KIRCHE / MILITÄRSEELSORGE Ein gewisses Halt
Die einen tragen den bunten, die anderen den schwarzen Rock. Einig waren sich hohe Militärs und Militärgeistliche darin, daß es eine »Krankheit der Gesellschaft« zu bekämpfen gelte: die Kriegsdienstverweigerung.
Sie gehörten einem 17köpfigen Ausschuß an, der Ende vergangenen Jahres »im Einvernehmen zwischen den beiden Herren Militärbischöfen«, dem evangelischen Hermann Kunst und dem katholischen Franz Hengsbach, »und dem Herrn Verteidigungsminister« Gerhard Schröder gebildet worden ist.
Ihre Vorschläge, wie die Flut der Wehrdienstverweigerer eingedämmt werden soll, hielten sie nach drei Sitzungen in einem Papier fest, das schon vor einem halben Jahr, am 1. April, verabschiedet worden ist. Erst in der vergangenen Woche wurde es gegen den Willen der Bonner Spitzen von Staat und Kirche publik.
In beiden Kirchen steht nun ein bundesweiter Streit über die Aufgaben der Militärseelsorge bevor. Es sei nicht Sache der Bischöfe und Pfarrer, »die Kampfkraft der Truppe zu stärken und als Teil der Inneren Führung den Wehrwillen zu fördern« -- so der Stuttgarter Pfarrer Hermann Schäufele, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer. Und der Bremer Rechtsanwalt Martin Klein protestierte dagegen, daß sich »die Kirchen zu Handlangern der Militärs machen lassen«.
Einen solchen Eklat hatten die Militärbischöfe Hengsbach und Kunst von Anfang an vermeiden wollen. Sie hatten zwar in den Ausschuß ihre Stellvertreter entsandt: den Generaldekan Albrecht von Mutius, Leiter des »Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr«, und den Generalvikar Martin Gritz, Leiter des katholischen »Militärbischofsamtes«. Zugleich aber waren sie um Diskretion bemüht, allerdings in unterschiedlichem Maße. Katholik Hengsbach informierte nicht einmal den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Döpfner; Protestant Kunst verschickte das Ausschuß-Papier »vertraulich« und »lediglich für den Dienstgebrauch« an die Landeskirchen.
Geheim sollte bleiben, wie wehrfreudig sich die Militärgeistlichen in dem Ausschuß gegeben hatten. Unter Vorsitz von Brigadegeneral Jürgens, im Bundesverteidigungsministerium für Innere Führung zuständig, berieten sie mit, wie »Einsatzbereitschaft«, »Kampf kraft« und »Erfüllung des Kampfauftrages« der Bundeswehr gesichert werden können. Die Überlegungen wurden als Ergebnis gemeinsamer Arbeit der Pfarrer und Soldaten verabschiedet.
So legitim es ist, daß die Bundeswehr-Führung sich um die Erhöhung der Kampfkraft der Truppe und um die Verminderung der Zahl der Kriegsdienstverweigerer bemüht, so fragwürdig ist es, daß Militärseelsorger sie dabei unterstützen.
Der Ausschuß tadelte
>die deutschen Schulen: Die »Mentalität« etlicher Kriegsdienstverweigerer sei »das Ergebnis des gegenwärtigen gemeinschaftskundlichen Unterrichts, zumal in den Oberstufen unserer Oberschulen«;
* einschlägige Urteile deutscher Gerichte: Es hätten sich durch »höchstrichterliche Entscheidungen in zunehmendem Maße Unzuträglichkeiten ergeben«;
* die Praxis der Prüfungsausschüsse, die über Anträge von Verweigerern entscheiden: Obschon 85 Prozent der Anträge genehmigt würden, seien »höchstens 30 Prozent der Antragsteller als überzeugte Kriegsdienstverweigerer zu betrachten ... In der Differenz liegt die Wurzel des Übels«.
Die Herren in Uniform und Talar waren sich darin einig, daß eine »sinnvolle, moderne, aber straffe Menschenführung in der Truppe« ebenso notwendig sei wie der Kampf gegen den »Mißbrauch der Gewissensfreiheit«.
Deshalb schlugen die geistlichen und weltlichen Ausschußmitglieder zusätzlich zu dem zivilen Ersatzdienst« der in Kliniken und Altersheimen abgeleistet wird, einen »waffenlosen Dienst in der Bundeswehr« vor.
Der »waffenlose Dienst« hätte allerdings militärähnlichen Zuschnitt. In Sondereinheiten unter dem Befehl von Bundeswehr-Ausbildern würde vor allem Spaten-Arbeit verrichtet: Ödland kultiviert, Moore trockengelegt und Strände gesichert -- ähnlich wie früher der Reichsarbeitsdienst und wie heute die Baueinheiten der DDR-Volksarmee.
Nur wer seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung vor der Musterung einreicht, soll die Chance haben, mit dem »zivilen Ersatzdienst« davonzukommen. Wer den Antrag erst nach der Einberufung stellt, soll zum »waffenlosen Dienst« befohlen werden. Damit würden nach Ausschuß-Ansicht »vor allem ... diejenigen getroffen, die seither den Antrag verspätet stellten, um die Bundeswehr zu verunsichern«.
Die Dienstzeiten sollen gestaffelt werden: Der »waffenlose Dienst« würde drei Monate länger als der zweijährige »zivile Ersatzdienst« dauern. Wehrwillige dagegen müssen nur 18 Monate dienen und später ein paar Reservisten-Übungen ableisten.
Als die Militärbischöfe und das Bundesverteidigungsministerium in der vergangenen Woche erfuhren, daß die Ausschuß-Vorschläge nicht geheim geblieben sind, versuchten sie sich zu distanzieren. Militärbischof Kunst ließ auf seine Bedenken verweisen, und das Ministerium erklärte, die »Überlegungen« würden »nicht weiterverfolgt«. Und Generaldekan von Mutius nannte den Text gar »eine völlig unverbindliche Sammlung von Argumenten und Lösungsmöglichkeiten der Bundeswehr-Probleme
Der rheinische Präses Joachim Beckmann, evangelischer Beauftragter für die Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, hofft, daß die Vorschläge des Ausschusses ("unglaublich") beim Bonner Machtwechsel von den Schreibtischen in die Papierkörbe gefegt werden. Andernfalls will Beckmann den Militärseelsorgern »ein gewisses Halt zurufen«.