, Blutprodukten und dem dafür notwendigen Zubehör beschäftigt. Schon bald kamen wir mit dem BSD ins Geschäft. Allerdings ging es nur um kleine Mengen. 1983 machten Gnädinger, Hiedl, Vogt und ich eine Reise in die Tschechoslowakei. Hiedl fragte mich zu meiner Überraschung, ob wir beim Bayerischen Roten Kreuz nicht größer einsteigen wollten. Ich sagte natürlich »ja«. Daraufhin erwiderte Hiedl: »Umsonst ist aber nur der Tod.« Das war sein berühmter Spruch. Mir war klar, was damit gemeint war.

SPIEGEL: Und als Sie aus der Tschechoslowakei zurück waren?

Stava: Da fragten uns Hiedl und Vogt, ob wir für den BSD bestimmte Produkte beschaffen beziehungsweise dem BSD abnehmen und dann weiterveräußern könnten. Als wir uns interessiert zeigten, wurden wir nach München bestellt. In Hiedls Zimmer erläuterten uns die Herren ihr »Modell": Danach mußten wir zahlen - egal, ob wir vom BSD Plasma kauften oder an ihn Blutbeutel oder Testseren verkauften. Hiedl sagte, wir müßten für ihn und Vogt zusammen für jeden Liter Plasma zehn Mark abzweigen. Pro Blutbeutel, den der BSD der Diag abnehme, bekämen er und Vogt je eine Mark. Bei Testseren betrage der Anteil für beide zusammen zehn Prozent der Auftragssumme.

Dann teilte uns Hiedl noch die Preise mit, zu denen wir liefern müßten. Als Gnädinger und ich anfangen wollten zu diskutieren, sagte Hiedl nur noch: »Fliegt nach Hause und sagt uns morgen Bescheid.« Ich hatte damals bereits einiges kennengelernt im Geschäftsleben. Aber Vogt und Hiedl - die waren schon ungewöhnlich dreist.

SPIEGEL: Sie ließen sich trotzdem auf den Deal ein?

Stava: Das war echt ein Diktat. Am nächsten Tag rief ich Hiedl an und sagte: »In Ordnung, wir machen das so.« Wir wollten das Geschäft mit dem BSD, weil das einer der größten Abnehmer in ganz Deutschland ist. Es ging schließlich um Umsätze in der Größenordnung von über zehn Millionen Mark pro Jahr.

SPIEGEL: Und um Bestechung.

Stava: Mir war klar, daß es zu Problemen kommen könnte. Wir sprachen deshalb mit unserer Steuerberatungsfirma Arthur Andersen in der Schweiz. Die sagten uns: Vermerkt die Zahlungen in euren Büchern, dann ist alles in Ordnung. Hiedl und Vogt wurden deshalb bei uns von Anfang an offiziell als »externe Mitarbeiter« geführt - mit Verträgen, Adressen und allem. Alle Zahlungen an sie von 1983 an sind als »Verkaufskommission« verbucht. Auf die Provisionen hat die Diag in der Schweiz sogar noch 22 Prozent Steuern bezahlt. Ich dachte, damit hätten wir die Sache legalisiert.

SPIEGEL: Haben Sie Hiedl und Vogt je gefragt, ob sie das Geld versteuern?

Stava: Wir haben vom ersten Tag an auf eine saubere Lösung gedrängt und Hiedl und Vogt sogar empfohlen, eine eigene Firma zu gründen, auf deren Konto wir die Provisionszahlungen überweisen könnten. Doch das wollten die beiden nicht, die haben jedes Gespräch darüber total abgeblockt. Die wollten alles immer in bar.

SPIEGEL: Wo und wie oft fanden die Geldübergaben statt?

Stava: In der Regel viermal im Jahr. Wir fuhren nach München. Im Zimmer von Hiedl holte Gnädinger einen Umschlag aus der Tasche, überreichte die Scheine, und die sackten sie ein. Manchmal kamen Hiedl und Vogt auch in die Schweiz. Wichtig war immer nur eines: Es durfte außer uns vieren nie jemand anderes dabeisein.

SPIEGEL: Trotz soviel Konspiration gingen Sie davon aus, daß Hiedl und Vogt die Zahlungen versteuerten?

Stava: Das will ich so nicht behaupten. Wir waren aber überzeugt, Hiedl und Vogt hätten die Angelegenheit jedenfalls für sich geklärt. Hiedl machte immer einen so selbstsicheren Eindruck, als ob ihm überhaupt nichts passieren könnte. Er sprach auch gern von seinen exzellenten Verbindungen bis hinein in die Spitze der CSU.

SPIEGEL: Zu wem konkret?

Stava: Zu Sozialministerin Barbara Stamm, zu Peter Gauweiler, zum ehemaligen Generalsekretär Erwin Huber und natürlich, bis 1988, zu Franz Josef Strauß. Für Strauß mußte Hiedl DDR-Geschäfte erledigen.

SPIEGEL: Sie hatten den Eindruck, Hiedl und Vogt seien politisch abgesichert?

Stava: Natürlich, Hiedl war doch ständig mit all den CSU-Größen zusammen. Ein paarmal, beispielsweise mit Strauß und Huber, war ich auch dabei. Deshalb war ich mir absolut sicher, daß die beiden nie Probleme haben würden.

SPIEGEL: Sind Schmiergeldzahlungen im Blutgeschäft branchenüblich oder war das Bayerische Rote Kreuz ein Sonderfall?

Stava: Üblich in Deutschland ist, daß jemand, der Medizinzubehör benötigt, den Auftrag ausschreibt und ihn an den günstigsten Bieter vergibt. Da braucht es kein Schmiergeld. Beim Roten Kreuz allerdings ist das anders. Dessen Blutspendedienste schreiben bundesweit entweder gar nicht oder nur pro forma aus. Das gilt für München genauso wie für Springe oder Hagen. Dieser Laden ist ein einziger Sumpf.

SPIEGEL: Wie ist es Ihres Wissens anderen Zulieferern mit Hiedl und Vogt ergangen?

Stava: Aufgrund unserer Kontakte zu anderen Firmen weiß ich, daß Hiedl und Vogt ihre Taschen bei allen aufhielten. Wer nicht zahlte, flog aus dem Geschäft.

SPIEGEL: Wieviel, schätzen Sie, haben Hiedl und Vogt insgesamt kassiert?

Stava: Die konkreten Zahlen weiß ich natürlich nicht. Nach meinen Hochrechnungen dürften Hiedl und Vogt jeder rund 20 Millionen Mark bekommen haben.

SPIEGEL: Was macht das Blutgeschäft denn so interessant?

Stava: Es ist eines der lukrativsten überhaupt. Wenn Sie, nur um eine Größenordnung zu nennen, mit einem Lastwagen Aspirin 10 000 Mark verdienen können, dann verdienen Sie mit einem Lkw Blutplasma 100 000 Mark auf einen Schlag. Der Club der Bluthändler ist eine sehr geschlossene Gesellschaft - mit, sagen wir, weltweit 20 Mitgliedern. Jeder kennt jeden, man läßt niemanden Neuen hinein. Man muß hohe Diskretion bewahren. Deshalb sind auch die »Eintrittspreise« hoch.

SPIEGEL: Zeigten sich Hiedl und Vogt Ihnen gegenüber auch mal erkenntlich?

Stava: Wir wurden jedes Jahr zum Schörghuber ins Hacker-Pschorr-Zelt aufs Oktoberfest eingeladen.

INTERVIEW: WOLFGANG KRACH, GEORG MASCOLO

Wolfgang Krach
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