Ein gebrochener Mensch
(Nr. 45/1977, Serien: Martin Greiffenhagen über Jillian Beckers Untersuchung der »Baader/Meinhof-Bande")
Ich weiß niemanden, der -- ohne sie gekannt zu haben -- über Ulrike Meinhof so einfühlsam und so klug geurteilt hat wie Jillian Becker in »Hitler's Children«. Jillian Becker korrigiert, was Ulrike Meinhof betrifft, ein gängiges »Phantombild«, -- von Rewunderern wie Gegnern unterschiedlich, doch gleichermaßen verzeichnet. Ulrike war weder eine »Heilige Johanna« noch ein blindwütiges »Flintenweib«, sondern ein durch persönliche Schicksale gebrochener Mensch.
Es ist Professor Greiffenhagen zu danken, daß er die »geistes- und politikwissenschaftliche Hellsichtigkeit« von Jillian Becker hervorhebt und ihrer Deutung einzelner Vorgänge folgt. Aber eine Frage an ihn sei gestattet. Was ist eine »Ziehmutter«? Als solche stellt er mich vor.
Ich hin nur 14 Jahre älter als Ulrike, habe sie also nie »mütterlich«, sondern bestenfalls geschwisterlich behandeln können. Vielleicht hätte Ulrikes Lebensgang einen anderen Verlauf genommen, wenn ihre Mutter (gestorben 1949) länger gelebt hätte. Aber auch dann wäre die Parallele der Elternhäuser Ensslin/Meinhof nicht haltbar, die Mrs. Becker durchaus nicht so hervorhebt wie der Rezensent.
Ulrike war fünf Jahre alt, als ihr Vater starb. Er hat keinen entscheidenden Einfluß auf ihre Erziehung gehabt. Ihre Mutter war Tochter eines sozialdemokratischen Schulrats, der von der NS-Regierung davongejagt worden war und immer mit einem Bein im KZ stand. Von »bürgerlichem Eskapismus«, »elitärem Widerstand gegenüber der angepaßten Masse«, von »Hausmusik« und Mitwirkung in »evangelischen Jugendgruppen« habe ich absolut nichts gemerkt, solange Ulrikes Mutter lebte.
Als ich später die Vormundschaft für Ulrike übernahm, konnte von »bürgerlichem Eskapismus« erst recht nicht die Rede sein, -- höchstens von »Hausmusik"« die ja kein Zeichen von apolitischer Innerlichkeit sein muß.
Alsbach (Hessen) PROF. DR. RENATE RIEMECK
Gern folge ich der Bitte von Herrn Pfarrer Ensslin und veröffentliche das folgende an mich gerichtete Schreiben: »Sie schreiben in dem Artikel »Hitlers Kinder? Gewiß nicht« von zwei »geistig behinderten Kindern und einem, der Selbstmord begangen hat« in der Familie Ensslin.
Das ist falsch. Richtig ist, daß es in der Familie Ensslin kein geistig behindertes Kind gegeben hat noch gibt.
Der Sohn, der nach siebenjähriger geistiger Erkrankung seinem Leben ein Ende setzte. hatte einst das Abitur bestanden und sechs Semester Medizin studiert. Die Tochter, die zeitweilig einer psychiatrischen Kur bedurfte (ebenfalls Abiturientin und einige Semester Studium), ist seit sieben Jahren voll berufstätig. -- Ensslin«
Den Vorwurf, ungenau berichtet zu haben, muß ich zum großen Teil an die Autorin des von mir besprochenen Buches weitergeben: »Two of the children were mentally defective« heißt es bei Jillian Becker. Daß der Sohn, der Selbstmord beging, eines der beiden Kinder war, ist meiner Aufmerksamkeit entgangen.
Ich bedaure dieses Versehen um so mehr, als die Familie Ensslin in diesen Wochen ohnehin starker Belastung ausgesetzt ist.
Stuttgart
PROF. DR. MARTIN GREIFFENHAGEN